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„INNE“ in Kostrzyn nad Odrą

TV-KRITIK

„Es ist EM.“

Dies ist einer der ersten Sätze im sommerlichen Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball aus Frankfurt an der Oder, der auch die aktuelle Sonntagskrimi-Saison beendet. Wunderschön finden wir, dass der Abschlussfilm um einen Mord im Gerüstbau- und Amateurfußballmilieu nach zuletzt Schweine den mittlerweile vierten Einsatz Gisa Flakes als Alexandra Luschke markiert. Dieses Mal ermittelt sie wieder an der Seite von Vincent Ross (André Kaczmarczyk), dem sie zuletzt (und zuerst) im herrlichen Cottbus Kopflos begegnete.

Hier nun begrüßen die beiden Kommissar*innen einander in Küstrin. Dort wurde auf einem LKW auf dem Gelände einer polnischen Gerüstbaufirma die Leiche der deutschen Geschäftsführerin Olivia Briegel aufgefunden. Der eher arge Zustand der Toten sowie die Auffindesituation machen deutlich, dass ihr Ableben mit harter Gewalteinwirkung – Stichwort: Übertötung – an einem anderen Tatort stattgefunden haben muss. Zunächst beschuldigt der polnische Fahrer des LKW, Patryk Dobosz (Albert Tallski), der die Leiche gefunden hat, seinen Landsmann und Kollegen Jakub Sobinski (Adrian Topol), Olivia umgebracht zu haben. Dobosz unterstellt ihm, dass er Ambitionen auf den Chefposten der Firma hatte.

Der polnische LKW-Fahrer, Patryk Dobosz (Albert Tallski, re), der die Leiche auf seinem LKW gefunden hat, beschuldigt seinen Landsmann und Kollegen Jakub Sobinski (Adrian Topol, li unten), die Chefin der Gerüstbaufirma umgebracht zu haben.

© rbb/Oliver Feist
Der polnische LKW-Fahrer, Patryk Dobosz (Albert Tallski, re), der die Leiche auf seinem LKW gefunden hat, beschuldigt seinen Landsmann und Kollegen Jakub Sobinski (Adrian Topol, li unten), die Chefin der Gerüstbaufirma umgebracht zu haben // © rbb/Oliver Feist

Dem messen Luschke und Ross zunächst nur wenig Bedeutung bei, scheint es doch eher eine ausgeprägte Breitbein-Feindschaft zwischen den zwei Herren zu sein. Doch finden sie im Büro von Briegel Hinweise darauf, dass sie a) womöglich eine Affäre hatte und b) das Grundstück zum Joggen verließ. Ihre Ermittlungen führen die zwei auf das nahegelegene Trainingsgelände eines deutsch-polnischen Amateur-Fußballvereins, dessen Präsidentin die Ermordete war. Auch im Verein war Olivia aufgrund ihrer teils willkürlichen Entscheidungen nicht bei allen beliebt. Erst vor wenigen Wochen wurde der Trainer der Mannschaft, Pawel (Ivan Shvedoff), gegen den Willen der Jungs entlassen und ein neuer Trainer, Hannes (Hanno Koffler), von Olivia installiert.

Dieser trainiert nun unter anderem Olivias augenscheinlich sehr verstörten und verschwiegenen Sohn Marco (Len Blankenberg), von seinen Freunden Robert Sobinski (Lauri Kröck) und Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause) nur „Pitbull“ genannt. Hatte der abrupte Trainerwechsel etwas mit dem großen anstehenden Turnier zu tun, bei dem auch ein wichtiger Fußi-Scout anwesend sein wird? Und was geschah zum Zeitpunkt des Public Viewings des EM-Viertelfinalspiels Deutschland gegen Spanien, als sich die Tat ereignet haben muss. Hatte der Täter den Mord geplant oder ist es ein Zufall, dass fast alle Verdächtigen für die zweite Halbzeit des Spiels kein Alibi haben? Wer konnte sich unbemerkt davonschleichen, wer hat das stärkste Motiv? Wem trauen Ross und Luschke den perfekten Mord zu?

Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause, re) und seine Freunde Marco Briegel (Len Blankenberg, mi.) und  Robert Sobinski (Lauri Kröck, li) spielen gemeinsam in der Amateurliga eines Fußballvereins in Küstrin, in der Hoffnung während des Turniers von Profi-Scouts entdeckt zu werden // © rbb/Oliver Feist
Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause, re) und seine Freunde Marco Briegel (Len Blankenberg, mi.) und Robert Sobinski (Lauri Kröck, li) spielen gemeinsam in der Amateurliga eines Fußballvereins in Küstrin, in der Hoffnung während des Turniers von Profi-Scouts entdeckt zu werden // © rbb/Oliver Feist

Hoppala, viel Handlungsbeschreibung. Doch das ist nur der Anfang, des sehr komplexen, an Charakteren reichen Sonntagskrimis Spiel gegen den Ball unter der Sonne Polens, auf grünem Grund und in uriger Kneipe, altem Vereinsheim und rostigen Duschen aus der Feder von Michael Fetter Nathansky, Daniel Bickermann und Christian Werner. Letzterer führte auch Regie in diesem Krimi um ein Strategie-Spiel, dessen Taktik Löcher haben mag. Denn so etwas wie den „perfekten Mord“ gibt es zumindest in den meisten TV-Krimis nicht.

