Kapitalismus und Klimakollaps
In einer Welt, in der die vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Kapitalismus ist, hält sich hartnäckig die Meinung, jener sei qua seines Erfolges das beste Gesellschaftssystems, das wir hervor gebracht haben. Vergessen werden dabei die Gewalt und die Kosten, die zur Entstehung und zum Erhalt dieses Systems notwendig waren bzw. sind. Ausbeutung und Tod von Millionen von Menschen durch imperialistische Expansion und der damit verbundene Raubbau an Ressourcen in Ländern des globalen Südens, die den wirtschaftlichen und technischen Aufstieg des Kapitalismus finanziert haben. Der rücksichtslose Verbrauch, die Vernutzung und die Unterdrückung unermesslich vieler Menschen. All das zur Sicherung eines Systems, das auf struktureller Ungleichheit basiert, Reichtum in den Händen weniger konzentriert und den Vielen jede Aussicht auf eine gerechte Zukunft nimmt, und vieles mehr. Den Kapitalismus dennoch als „gutes“ System zu bezeichnen, gelingt nur unter großzügiger Ausblendung historischer und gegenwärtiger Realitäten – oder mit einer gehörigen Portion geschichtlicher und moralischer Ignoranz.
Die drängendste aktuelle Konsequenz aber des Kapitalismus ist der Klimawandel. Und dieser wird gerade vehement verdrängt. Denn die dem Kapitalismus inhärente Wachstumslogik und ihr Ressourcenverbrauch, die Produktion und der Konsum von immer mehr Gütern und Dienstleistungen, hat das Ökosystem der Erde zum Kollabieren gebracht. Das ist eine direkte Folge des Kapitalismus. Erst begannen die Europäer im 15./16. Jahrhundert mit der Errichtung riesiger Monokulturen in Übersee und dem Abbau von Rohstoffen aus Minen in den heutigen Amerikas, die sie durch Sklav*innen bearbeiten ließen, welche sie millionenfach vom afrikanischen Kontinent gewaltsam verschleppt hatten und ebenso millionenfach durch Transport, Arbeit und Rassismus vernichteten. Mit der aber immer weiter steigenden Menge an Rohstoffen und dem daraus akkumulierten Kapital, entwickelte sich das Bedürfnis noch größere Mengen zu verarbeiten und führte zur fossil betriebenen Produktion auf Basis von Maschinen. Seit dem wächst der Verbrauch fossiler Brennstoffe und von Ressourcen exponentiell und damit auch der Ausstoß von CO2 und anderweitiger Zerstörung von Natur. Während die Welt mit immer mehr Produkten überschwemmt und mit immer mehr Produktion vernutzt wird.
“Contrary to all talk of impending scarcities, there is enough oil, gas and, above all, coal in the ground to raise the average temperature on earth by between 16 and 25 degrees.” - Andreas Malm, Fossil Capital
Dabei ist seit einiger Zeit evident, der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten und es ist daher folgerichtig, eher vom Klimakollaps zu sprechen. Die Katastrophe kommt. Sie beschleunigt sich rasant. Und wir haben nur noch Einfluss auf ihr Ausmaß, nicht mehr darauf , ob sie überhaupt eintritt. Beziehungsweise wir „hätten“ Einfluss auf ihr Ausmaß muss man sagen, denn der weltweite Ausstoß von CO2 reduziert sich nicht und die Investitionen in fossile Energien und die Erschließung neuer Fördergebiete steigt sogar. (Obwohl erneuerbare Energien mittlerweile viel billiger sind.) Statt dessen wird kollektiv verdrängt. Selbst das bereits gescheiterte 1,5° Ziel lebt als Untotes noch weiter. Als dieser Tage die Weltorganisation für Meteorologie (UN) bekannt gab, dass wir bis 2029 wahrscheinlich bei ~2° Erderwärmung ankommen werden, konnte man in der ZEIT (Öffnet in neuem Fenster) folgendes lesen:
"Die Prognose der UN-Sonderorganisation ist ein weiteres Indiz dafür, dass es angesichts der fortgesetzten Nutzung von fossilen Energieträgern immer schwieriger wird, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten."
