How to therapy - Ein FAQ
Viele Menschen denken, eine Therapie sei nichts für sie. Mitunter aufgrund von Irrtümern und Fehlannahmen. Deshalb kommt hier ein FAQ.

Ich habe in einem Zeitraum von 25 Jahren vier Therapien gemacht (1997, 2010, 2018, 2021); die erste und die letzten beiden waren Verhaltenstherapien, die von 2010 nach dem Tod meines Vaters und der Krebsdiagnose meiner Mutter eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.
Seitdem ich 1997 mit 23 Jahren meine erste Therapie begonnen habe, hat sich einiges getan. Auch wenn es in vielen Städten und erst recht im ländlichen Raum nicht genug Therapieplätze und Kassensitze gibt, sind die Hürden, heute zu einer Therapie zu finden, niedriger. Das Bewusstsein ist gewachsen, heute haben sowohl Hausärztinnen und -ärzte als auch Laien eher auf dem Zettel, das hinter einem vermeintlich körperlichen Leiden die Psyche stecken kann. Die meisten Stellen, die man im emotionalen Ausnahmezustand ansprechen kann, sind online erreichbar, was je nach Krise einen Erstkontakt erleichtert, und es gibt Onlineverzeichnisse, in denen man passende Therapiekräfte suchen kann.
Dennoch gibt es immer noch viele Irrtümer, Vorurteile und falsche Annahmen, die es Menschen, die Hilfe brauchen, erschwert, die Hilfe auch tatsächlich zu suchen und in Anspruch zu nehmen. Vielleicht sind sie auch gar nicht sicher, ob sie Hilfe brauchen. Deshalb schreibe ich diesen Beitrag. Ich behandle alle Fragen und Unsicherheiten, die mir in den letzten Jahren durch andere oder mich selbst begegnet sind. Ich habe immer nur mit Frauen gearbeitet, daher spreche ich hier in weiblicher Form, männliche Therapeuten und Patienten sind mitgemeint.
Ich bin nicht krank (genug)
Stell dir vor, du hast über Wochen Kopf- und Zahnschmerzen, die einfach nicht weggehen wollen. Sie sind gerade eben so auszuhalten, aber nie weg. Ich nehme an, du würdest irgendwann einen Arzt aufsuchen, oder? Auch psychische Störungen oder Erkrankungen führen nicht immer zu extremen Krisenzuständen. Aber auch Belastungszustände, die für sich genommen nicht extrem sind, aber über einen längeren Zeitraum oder in den immer gleichen Situationen auftreten, können Krankheitswert haben. Gerade wenn Symptome schon lange bestehen, denken viele Menschen “Ich bin halt so”, und weil sie sich selbst nicht anders kennen als belastet, gestresst, vermeidend, denken sie, dass ihr Leiden nicht behandlungsbedürftig ist.
Viele Menschen stören sich deshalb auch an dem Wort “PatientIn” und viele Therapeutinnen nutzen heute eher das neutrale Wort “KlientIn”. Ich selbst habe kein Problem damit, mich als Patientin zu sehen, weil ich körperliche und psychische Gesundheit gleichsetze.
Zwei Fragen, die du dir stellen solltest, wenn du über eine Therapie nachdenkst, sind diese:
1. Schränkt dich die Belastung ein, nimmt es dir Lebensqualität, dass du in bestimmten Situationen nicht anders reagieren kannst?
Und 2. Belastet es womöglich auch deine Beziehungen, die Menschen, mit denen du lebst und regelmäßig interagierst?
Psychische Erkrankungen betreffen niemals nur eine Person, sondern können ganze Familien belasten. Mit Partnerinnen und Partnern oder ggf. auch Kindern (sofern sie alt genug sind) zu reden, wie sie die Situation erleben, kann helfen, zu erkennen, wann Hilfe von außen angebracht ist. Wenn es dir dauerhaft nicht gut geht, du immer wieder in destruktive Handlungs- und Fühlmuster verfällst und/oder deine Familie/Freude unter deinem Wesen leiden, würde ich immer dazu raten, sich Hilfe zu suchen.
Ich kann mir keine Therapie leisten.
Erst kürzlich sagte jemand zu mir, er sei nicht in Therapie, weil er es sich nicht leisten könne. Er wusste schlicht nicht, dass die ganz normale Gesetzliche Krankenversicherung, die in vielen Fällen zurecht kritisiert wird, bei entsprechender Indikation die Kosten für eine Psychotherapie in vollem Umfang übernimmt. Ich habe für keine meiner Therapien auch nur einen Cent bezahlt.
