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Gehalt: 0 Euro

Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Heute: Wenn du einen Hammer hast, sieht alles wie ein Nagel aus.

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Hallo!

Mein Vater ist pensionierter Forstbeamter, meine Mutter Übersetzerin. Beide haben studiert, beide sprechen Sprachen, beide Großväter waren promoviert. Bei uns zu Hause gab es Bücher, Briefe, klassische Musik. Nachmittagssport, Schüleraustausche, selbstgekochtes Mittagessen. Nichts Außergewöhnliches, alles in bester Ordnung.

So eine Herkunft haben fast alle, die ich im Journalismus kennengelernt habe. Und wenn du nur einen Hammer hast, sieht bekanntlich jedes Problem wie ein Nagel aus. Die öffentlich diskutierten Lösungen für die politischen Probleme des Landes entspringen den Köpfen der bürgerlich geprägten westdeutschen Mittelschicht ohne Migrationsgeschichte.

Wer die deutsche Wirklichkeit abbilden soll, sie aber – wie ich – nur als komfortabel und unterstützend kennt, berichtet aus unbekannten Welten, wenn es um Arbeiterfamilien, Einwanderer:innen oder Kinder alleinerziehender Mütter geht. Wie Medien über die Lebenswirklichkeit von benachteiligten oder schlicht armen Menschen berichten, ist häufig inkompetent bis missraten.

Einfache Lösung: Mehr Leute aus unterrepräsentierten Milieus in die Medien. Dazu braucht man Praktika, und die muss man sich leisten können. Also müssen sie so bezahlt werden, dass man eine Studi-Bude finanzieren und Miraculi einkaufen kann.

An dieser Stelle bringe ich den heutigen Blaupause-Gastautor Oskar Vitlif (Öffnet in neuem Fenster) ins Spiel, einen Tausendsassa mit vielen kreativen Projekten. Seine neue Fleißarbeit: Er hat für 450 Medienhäuser recherchiert, was sie für Praktika zahlen und in einer öffentlich zugänglichen Datenbank dokumentiert. Hier das Ergebnis.

Praktikumsgehalt: So viel zahlen deutsche Medienhäuser

von Oskar Vitlif (Öffnet in neuem Fenster)

0 Euro Praktikumsgehalt für einen Vollzeitjob: Ich habe recherchiert, wie viel Praktikant:innen bei 450 Medienhäusern in Deutschland verdienen – oder eben nicht. Die Ergebnisse kannst du in meiner Datenbank durchsuchen.

In den vergangenen Monaten habe ich unter Pseudonymen fast 450 Medienhäuser in Deutschland für ein Praktikum angefragt. Nicht, weil ich gerade auf der Suche nach einer neuen Herausforderung (Öffnet in neuem Fenster) bin, sondern weil ich Nachwuchsjournalist:innen dabei helfen möchte, sich nicht ausbeuten zu lassen.

Noch immer werden viele Praktika im Journalismus nicht bezahlt – gerne mit der Begründung, dass praktische Erfahrung ja viel mehr wert sei als Geld. Doch zur traurigen Wahrheit gehört in vielen Fällen auch, dass Redaktionen Praktikant:innen nicht fair entlohnen wollen oder können.

Unbezahlte Arbeit als gelebter Standard

Meine Recherche hat ergeben, dass besonders kleine Redaktionen keine Praktikumsvergütung zahlen. Aber auch einige große Unternehmen sind dabei, z. B. die dpa, Radio Bremen, VRM, die Freie Presse Mediengruppe, Audiotainment Südwest oder die ffn-Mediengruppe.

Praktikumsgehalt: Dieser Screenshot zeigt Zitate aus Stellenausschreibungen für Praktika. Viele Praktikumsstellen im Journalismus werden nicht bezahlt.

