Im Vaterland
Der große Wandel/Michael Wolff/Nadia Pantel/Serie Stick/Brandade de Merlu

Wenn der französische Soziologe Jean Viard im Radio zu Wort (Öffnet in neuem Fenster) kommt, drehe ich den Ton auf und lasse alle Arbeit ruhen. Im Gegensatz zu anderen Experten findet er immer überraschende Blickwinkel, neue Themen und besticht durch eine frech optimistische Grundhaltung. Ein wenig Übertreibung stört mich nicht weiter. Neulich wurde er zum französischen Vatertag interviewt und hatte auch da eine Revolution im Angebot – darunter macht er es nicht: Das verstärkte Engagement vieler Männer in ihrer Rolle als Vater nennt er eine wesentliche gesellschaftliche Revolution unserer Zeit, die unsere Gegenwart von allen anderen Epochen davor unterscheidet. Diese Entwicklung ist der Frauenbewegung zu verdanken und verändert nun die Gesellschaft, in der wir leben. In seiner Jugend sei er, Viard,immer der einzige Mann gewesen, der die Kinder von der Schule abholte, heute sei das in Paris Alltag.
Mein Vater sorgte für Furore, als er einmal an einem Elternabend der Grundschule teilnahm, allein unter Müttern. Heute ist das Standard, vieles andere kommt hinzu und ich empfinde unsere beiden Kinder, Top-Leute übrigens, als großes Glück und freudige Aufgabe Nummer Eins.
Neulich gab es für mich einen Einsatz anderer Art: Unser Sohn feierte seinen achtzehnten Geburtstag, aber die Nachricht von der Party hatte sich im Netz verbreitet. Gegen halb Zwölf sah ich, wie sich eine veritable Menschenmenge auf unser Wohnhaus zubewegte. So viele Menschen hatte ich im Treppenhaus überhaupt noch nie gesehen. Es schlug die Stunde des Vaters in nahezu klassischer Form, nämlich als Türsteher. In meinem Alter konnte ich die potentiellen Gäste trotz ihrer Größe und der Gangsterklamotten nicht ganz ernst nehmen, sah in ihnen Schulkinder auf dem falschen Pausenhof. Sie folgten meinen leisen, aber bestimmten Ansagen lammfromm, auch ein wenig erstaunt.
Ein Dutzend fremder Gäste war allerdings schon in der Wohnung, auch die wollte ich hinaus bitten. Auf meinem Weg hinauf hörte ich ein erschrockenes: “Sein Vater kommt!” Als wäre ich der große grüne Hulk – solch einen Effekt habe ich noch nie im Leben erzielt. Insofern lernt man auch als Vater stets dazu, über sich.
Danach verzog ich mich wieder und es wurde noch eine schöne Party. Angenehm leise war es auch, denn einer der frustrierten Gäste hatte die Musikbox mitgehen lassen.
Doch es ist nicht alles gut mit den Vätern im Land. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus 2015 zahlen die Hälfte der unterhaltspflichtigen Väter gar nicht und ein weiteres Viertel zu wenig oder nur unpünktlich. Eine neuere Studie des Deutschen Jugendinstituts ermittelte, dass 37% der Kinder nicht ihren vollen Unterhalt bekommen. Solche Zahlen sind nichts weniger als eine nationale Schande und ein zu selten angeführter Grund, warum sich Frauen gegen Kinder entscheiden. Mit diesem Zustand kann man sich nicht abfinden.
Ich finde die Lösung in der kanadischen Provinz Québec gut - dort wird der Unterhalt beim zahlungspflichtigen Elternteil gleich mit der Lohnsteuer eingezogen, so wie wir es auch bei der Kirchensteuer machen. Der andere Elternteil erhält den Unterhalt jeden Monat pünktlich und in voller Höhe von einer öffentlichen Kasse. Die Unterhaltsfrage wird also aus der Beziehungsebene der getrennten Eltern herausgenommen. Dieses Modell könnte man auch hierzulande übernehmen, unendlich viele Konflikte und Mühen wären obsolet.
Neu ist das Thema nicht. Michel de Montaigne schrieb einen seiner bekanntesten Essays über die Zuneigung der Väter zu ihren Kindern. Auch da widmete er eine Passage dem väterlichen Geiz. Was nutzt es denn, Kinder und Jugendliche in jenen Jahren knapp zu halten, in denen sie ausgehen und feiern möchten und stattdessen so viel Gewese um ein Erbe zu machen, dass für alle zu spät kommt. Montaignes Appell an andere Väter: Mit strenger Erziehung, gespielter Gefühlskälte und mangelnder Großzügigkeit schadet ihr euch nur selbst, denn ihr verpasst die Freude der Kinder, also euer Leben.
Man kann ihn nicht mehr hören, nicht mehr sehen, aber irgendwie muss man sich dennoch darüber informieren, was der amerikanische Präsident so treibt.
Dafür gibt es eine gute, angenehme Quelle: der Auftritt des amerikanischen Journalisten Michael Wolff auf Instagram. Nahezu täglich erzählt er, kurz und knapp, was in der Trump-Welt so los ist. Er verfügt über viel Erfahrung, viele Kontakte, eine vernünftige Haltung und kommt immer zu einer überzeugenden conclusio.

