Skip to main content

#7 Wuchtige Blüten und Linda Rachel Sabiers

Ihr Lieben,

vor ein paar Tagen war ich mit einer Freundin beim Breathwork. Und als wir da so mit unseren Decken lagen, Augenkissen auf dem Gesicht, erzählte die Anleiterin (will nicht “breathwork facilitator” schreiben müssen) von ihrem Morgen und wie sie sich beim Weg ins Studio an den gerade überall aufspringenden (platzenden! sprengenden!) Knospen gefreut hätte.

Dabei sei ihr aufgefallen, dass der Frühling ja auch ein ziemlich gewaltsames Moment hätte. Blüten würden schließlich nicht sachte und zaghaft ihre Köpfchen recken, sondern müssten sozusagen Anlauf nehmen, um sich aus ihrer Schuppe zu wuchten. Genau wie Tiere, wenn sie aus Eiern schlüpfen.

Dabei ist das Wort “schlüpfen” eigentlich ganz schön euphemistisch.

Denn aus Eiern kann man sich schließlich nur raushaken.

Ich fand ihre Beobachtung sehr treffend und zugleich verließ mich dann die Phantasie (der Nerv) ihre weiteren Ausführungen zu menschlichem Gefühlshaushalt im Frühling zuzuhören.

Geht Euch das auch so? Ich freue mich eigentlich über jede hübsche Natur-Analogie. Aber, naja, manchmal ist ein Tier was aus einem Ei raus muss halt was anderes als eine mittelalte Frau mit PMS.

Und vielleicht ist Wandel auch nicht immer plötzlich und gewaltsam, vielleicht ist der Wandel, dieses ins-neue-Leben-schälen, auch etwas Sanftes, Schleichendes.

Ich jedenfalls merke in den letzten Jahren zunehmend, dass sich da eine andere Gunda durch die Jahre herausgeschält hat. Das die Mittelalter-Gunda eine andere ist, als die 20er oder 30er Gunda. Es sind die Dinge, über die wir schon so oft gesprochen haben: weniger fucks to give (Katja Berlin (Opens in a new window)), nicht mehr auf den immergleichen Lederjacken-Typen reinfallen (Mia Gatow (Opens in a new window)), und schlicht: wir kennen uns besser (Sarah Lorenz (Opens in a new window)).

Das kam zwar alles nicht über Nacht, aber es war - tatsächlich - nach meinem 40er irgendwann sehr merklich da. Genauso wie aber auch die weniger schönen Sachen irgendwann einfach da waren: mein Gesicht verabschiedet sich langsam aber deutlich gen Fußboden, ich brauche eine Lesebrille, die Vorsorgeuntersuchungen bekommen eine andere Schlagzahl, die lebensverändernden Einschnitte im Leben meiner Lieben auch (Scheidungen, Sorgerechtsstreits, Tod der Eltern).

Ich bin froh, so alt zu sein, wie ich bin. Aber manchmal schaue ich an mir runter und frage mich, wie das denn passiert ist. Wie ich ins Mittelalter geschlüpft bin, ohne es zu merken. Ob ich mir mehr Gedanken machen sollte über dieses anders-werdende Leben, wie ich es anpassen muss (noch mehr Proteine? noch weniger fucks to give?), und warum sich das Mittelalter manchmal anfühlt wie terra incognita.

Und wie sehnsüchtig ich deswegen bin nach Geschichten aus diesem Mittelalter, nach anderen Lebenseinstellungen und -entwürfen und Frauen, die mir sagen, ob sie schon mal eine Hormonbestimmung gemacht haben, ob sie schon mal beim Microneedling waren und wie sie die Welt wahrnehmen, wie sie die Welt wahrnimmt.

Ich möchte euch sehen.

Und in diesem Sinne:

Ich bin Ü40, aber

In diesem Abschnitt stelle ich immer eine tolle Ü40-Frau vor und das ist heute die wunderbare Linda Rachel Sabiers (40).

Linda ist Autorin. Ihr Buch “Kleine Momente in der großen Stadt (Opens in a new window)” könnte man als Tagebuch, als Vignetten-Sammlung, als Beobachtungs-Log bezeichnen - Linda sammelt Momente zwischen Menschen, zwischen Menschen und ihrer Umgebung und schreibt sie auf. Das ist oft ziemlich entzückend (sorry, aber ich mag das Wort so), oft auch weise, lustig und, wie Dana Vowinckel meint:

“Sollten Sie auf der Suche nach einem Gegengift gegen Misanthropie sein: Hier haben Sie es.”

