
Vor einigen Tagen fragte mich eine Freundin, deren Tochter ADS hat, was aus meiner Sicht dagegen helfen könne. Ohne lange darüber nachzudenken, empfahl ich ihr natürlich das Schreiben, denn Schreiben kann meiner Ansicht nach bei sehr vielen psychischen Befindlichkeitsstörungen helfen, mindestens aber unterstützen, von auftretenden Symptomen nicht so belastet zu werden.
Aber zunächst einmal:
Was ist ADS?
ADS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom – in diesem Fall ohne Hyperaktivität, dann wäre es ADHS. Im Grunde handelt es sich um eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die zu (teilweise erheblichen) Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit, der Impulskontrolle und der Organisation führt. Im Gegensatz zu ADHS fehlt hier die ausgeprägte körperliche Unruhe (Hyperaktivität). Die ADS-Betroffenen wirken oft eher verträumt oder auch unaufmerksam.
Wie erleben Betroffene ADS?
ADS (der vorwiegend unaufmerksame Typ der ADHS) wird oft von außen unterschätzt oder auch verkannt, weil die typische "Zappelphilipp"-Hyperaktivität fehlt. Das Erleben der Betroffenen ist oft durch sehr starke innere Prozesse und ein hohes Maß an Desorganisation und vor allem Frustration gekennzeichnet. So erleben Betroffene ADS häufig:
"Chaos im Kopf" und Unaufmerksamkeit
Betroffene wirken oft verträumt, abwesend oder in sich gekehrt. Sie schauen aus dem Fenster, während sie versuchen zuzuhören, oder "schweifen" mitten im Gespräch ab. Man könnte auch sagen, das ist der "Hans-guck-in-die-Luft"-Effekt – man nimmt einfach seine Umgebung nicht wahr.
Im Kopf herrscht oft ein ständiges, ungefiltertes Gedankenrasen. Die Gedanken fahren fortwährend Karussell und der immense Gedankensturm gleicht eher einer Überflutung. Daher ist es für Betroffene sehr schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, da alle Reize und Gedanken gleich laut und gleich intensiv sind. Das führt zu einer recht schnellen geistigen Erschöpfung.
Betroffene vergessen häufig Termine, verlegen wegen der anhaltenden Zerstreutheit häufig Gegenstände oder können Anweisungen nicht vollständig behalten, was zu dem nervenden Gefühl führt, ständig unzuverlässig oder nicht gut genug zu sein.
ADS-Betroffene haben große Schwierigkeiten bei Routineaufgaben. Langweilige oder strukturarme Aufgaben (z.B. Papierkram bearbeiten, Putzarbeiten, langes Zuhören bei Vorträgen) sind extrem schwierig für diese Menschen, weil der "Scheinwerfer der Aufmerksamkeit" ständig auf neue Reize springt und nicht bei der Sache bleiben kann.
Emotionale Instabilität
Bei ADS-Menschen besteht eine hohe emotionale Sensibilität, das bedeutet, das Gefühle sehr schnell und vor allem intensiv erlebt werden. Betroffene sind oft schnell gekränkt, fühlen sich missverstanden oder reagieren weitaus heftiger auf Kritik als ihre Mitmenschen.
Innere Unruhe und Getriebenheit sind weitere Kennzeichen, denn obwohl die körperliche Hyperaktivität fehlt, ist oft eine starke innere Anspannung vorhanden, die das Umfeld auch wahrnehmen kann. Sie fühlen sich stetig getrieben und können nur schwer abschalten und kaum entspannen.
Die bekannte „Aufschieberitis“ (Prokrastination) ist ADS-Menschen nicht fremd: Viele alltägliche Aufgaben werden aufgeschoben, nicht aus Faulheit, sondern weil die Aktivierung zum Starten von Aufgaben extrem schwierig für sie ist, vor allem dann, wenn diese als langweilig empfundenen werden.
Was Betroffene sehr schwächt ist ihr negatives Selbstbild. Durch die vielen Misserfolge, die aus den unorganisierten Symptomen resultieren, entwickeln viele Betroffene vor allem Selbstzweifel und auch starke Versagensängste, was zu einer weiteren Einschränkung führt.