Wohingegen es das perfekte Spiel wohl gibt, so jedenfalls die Annahme beispielsweise mit Blick auf den Fußball-Shootingstar Florian Wirtz. In diesem, u. a. im Sportforum Hohenschönhausen und beim SSV Köpenick gedrehten, Polizeiruf 110 gibt es auch einiges an perfektem Spiel zu sehen. Schon allein die Jungdarsteller Lauri Kröck, Len Blankenberg und Franz Ferdinand Krause wissen ihren differenziert geschriebenen Rollen durch kleine Eigenarten besondere Nuancen zu verleihen.

Die Kommissare Vincent Ross (André Kaczmarczyk, mi), Alexandra Luschke (Gisa Flake, re) und Wiktor Krol (Klaudiusz Kaufmann, li) vom deutsch-polnischen Kommissariat in Swiecko untersuchen den Tod von Olivia Briegel in Küstrin an der Oder // © rbb/Oliver Feist
Die Kommissar*innen Vincent Ross (André Kaczmarczyk, li), Alexandra Luschke (Gisa Flake, mi) und Wiktor Krol (Klaudiusz Kaufmann, re) vom deutsch-polnischen Kommissariat in Swiecko untersuchen den Tod von Olivia Briegel in Küstrin an der Oder // © rbb/Oliver Feist

Dass Hanno Koffler in seiner Episodenrolle ebenso stark überzeugt wie Flake und Kaczmarczyk als eigenwillige, resolute, doch empathische Ermittler*innen (und mit ihnen das Dienststellen-Ensemble), überrascht kaum. Starke Szenen liefert dazu Albert Tallski, der als Patryk Dobosz nicht nur Arbeiter im Unternehmen, sondern auch der Vater des stillen Robert ist. Bildgestalterin Katharina Bühler versteht es dabei, nicht nur die teils mit solider Patina belegten Spielorte, sondern genauso die Schattierungen des Schauspiels einzufangen.

Neben den Schau(spiel-)werten wartet der Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball noch mit einiger Spannung auf. Denn, auch wenn die Auflösung mit laufender Ermittlungszeit nicht mehr so überrascht, bleibt die Anspannung doch über die gesamte Spielzeit stabil. Lange weiß mensch nicht recht, was von dieser oder jener Figur zu halten ist. Alle verstricken sich in Widersprüchen, verrennen sich in Halbwahrheiten und arbeiten mit Auslassungen wie Gedächtnislücken. Ein Schelm, wer hier an gewisse Altkanzler denkt.

Welches Spiel wird hier fragen sich der Trainer einer Amateur-Jugendfußballmannschaft in Küstrin, Hannes Kirchner (Hanno Koffler, 2.v.l.) und seine Spieler, Marco Briegel (Len Blankenberg, 2.v.r.), Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause, li) und Robert Sobinski (Lauri Kröck, re) // © rbb/Oliver Feist
Welches Spiel wird hier fragen sich der Trainer einer Amateur-Jugendfußballmannschaft in Küstrin, Hannes Kirchner (Hanno Koffler, 2.v.l.) und seine Spieler, Marco Briegel (Len Blankenberg, 2.v.r.), Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause, li) und Robert Sobinski (Lauri Kröck, re) // © rbb/Oliver Feist

Zur Spannung gesellen sich noch interessante Gedanken zu Außenseitertum und Anderssein, den Blicken der vermeintlich Normierten und der fiesen Macht der Gerüchte. Zu guter Letzt (oder Schlimmst?) fügt sich der Film recht ordentlich in den Pride Month und die Pride Saison. Ein feiner Abschluss dieses alles in allem starken Sonntagskrimi-Halbjahres.

AS (mit Material von rbb)

PS: Übrigens könnte der Polizeiruf 110 versehentlich Öl ins Feuer der absolut am Thema vorbeiführenden Debatte (und Petition) zum Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16 Jahren gießen.

PPS: Und natürlich ist angesichts der Vorkommnisse im ebenfalls in Brandenburg gelegenen Bad Freienwalde das Thema Queerness auf dem Land dieser Tage noch einmal aktueller.

PPPS - UPDATE, 22. Juni 2025: Vor dem Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball zeigt das Erste um 20:15 Uhr einen Brennpunkt: Krieg zwischen Israel und Iran - USA greifen ein.

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Öffnet in neuem Fenster) oder auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Öffnet in neuem Fenster).

Am Set vom Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball: (v.l.n.r): Regisseur Christian Werner, Alexandra Luschke (Gisa Flake), Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Kamerafrau Eva-Katharina Bühler // © rbb/Oliver Feist
Am Set vom Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball: (v.l.n.r): Regisseur Christian Werner, Alexandra Luschke (Gisa Flake), Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Kamerafrau Eva-Katharina Bühler // © rbb/Oliver Feist

Das Erste zeigt den Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball am Sonntag, den 22. Juni 2025, um 20:30 Uhr, um 21:45 Uhr ist er auf one zu sehen und nach der Ausstrahlung zwölf Monate in der ARD Mediathek abrufbar.

Regie: Christian Werner; Drehbuch: Michael Fetter Nathansky, Daniel Bickermann, Christian Werner; Bildgestaltung: Katharina Bühler; Musik: Philipp Schaeper, Christopher Colaço; Darsteller*innen: André Kaczmarczyk, Gisa Flake, Hanno Koffler, Lauri Kröck, Len Blankenberg, Franz Ferdinand Krause, Kotbong Yang, Adrian Topol, Albert Tallski, Ivan Shvedoff, Irina Platon, Klaudiusz Kaufmann, Robert Gonera, Tomek Nowicki u.v.m.; eine Produktion der EIKON Media GmbH (Produzent: Mario Krebs, Produzentin Franziska Lutz) im Auftrag des rbb (Redaktion: Daria Moheb Zandi).

Kategorie Film

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