„Der lange Weg zur Förderung verschreckt“
INTERVIEW / SVEN MIMUS ÜBER STRUKTURWANDEL UND TECH-HYPES
August 2025
Sven Mimus arbeitet als Chef der Entwicklungsgesellschaft (Eno) des Kreises Görlitz direkt mit Antragstellern. Im Interview sagt er, was beim Strukturwandel besser laufen muss, damit sich die Anfangsfehler nicht wiederholen.

Herr Mimus, wenn wir den Strukturwandel neu aufziehen könnten, was würden Sie anders machen?
Ich würde von Anfang an mehr selektieren, damit auch wirklich die richtigen Projekte ins Verfahren kommen. Damit produzieren wir auch weniger Enttäuschung bei den Antragstellern. Bei vielen gab es die Erwartungshaltung, dass das ganz einfach geht, an Geld zu kommen und damit Sachen zu machen, die man sich schon lange gewünscht hat. Die Taskforce, die wir bei der Eno gebildet haben, hatte zu Beginn des Prozesses weit über 1.000 Projekte zur Sichtung abzuarbeiten. Letztlich wurden dann aber doch viele verschreckt mit dem langen Weg, der da zu gehen ist, damit wirklich Geld fließt. Das sollten wir so nicht nochmal machen. Und wir sollten die Unternehmen früher fragen, was sie brauchen. Denn die sind nun einmal unsere wichtigsten Partner beim Thema Schaffung von Arbeitsplätzen.
Sind das nicht die Kommunen?
Wir sind das Thema Strukturwandel angegangen, weil die Kommunen darum gebeten hatten. Sie haben recht schnell gemerkt, dass sie die Antragsverfahren allein nicht schaffen. Aus dem Landratsamt hieß es dann richtig, wir sollten auch die Unternehmen mitnehmen. Wir begleiten viele Unternehmen bei Beantragung von Mitteln über regionales Wachstum oder ähnliche Programme. Wenn ich Unternehmen besuche, stelle ich immer noch fest, dass viele gar nicht wissen, welche Dienstleistung sie von uns beanspruchen können. Das müssen wir gemeinsam bekannter machen, sonst vergeben wir viele Chancen.
Was sagen Ihnen die Unternehmen im Kreis Görlitz?
Ich sehe, dass wir große Probleme für die Unternehmen nicht gelöst bekommen. Die Lohnnebenkosten und die hohen Energiepreise beschäftigen viele Unternehmen. Auch der Mindestlohn wird erneut Auswirkungen haben auf unsere Wirtschaft. Die Unternehmen kommen zudem nicht mehr klar vor lauter Verordnungen. Wenn wir diese Rahmenbedingungen nicht verbessern, können wir uns im Strukturwandel noch schwerer als ohnehin behaupten. Aber darauf haben wir hier im Kreis leider wenig Einfluss, da ist die „große Politik“ gefordert.
Und was sagen Ihnen die Unternehmen zum Strukturwandel?
Unsere Unternehmensberater hören oft als Erstes: Diesen Antragskram können wir nicht stemmen, das können sich nur die Großen leisten. Wir sagen dann: Nein, wir kümmern uns. Wir helfen auch kleinen Firmen durch den Förderdschungel und definieren das als Wirtschaftsförderung. Wir sind nicht nur dafür da, Großunternehmen beim Ansiedeln zu helfen. Ich frage mich seit vielen Jahren: Wie kriegen wir das besser hin, dass dies noch mehr bekannt wird.
Wie sieht denn die Wirtschaft im Kreis Görlitz aus - jenseits von Alstom, Siemens und Leag, von denen öfter die Rede ist?
Wir haben drei, vier große Unternehmen, die gut bekannt sind. Birkenstock hat seinen größten Produktionsstandort in Görlitz. Die Leag zähle ich auch dazu, auch wenn deren Mitarbeiter in Cottbus angestellt sind, obwohl sie im Kreis Görlitz arbeiten. Es lohnt sich aber, die kleinen Unternehmen stärker in den Blick zu nehmen. Einige von denen sind wundervoll. Das sind Stehaufmännchen, sie sind innovativ und hart im Nehmen. Die kommen durch Krisen und fallen nicht so schnell um. Wenn wir denen helfen können, zehn, 20 Leute mehr einzustellen und im Gewerbegebiet neu zu bauen, dann haben wir echte Wirtschaftsförderung betrieben.
Wo sind die Hidden Champions, die leisen Weltmarktführer, die sich jede Region wünscht?
Wir haben vielversprechende und erfolgreiche Unternehmen im Metallbau oder Kunststoff, auch viele Baubetriebe. In diesen Bereichen haben wir als Region eine Chance. Schauen Sie ins Gewerbegebiet Kodersdorf, da sitzen einige sehr gut etablierte und weltweit agierende Unternehmen. Oder auch im Raum Löbau. Das sind Unternehmen, die auch bei der jährlichen Messe INSIDER zu Dutzenden mitwirken. Da zeigt sich dann tatsächlich die unternehmerische Breite, die unser Landkreis bietet. Wer mal auf der Wirtschaftsseite des Kreises (Öffnet in neuem Fenster) stöbert, wird vielleicht überrascht sein, wie groß die Vielfalt ist. Jetzt müssen wir sehen, dass Zulieferer der Automobilindustrie in der Transformation ihre Wege zu uns finden. Und ganz wichtig wäre die Verzahnung von Wirtschaft und Forschung, die für alle nur Vorteile bringen kann.
