Die Tierheldinnen
Tierschutz in Katastrophengebieten

In globalen Krisen werden Tiere bei Rettungs- und Hilfsmaßnahmen häufig übersehen. Das gilt für Nutz-, Wild- und Haustiere gleichermaßen, denn oft sind die Besitzer*innen gezwungen, sie zurückzulassen. Gleichwohl gibt es Menschen, die sich dieser Tiere annehmen und für deren Schutz ihr Leben riskieren. Die Niederländerin Esther Kef ist eine davon.
Die Niederländerin Esther Kef gründete die Organisation „Animal Heroes“, um Tiere in Krisengebieten wie der Ukraine, Gaza oder Syrien zu retten. Gemeinsam mit lokalen Helfer*innen versorgt sie verletzte oder zurückgelassene Tiere und bringt sie in Sicherheit. „Animal Heroes“ unterstützt – vor allem dank privater Spenden – Frauen wie Maryam Barg in Gaza, die täglich viel riskieren, um Tiere zu schützen.
Von Sarah Tekath, Amsterdam
Aisha mag keine Besucher*innen. Kaum hat sie die Türklingel gehört, ist ihr Gebell durch das offene Fenster im zweiten Stock in der gesamten Amsterdamer Nachbarschaft zu hören. Esther Kef muss den kleinen Mischlingshund, den sie liebevoll als ihren „Terror-Dackel“ bezeichnet, erst in eine Transportbox sperren, bevor ich die Wohnung betreten kann.
Aisha, mit 14 Jahren eine sehr betagte Hündin, hat Schlimmes durchgemacht. Sie wurde in Italien vom Tierschutz aus einem Haushalt gerettet, wo sie mehrere Jahre schwer misshandelt wurde. Seitdem fürchtet sie sich vor Menschen. Derartige Geschichten von Tierleid sind für Esther Kef mittlerweile zum Alltag geworden.
Ende 2022 gründet die 46-jährige Niederländerin die Tierrettungsorganisation „Animal Heroes (Öffnet in neuem Fenster)“. Wenige Wochen später gibt es ein verheerendes Erdbeben in der Türkei und Syrien. „Wir waren noch gar nicht bereit“, erinnert sich Kef, „aber Krisen warten natürlich nicht darauf, dass man ready ist.“ Trotzdem trommelt sie quasi über Nacht acht Mitstreiter*innen zusammen und fliegt auf eigene Kosten in die Türkei. Dort findet sich die Gründerin von „Animal Heroes“ im Chaos völlig zerstörter Städte wieder.
Sie erzählt: „Von den Einsatzkräften wusste ich, dass in einer der oberen Wohnungen noch eine Katze eingeschlossen war. Das Gebäude war stark einsturzgefährdet und die Rettungsleute vor Ort kamen nicht an sie heran. Doch bevor wir das Tier befreien konnten, gab es ein Nachbeben und wir mussten sie schweren Herzens ihrem Schicksal überlassen.“ Seitdem sind Einsätze in Gaza und der Ukraine, aber auch bei Naturkatastrophen in Griechenland und Italien hinzugekommen.
Zusammenarbeit mit lokale Helfer*innen
Dabei arbeitet Animal Heroes immer mit bereits bestehenden Organisationen vor Ort oder mit lokalen Tierheld*innen zusammen. So werden, abgeleitet vom Namen der Organisation, freiwillige Helfer*innen in der Region genannt. Gemeinsam befreien sie Tiere aus zerstörten Gebäuden, evakuieren sie und bieten medizinische Versorgung. Kef organisiert mit ihrem Team Futter- und Medikamenten-Lieferungen und sorgt für eine mögliche Überführung der Tiere in sichere Gebiete – oft in Europa – damit sie später adoptiert werden können.

Der Einsatz von „Animal Heroes“ und freiwilligen Ortskräften ist nötig, denn wenn es um Kriegs- und Krisengebiete geht, fokussieren sich Regierungen und internationale Organisationen vornehmlich auf die dort lebenden Menschen und deren Evakuierung. Tiere werden ihrem Schicksal überlassen. Es sei denn, Privatpersonen greifen ein. Ikonisch ist in diesem Zusammenhang ein Video (Öffnet in neuem Fenster) eines ukrainischen Zoo-Wärters, der im russischen Angriffskrieg mehrere Kängurus in seinem Mini-Van evakuierte und die Aufnahme in den sozialen Medien teilte.
Das Mitgefühl mit den hilflosen Lebewesen, die einer derart beängstigenden und gefährlichen Situation ausgeliefert sind, scheint die Helfer*innen weltweit zu vereinen. Bei lokalen Tierheld*innen in Konflikten erkennt Kef eine echte Verbundenheit durch die gemeinsame Mission – über Grenzen hinweg. „Bei einem Einsatz im Westjordanland im Herbst 2023 haben sich Menschen aus Israel und Palästina gemeinsam um die Tiere gekümmert“, sagt sie.
Die Ente im Haus
Schon in ihrer Kindheit in der Stadt Zaandam nahe Amsterdam kümmert sich Esther Kef um verletzte Tiere, nimmt sie auf, pflegt sie und sammelt Geldspenden für Behandlungskosten. Ihr erstes Pflegetier ist eine verletzte Ente, die sie findet und mit nach Hause nimmt. „Ich habe die Ente aufgepäppelt. Danach lief sie frei im Haus herum und hat überall hingemacht. Meine Mutter war davon gar nicht begeistert“, lacht sie.
„Ich hatte tatsächlich so etwas wie meine eigene Organisation, aber die wurde nie offiziell registriert.“ Zum Beruf macht Kef diese Leidenschaft nicht. Stattdessen zieht sie nach England und studiert European Business Administration. „Mein Vater hatte sein eigenes Computer-Unternehmen gegründet und das fand ich sehr beeindruckend. Ich wollte auch eine eigene Firma haben“, erinnert sie sich.
Sie arbeitet in den Bereichen Pharma, Marketing und IT und lernt in dieser Zeit ihre heutige Frau, eine italienische Pilotin, kennen. Die beiden ziehen gemeinsam in die Dolomiten und starten ein Unternehmen, das Coaching anbietet für Menschen, die sich als Pilot*innen bei Fluggesellschaften bewerben und gut vorbereitet sein wollen für das anspruchsvolle Auswahlverfahren.
Das Pferd im Wohnzimmer
2019 gehen die beiden auf Weltreise. Beim Schwimmen mit Delfinen erinnert sich Esther Kef wieder an ihre Tierliebe, die in den vergangenen Jahren ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Wieder zurück in Europa fängt sie an, für eine niederländische Tierschutzorganisation zu arbeiten. Als Russland den Angriff auf die Ukraine startet, ist sie vor Ort und völlig ergriffen von dem Einsatz der Menschen vor Ort für bedürftige Tiere.

