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In Eile, Omi

Hi! Fragst du dich auch, wo die Zeit bleibt? Ob du zu langsam bist, zu unsortiert? Was ich derzeit auch mache, es scheint nicht zu reichen, es ist nie gut genug – jedenfalls an den Ergebnissen gemessen, die ich meine, erreichen zu müssen.

Ich habe beschlossen, mich nicht länger mit Menschen zu vergleichen, die über mehr Energie verfügen als ich. Die ihr erstes Buch mit 30 schreiben. Die es schaffen, nur eine Sache wirklich gut zu machen und dabei zu bleiben. Als Universaldilettantin kann ich viele Sachen gut, wenn auch keine meisterhaft. Und das ist völlig in Ordnung. Vielseitig zu sein ist eine Qualität. Auch wenn ich mich ärgere, dass ich in diesem Jahr kaum mit der Scholle vorangekommen bin. Mein Vorhaben, bis zum Jahresende den ersten Wurf durchzuschreiben, ist geplatzt. Aber ich habe Stipendien beantragt, die mir im Herbst Schreibzeit verschaffen könnten. Schauen wir mal. Bämm, da ist sie wieder, die kleine fiese Stimme, die mir erzählt, ich solle nur auf das gucken, was ich nicht geschafft habe. Schreiben, Akquise, Marketing, das Bad putzen, die Steuererklärung ...

Kröten und Krokodile

Um aus der Problemtrance herauszukommen, habe ich eine Liste geschrieben mit den Dingen, die ich an einem durchschnittlichen Tag mache. Mich hat überrascht, dass die Zahl der »Kröten« oder »Krokodile« auf meinem Tageszettel überschaubar ist. Fast alles mache ich sehr gern. Meistens jedenfalls. Um mehr zu schaffen, müssten alle Rädchen ineinander greifen. Mein Alltag müsste schnurren wie eine frisch geölte Nähmaschine. Wie oft kommt das vor?

So sehr ich mich auch bemühe, die Realität zu ignorieren, funkt sie mir dazwischen. Gestern zum Beispiel hab ich verschlafen. Nur eine halbe Stunde. Aber schnell ins Büro. Muss meinen Tabaksbeutel noch füllen. Die Vorratsdose steht nicht, wo sie soll. Der Gatte eilt herbei, er findet die Dose in der Küche. Ich fülle den Beutel. »Wo du gerade hier stehst«, sagt der Gatte: »Wie soll ich ...«, eine handwerkliche Frage, nicht ganz unwesentlich (Foley-Kiste, s.u.).

Was, so spät schon?

Rucksack packen, los. Heute Mittag kommt eine Kundin. Als ich die Tür zur Bürohnung (Wohn-Arbeits-Kombi mit Lieblings-Kollegin, sehr zu empfehlen) öffne, fällt mir ein riesiger Fleck Bürokatzenkotze ins Auge, Zoras Frühstück. Ich lege Tücher auf den Fleck und beschließe, erst mal drumherum zu saugen. Die Katze streicht mir um die Beine, sie hat Hunger.

Vorm Staubsauger steht noch eine pralle Mülltüte. Ich mache mich auf zum Mülleimer. Die Tüte platzt nicht, denn heute ist ein guter Tag. Nur steht der Mülleimer nicht, wo er soll, sondern noch an der Straße. Da steht nicht unser Eimer, stellt sich heraus, sondern ein kleiner vom Haus Nummer 90. Wir sind die 94. Ich werfe den Müllbeutel in die leere Tonne Nummer 90 und suche die Straße nach unserer Mülltonne ab. Sie ist verschwunden.

Ich treffe eine Nachbarin. Wir vergessen die Tonne. Ihr Haus soll verkauft werden. Es ist niedrig und alt, mit einem lauschigen Hof. Praktischerweise beherbergt es einen original italienischen Pizzabäcker. Die Nachbarin hat gehört, dass ein Studiwohnheim aufs Grundstück gesetzt werden soll, so drei bis vier Stockwerke. Tschüs Pizza, tschüs Licht, mein Schattengarten würde zur Dunkelkammer. Ich tröste die Nachbarin mit zwei Pflänzchen für ihr Hochbeet und kehre zurück in die Bürohnung.

