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BELLENDER SEXISMUS, ZIKADEN-GEFAHR UND HARTE SAITEN

KURZ-KRITIK

Hui, hui! Diese Woche ist (mal wieder) viel los im Sommerkino – nicht nur im Ersten, sondern auch im Kino. Die Neustarts WILHELM TELL (Öffnet in neuem Fenster) sowie 28 YEARS LATER (Öffnet in neuem Fenster) haben wir euch bereits ausführlicher vorgestellt. Hier nun in einiger Kürze ein paar weitere Titel die entweder am 19. Juni oder kurz zuvor in unseren Kinos gestartet sind (zu soliden Home-Entertainment-Titeln in Kürze mehr).

LOYAL FRIEND

In dem auf dem preisgekrönten Roman Der Freund von Sigrid Nunez basierenden Film (Drehbuch und Regie: Scott McGehee, David Siegel) muss sich die von Naomi Watts gespielte Iris nach dessen Tod dem Hund Apollo (klar der Star: Bing) ihres Freundes und Mentors Walter (Bill Murray) annehmen. Dies tut sie widerwillig, da ihr Leben ohnehin chaotisch genug und ihrem mietpreisgebundenen Haus in Manhattan keine Hunde, schon gar keine Dänischen Doggen aka Pferde, erlaubt sind.

Naomi Watts und Bing in LOYAL FRIEND Credit: Bleecker Street
Naomi Watts und Bing in LOYAL FRIEND // © Bleecker Street

Der Film startet, wenn auch mit allzu betulicher Musik von Trevor Gureckis und Jay Wadley (The Wedding Banquet (Öffnet in neuem Fenster), Heart Eyes) einigermaßen vielversprechend und scheint ein seichtes Feel-Good-Movie zu werden. Dann kommen auf einmal sehr ernste Töne hinzu und wir wähnen uns in einem Film, der mit weicher Schale einen harten Kern um Machtgefälle und #MeToo-Light, Verdrängung, Trauer und Traumabewältigung erzählt. Doch fokussiert sich LOYAL FRIEND voll und ganz auf nichts Wesentliches, außer darauf, den Hund im Haus zu behalten.

Naomi Watts Und Bill Murray in LOYAL FRIEND // © Bleecker Street
Naomi Watts und Bill Murray in LOYAL FRIEND // © Bleecker Street

Das ist zuweilen witzig, definitiv zu langatmig, mehr ein Herbst/Winter- als Sommerfilm. Viel zu viel Melodrama und vor allem emotional derart manipulativ, dass viele Zuschauer*innen am Ende schlicht verärgert im sich erhellenden Kinosaal sitzen dürften - wenn manch eine*r sich wohl auch nach behaglicher Lüge fühlt. Am Ende helfen auch größtenteils starke schauspielerische Leistungen nur wenig. Der Film und wir werden keine Freunde. Scheint er doch eher Verräter als Loyaler.

Ab dem 19. Juni 2025 im Kino; Laufzeit ca. 120 Minuten; FSK: 6

ZIKADEN

ZIKADEN – sie sind irgendwie gerade in aller Munde. Oder eben auch nicht. Gefährdet die Schilf-Glasflügelzikade mit ihrem Pflanzenstich doch die Ernte. Betroffen von der Pflanzenkrankheit Stolbur sind neben Kartoffeln mittlerweile u. a. Rote Bete, Sellerie, Kohl, Zwiebeln und Möhren. Das bedeutet für Landwirt*innen einen erheblichen Ernte- und für Verbraucher*innen Genussausfall. Besagte Zikadenart hingegen darf als Gewinnerin des Klimawandels gelten.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/8981dc84-05c9-44b8-8d84-81f32847f555 (Öffnet in neuem Fenster)

Seit der Premiere auf der Berlinale 2025 ist auch Ina Weisses dramatisch-mysteriöser Spielfilm ZIKADEN immer mal wieder im Gespräch. Inwiefern er ein Genuss ist, liegt ganz im Auge der Zuschauenden. Im Gegensatz zu LOYAL FRIEND beginnt dieser Eigenwillige-Freundschafts-Film so gar nicht betulich und rutscht auch sonst selten in Kitsch ab. Das vermeiden wohl schon die beiden Hauptdarstellerinnen Nina Hoss als Architektin Isabell und Saskia Rosendahl als alleinerziehende Mutter Anja auf Jobsuche.

