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Die Vorbild-Falle

Warum unsere Kinder keine Helden kopieren, sondern sie selbst werden sollten

"Ein Indianer kennt keinen Schmerz." Erinnern Sie sich an solche Sprüche aus Ihrer Kindheit? Es war der gut gemeinte Versuch, uns stark zu machen, uns eine Rolle zu geben, in die wir hineinwachsen sollten. Doch was, wenn man gar kein Indianer sein wollte? Was, wenn man einfach nur traurig war und Trost brauchte?

Dieser kleine Satz ist ein perfektes Beispiel für eine Falle, in die wir als Eltern oft tappen: die Vorbild-Falle. Wir präsentieren unseren Kindern Helden – ob fiktive aus Büchern, glänzende Social-Media-Stars oder reale Menschen aus unserem Umfeld – und sagen: "Sei so wie er! Sei so erfolgreich wie sie!" Doch mit diesem Wunsch, sie auf den richtigen Weg zu bringen, riskieren wir, sie von ihrem wichtigsten Ziel abzubringen: sie selbst zu werden.

Der Mythos vom perfekten Helden

Das Problem mit Vorbildern ist der "Helden-Mythos". Wir stellen eine Person auf einen schimmernden Marmorsockel und tun so, als sei sie makellos. Dieses Idealbild erzeugt einen enormen Druck. Das Kind lernt: Um geliebt und bewundert zu werden, muss ich diese eine, perfekte Rolle kopieren. Eigene Schwächen, Fehler oder andere Interessen passen nicht ins Bild und werden als Versagen empfunden.

Was passiert, wenn der Held vom Sockel fällt? Wenn der gefeierte Sportler unsportliches Verhalten zeigt oder die erfolgreiche Tante von ihren eigenen Sorgen überwältigt wird? Die Enttäuschung ist riesig und hinterlässt eine Leere. Die Jagd nach einer Kopie hat verhindert, dass das Kind ein stabiles Original erschaffen konnte: sich selbst.

Der Ausweg: Werde zum Mosaik-Künstler deines Lebens!

Die Lösung liegt in einer feinen, aber entscheidenden Verschiebung der Perspektive. Statt nach ganzen Vorbildern zu suchen, sollten wir unsere Kinder ermutigen, sich gezielt Beispiele zu nehmen.

Ein Beispiel ist keine ganze Person, sondern eine einzelne, bewundernswerte Eigenschaft. Es ist ein bewusster Akt des Sammelns. Wir geben unseren Kindern damit einen imaginären Werkzeugkasten an die Hand, den sie selbst füllen können:

  • "Schau mal, die Geduld, mit der Oma dir das Spiel erklärt hat. Die ist ein tolles Werkzeug."

  • "Die Kreativität, mit der dein Freund aus alten Kartons eine Burg baut, ist eine super Fähigkeit."

  • "Der Mut der Feuerwehrfrau im Fernsehen ist beeindruckend, nicht wahr?"

Anstatt eine Kopie eines Helden zu werden, wird das Kind zum Künstler seines eigenen Charakters. Es erschafft ein einzigartiges Mosaik aus den leuchtendsten Steinchen, die es auf seinem Weg findet. Es kann den Humor von Papa, die Zielstrebigkeit der Lehrerin und die Empathie des besten Freundes in sich vereinen – und bleibt dabei doch unverkennbar es selbst.

Dieser Ansatz befreit. Er erlaubt Fehler, feiert Vielfalt und stärkt das Selbstbewusstsein. Er lehrt unsere Kinder die wichtigste Lektion überhaupt: Du musst nicht wie jemand anderes sein, um großartig zu sein. Die spannendste, wertvollste und interessanteste Person, die du werden kannst, bist du selbst.

Kategorie Familienbande