Voraussetzung dafür, dass die GKV zahlt, ist ein Kassensitz der Therapeutin. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat eine Übersicht aller Therapeutinnen (Öffnet in neuem Fenster) mit Kassensitz, ganz bequem per Onlinesuche zu sichten. Meine tolle Therapeutin, bei der ich die zwei letzten Verhaltenstherapien gemacht habe, habe ich dort gefunden. Links für die Kassenärztliche Vereinigung deines Bundeslandes findest du hier (Öffnet in neuem Fenster).
Was sind die ersten Schritte bei der Suche?
Eine gute erste Anlaufstelle (aber keinesfalls zwingend) ist die eigene Hausärztin oder -arzt. Dort muss später für den Übernahmeantrag der Krankenkasse ohnehin ein Check gemacht werden, um festzustellen ob eine körperliche Ursache für die psychischen Beschwerden zu finden ist (Fehlfunktionen der Schilddrüse etwa können sich auf die Psyche auswirken). Je nachdem, wie gut deine Hausärztin vernetzt ist, kann sie dir vielleicht auch Namen von Therapeutinnen mit Kassensitz nennen.
Aber du kannst auch - wie ich - eine Therapeutin mit Kassensitz direkt kontaktieren. Die sagt dir dann, ob und wann du deine Hausärztin für den Konsiliarbericht kontaktieren musst.
Wie soll ich bei der Suche wissen, welche Therapie und Therapeutin die richtige ist?
Das musst du gar nicht. Jede Therapeutin hat unterschiedliche Spezialisierungen und aus meiner Sicht ist es nicht möglich, vorab zu wissen, wer für dich geeignet is - erst recht nicht in einem psychischen Belastungszustand. Sofern du bei der Suche angeben musst, welche Therapieform du suchst, würde ich für den Anfang erst einmal Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Therapie empfehlen. Beides sind Einzelgesprächstherapien und es gibt methodische Überlappungen. Zwei deutschsprachige Psychologen sind gar der Meinung, dass die strikte Trennung der Therapieformen (Öffnet in neuem Fenster) ohnehin überholt ist.
Das Einzige, worauf ich als potentielle Patientin immer achten würde, ist, dass die Therapeutin ausgebildete Psychologin ist, also nicht nur Psychotherapeutin nach Heilpraktikergesetz, denn diese “Ausbildung” umfasst oft nur wenige Monate. Nach meiner Überzeugung ist das viel zu wenig, um kompetent mit der menschlichen Psyche umzugehen.
Wenn du in der Liste oder Onlinesuche jemanden gefunden hast, der dir subjektiv passend erscheint, kommt die Kontaktaufnahme. Formuliere dir am besten einen Standardtext, in dem du kurz deine Belastungssituation beschreibst, die brauchst du dann nur per Copy+paste einzusetzen - das macht es zum einen etwas einfacher, mehrere Personen anzuschreiben, und zum anderen kann die angeschriebene Therapeutin schon erkennen, ob sie grundsätzlich für deine Situation in Frage kommt.
Der Erstkontakt kann frustrierend sein, weil es, wie erwähnt, an Therapieplätzen und Therapeutinnen mangelt. Ich habe 2018 acht Therapeutinnen per Mail angeschrieben, sechs haben wegen mangelnder Kapazitäten abgesagt, eine gar nicht geantwortet und eine war die tolle Therapeutin, bei der ich dann schließlich auch die beiden folgenden Therapie gemacht habe. Ich weiß, dass ich viel Glück hatte, andere klappern viel mehr Therapeutinnen erfolglos ab und das schafft natürlich eine große Hürde.
Aber mit ein bisschen Glück kannst du mit einer der angeschrieben Therapeutinnen probatorische Sitzungen vereinbaren.
Was sind probatorische Sitzungen?
Probatorische Sitzungen sind je nach Bundesland drei bis fünf Sitzungen, die die Kasse in jedem Fall und auch ohne Indikation übernimmt. Diese Sitzungen dienen dazu, zu schauen, ob die Therapeutin sowohl fachlich als auch menschlich die richtige ist. Denn die persönliche Chemie macht viel aus für einen etwaigen Therapieerfolg, weil Vertrauen hier ein entscheidender Faktor ist. Die betroffene Person muss Vertrauen in die therapeutische Kompetenz haben und die Therapeutin Vertrauen, dass die betroffene Person mit den Anforderungen einer Therapie nicht leichtfertig umgeht.
