Recovery Interview Nr.27 mit Janina
Hallo ihr lieben, in dieser Beitragsreihe stelle ich Betroffenen und Angehörigen von psychischen Erkrankungen ein paar Interview-Fragen, wie sie mit den Erkrankungen umgehen, was ihnen hilft und gebe ihnen eine Stimme. Ich bin anna, Selbstbetroffene und freiberufliche Autorin und beschäftige mich mit mentalen Themen. Besonders Recovery, der Weg zur Genesung, Entstigmatisierung und das Meistern des Alltags mit psychischen oder chronischen Erkrankungen, finde ich wichtig. Und zu erkennen: Du bist nicht allein! Diese Reihe ist for free und als Ergänzung zu meinen üblichen Content zu sehen. Ich denke wir können alle viel auch von anderen lernen und mitnehmen.
Wer möchte, kann sich die Interview-Vorlage am Ende des Interviews hier ausfüllen. (Öffnet in neuem Fenster)
Heute habe ich Janina im Interview.
Wer bist Du, wo kommst Du her und wie alt bist Du? Wenn Du magst, gebe deine Pronomen an. Und wenn ihr mehrere seid (bezieht sich auf multiple Persönlichkeiten), dann das natürlich auch.
Hallo, ich bin Janina (any pronouns), 25 Jahre alt. Ich komme aus Rheinland-Pfalz und studiere gerade in Mainz.
Was ist deine Behinderung/Erkrankung?
Ich habe post covid und einige psychische Erkrankungen (Depressionen mit Dysthymie, PTBS, Sozialphobie, Adhs und undiagnostizierter Autismus). Ich habe auch schon einen Antrag für einen GdB gestellt.
Würdest Du Deine Erkrankung gerne sichtbar oder unsichtbar machen?
Ich wünschte sie wären sichtbarer, weil sie dann wenigstens ernster genommen werden würden.
Was machst Du beruflich oder wie gestaltest Du deinen Alltag?
Ich studiere Buchwissenschaft und Philosophie im 14 Semester. Aufgrund meiner körperlichen Behinderung habe ich leider keinen richtigen Alltag. Momentan bin ich froh, wenn ich aus dem Bett komme. Ich muss gerade auch eine Hausarbeit schreiben und das ist super schwer. Ich habe zum Glück eine Assistenz aufgrund meiner Erkrankungen, die mich etwas unterstützt. (Das konnte ich beim Amt für Soziales in Mainz beantragen.) Ich habe den Grad der Behinderung beantragt vor allem wegen meines post covids, aber das Amt meinte, dass das keine Behinderung wäre. Dagegen läuft gerade der Einspruch. Einen GdB von 30 habe ich aber für meine psychischen Erkrankungen erhalten.
Wie geht es Dir zur Zeit und was beschäftigt Dich?
CONTENT WARNUNG: S-Gedanken, Verlust, Tod
Leider nimmt mich das ganze auch psychisch ziemlich mit, da ich daheim doch etwas einsam bin und ich es riesig vermisse, etwas mit meinen Freunden zu machen oder an die Uni zu gehen. Dazu kommen Existenzängste. Meine Stelle ist im September 2024 ausgelaufen und nun habe ich keinen Job mehr und aktuell bin ich auch nicht arbeitsfähig. Das Bafögamt will mich nicht weiter fördern, obwohl ich eingeschränkt bin und mein Studium deshalb nicht in der Regelstudienzeit beendet habe. Ich habe in den letzten Jahre meine halbe Familie verloren und letztes Jahr verstarb auch meine Mutter. Das ist richtig, richtig schlimm und hat mich psychisch extrem mitgenommen. Ich hatte dadurch sehr heftige Suizidgedanken. Ich habe einfach das Gefühl, dass alles nur schlimmer statt besser wird und wenn ich jetzt noch mein Studium abbrechen müsste, dann würde ich total den Boden unter den Füßen verlieren.
Was bedeutet für Dich Recovery? Und wo würdest Du sagen, stehst Du zur Zeit?
Recovery ist für mich ein langer Prozess. Ich hab festgestellt, dass es absolut nicht linear verläuft und es immer wieder Rückschritte geben wird, von denen man sich nicht unterkriegen lassen darf. Das ist absolut normal und Teil des Prozesses. Das anzuerkennen hat mir sehr viel geholfen, weil es für mich bedeutet, dass ich durch Rückschritte nicht versage. Ich akzeptiere sie als Teil der Reise. Es bedeutet für mich auch, dass es für psychische Probleme kein "one size fits all" gibt. Das ist bei Klamotten schon eine Lüge und bei Problemen ist es leider nicht anders. Es gibt nicht die eine Methode, die bei allem hilft. Jedes kleine Problemchen möchte seine eigene Lösung haben. Dementsprechend ist es auch völlig ok, wenn man etwas versucht und es nicht klappt oder es erst bei anderen Dingen funktioniert.
Was machst Du gerne in deiner Freizeit?
Aufgrund meiner ADHS bin ich ein absoluter Hobbysammler. Ich liebe es, neue Hobbies auszuprobieren. Ich lese, male, bastele, mag Brett- und Videospiele. Ich bin super gern kreativ. Ich interessiere mich aber auch für Psychologie sehr. Leider kann ich meinen Hobbies nicht so nachgehen, da ich meistens ohne Beschäftigung mich im Bett ausruhen muss.