Welche Branchen haben das Potenzial, die sächsische Lausitz künftig zu prägen?
Maschinenbau und die Bauwirtschaft. Aber auch IT. Wenn ESMC in Dresden produziert, werden wir das in Görlitz spüren. Wir gehen im Auftrag des Landrats Stephan Meyer gezielt an die Unternehmen ran, die sich um die Chipfabrik ansiedeln wollen. Die sollten wissen, dass sie bei uns bauen können für weniger Geld. Da arbeiten wir zurzeit intensiv dran. Wir haben auch vom Landrat die Aufgabe bekommen, unsere heimischen Unternehmen mit den Firmen in Kontakt zu bringen, die im Schlepptau von ESMC kommen. Und wir wollen deren Supplyerstruktur mit nutzen.
Görlitz sollte mal ein IT-Zentrum im Osten Sachsens werden. Ist das noch aktuell?
Klar. In Görlitz gibt es über 1.000 Angestellte im IT-Bereich, das ist eine stattliche Zahl.
Und ein Forschungszentrum für Astrophysik (DZA), das eine Milliarde Euro kosten und 1.000 Mitarbeiter beschäftigen soll. Wie macht sich das DZA in der Wirtschaft bemerkbar?
Ostsachsen ist durch das DZA wieder als Wirtschaftsregion auf dem Globus aufgetaucht. Allein deshalb bin ich ein Riesenfan des DZA. Wenn sie dort einen Kongress machen, strahlt das weit über Görlitz hinaus. Trotzdem wünsche ich mir immer noch, dass das Lausitz Art of Building - jetzt heißt es Living Art of Building - kommt. Gerade erst wurde in Görlitz-Klingewalde der erste Spatenstich für das CFLab Construktion Future Lab gemacht, ein Innovationszentrum für Digitales Bauen. Einfach weil wir hier eine Bauwirtschaft haben, die gut läuft und innovativ ist. Die kann einen solchen wissenschaftlichen Leuchtturm in ihrer Mitte gut brauchen. Das wäre mir wichtiger, als dass wir auch den nächsten Hype in die Region holen. Nanotechnologie oder sowas.
Noch ein Hype: Wasserstoff. Da hat sich die Eno sehr bemüht, die Kräfte zu bündeln. Jetzt scheint die Luft raus zu sein. Oder täuscht der Eindruck?
Wasserstoff ist bei uns in der Priorität auf Platz 2 gerutscht. Höchste Priorität hat jetzt der Netzausbau. Wir haben uns um Wasserstoff gekümmert, weil es konkrete Anfragen gibt. Für einige Unternehmen und Kommunen war Wasserstoff ein heißes Thema. Das ist nun abgekühlter, aber nicht weg. Wir kämpfen dafür, dass der Osten Sachsens nicht vergessen wird, wenn es um das Backbone der Netze geht.
Wenn Sie mit Backbone das Wasserstoff-Kernnetz meinen, das steht ja nun und der Osten Sachsens kommt darin nicht vor.
Ja, das ist doof. Das darf so nicht bleiben. Wir wollen weiter nerven, damit am Ende der Leitung in Schwarze Pumpe wenigstens T-Stücke angeschlossen werden, um später in Richtung Oberlausitz weiterbauen zu können. Das ist für uns wirtschaftlich eine Kernfrage. Im Moment müssen wir den ganzen Strom, den wir produzieren, selber nutzen. So viel brauchen wir gar nicht. Natürlich haben wir ein massives wirtschaftliches Interesse, den Strom auszuliefern und damit Geld zu verdienen. Wir sind gerade dabei, Alternativen zu beleuchten, was man tun kann, bis das Netz kommt. Insgesamt ist das ärgerlich, denn wir haben die Kommunen und die Unternehmen dabei.
Die regionalen Wasserstoff-Verteilnetze stehen noch nicht fest. Wie bringen Sie den Kreis Görlitz da rein.
Das ist komplex. Der Landkreis ist zu einem Viertel bei der Mitnetz, der Rest liegt bei den Sachsennetzen. Mit denen sind wir in Gesprächen, um zu zeigen, dass sich das Bauen bei uns lohnt. Wir haben Projekte mit deutlich mehr als einem Terawatt. Aber ob das etwas wird, ist eine wirtschaftliche und politische Entscheidung beim Freistaat. Das liegt nicht bei uns als Wirtschaftsförderung.
War der Strukturwandel bis jetzt erfolgreich?
Ich glaube, dass die Ministerpräsidenten Kretschmer und Woidke zur rechten Zeit das Thema Kohleausstieg beim Bund stark gemacht haben. Und dass sie das hingekriegt haben, das mit Fördergeld zu untersetzen. Zwei Jahre später kam das Thema Automobil dazu, wo auch ein Strukturwandel ansteht und wo auch nach staatlicher Hilfe gerufen wird. Wir können also froh sein, dass die Strukturmittel für uns gesichert sind - jedenfalls sieht das bislang so aus. Wir haben als ENO viele Erfolge zu vermelden. Es sind mit Strukturmitteln viele Sachen möglich gemacht worden, die es sonst nicht gegeben hätte.
Sven Mimus, Jahrgang 1980, ist seit 2005 bei der Entwicklungsgesellschaft des Kreises Görlitz (Eno). Der gebürtige Görlitzer ist in Rothenburg aufgewachsen, hat in Görlitz Betriebswirtschaft studiert und lebt heute in Kodersdorf. Mit Sven Mimus sprach Christine Keilholz.