Reißverschluss und Spinnenfüße

Hab ich mich verplappert? Wieso ist es schon so spät? Schnell noch durchsaugen. Dann werfe ich die Rechnerin an, zücke meinen Tageszettel und greife zum Tabaksbeutel. Der liegt aber nicht, wo er soll, sondern zu Hause in der Küche. Auch egal. Ich will endlich die Spinnenfüße aufnehmen für ein Hörspiel, das fertig werden muss. Längst fertig sein müsste. Gekrabbel lässt sich mit einem Reißverschluss nachmachen, der klimpert schön zart. Draußen ist es so still, dass ich die Tür zur Aufnahmekabine offen stehen lasse, denn die ist am Vormittag schon ein Backofen. Als ich den Nupsi von einem Reißverschluss zum Mikro strecke, wirft jemand den Rasenmäher an.

Ich verschiebe die Aufnahme und arbeite unterm Kopfhörer am Newsletter, will ihn speichern. Da ploppt eine Fehlermeldung auf, die Festplatte ist voll. Ich krieche unter den Schreibtisch, stecke externe Platten, schaufele Daten um. Das Telefon klingelt. Beule am Hinterkopf. Klassiker.

Terminsalat. Kein Ding.

Der Wecker piept, letzter Aufruf zum Videocall der Redaktion. Wir kommen nicht wirklich voran, bringen einander aber immerhin auf den Stand. Danach starre ich eine halbe Stunde aus dem Fenster in den Himmel. Ich liebe Videocalls, auch wenn ich meine Hirnzellen danach zusammensuchen muss, wie ein Puzzle mit 5.000 Teilen.

Spinnenfüße, zweiter Versuch, bis das Telefon klingelt und ich unterbreche, weil, geht nicht anders. So geht es weiter. Am Abend ist mein Zettel voll wie am Morgen. Oder voller. Komm mir jetzt nicht mit Zeitmanagement. Das einzige, was an meinem Zeitmanagement nicht passt, ist, dass alles mindestens doppelt so lang dauert, wie es soll.

Nein, heute nicht.

Soviel zu Rädchen, die sich nicht fügen. Weil wir Menschen sind, trotz KI und Turbotech. Unsere Nähmaschine ist übrigens ein Geschenk meiner Großmutter, die ihre Briefe zeitlebens mit »In Eile, Omi« unterschrieb. Vielleicht wird es Zeit, eine neue Tradition zu starten: Eins nach dem anderen. Alles bewusst und so liebevoll wie möglich. Ablehnen, was zu viel ist. Nein, heute nicht, ich bin noch nicht soweit. Punkt.

Hab einen entspannten Sommer,

Aiga

Lieblingsgeräusch

Piep!

Ein einziges Mal in meinem Leben war ich so viele Wochen in der Natur draußen, dass ich glaubte, die Vögel zu verstehen. Diese Sprachkenntnisse hab ich inzwischen verloren, aber mit der Vogeluhr des NABU kann ich zumindest erfahren, wer vor Sonnenaufgang vorm Küchenfenster zwitschert. Werde schlaflos glücklich mit diesem Link (Öffnet in neuem Fenster)

Unterwegs lasse ich mir von der Merlin Bird ID (Cornell University, NY) oder von BirdNET (TU Chemnitz) helfen. Die KI-unterstützten Apps erkennen Vögel anhand von Fotos oder Audioaufnahmen. Beide Apps sammeln Daten und Standort-Informationen für die Forschung, für Behörden und Umweltorganisationen. Das ist doch ausnahmsweise mal sinnstiftende Datensammelei.

Werkstatt-News

Die Foley-Kiste

Meine Aufnahmekabine hat eine neue Mitbewohnerin: Die Foley-Kiste. Darin entstehen Geräusche für Hörspiel oder Film. Ich kann zum Beispiel Holz oder Stein hineinlegen und mit einem Paar Schuhe über den Händen genau die Schritte machen, die zur Bewegung eines Charakters passen. Ohne störende Nebengeräusche, das ist wichtig. Schritte auf Laub erzeuge ich auf dem Bandsalat einer alten VHS-Kassette. Aber sag's nicht weiter ...

Termine

Schreibzeit // Werktags 9 - 12 Uhr über BigBlueButton

Deep Work in Stille, mit einer kleinen Inforunde am Anfang und am Ende. Wenn du schreiben möchtest und dich Aufschieberitis oder Alleinsein davon abhalten, komm dazu. Du kannst jederzeit einsteigen und aussteigen. Das Angebot ist kostenlos, Abonnent:innen gehen vor (max. 16 TN). Zugangsdaten schick ich dir, schreib an post@aigiko.de (Öffnet in neuem Fenster)

UnplugTrump // Mittwoch 2.7.2025 19 - 20:30h

Ein Angebot für für soloselbständige Frauen in kreativen Berufen: Wer sich mit der Abhängigkeit von TechBros und Kommerz nicht mehr wohlfühlt, sucht Alternativen. Was bedeutet ein Umstieg auf andere Soziale Medien, Betriebssysteme, Software oder Abo-Dienste? Wie lässt sich die eigene Profession ethisch sauberer und nachhaltig gestalten? Wir finden Lösungen.