„Menschen, die selbst nichts mehr hatten, haben sich um die Tiere gekümmert. Anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen, sind sie geblieben. Ich habe sogar eine Frau gesehen, die ein Pferd in ihr Wohnzimmer mitgenommen hat, zum Schutz vor den Bombeneinschlägen.“ Sie habe sich mit diesen Menschen sofort verbunden gefühlt und wollte sie in ihrer guten und wichtigen Arbeit unterstützen. So entstand die Idee für „Animal Heroes“. Mittlerweile umfasst das Team knapp 20 Personen aus verschiedenen Ländern, alle auf freiwilliger Basis. Sie alle eint die Motivation der Tierliebe.
Esther Kef zahlt sich selbst kein Gehalt aus, aber das Coaching-Business und das Pilotinnengehalt ihrer Frau garantieren dem Paar ein gesichertes Einkommen. Außerdem besitzt sie eine Eigentumswohnung in Amsterdam, deren Vermietung ebenfalls Geld abwirft. Ihre Organisation finanziert sich über Spenden (Öffnet in neuem Fenster), meist von Privatpersonen. Im Jahr 2023 kamen dabei rund 25.000 Euro, im Jahr 2024 – dank starker Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit – sogar 110.000 Euro zusammen.
Ein Leben für Katzen in Gaza
Eine der „Animal Heroes“-Tierheldinnen ist die 37-jährige Maryam Barq, genannt die „Gaza Cat Lady“. Nach dem Einmarsch der israelischen Armee in Gaza entscheiden sie und ihre Familie sich dafür, zu bleiben, um sich um mehr als 60 Katzen zu kümmern. Sie liest die streunenden Tiere, die vermutlich von ihren Besitzer*innen zurückgelassen wurden, von der Straße auf und nimmt sie mit nach Hause. „Sie sind für mich wie meine Kinder“, erklärt sie Kef in einem Video-Call im Herbst 2024.
„Im vergangenen Jahr haben wir uns allein von Brot und Bohnen ernährt, damit wir genug Geld haben für Katzenfutter.“ Um dieses zu beschaffen, riskiert die palästinensische Tierheldin regelmäßig ihr Leben. „Animal Heroes“ versucht während der gesamten Zeit, Barq mit Zusendungen von Tiernahrung zu unterstützen, doch oft werden die Lieferungen an der ägyptisch-israelischen Grenze nicht durchgelassen.
Auch während der Luftangriffe versucht Barq, die Tiere zu beschützen. „Bei den Einschlägen sind die Katzen in totaler Panik und rennen wie verrückt in alle Richtungen. Ich mache die Fenster dicht, damit sie nicht von Granatsplittern getroffen werden oder sich bei panischen Fluchtversuchen verletzen. Ich versuche mein Bestes, ihnen gut zuzureden, aber ich fürchte, sie bemerken es gar nicht. Sie haben genau so viel Angst wie wir.“
Zusammen leben – und zusammen sterben
Auch als die israelische Regierung anordnet, alle Bürger*innen Gazas aus dem Norden in den Süden umzusiedeln, widersetzt sich Barq. Ihre Begründung: „Ich kann meine Katzen nicht zurücklassen, sie brauchen mich. Mir ist bewusst, dass ich hier im Norden sterben könnte, aber bei Kriegsbeginn habe ich entschieden, dass wir entweder zusammen leben oder zusammen sterben.“
Nach einer erzwungenen Evakuierung durch das israelische Militär kehrt sie am Folgetag wieder in ihr Haus zurück, wo sie sich bis heute (April 2025) aufhält. Von den ursprünglich 62 Katzen sind noch 47 am Leben. Maryam Barq erhält derzeit immer noch Geldspenden von „Animal Heroes“ via PayPal, auch wenn jeder Gang zur Bank oder Wechselstube ein erhebliches Risiko darstellt.
Mittlerweile ist es mit der Unterstützung der Organisation außerdem geglückt, eine Tier-Notfallklinik in Jenin im Westjordanland aufzubauen, die im Frühjahr 2025 ihren Betrieb aufgenommen hat. „Das ist eine erhebliche Erleichterung“, erklärt Kef. Denn durch die anhaltenden Gefechte und die Zerstörung waren so viele bedürftige Tiere unerreichbar für sie und ihr Team. Transporte waren ihre Aussagen zufolge kaum noch möglich und wurden immer gefährlicher.
Und auch im Privaten gibt es eine gute Nachricht: Aisha, der kleine Hund von Esther Kef, macht, in ihrem hohen Alter, eine Ausbildung zum Trüffelhund – und das offenbar sehr erfolgreich. Es ist wohl nie zu spät, etwas Neues anzufangen.