Die Stärken und der „Hyperfokus“ von ADS-Betroffenen
Wenn ein Thema oder eine Aufgabe Betroffene brennend interessiert, können sich diese jedoch außergewöhnlich gut konzentrieren und sogar Höchstleistungen erbringen – der so genannte „Hyperfokus“. In so einer (nicht anhaltenden) Phase können sie ihre Außenwelt komplett ausblenden, was oft zu Missverständnissen führt und Freunde oder Bekannte könnten sagen: „Wenn du willst, kannst du dich doch konzentrieren!", was allerdings nur bedingt stimmt.
ADS-Menschen bringen meistens sehr viel Kreativität und die Fähigkeit zum Querdenken mit, denn die Fähigkeit, extrem viele Reize gleichzeitig wahrzunehmen, kann zu einem hohen Maß an Ideenreichtum, zu sehr kreativen Lösungen und einer schnellen Auffassungsgabe bei komplexen, spannenden Problemen führen. Meiner Ansicht nach sollten sich ADS-Menschen versuchen, sich auf diese Stärken zu fokussieren, um auch eigene Erfolge zu erleben.
Viele ADS-Betroffene haben einen starken und ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, sind sehr hilfsbereit und engagiert bei sozialen Tätigkeiten.
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Vorteile der Schreibtherapie bei ADS
Menschen mit ADS sind oft besonders gut für Schreibtherapie geeignet, da diese ihre Stärken nutzt und ihnen hilft, ihre stetigen Herausforderungen zu bewältigen:
Strukturierungshilfe: Das Schreiben oder auch Schreibübungen erzwingen eine lineare und logische Gedankenabfolge, was bei der Organisation innerer Prozesse helfen kann.
Externalisierung: Gedanken und Gefühle werden "aus dem Kopf" aufs Papier gebracht, was zu einer emotionalen Entlastung führen kann.
Fokus-Training: Der Akt des Schreibens erfordert eine dosierte, konzentrierte Beschäftigung mit nur einem Thema und trainiert somit die Aufmerksamkeitsspanne.
Verarbeitungstiefe: Schreiben ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit Erlebtem oder Gedachtem, was bei der schnellen Gedankenflucht des ADS hilfreich ist.
Selbstreflexion: Es fördert die Erkenntnis eigener Muster und Verhaltensweisen, was für Menschen mit ADS oft schwierig ist. Ist ein Muster oder ein Glaubenssatz erkannt, kann er verändert werden.
Impulskontrolle: Emotionen können durch das Schreiben verzögert und gefiltert ausgedrückt werden, ADS-Betroffene regulierter statt impulsiv zu reagieren.
Kreativität und Ideenreichtum: Viele ADS-Betroffene haben einen reichen inneren Ideenfluss, der sich im Schreiben hervorragend kanalisieren lässt.
Kein Zeitdruck: Die Schreibtherapie kann im eigenen Tempo stattfinden, was den Druck reduziert, der oft in interaktiven Therapien entstehen kann. Regelmäßigkeit – nur wenige Minuten täglich – sollten allerdings angestrebt werden.
Stärkung des Arbeitsgedächtnisses: Das Niederschreiben von Informationen, Notizen, Erkenntnissen oder auch Plänen entlastet das meist überforderte Arbeitsgedächtnis.
Bessere Kommunikation: Durch das Üben des klaren Ausdrucks auf Papier können Betroffene selbstverständlich auch ihre verbale Kommunikation trainieren und verbessern.
Erfolgserlebnisse: Das Abschließen eines Textes oder das Füllen eines Journals kann ein wichtiges Gefühl der Leistung vermitteln.
Geringere Ablenkbarkeit: Wenn der Schreibprozess zum Hyperfokus-Thema wird, was ich toll finden würde, können Betroffene auch über längere Zeiträume sehr produktiv sein. Entstehende dadurch sogar Erzählungen, Kurzgeschichten oder auch Romane, kann diese Art der Therapie nicht nur ein sehr gutes Training sein, sondern auch Erfolge bringen und zu einem Nebeneinkommen führen.
Visuelle Unterstützung: Geschriebene Texte, die allesamt aufgehoben werden sollten, sind visuelle Anker für Gedanken, Pläne oder Gefühle, die sonst womöglich schnell vergessen werden.