Die Folgen sind klar: In den Redaktionen landen vor allem die Talente, die (oder deren Eltern) sich ein unbezahltes Praktikum leisten können. (Öffnet in neuem Fenster) Die in Stellenausschreibungen häufig ausgerufene Haltung zu Vielfalt scheitert an ganz alltagsnahen Problemen: Von welchem Geld soll ich ein WG-Zimmer, mein Deutschlandticket oder Lebensmittel bezahlen, wenn mein Vollzeitpraktikum unbezahlt ist?

Transparenz beim Praktikumsgehalt als Lösungsansatz

In den vergangenen Jahren haben einige Unternehmen nachgebessert. Doch viele Medienhäuser setzen weiterhin darauf, junge, interessierte Talente ohne faire Entlohnung arbeiten zu lassen. Wenn ich Freund:innen, die nicht in der Medienbranche arbeiten, von dieser Situation erzähle, bekomme ich häufig staunende Gesichter zu sehen. In anderen Branchen wäre so eine Situation kaum denkbar.

Wie können wir also gemeinsam diesem Problem begegnen? Mein Ansatz ist Transparenz: Wenn ich weiß, wo ich wie viel Geld fürs Praktikum bekomme, kann ich mich gezielt bewerben und spare mir den Aufwand eines Bewerbungsverfahrens, an dessen Ende gesagt wird: „Leider haben wir kein Budget, um das Praktikum zu bezahlen.“ Meine Hoffnung ist: Wenn knausrige Unternehmen deutlich weniger Bewerbungen bekommen, verändert sich vielleicht irgendwann ihre Haltung.

Wie bin ich vorgegangen?

Zwischen April und Juli 2025 habe ich fast 450 Medienhäuser in Deutschland angeschrieben und mich nach einem Praktikum erkundigt – von verschiedenen Mailadressen, mit mehreren Pseudonymen. Teilweise habe ich auch direkt bei den Firmen angerufen. Bin ich auf diesem Wege nicht weitergekommen, habe ich eine Presseanfrage an den jeweiligen Publisher gestellt. Immer mit dem Ziel herauszufinden: Mit welchem Gehalt kann ich im Praktikum rechnen, wenn ich mich dort bewerbe?

Teil meiner Stichprobe sind die meisten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, viele Radiosender, Produktionsfirmen und Nachrichtenagenturen. Ich habe mich dabei an den Mitgliedern im BDZV (Öffnet in neuem Fenster), VDL (Öffnet in neuem Fenster), VAUNET (Öffnet in neuem Fenster), in der APR (Öffnet in neuem Fenster) und an der Mediendatenbank der KEK (Öffnet in neuem Fenster) entlanggehangelt. Damit ist meine Stichprobe keinesfalls ein vollständiges systematisches Abbild der Medienlandschaft, sollte aber die relevantesten Medienangebote abdecken, die für Nachwuchsjournalist:innen interessant sein könnten.

Eine offene Datenbank für alle

Das Ergebnis meiner Recherche ist eine Datenbank mit den Praktikumsgehältern (Öffnet in neuem Fenster) bei allen angefragten Medienunternehmen – öffentlich und für alle durchsuchbar. So können Interessierte im Idealfall vor einer Bewerbung checken: Lohnt es, sich dort zu bewerben?

Screenrecording Praktikumsgehalt-Datenbank

Dabei geht es immer um das Gehalt für ein mehrmonatiges Orientierungs- oder Pflichtpraktikum im Rahmen des Studiums. Denn für freiwillige Praktika, die länger als drei Monate gehen, müssen die Unternehmen den Mindestlohn zahlen (Öffnet in neuem Fenster). Solche Stellen werden entsprechend deutlich seltener angeboten.

Einblicke in die Daten

Dadurch, dass ich alle Daten in eine maschinenlesbare Datenbank eingespeist habe, lassen sich auch schnell die wichtigsten Erkenntnisse meiner Recherche zusammenfassen.