Was ist für dich ein gutes Helfernetzwerk?
Meine besten Freunde unterstützen mich unglaublich viel und das bedeutet mir die Welt. Ich kann mich ausheulen. Ich werde auch zum Arzt gefahren, wenn ich die "Reise" alleine nicht schaffe. Ich kann immer auf meine Freunde zählen, egal was los ist und ich wünschte, ich könnte das alles auch zurückgeben. Mein Papa versucht mich auch zu unterstützen. Leider kann ich mit ihm nicht über meine psychischen Probleme reden. Bei meiner körperlichen Krankheit fehlt ihm leider jegliches Verständnis. Er sagt mir oft, dass ich nur einen normalen Alltag bräuchte oder mal Heilfasten machen müsste und das würde mich dann heilen. Das ist absoluter Quatsch, aber ich weiß dennoch, dass er für mich da ist.
Zu welchem mentalen Thema fehlt Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft?
CONTENT WARNUNG: S*zid, Ge*alt,
Auch wenn es besser wird, fehlt überall noch Aufklärung. Besonders fällt es mir im Alltag beim Thema Autismus auf. Sprüche wie "Du siehst aber nicht autistisch aus" sind leider immer noch die Norm. Leider kommen solche Aussagen auch von Therapeuten. Wir sehen alle anders aus und wir verhalten uns alle anders. Wir sind ja auch Individuen. Außerdem ist es immer noch super schwer, eine Diagnose zu bekommen. Mir fehlt auch das Verständnis in der Gesellschaft dafür, was Mobbing und sexuelle Gewalt alles auslösen kann. Es wird zwar mehr drüber gesprochen, aber Reden alleine hilft nicht. Die geschlechterspeziefischen Unterschiede bräuchten auch mehr Raum: Männer reden seltener über Gefühle und sind deshalb einem sehr viel größerem Suizidrisiko ausgesetzt, Autismus und ADHS zeigen sich bei Frauen und Mädchen ganz anders als bei Männern und Jungs. Forschung zu anderen gendern (nichtbinär etc.) fehlt gänzlich.
Wenn Du Skills nutzt: Was sind deine Lieblinge?
Ich habe Bälle mit denen ich spiele und die ich zusammendrücken kann. Ich falte Origami. Ich trage immer Ringe, mit denen ich meine Finger beschäftigen kann. Fast alle meine Tools beschäftigen meine Finger.
Notfalltasche: Was muss bei Dir immer mit?
Kopfhörer! Damit kann ich mich abkoppeln, wenn ich total überfordert bin. Dann kann ich für mich sein, auch wenn um mich herum viele Menschen sind.
Dein Lebenstraum oder größere Ziele, gibt es da etwas, das Du erzählen möchtest?
Ich will weiter studieren. Ich will meinen Bachelor machen, dann den Master und dann den Doktor. Ich würde so gerne in der Forschung arbeiten. Das habe ich in meinem Job als Hilfswissenschaftler gemacht und ich liebe es. Ich liebe Wissen. Das wäre ein Traum und ich hoffe so sehr, dass es kein Traum bleiben muss!
An welchen Orten fühlst Du Dich sicher?
In meiner Wohnung. Ich bin so froh, daheim ausgezogen zu sein und einen sicheren, eigenen Rückzugsort zu haben. Ich hab mir mein eigenes, kleines Zuhause aufgebaut. Leider kommt mir aber meine Wohnung und mein Bett immer mehr wie ein Gefängnis vor, da meine Krankheit sich weiter verschlechtert hat.
Was würdest Du Betroffenen (von psychischen Erkrankungen) gerne sagen?
Seid nett zu euch. Ihr verdient das. Manche Dinge, die ich zu mir selbst gesagt habe, würde ich mich nicht mal im Ansatz trauen, anderen an den Kopf zu werfen. Wieso also mir? Ihr lebt jeden Tag mit euch selbst. Seid euer Freund. Es gibt schon genug Menschen, die unfreundlich zu sich und anderen sind.
Was würdest Du Nicht-Betroffenen gerne sagen?
Ihr müsst Betroffene nicht verstehen, um ihre Probleme zu akzeptieren. Gebt keine bescheuerten Tipps. Das ist verletzend und demotivierend. Bietet lieber Hilfe an und fragt, was die Person gerade braucht. Jeder hat unterschiedliche Bedürfnisse.
Was ist dein Mantra oder Spruch, der Dir Kraft gibt?
Was mir Kraft gibt, sind meine Ziele und meine Freunde. Ich habe dadurch etwas, wofür ich leben will.
Sich Hilfe zu suchen, ist ein Zeichen von Stärke. Ihr verdient das. Und wenn ein Therapeut oder eine Therapeutin euch nicht gut behandelt, dann habt ihr das Recht, zu gehen und euch jemand anderen zu suchen.
Wo kann man Dich finden?
Instagramm: @jani_heart
Vielen Dank für deine Zeit und alles Gute für deinen weiteren Weg!
Wer möchte, kann sich die Interview-Vorlage am Ende des Interviews hier ausfüllen. (Öffnet in neuem Fenster)Vielleicht erscheint dein Interview dann auch bald hier.