Special: Countrymusik und Geschichtsmythen
Sonntagmorgen. Du liest die Honky Tonk Post, den Newsletter für moderne Countrymusik. Unabhängig, kompakt und jede Woche Ohrwurm garantiert.
Hey y’all!
Ich nutze das Sommerloch Nashvilles mal und melde mich diese und nächste Woche mit einem Special der Honky Tonk Post bei dir.
Worüber ich hier nämlich noch gar nie gesprochen habe:
Ich habe noch einen Newsletter (Ă–ffnet in neuem Fenster) und dazu einen Podcast (Ă–ffnet in neuem Fenster), in dem ich ĂĽber Geschichte spreche.
Ganz besonders gern über Geschichtsmythen …
Ich glaube nämlich, dass wir viele Entwicklungen und weitverbreitete Meinungen unserer Zeit nur verstehen können, wenn wir das ihnen zugrundeliegende Geschichtsbild kennen.
... oder eben das, was aus der Geschichte gemacht wird: Den Mythos.
Eine Frage stellt sich dabei aber immer:
Wie können solche Mythen ĂĽberhaupt so lange ĂĽberleben?Â
Es ist doch schlieĂźlich nicht so, dass wir sie Nordkorea-Style täglich in den Hals gestopft kriegen wĂĽrden ...Â
Eine Antwort darauf ist:Â Kultur.
Künstler und Künstlerinnen greifen (wie wir alle) in ihrem Werk immer wieder auf etablierte Mythen zurück und tragen sie damit weiter.
Ein konkretes Beispiel dafür möchte ich heute besprechen: Und zwar selbstverständlich die Countrymusik.
... und wie diese Musik immer wieder amerikanische Geschichtsmythen mit neuem Leben erfüllt.
Ich werde dabei in guter Honky Tonk Post-Manier natĂĽrlich auch Songs nennen und verlinken.
Aber damit wĂĽrde ich erst mal sagen:Â
Herzlich willkommen in dieser etwas anderen Honky Tonk Post! đź¤
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Als erstes muss man mal feststellen:
In den USA gibt es doch eine ganze Menge an mächtigen Geschichtsmythen und daher möchte ich dieses Thema auch in Form eines Zweiteilers angehen.
Heute möchte ich über den ersten ganz zentralen Mythos der Vereinigten Staaten reden:
Die Expansion nach WestenÂ
... und damit verbunden den Mythos des unabhängigen Pioniers, der loszieht, um sein Glück zu suchen.
Nächste Woche wird es dann aber dĂĽsterer.Â
Da möchte ich über die routinemäßige Verklärung des Bürgerkriegs und der Sklaverei auch in der Countrymusik reden ...
OK.
Die Expansion der USA in Richtung Pazifik.
Damit hängt in der Selbstwahrnehmung vieler Leute in den USA schon mal ganz viel zusammen.
Diese Massenbewegung des 19. Jahrhunderts in Richtung Westen: Die nahm mit der Zeit nämlich ziemlich religiöse ZĂĽge an.Â
Sie ist die ErfĂĽllung der sogenannten Manifest Destiny.
Dem Erbrecht jedes amerikanischen Mannes, sich und seine Werte über den gesamten Kontinent auszubreiten.
From Sea to shining Sea
… wie es hieß.
Doch unter diesem Dach der Manifest Destiny entsteht gleich eine ganze Reihe an Wertvorstellungen der USA:
Selbstbestimmte Unabhängigkeit im Wilden Westen
Raue Männlichkeit
Misstrauen gegen zentrale Autoritäten
Pioniergeist
Und der Glaube an ewigen Fortschritt und den American Dream
Musik ist dabei aber natürlich nicht das erste Medium, dass dir mit Blick auf die Verklärung dieser Zeit wohl einfällt.
Da wären schon erst mal Westernbücher und Filme zu nennen.
Aber auch Musik und eben ganz speziell Country haben dazu beigetragen, dass die Idee des Wilden Westens – der Frontier – noch immer so lebendig ist.