Auch die psychische Anamnese spielt bei diesen probatorischen Sitzungen eine Rolle, denn die Therapeutin muss sich natürlich einen Überblick darüber verschaffen, inwieweit sich die aktuelle Belastungssituation in das Leben und die Vergangenheit einer betroffenen Person einfügt. Das ist im Grunde genauso, wie wenn man bei einem Körpermediziner erst einmal lange Listen über Vorerkrankungen oder familiäre Vorbelastungen ausfüllen muss, nur dass es hier eben nicht mit Ankreuzen getan ist.
Muss ich ganz viel Bürokratie bewältigen für eine Therapie?
Nein. Für mich ist Bürokratie - Unterlagen, Fragebögen, Formulare - so etwas wie chinesische Wasserfolter. Die Aussicht, erst einmal 27 Stellen zu kontaktieren und zig Blatt Papier auszufüllen, hätte mich mit einhundertprozentiger Sicherheit abgehalten, mir Hilfe zu suchen, als ich Hilfe brauchte. Menschen in einer depressiven Episode schaffen es oft kaum, morgens aufzustehen und regelmäßig zu duschen, und erst einmal viel Eigeninitiative aufbringen zu müssen, kann eine unüberwindbare Hürde sein.
Bei meiner tollen letzten Therapeutin war es so, dass sie mir, nachdem wir beschlossen hatten, zusammen zu arbeiten, die entsprechenden Unterlagen (Anträge für die Krankenkasse und Vordrucke für den medizinischen Konsiliarbericht) vorbereitet hat. Alles weitere, etwa die ganze Kommunikation mit der Krankenkasse, hat sie erledigt, ich musste Anträge u.ä. nur unterschreiben. Mein aktiver Beitrag bestand neben der ersten Kontaktaufnahme per Mail nur aus der Untersuchung und Blutabnahme bei meiner Hausärztin und der Weiterleitung ihres Berichts an die Therapeutin.
Ich bin nicht sicher, ob alle Kassentherapeutinnen so arbeiten, aber es geht definitiv auch ohne einen Riesenberg Formalkram.
Muss ich eine Absage der Krankenversicherung fürchten?
Nicht wirklich. Ich habe in allen vier Fällen, in denen ich Hilfe gesucht habe, diese Hilfe auch bekommen. Die Sitzungen werden allerdings in Häppchen bewilligt, anfangs werden nur 12 Sitzungen bewilligt, was einer Akutbehandlung entspricht. Wenn Therapeutin und Patientin merken, dass das nicht reicht, stellt die Therapeutin Antrag auf Verlängerung.
Anfangs habe ich noch bei jedem Verlängerungsantrag gezittert, aber letztlich sichert sich die Krankenkasse durch dieses Häppchenvorgehen nur dagegen ab, dass jemand eine Therapie zwar beginnt, sie aber nicht ernsthaft verfolgt oder vorzeitig abbricht. Auch wenn jemand über Jahre in verschiedenen Therapieformen und bei verschiedenen Therapeutinnen keinerlei Fortschritte erreicht hat, kann die Krankenkasse ablehnen. Bei einer Ersttherapie, in der man gut mitarbeitet, würde ich die Chance einer Ablehnung aber als sehr gering einschätzen.
Gibt es eine Pause zwischen den probatorischen Sitzungen und dem Beginn der Therapie?
Das kommt drauf an. Da das Risiko einer Ablehnung wie erwähnt eher gering ist, machen manche Therapeutinnen ohne Pause im Vertrauen auf eine Bewilligung weiter, aber meine letzte Therapeutin hat pausiert, bis die Bewilligung da war. Aber die Krankenkassen befinden meist schnell, innert ein, anderthalb Wochen, über einen Therapieantrag. Die Unterbrechung ist also aushaltbar kurz. Die Bewilligung teilt die Krankenkasse sowohl der Therapeutin als auch der Patientin mit, also auch hier keine Bürokratiehürde.
Muss ich auf die Couch?