Mehr als 180 der fast 450 angefragten Unternehmen zahlen Praktikant:innen keinerlei Aufwandsentschädigung. Mehr als 140 Unternehmen geben an, eine pauschale Monatsvergütung zu zahlen. Diese liegt im Median bei 500 Euro. Das niedrigste Monatsgehalt sind 100 Euro, das Maximum 15 Euro pro Stunde (also etwa 2400 Euro pro Monat).

Radiosender zahlen tendenziell etwas weniger Aufwandsentschädigung als Zeitungen – 300 Euro im Median im Vergleich zu 400 Euro. Private Fernsehsender und Produktionsfirmen zahlen im Median um die 500 Euro. Bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten liegt die Vergütung im Median bei 425 Euro.

Ein kleiner Teil der angefragten Firmen vergütet im Praktikum die veröffentlichten Beiträge in Form eines Zeilenhonorars. Etwa 60 Unternehmen haben keine konkreten Angaben zur Praktikumsvergütung gemacht oder sich gar nicht bei mir zurückgemeldet – auch nicht nach mehrmaliger Nachfrage.

Die gesamte Datenbank ist abrufbar unter praktikumsgehalt.de (Öffnet in neuem Fenster).

Wie geht es jetzt weiter?

Mein Ziel ist, die Liste jährlich zu aktualisieren, damit die Gehaltsangaben zur Orientierung aktuell bleiben. Gleichzeitig möchte ich die Liste aber auch noch ausbauen. Im ersten Schritt werde ich die Praktikumsgehälter bei den großen Medienunternehmen in Österreich und der Schweiz ergänzen.

Außerdem denke ich darüber nach, dass Praktikant:innen ihr Gehalt bei mir melden können. Ich muss mir aber noch ausdenken, wie ich dafür sorge, dass diese Angaben zuverlässig sind.

Politische Vorgaben sind nötig

Im Idealfall brauchen junge Journalist:innen so eine Liste in Zukunft gar nicht mehr, weil es gesetzliche Regelungen gibt, die Unternehmen zu Gehaltstransparenz verpflichten. So macht es beispielsweise unser Nachbarland Österreich (Öffnet in neuem Fenster).

Auf EU-Ebene wurde eine ähnliche Regelung (Öffnet in neuem Fenster) 2023 verabschiedet. Sie sieht auch vor, dass schon vor dem Bewerbungsgespräch ersichtlich ist, wie die Stelle bezahlt wird:

Stellenbewerber haben das Recht, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über Folgendes zu erhalten:
a) das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne; und
b) gegebenenfalls die einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die Stelle anwendet.
Diese Informationen sind in einer Weise bereitzustellen, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, wie beispielsweise in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise.

Bis zum 7. Juni 2026 muss die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Bis es so weit ist, können wir uns als Journalismus-Community gemeinsam für mehr Gerechtigkeit bei der Bezahlung einsetzen, zum Beispiel im JOURNOJOBS-Subreddit (Öffnet in neuem Fenster). Aber auch meine Datenbank kann ein kleines Hilfsmittel dafür sein.

Bis nächsten Montag
👋 Sebastian

PS:

Johannes Haupt hat mich in den „Selbstständig im Netz“-Podcast eingeladen. 90 Minuten, die mir Spaß gemacht haben.

https://youtu.be/tGJtRpAue-A?feature=shared (Öffnet in neuem Fenster)https://open.spotify.com/episode/0jBOGKtyOHpyhmTVKFwndw?si=f55e590db831424a&nd=1&dlsi=ee6cf02a7b974f4a (Öffnet in neuem Fenster)

Update

In den vergangenen beiden Ausgaben ging es hier ja um die unsichere Zukunft der Distribution von unabhängigen Medien, wenn KI das Netz umkrempelt. Die Debatte dazu hat seitdem an Fahrt gewonnen. Hier eine Auswahl von empfehlenswerten zum Thema.

Und?

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Interessant wird es ja häufig erst, wenn der Hype vorbei ist. Einen ungewöhnlich offenen Erfahrungsbericht zu diesem Thema empfehle ich Blaupause-Mitgliedern diese Woche.

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Kategorie Storys

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