Seine Frau Victoria gestaltet diese Kurzfilme, sie sind daher auch stilistisch sehr gelungen. So wandelt sich der politsche Journalismus: Wenn manche Leute keine langen Texte mehr auf Papier lesen, finden sich andere Wege, um die Nachrichten zu vermitteln.
Das Beste: Nie sieht oder hört man - na, Sie wissen schon wen.
Die große Mehrheit der Französinnen und Franzosen führen ein glückliches Leben: In allen Umfragen geben sie an, bei den wichtigen Themen des Lebens –Familie, Liebe, Beruf, Gesundheit – sehr zufrieden zu sein. Geht es aber um ihre Innenpolitik, sehen sie schwarz. Oder rot. Da steht das ganze Land vor dem neoliberalen Ausverkauf, der Islamisierung oder gleich dem Bürgerkrieg. Warum ist das so? Die Journalistin Nadia Pantel, die lange Jahre Frankreichkorrespondentin der Süddeutschen war und jetzt beim Spiegel arbeitet, geht diesem Paradox in ihrem neuen Buch nach. Ihr Leitfaden ist dabei klugerweise das Essen: die Trends und Ticks, die Gastronomie, der ganze Wahnsinn um Käse, Austern und Wein, wie er nur in Frankreich veranstaltet wird. Teilweise ist es auch eine Autobiografie als junge Mutter, die mitten in Paris mit kleinem Kind unterwegs ist. An einer Stelle beschreibt sie, wie sie im Fernsehen eine der ewigen, erregten Diskussionssendungen verfolgt und dazu einen besonders köstlichen Käse isst. Der sorgt bei ihr für gute Laune und sie fragt sich, Marie Antoinette der Politikbeobachtung, warum nicht einfach alle mehr Käse essen?
Herausgekommen ist ein sehr kenntnisreiches, sehr lustiges und wirklich informatives Buch über das Frankreich von heute. Kann vor, ergänzend oder auch anstatt eventueller Reisen gelesen werden! Allerdings sollte man vor der Lektüre etwas zu sich nehmen, sonst wird der Appetit unkontrollierbar.

Neulich hörte ich im Café zwei Männern bei einer Unterhaltung zu, die ich nicht ganz verstand. Der Jüngere war Anfang Dreißig und zählte auf: “Also ich hab einen Dreier und einen Fünfer.”
Schrauben? Werkzeug? Ich rätselte…
Der andere, um die Fünfzig, ließ sich mit einer Antwort Zeit und sagte dann, sehr langsam und deutlich: “Ich habe einen Vierer. Der passt genau zwischen den Dreier und den Fünfer.” Gut, das klang auch für mich logisch.
Daraufhin widmeten sich die beiden Hochzufrieden ihren Croissants.
Später wurde der Zusammenhang klar, es ging um Golf. Mir ist diese (eigentlich jedwede) Sportart fremd, also habe ich mehr aus Zufall die Serie Stick bei Apple TV geschaut.
https://www.youtube.com/watch?v=FRMWSTfL_Qs (Öffnet in neuem Fenster)Es ist keine der großen Serien unserer Zeit, aber ich habe dennoch immer weiter geschaut. Vielleicht, weil Komödien selten, aber nötig sind. Oder weil es mal nicht um reiche Stadtneurotiker geht, sondern um abgebrannte schräge Vögel, von denen einer gut Golf spielt. Hier und da scheint der Kitsch durch, manchmal ahnt man die unsichtbare Hand der KI im Fortgang der Story und eine der Figuren muss eine halbe Episode im Kasten unter dem Klappbett verbringen.
Am Ende von Tagen, wie wir sie derzeit erleben, ist das genau das richtige.
Es ist eine Geschichte, wie sie in Frankreich derzeit modern sind: Zwei Freunde geben ihre frustrierenden Jobs auf, um selbstständig etwas aufzustellen, bevorzugt etwas, das mit Essen zu tun hat. In diesem Fall geht es um die Synthese aus nachhaltiger Fischereiwirtschaft und Bistronomie, zwei besonders angesagte Branchen. Simon Turmel und Yannick Costa wollen Fisch verkaufen, aber eben mit einem guten Gewissen. Sie achten auf Herkunft, Verfahren und Preis, denken dabei an den Alltag ihrer Kundschaft: Was lässt sich gut nach Feierabend einkaufen und ist kein Fast food?
Ihr Rezept ist die Neuinterpretation eines Klassikers, der an der ganzen Atlantikküste beliebt ist, die Brandade de Morue. Doch weil der dazu nötige Kabeljau arg überfischt ist, wechseln sie im Fischanteil zu Seehecht (südlich der Loire Merlu genannt, nördlich aber Colin- es ist kompliziert). Dass dessen Fleisch so leicht zerfällt, ist hier ein Vorteil:
https://www.lemonde.fr/les-recettes-du-monde/article/2025/06/20/la-brandade-de-merlu-la-recette-de-simon-turmel-et-yannick-costa_6614794_5324493.html (Öffnet in neuem Fenster)Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
PS: Gerade am Sonntag erreichen mich viele persönliche, auch sehr berührende Zuschriften mit Geschichten, Hinweisen und Kommentaren. Ich freue mich über jede einzelne, es kann aber etwas dauern, bis ich antworte. Pardon.
PPS: Damit ich den Siebten Tag weiter in Ruhe schreiben und entwickeln kann, brauche ich auch die finanzielle Zuwendung durch Mitgliedschaften. Falls Sie noch keine haben, freue ich mich, wenn Sie heute eine abschließen oder jemanden dazu animieren. Merci.