Nina Hoss und Saskia Rosendahl in ZIKADEN // © Judith Kaufmann / Lupa Film
Nina Hoss und Saskia Rosendahl in ZIKADEN // © Judith Kaufmann / Lupa Film

Da trifft es sich gut, dass die Berlinern eine Pflegekraft für ihren Vater, gespielt von Weisses Vater, dem Architekten Rolf. D. Weisse, in einem brandenburgischen Dorf sucht, wo so eine Art Traumhaus steht. Anja und Tochter Greta kommen aus ebendiesem (Rosendahl und Dorf, das läuft doch seit der Literaturverfilmung Niemand ist bei den Kälbern solide, da ist sicher wieder eine Filmpreis-Nominierung etc. drin).

Ja, es wird viel geschaut in ZIKADEN (hier von Nina Hoss' Isabell) // © Judith Kaufmann / Lupa Film
Ja, es wird viel geschaut in ZIKADEN (hier von Nina Hoss' Isabell) // © Judith Kaufmann / Lupa Film

Die beiden Frauen, die Stadt und Land, West und Ost, Kapitalismus und perspektivlose Einöde voneinander unterscheiden, nähern sich an. Immer tiefer dringt Anja in der bildkräftigen Geschichte (Kamera: Judith Kaufmann) in das Leben Isabells vor oder ein. Denn immer mal steht die Frage im Raum, ob die beiden Frauen ein Geheimnis verbindet oder zumindest Anja nicht doch eine Hidden Agenda verfolgt. Wie viel Nähe ist real und was wartet da unter der Oberfläche? Macht Ina Weisse, die ebenso für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, uns hier den Hitchcock? Gibt es statt ZIKADEN etwa Rote Heringe?

Siehste - innen wie außen (Saskia Rosendahl als Anja)) // © Judith Kaufmann / Lupa Film
Siehste - innen wie außen (Saskia Rosendahl als Anja)) // © Judith Kaufmann / Lupa Film

Das alles sind spannende Fragen, die durch etwas lätschig aufbereitetes Ehedrama (Vincent Macaigne als Isabells Gatte Philipp) oder (latenten) Sexismus vonseiten Thorsten Mertens als Anjas Chef im Bowlingstudio ausgebremst werden. Ebenso wird hier und da das Spiel mit schwelgerischen oder düsteren Metaphern arg zugespitzt, was die Erwartungshaltung erhöht, die ZIKADEN allerdings auch unnötig in die Länge zieht.

Ein ansprechender, zurückgenommener Film, der vor allem dank starker Bilder, manch cleveren Inszenierungskniff und guter schauspielerischer Leistungen über das Mittelmaß hinauskommt. Zudem passt er gut in den Sommer.

Ab dem 19. Juni 2025 im Kino; Laufzeit ca. 102 Minuten; FSK: 6

DER LETZTE TAKT

Bereits in der Vorwoche startete die isländische Musik-#METOO-Satire DER LETZTE TAKT, die im Grunde zwei Filme mit diversen angespielten doch nie wirklich zu Ende komponierten Themen ist.