Es wird nicht schwierig: das Klimaabkommen ist tot. Selbst gegen die wissenschaftliche Evidenz wird das gescheiterten Klimaabkommen noch als erreichbar gefasst. Wer jetzt noch glaubt, so schlimm sei es nicht, der hat die letzten Jahre alle Warnungen und Belege der Wissenschaft einfach ignoriert, der hat den Kopf erfolgreich in den Sand gesteckt und nimmt an der allgemeinen Verdrängungsorgie teil, dass es doch nicht so schlimm sei, werde, könne oder müsse. Dass auch im Journalismus hart fabuliert wird, zeigt wie tief die gesellschaftliche Verdrängung geht.
Dabei ist es egal, wie viele Bücher, Podiumsdiskussionen oder aufklärerische Talks dazu geschrieben und gehalten werden. Allerorts lässt sich das irrationale „Weiterso“ bestaunen. Regeln für das Verbrenner-Aus werden gelockert, die Agrardieselsubvention ist wieder da, neue Gaskraftwerke sollen her, Erneuerbare Energien stehen auf dem Prüfstand, Subventionen für fossile Energien betragen jährlich über 60 Mrd. €, die Atomkraft geistert als vermeintlich klimaneutral wiedermal als der ewig wiederkehrende Zombie in der Diskussion umher, die großen Fonds ziehen sich aus Erneuerbaren zurück und gehen in fossile Investments, usw.
Dabei ist nicht immer klar ob es sich bei solchen Phänomenen um Verdrängung, Dummheit oder ideologische Verblendung handelt. Denn nicht nur beim Klimakollaps, sondern allgemein im gesellschaftlichen Diskurs lässt sich diese Diskrepanz beobachten.
Europa beliefert die Ukraine mit Geld und Waffen, aber kauft zugleich weiterhin Öl und Gas aus Russland ein. Die Mehrheit der Deutschen votiert für längere Arbeitszeiten, aber nur nicht für sich selbst. Die herbeifabulierte Migrationskrise wird mit tausenden Bundespolizist*innen an der Aussengrenze bekämpft, die dann eine Hand voll Menschen nicht ins Land lassen. Zugleich begeht man damit mehrfachen Rechtsbruch, den man politisch und juristisch ignoriert und arbeitet an der Destabilisierung der europäischen Einheit, die man gerade jetzt so dringend bräuchte (weil Trump, weil Putin, weil Aufrüstung und gemeinsames Militär). Nebenbei beeinflusst man durch diese Aktion, die Wahlen im Nachbarland zugunsten der dortigen Rechtsradikalen und destabilisiert weiter. Und so weiter und sofort…
Die mediale Öffentlichkeit ist dabei keine Hilfe, sondern taumelt zum größten Teil orientierungslos durch die bundesrepublikanischen Wohnzimmer. Versteigt sich in sinnlosen Debatten und Thematisierungen, lässt sich von Rechten und Socialmedia vor sich her treiben und hat seit Jahren keinen Plan, wie mit einer rechtsextremen Partei umzugehen sei und stellt sich ernsthaft erst nach dem Öffentlichwerden des Verfassungsschutzberichtes 2025 in den Chefetagen hin und fragt sich: wie gehen wir eigentlich mit dieser Partei um - als ob sie nicht seit Jahren (in Teilen) rechtsextrem gewesen wäre?! Es ist eine allgemeine Betrunkenheit an gar nichts, bei gleichzeitiger geistiger Umbekümmertheit, die vor Verantwortungslosigkeit zu platzen droht.
Bei alledem werden die zentralen Probleme verdrängt. Allen voran der Klimawandel. Und ganz gleich ob diese Phänomene von Verdrängung, Dummheit oder ideologische Verblendung zeugen, eines ist sicher: der Kapitalismus, der viel gelobte, hat eine Welt geschaffen, die nicht mehr lebenswert für zukünftige Generationen sein wird. Wie schlimm es werden wird, das können wir vielleicht noch beeinflussen, wenn wir den drohenden Faschismus (zu dem der Kapitalismus auch seinen Beitrag leistet) verhindern können. Aber da der Kapitalismus nicht auf Solidarität und Rationalität basiert, sieht es im Moment nicht gut aus. Um so wichtiger, dass man sich keine Illusionen über die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung macht, in der wir leben und sich darauf versteigt, dies sei die beste aller möglichen Welten. Sie ist es nicht, denn die Hütte brennt! Oder um aus Brian De Palmas „Scarface“ zu zitieren:
„You know what capitalism is? Gettin' fucked!”
Literatur:
Andreas Malm: Fossil Capital
Thomas Piketty: Kapital und Ideologie
Howard French: Afrika und die Entstehung der modernen Welt
Clara E. Mattei: Die Ordnung des Kapitals