Ja! Denn Lindas Alltagsbeobachtungen verlieren durch die Form, die sie ihnen gibt, auch ihre Alltäglichkeit und gehen tiefer, dahin, wo es zum Eingemachten geht.

Also, Linda, sag mal: Ich bin Ü40, aber…

das habe ich a) noch nicht wirklich verinnerlicht, weil ich innerlich viel zu viele offene Fragen an das Leben habe, von denen ich mit 25 meinte, sie mit 40 beantworten zu können. Und b) empfinde ich mein Alter als eine neue Form der Selbstverständlichkeit – als Frau, Mutter, Autorin und Arbeitnehmerin. Im Gegensatz zu den inneren offenen Fragen fühle ich mich beim Lustwandeln durch meine Außenwelt wie ein fleischgewordenes Ausrufezeichen – hier bin ich, das ist die Aussage!

Was machen die 40er besser als die 30er?
Die ganz geringe Toleranz für Bullshit, die große Akzeptanz dafür, Abendevents zu verpassen.

 Was möchtest Du in den 40ern lernen?
Italienisch, mir besser und schneller zu verzeihen. Und vielleicht sogar, endlich, meinen Körper zu lieben.

Was ist für dich die ultimative Gönnung?
Gewähltes Alleinsein in absoluter Stille.

 Wann warst du das letzte Mal wütend?
Ich bin viel zu oft wütend, das letzte Mal vor fünf Minuten beim Lesen der Nachrichten. Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, der sich mit der Korrelation von Ängsten und Depressionen und innerlicher Wut beschäftigt. Mir wurde Vieles dadurch klar und ich möchte anfangen, mehr mit meiner Wut auseinanderzusetzen. Ich bin in sämtlichen Rollen, die ich ausführe (Mutter, Frau, Jüdin), auf unterschiedliche Dinge wütend, die in der Welt, aber auch in Deutschland massiv falsch laufen: Der Umgang mit Kindern macht mich rasend, die Ohnmacht der Politik vor Misogynie und die Kapitulation vor Antisemitismus in der Kulturbranche. Um nur einige Dinge zu nennen.

Was ist dein liebstes Self-Care-Tool?

Eine Tür, die sich schließen lässt.

Wie sieht der perfekte freie Tag aus?

Frühstück mit Buch, Mittagessen mit Buch, Abendessen mit Buch. Möglichst alles im Bademantel, Außentemperatur 23,5 Grad.

Was ist eine gute Freundschaft für dich?
Die Möglichkeit, loszulassen. In alle Richtungen.

Auf was bist Du stolz?
Auf meine Offenheit, trotz gesamtgesellschaftlicher Zustände, die den Rückzug ins Private begünstigen; mein Buch, das viele Lesende bereits bewegt hat, meine Tochter.

Das war’s für heute, den nächsten Newsletter gibt’s Ostermontag und - versprochen - ganz ohne neue Ei-Metaphorik. Habt’s ganz gut bis dahin!

Fix&Vierzig ist ein kostenloser Newsletter. Ich freue mich, wenn ihr ihn gerne lest und weiterempfehlt. Und ich freue mich auch über Feedback und Anregungen - schreibt mir einfach an newsletter@fixundvierzig.de (Opens in a new window) oder lasst einen Kommentar da. Auf Instagram (Opens in a new window) gibt es noch zusätzlichen Mittelalter-Content und eine nette Community.

Über mich

Meine Name ist Gunda, ich bin 44 Jahre alt - freie Journalistin, Podcasterin und Autorin. Infos zu mir und meiner Arbeit findet ihr auf meiner Website (Opens in a new window)und bei Instagram (Opens in a new window). Dort gibt’s Kaffeefotos, Buchtipps, Gewichte und Blümchen.

Newsletter abonnieren (Opens in a new window)

Disclaimer: Ein paar Links in diesem Newsletter sind affiliate links, d.h. wenn ihr etwas über die Verlinkung kauft, erhalte ich ein bisschen Kaffeegeld. Für euch entstehen keine zusätzlichen Kosten. Grundsätzlich sind alle Empfehlungen völlig unbezahlt und auf meinem eigenen Mist gewachsen.