In meinen beiden Therapieformen: nein. Bei der tiefenpsychologisch fundierten Therapie hat mir die Therapeutin zwar angeboten, mich hinzulegen, ohne dass sie in meinem Blickfeld sitzt, aber weil ich mich damit nicht wohl gefühlt hätte, habe ich das abgelehnt. Letztlich habe ich bei allen Therapien der Therapeutin einfach in einem gemütlichen Sessel gegenüber gesessen.
Heul’ ich da die ganze Zeit?
Das kann zwar passieren, ist aber unwahrscheinlich. Ich habe bei allen Therapien tränenreiche, schmerzhafte Sitzungen erlebt, aber ebenso oft gab es Sitzungen, die ganz einfach ruhige Gespräche waren oder bei denen wir sogar zusammen gelacht haben. Ja, die klischeehafte Kleenexpackung steht meist nur eine Armlänge entfernt.
Aber du solltest Gefühlsausbrüche nicht als etwas sehen, das unerwünscht oder peinlich ist. Sie sind viel mehr ein Zeichen dafür, dass die Therapie sich den Bereichen in dir nähert, in denen Entwicklung (von mir aus kann man auch den abgedroschenen Begriff “Heilung” verwenden) nötig ist. Nach meiner Erfahrung stehen Gefühlsausbrüche für Fortschritt und das ist genau das, was man ja mit einer Therapie erreichen will.
Generell gilt: Die Therapie ist oder sollte ein urteilsfreier Raum sein. Das macht ihre Besonderheit aus. Egal, welche Gefühle du in der Sitzung zeigst, jedes bekommt seinen Raum. Und eine gute therapeutische Kraft wird dich nie für diese Gefühle verurteilen. Das klingt vielleicht banal, aber wir leben in einer Welt, in der wir oft für das, was wir fühlen, verurteilt werden. Unsere Umgebung macht uns glauben, dass wir überreagieren, dass alles nicht so schlimm ist, oder unsere Gefühle sogar moralisch verwerflich sind.
Deshalb sprechen wir über vieles von dem, was wir im täglichen Leben empfinden, gar nicht erst. Wir wollen nicht verurteilt werden. Weil das wehtut und uns das Gefühl gibt, allein zu sein. Eine Therapie schafft Raum für diese unterdrückten und unausgesprochenen Gefühle. Ob das Wut ist oder Trauer oder auch Schadenfreude, ist ganz egal.
Worin unterscheiden sich Akutbehandlung und Therapie?
Meine vierte Therapie begann mit einer Akutbehandlung, weil ich durch verschiedene Umstände in eine finanzielle Notsituation geraten war. Es war daher noch nicht klar, wie lange ich Hilfe benötigen würde. Eine Akutbehandlung umfasst bis zu zwölf Sitzungen und dient dazu, jemanden durch eine vorübergehende Krise zu begleiten. Die Kürze der Behandlung unterscheidet sich von einer Therapie, die nach Aussagen meiner Therapeutinnen bei Verhaltenstherapie bis zu 180, bei tiefenpsychologisch fundierter Therapie bis zu 360 Sitzungen umfassen kann.
Bei der Akutbehandlung stehen Begleitung und Stabilisierung im Vordergrund, also die Behandlung der Gefühle, die gewissermaßen dicht unter der Oberfläche liegen. Bei einer Therapie dagegen forschen Therapeutin und Patientin gemeinsam nach tiefer liegenden Verwerfungen. Außerdem muss die Therapeutin bei einer Therapie einmal im Quartal einen Bericht an die Krankenkasse schicken, aber das betrifft die Patientin nur peripher.
Ich habe Angst vor Psychopharmaka.
Das ist überhaupt nicht ungewöhnlich und es wird dich auch niemand zwingen, welche zu nehmen. Viele Menschen (übrigens ich am Anfang auch) glauben, Medikamente würden sie in ruhiggestellte Zombies verwandeln oder ihre Persönlichkeit verändern. Ich nehme seit sechs Jahren das SNRI-Antidepressivum Venlafaxin und kann für mich sagen, dass beides nicht eingetreten ist. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, das Medikament hat mir überhaupt erst ermöglicht, wieder zu meiner natürlichen Persönlichkeit zu finden, weil es die Krankheitssymptome, die sich über viele Jahre wie ein Käfig darum gelegt hatten, gelindert hat.
Wie bei anderen Medikamenten können auch bei Psychopharmaka Nebenwirkungen auftreten. Ich habe nur wenige, die mich nicht groß einschränken, aber bei anderen Patienten kann das anders aussehen. Deshalb würde ich weder zu- noch abraten - für manche funktioniert eine Medikation, für andere nicht.