Das Angebot ist kostenlos, Abonnent:innen gehen vor (max. 16 TN). Schick eine kurze Mail an post@aigiko.de (Öffnet in neuem Fenster) und ich maile dir kurz vorm Termin die Zugangsdaten.

Textcoaching und Podcast Editing // ab Ende Juli wieder Kapazitäten!

Meine Schreibprojekte muss ich im Moment noch vorfinanzieren, heißt, bis sich etwas später auszahlt, arbeite ich für umme. Im Brotberuf biete ich Textcoaching, schneide Hörstücke und öffne mein Studio für Menschen, die einen Podcast oder ähnliches aufnehmen möchten. Wenn du jemanden kennst, der/die sowas sucht, bin ich dir für eine Empfehlung dankbar.

Hör-Tipps

NDR Kultur à la carte: Puppenspieler Niklaus Habjan

Der mit dem »Nestroy-Theaterpreis« ausgezeichnete Regisseur, Puppenspieler, Puppenbauer und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan widmet sich dem ambivalenten Dirigenten Karl Böhm. Am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt, war das Stück »Böhm« kürzlich zu Gast beim Hamburger Theater Festival. Nikolaus Habjan, der gern Opern als Figurenspiel inszeniert, sprach mit Katja Weise über das Spiel mit den Puppen, Mitläufer im Nationalsozialismus und die Macht der Musik.

››› Link zum Beitrag in der ARD-Audiothek (Öffnet in neuem Fenster)

Dissens Podcast #304 Immobilien-Lobby

Bauen und Wohnen aus Graswurzel-Perspektive: Im Dissens Podcast sprechen Aktivistis vom »Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« darüber, wie Immobilien-Lobby und Politik verstrickt sind, wie sich Miethaie als Lösung der Wohnungskrise verkaufen und was es braucht, um bezahlbaren Wohnraum zu erkämpfen.

Hier der Link zum Beitrag (Öffnet in neuem Fenster). Alle Infos zum Dissens Podcast auf www.dissenspodcast.de (Öffnet in neuem Fenster)

Das Wunder von Narnia

Wenn du im April das Hörspiel »Der silberne Sessel« aus den Chroniken von Narnia im SWR gehört hast, freust du dich bestimmt auf den neuen Zweiteiler: »Das Wunder von Narnia«, zu finden in der Ardaudiothek, Rubrik »Für Kinder«. Hier der Link zur ersten Folge (Öffnet in neuem Fenster)

Midact

Meine Lieblingsprofs Robert Krause und Florian Puchert vom Club23 haben ihren ersten Podcast veröffentlicht über das Schreiben, über Hürden und Höhenflüge, Routinen, Rituale und Realitäten im Schreiballtag.

Der Anfang: Feuer und Routine ››› auf youtube (Öffnet in neuem Fenster)

NeuroArt

Phoner

Wer aigiko auf Pixelfed folgt, kennt sie schon, meine intuitiven Zeichnungen (Bunt- und Faserstift, 8x8 cm). Hier habe ich mich mental auf ein Telefongespräch vorbereitet, vor dem ich Angst hatte. Fühl dich frei, im Bild etwas ganz anderes zu sehen :)

Intuitiv gezogene schwarze Linien, an ihren Kreuzungen abgerundet. Durchlaufende Farbflüsse in dunklem Lila, umgeben von Schattierungen in grün und blau.
Musik

Beim Schreiben gehört

Sergej Rachmaninow: 3. Klavierkonzert d-Moll op. 30 … Rachmaninow schrieb es 1909 unter großem Zeitdruck für eine Tournee durch die USA. Seit Dekaden höre ich dieses Stück, weil es mich zuverlässig aus dem Stuhl reißt, ich durch den Raum tanze und wenn ich allein bin, an gewissen Stellen kurz mal laut schreie. Die Aufnahme des hr-Sinfonieorchesters mit Alexander Malofeev am Klavier ist beeindruckend. Das Stück gilt als eines der technisch kniffligsten für Pianist:innen überhaupt, kommt aber federleicht daher.

››› Link zu youtube (Öffnet in neuem Fenster)

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