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Ein verfahrener Diskurs

Wer antiisraelische Rhetorik kopiert, spielt im falschen Team.

Bei Diskussionen um den Nahostkonflikt sind die Fronten auf den ersten Blick klar ersichtlich. Auf der einen Seite Menschen, die für jede antisemitische Chiffre ein offenes Ohr haben und denen mit Fakten und Geschichte schlicht nicht beizukommen ist. Auf der anderen Seite Akteure, die sich als Gegenlager verstehen, aber längst den Sprachgebrauch der pro-palästinensischen Szene internalisiert haben. Beide Seiten tragen dazu bei, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus ausbleibt.

Die erste Gruppe ist gut darin, Fak­ten hartnäckig zu ignorieren und operiert offen antisemitisch. Etwa, wenn Hamas-Verbrechen relativiert oder gar geleugnet werden. Mit ihnen lässt sich nicht diskutieren. Doch auch das vermeintliche Gegenlager, das sich auf die Verteidigung Israels beruft, agiert häufig destruktiv. Wer etwa von „HamaSSniks“ spricht, bedient sich an abwertenden Sammelbegriffen, die Personen auf ein Stigma reduzieren. Die eine Gruppe diffamiert Juden und Israelis, die andere diffamiert Palästinenser:innen pauschal.

Die Übernahme von Frames ist ein zentrales Problem, das auch die Kommunikations- und Journalismusforschung seit Jahren beschäftigt. Frames sind Deutungsrahmen, die Ereignisse strukturieren und einordnen. Und diese prägen, wie Nachrichten rezipiert werden und welche Interpretationen dominieren. Wer die Begriffe der antiisraelischen Szene übernimmt, reproduziert deren Deutungsmuster. Auch wenn die Intention eine andere ist, in diesem Fall etwa Israel zu verteidigen, wird damit genau jene Logik stabilisiert, die Antisemitismus nährt. Eine Kollektivschuld, Pauschalisierung, und Freund-Feind-Dichotomien.

In der Medienforschung ist bekannt, dass solche Frames „anschlussfähig“ sind, weil sie einfach, emotional und konfliktorientiert funktionieren. Doch sie lassen sich nicht beliebig umkehren, ohne ihre Wirkung beizubehalten. Damit verschiebt sich der Diskurs. Antisemitismus wird nicht dekon­struiert, sondern banalisiert, zu einer rhetorischen Folklore, die man spiegelverkehrt kontert. Doch warum sollte man antisemitische Hetze mit spiegelverkehrter Hetze beantworten? Genau dieser Mechanismus führt zur Verhärtung der Lager, nicht zu deren Auflösung. Statt den Diskurs zu öffnen, wird er in einer Spirale der gegenseitigen Abwertung festgefahren.

Eine kritische, linke Israel-Solidarität sollte an der Differenzierung ansetzen. Kritik an Terrororganisationen wie der Hamas ist notwendig, sie sollte dabei aber präzise bleiben. Wer auf polemische Schlagworte setzt, spielt in derselben Liga wie die, die Hamas-Massaker leugnen oder antisemitische Narrative verbreiten. Für den öffentlichen Diskurs ist das wenig hilfreich, noch ist es in irgendeiner Weise konstruktiv. Eine klare Sprache, die Terror benennt, ohne in Kollektivbeleidigungen abzurutschen. Nur so lässt sich der Raum zurückgewinnen, in dem Antisemitismus als solcher erkennbar und benennbar bleibt. Und auch Journalist:innen und Medienschaffende, die über Israel, Palästina und Antisemitismus berichten, dürfen sich nicht auf die Übernahme eingängiger Schlagworte verlassen. Die Forschung zeigt, dass gerade in konflikthaften Themenkomplexen die Wahl der Begriffe entscheidend ist, sie setzen die Koordinaten dafür, ob eine Debatte differenzierend oder polarisierend geführt wird.

Hut ab an alle, die sich Tag für Tag gegen antisemitische Hetze im Netz stemmen. Es kostet Kraft, ist verstörend, oft auch zermürbend und frisst Zeit, die man lieber in anderes investieren würde. Trotzdem machen viele weiter, weil sie wissen, das Schweigen keine Option sein kann. Aber wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, Hetze nur zu spiegeln oder rhetorisch zurückzuschleudern. Ich bin mir sicher, wir können das besser – präziser, klarer, wirksamer. Antisemitismus bekämpft man nicht mit denselben Mitteln, sondern mit reflektierteren.

Kategorie Journalismus

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