Aber du musst auf keinen Fall fürchten, dass dir gleich bei der ersten Sitzung jede Menge bunte Pillen angedreht werden. Eine psychologische Psychotherapeutin darf dir ohnehin nichts verschreiben, nur Menschen mit medizinischer Ausbildung dürfen das. Meine Erstmedikation hat mir damals meine Hausärztin verschrieben, später übernahm das Monitoring ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (vulgo: Psychiater).
Bin ich nach einer Therapie geheilt?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Diagnose
Viele psychische Erkrankungen haben eine genetische Komponente, was bedeutet, als dass man ein gewisses Risiko für einen erneuten Ausbruch hat. Ich habe rezidivierende Depressionen, kann also immer wieder einen Rückfall erleiden. Heilung im herkömmlichen Sinne gibt es für diese Diagnose nicht. Von meiner Angststörung (Öffnet in neuem Fenster), die mich viele Jahre erheblich in meinem Erleben und meinem Alltag einschränkt hat, bin ich dagegen tatsächlich “geheilt”. Sie ist seit Jahren nicht mehr aufgetreten.Verhältnis zwischen Patient und Therapeutin
Trotz der professionellen Distanz (eine Therapeutin ist keine Freundin!) ist die Chemie zwischen beiden für das Gelingen einer Therapie wichtig. Da wird es natürlich etwas zynisch, denn oft besteht ja schon ein grundlegender Mangel an therapeutischem Personal mit Kassensitz und freien Kapazitäten, so dass Betroffene froh sein können, wenn sie überhaupt eine Therapeutin finden. Dennoch: wenn man die Chance hat, “Schnuppersitzungen” bei verschiedenen Therapeutinnen zu machen, bevor man sich entscheidet, sollte man das auch tun.Mitarbeit der zu behandelnden Person
Eine Therapie ist immer Arbeit. Es geht nicht darum, sich einmal pro Woche bei jemandem auszuheulen. Es funktioniert auch nicht, die Verantwortung an die Therapeutin abzugeben und passiv darauf zu warten, dass sie alles gut macht. Eine Therapeutin kann dir Wege eröffnen, aber gehen musst du allein.
Dazu ist nach meiner Erfahrung vor allem Entschlossenheit wichtig, den eigenen inneren Verwerfungen - auch den schmerzhaften - entgegenzutreten. Denn der einzige Weg aus einem Gefühl raus führt durch es hindurch. Um sich von Ängsten, inneren Konflikten, Scham- oder Schuldgefühlen zu befreien, muss man sie durchleben. Es kommt also sowohl auf deine Bereitschaft an, das zu tun, als auch deine Fähigkeit, mit deinen Gefühlen in Kontakt zu treten.
Was hältst du von Selbstzahlertherapie?
Offen gesprochen nicht viel, auch wenn es für Viele der einzige Weg ist (Stichwort Mangel an Kassensitzen). Bei einer Selbstzahlertherapie liegt die Entscheidung, ob eine Therapie fortgesetzt wird, einzig bei der Patientin (und ihren finanziellen Möglichkeiten). Wenn man schnell und vorübergehend Hilfe braucht, ist die Selbstzahlertherapie zwar niederschwelliger, weil sie eben keine medizininischen Untersuchungen und Anträge benötigt.
Aber dieselbe Niederschwelligkeit besteht auch beim potentiellen Abbruch. Bei jeder Sitzung wird neu vereinbart, ob man sich noch einmal wiedersieht. Gerade wenn therapeutische Arbeit in die aufgewühlten Fahrwasser kommt, die anstrengend und schmerzhaft sind, kann die Versuchung, einfach nicht mehr hinzugehen, groß werden. Und wegen der Kostspieligkeit - Sitzungen kosten je nach Dauer bis zu 150 Euro - hat man natürlich auch immer eine rationale Begründung, abzubrechen.
Bei nur vorübergehend benötigter Unterstützung spricht aus meiner Sicht nichts gegen eine Selbstzahlertherapie, wenn man sie sich leisten kann. Wenn es aber um tiefergehende Probleme geht, würde ich nicht nur aus finanziellen Gründen zu einer kassenfinanzierten Therapie raten. Durch den formellen Rahmen mit festgelegten Stunden ist dabei einfach für einen Zeitraum X klar, dass Patientin und Therapeutin sich einmal pro Woche sehen. Stabilität und Regelmäßigkeit wirken sich oft nicht nur direkt positiv auf die Psyche aus, sondern verringern auch die Versuchung abzubrechen, wenn es schmerzhaft wird.