Geeignete Schreibübungen
Übungen für Menschen mit ADS sollten idealerweise folgende Kriterien erfüllen:
Die Anweisungen sollten klar strukturiert sein, also möglichst kurz, präzise und eindeutig, um Verwirrung zu vermeiden.
Kurze Übungen und mehrere kurze Einheiten sind besser geeignet als eine lange, um die Konzentration aufrecht zu erhalten.
Die Umgebung, in der geschrieben wird und das Material sollten Ablenkungsarm und sehr minimalistisch sein – z.B. nur ein Stift und Papier bzw. ein Arbeits- / Übungsbuch.
Es sollte die Möglichkeit geben, flexibel wählen zu können, um ggf. abzubrechen oder wechseln zu können, wenn die Frustration zu groß wird.
Übungen, die an persönlichen Interessen oder Vorlieben anknüpfen, fördern den eigenen Fokus (Hyperfokus-Effekt).
Zwei Beispielübungen zur Schreibtherapie bei ADS
Prinzipiell kann natürlich jede Art von kurzen Schreibübungen verwendet werden. Hier teile ich zwei Übungen, die speziell auf die Problematiken abzielen.
Die "Gedanken-Sortier-Liste"
Diese Übung hat das Ziel, die Gedanken zu entwirren, Prioritäten setzen zu lernen und das Arbeitsgedächtnis entlasten. Sie kann immer wieder mal gemacht werden, um im Kopf „aufzuräumen“.
Nimm dir maximal 5 Minuten Zeit und nutze dafür eine Uhr oder einen Timer.
Nimm dir ein Blatt Papier und schreibe in dieser Zeit alle auftauchenden Gedanken, Sorgen, Wünsche, Aufgaben, Ideen oder "Was-ich-nicht-vergessen-darf"-Punkte ungefiltert in Stichpunkten auf.
Lies dir anschließend die Liste durch und markiere dir mit Farben oder Symbolen folgende drei Kategorien:
o Wichtig & Dringend (z.B. mit der Farbe Rot oder einem Ausrufezeichen)
o Ideen / nicht relevant für heute (z.B. mit der Farbe Blau oder einem Smiley)
o Gefühle / Sorgen / Probleme (z.B. mit der Farbe Gelb oder einem Fragezeichen)
Wähle nur einen einzigen roten Punkt, den du dann als Nächstes angehst.
Die blauen und gelben Punkte "parkst" du in einem separaten Ideen-Journal bzw. Gefühls-Journal für später, wenn du Zeit und Lust hast, dich damit zu beschäftigen.
Das "5-Minuten-Gefühls-Protokoll"
Die Übung, die auch wiederkehrend gemacht werden kann, hat zum Ziel impulsive, spontane Reaktionsweisen zu verzögern und vor allem, um zu lernen Gefühle benennen und deren Ursprung verstehen zu können.
Im Moment einer starken Emotion (Ärger, Frustration, Traurigkeit) unterbrich die Handlung und nimm dir ein Stück Papier oder dein besonderes Heft für diese Zwecke (Journal / Tagebuch).
Schreibe 5 Minuten lang – bitte nicht länger – ohne Pause (auch hier kannst du gern einen Timer benutzen) darüber, was du in diesem Augenblick – hier und jetzt – fühlst und warum du glaubst, dass es so ist.
Bitte: Strukturiere das Geschriebene nicht. Es ist erlaubt, zu springen, zu kritzeln oder nur einzelne Wörter oder auch Symbole aufzuschreiben.
Nach den 5 Minuten lege den Stift sofort weg. Lies den Text nicht sofort durch, warte damit mindestens 30 Minuten oder besser noch bis zum nächsten Tag.
Beim erneuten Lesen unterstreichst / markierst du maximal drei Schlüsselwörter, die das Gefühl am allerbesten beschreiben. So lernst du nach und nach, deine Emotionen klarer zu identifizieren.
Ich wünsche dir viel Erfolg. Wenn du Fragen hast, dann melde dich bei mir!
Und zum Schluss noch ein spezieller Tipp. Mein Arbeitsbuch „Life is a story“ ist eine tolle Inspirationsquelle für dich.
Nachfolgend findest du die Links mit Bestellmöglichkeiten für E-Book und Printversion des Buches. Viel Spaß!
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