Um da gleich einen Klassiker zu nennen:
Marty Robbins – Big Iron (1959) (Öffnet in neuem Fenster)
Der Song erzählt wie viele andere eine ganz typische Western-Geschichte:
Ein Cowboy zieht in eine Grenzstadt im Süden, um dort einen Outlaw zu stellen. Er konfrontiert ihn und tötet den Banditen schließlich mit seiner Pistole – dem namensgebenden "Big Iron".
Und damit ist der alte Mythos schon erzählt:Â
Ein Einzelgänger verübt Selbstjustiz in einem Raum fernab staatlicher Autorität. Heute begegnen wir ihm noch als den "Good Guy with a Gun".
The Steel Woods – Straw In The Wind (2017) (Öffnet in neuem Fenster)
Ein deutlich jüngeres Beispiel zeigt, dass all das aber auch im 21. Jahrhundert noch mehr als lebendig ist.
In "Straw In The Wind" geht es um eine isolierte amerikanische Siedlung – man kann annehmen, irgendwo in der Prärie.Â
Und erneut dreht sich alles um Selbstjustiz.
Der Song erzählt davon, was passiert, wenn in dieser Gegend Fremde mit bösen Absichten auftauchen ...Â
... sie verschwinden gerne mal. Like straw in the wind đź’¨
The Highwaymen – Highwayman (1985) (Öffnet in neuem Fenster)
Solche Western-Ideale führen ihr Leben aber auch schon lange außerhalb von tatsächlichen Western-Geschichten weiter.
Schauen wir uns dafĂĽr die Legenden von "The Highwaymen" an.
Eine Supergroup bestehend aus niemand anderem als Johnny Cash, Waylon Jennings, Willie Nelson und Kris Kristofferson.
In ihrem Klassiker "Highwayman" nimmt jeder von ihnen eine Identität an. Der erste ist Räuber, der nächste ein Arbeiter in der West-Expansion, der letzte gar ein Astronaut.
Ein Pionier des Weltraums.
Sie alle symbolisieren dabei den amerikanischen Geist.
Brooks & Dunn – Only In America (2001) (Öffnet in neuem Fenster)
Das fertige Bild aus all dem liefern uns dann unter anderem die Legenden von Brooks & Dunn.
Aus dem Self Made Man der Frontier wird bei ihnen der amerikanische Traum. Die Idee, dass jeder es schaffen kann, wenn er es nur versucht – wie die Pioniere vor ihm.
Dass dieses Bild so nie zugetroffen hat – schon mal gar nicht für nicht weiße nicht-Männer – und heute weniger zutrifft denn je ...
... naja, geschenkt.
Wirkmächtig ist es in der öffentlichen Debatte in den USA nach wie vor und es erklärt auch so einige für uns in Europa oft unverständliche Entwicklungen dort drüben.
Und bis hierhin wĂĽrde ich auch sagen:
Ja. Das sind alles Mythen, nicht Fakten. Und ja. Sie können teilweise auch mal schädlich sein.
Aber doch war das heute nur die Aufwärmrunde.
Denn bei einem Thema der Geschichte hat Countrymusik womöglich am meisten Dreck am Stecken:Â
Dem Umgang mit dem BĂĽrgerkrieg und der Sklaverei.
Darum wird es also nächste Woche im zweiten Teil dieses Specials gehen.
Ich hoffe, du hast Lust!
Wenn dir dieser Stil von Newsletter gefällt, melde dich auch liebend gerne für meinen Geschichtshappen (Öffnet in neuem Fenster) an.
Dort ist es mein Ziel, die Welt von heute durch den Blick in die Geschichte mit neuen Augen sehen.
Ich wĂĽrde mich freuen, dich mit dabei zu haben!
Außerdem möchte ich auch diese Woche wieder Robert danken, der die Honky Tonk Post als Mitglied (Öffnet in neuem Fenster) auf der Sheriff-Stufe unterstützt.
Bis zum nächsten Mal!
Ralf
P.S: Wie hat dir diese Ausgabe der Honky Tonk Post gefallen? Antworte mir doch direkt auf diese E-Mail!