Wann ist die Therapie denn zuende? Wie läuft das dann?
In meinen Fällen lief es so, dass sowohl ich als auch meine jeweilige Therapeutin über mehrere Sitzungen hinweg gemerkt haben, dass es mir sehr viel besser ging. Meistens haben wir dann schon die Sitzungsabstände auf zweiwöchentlich vergrößert. Wenn sich der Zustand auch mit größerem Abstand als stabil erweist, dann spricht man gemeinsam über ein mögliches Ende.
Ein, zwei Sitzungen, in denen es mir gut ging, waren weder für mich noch meine Therapeutinnen ein Grund, sofort das siegreiche Ende auszurufen. Eine Therapie ist nicht wie ein privat geführtes Krankenhaus, in dem Patienten kaum Zeit haben, auszuheilen, bevor sie vor die Tür gefegt werden. Therapie ist ein Prozess, Erfolge sind ein Prozess, Heilung verläuft nicht linear und es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einer guten Phase auch wieder ein Einbruch kommt. Deshalb ist es wichtig, Verbesserungen über einen längeren Zeitraum (solange noch bewilligte Sitzungen vorhanden sind) zu beobachten. Erst wenn sich die Verbesserung als nachhaltig erweist, kommt ein mögliches Ende zur Sprache.
Dieses Ende fühlt sich sicher für jede Person anders an. Für mich geht es einher mit der Sorge “Oh Gott, was mache ich, wenn ich in einer Woche zusammenbreche?!” und überwältigender Dankbarkeit. Der Angst sind alle meine Therapeutinnen mit dem Angebot, mich zu melden, wenn etwas ist, begegnet. Außerdem trafen wir die Entscheidung gemeinsam und bevor alle Stunden aufgebraucht waren. Zu wissen, dass ich noch zwei bewilligte Sitzungen übrig habe, hat mich immer beruhigt - und ich musste das Angebot nie in Anspruch nehmen.
Am seltsamsten fühlt sich für mich immer an, dass ich meiner Dankbarkeit nie so Ausdruck verleihen kann, wie es meiner Persönlichkeit entspricht. Es mag Therapeutinnen geben, die sich duzen und umarmen lassen, aber ich finde es relativ wichtig, eine gewisse professionelle Distanz zu wahren. Deshalb fühlt es sich für mich immer etwas komisch an, am Ende nur mit einem Händedruck meiner Wege zu gehen. Aber das ist normal und gehört sowhl für Patienten als auch die Therapeutin dazu.
Für Männer: Steht Therapie nicht im Widerspruch zu tougher “Alphamännlichkeit”?
Ganz klar nein. Den Zugang zu seinen Gefühlen zu lernen und zu erforschen, bedeutet ja nicht, zum weinerlichen Softie zu werden. Es ermöglicht im Gegenteil mehr Autonomie, weil man sich mehr Handlungs- und Empfindungsoptionen erschließt.
Viele Verhaltensweisen, die wir (Geschlecht egal) in schwierigen und/oder emotionalen (Konflikt-)Situationen, zeigen, sind weniger bewusste Reaktionen, sondern eher in der Kindheit erlernte Überlebensmechanismen, die beinahe wie Instinkte anspringen. Diese Überlebensmechanismen sind für ein kleines Kind wichtig und richtig, für erwachsene Personen hingegen führen sie in der Regel zu problematischen, schmerzhaften, oder gar sich selbst oder andere schädigenden Situationen.
Therapie kann dabei helfen, diese kindlichen Überlebensmechanismen zu überwinden und von Verhaltensautomatismen zu erwachsenen Entscheidungen zu kommen. Wenn überhaupt, kann Euch Therapie zu einem besseren Mann machen als zu einem schlechteren.
Habe ich Fragen vergessen? Habt Ihr Unsicherheiten, die ich hier nicht behandelt habe? Dann lasst mich das gerne in Kommentaren oder, falls Ihr Euch nicht entblößen möchtet, auch per Direktnachrichten bei Instagram oder Bluesky wissen. Ich ergänze dann den Artikel.
(Foto von Alex Green/pexels (Öffnet in neuem Fenster))
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