Das kleine isländische Kammerorchester kämpft im Konzerthaus Gamla Bíó in Reykjavik ums Überleben, das ihnen beispielsweise ein Musikkritiker, der „nicht mal Mozart von ABBA unterscheiden kann“, nicht gönnt. Die staatliche Förderung steht vor dem Aus (kenn’ wa). Doch mit der Ankündigung, dass der weltberühmte Cellist Klemens Daníelsson (sexy für alle, die auf einen leichten Dad-Bod stehen: Hilmir Snær Guðnason, LAMB) nach Jahrzehnten in die Heimat zurückkehrt, sieht die engagierte Orchesterleiterin Sigrídur Zoëga (famos: Helga Bragan Jónsdóttir) die Chance: Würde der gefeierte und charismatische Virtuose zum Ensemble stoßen, wäre Aufmerksamkeit garantiert.

Klemens Daníelsson (Hilmir Snær Guðnason): Großer Star mit großem... Instrument: // © mindjazz pictures
Klemens Daníelsson (Hilmir Snær Guðnason): Großer Star mit großem... Instrument: // © mindjazz pictures

Doch wird die Hoffnung schnell zum Albtraum: Der Star ist ein sexistischer Egoman(n), ein tyrannischer Unmensch. Doch leben alle Beteiligten mit dem Macker, um ihre Jobs zu retten (aus Sympathie arbeitet hier eh kaum wer zusammen). Am großen Konzertabend vor allergrößter (Polit-)Prominenz eskaliert die Lage allerdings. Wild entschlossen, das Kammerorchester leben zu lassen, wird zu so drastischen wie kreativen Maßnahmen gegriffen…

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/24121ec0-41d5-4800-bb7a-05f59abd46bc (Öffnet in neuem Fenster)

...was genau da eskaliert, soll an dieser Stelle nicht verraten, dafür davon abgeraten werden, im Vorfeld den Trailer zu schauen oder viel über DER LETZTE TAKT zu lesen – alles voller Spoiler. Zunächst zeigt der teils brüllend komische Film von Sigurjón Kjartansson sich als eine angenehme Kultur-Satire, voller Seitenhiebe, die wir auch auf Deutschland beziehen könnten. Dann wird er zu einer Mischung aus (Beziehungs-)Drama und teils bitterböser Farce, wenn es um das Thema #MeToo geht, lässt es dabei allerdings an (kritischer) Tiefe vermissen. Soll Guðnasons Cellist Daníelsson zwar ein Ekel sein, aber keines, das wir allzu sehr verabscheuen. Da traute sich Michael Sturminger in seiner grandios garstigen Unschuldsvermutung mit Ulrich Tukur als Dirigent Marius Atterson weit mehr. Im letzten Drittel geben sich Farce und Groteske die Hand. Der Humor wird dunkler, damit allerdings auch zielstrebiger und die Freigabe ab 16 Jahren ergibt Sinn.

Eis oder heißer Scheiß? Sigrídur Zoëga (Helga Bragan Jónsdóttir) sieht den LETZTEN TAKT noch nicht gekommen // © mindjazz pictures
Eis oder heißer Scheiß? Sigrídur Zoëga (Helga Bragan Jónsdóttir) sieht den LETZTEN TAKT noch nicht gekommen // © mindjazz pictures

DER LETZTE TAKT unterhält, es gibt wenig Leerlauf, wenn zehn Minuten weniger durchaus okay gewesen wären. Die Darsteller*innen machen ihre Sache vor allem gut, wenn sie im Ensemble als dysfunktionales Orchester funktionieren sollen (u. a. noch: Ilmur Kristjánsdóttir, Halldór Gylfason), dann fällt auch manch eine Grobschlächtigkeit im Plot nicht auf. Ob es an der erfolgreichen Serienerfahrung Sigurjón Kjartanssons liegt, dass der Film sich anfühlt, als sei er eine auf neunzig Minuten kondensierte Komödie geworden, die besser eine dreistündige Mini-Serie gewesen wäre, mag jede*r für sich beantworten. Eine feine Sommer-Satire ist die Nummer allemal.

Seit dem 12. Juni 2025 im Kino; Laufzeit ca. 95 Minuten; FSK: 16

Zum 5. Juni 2025 seien euch, wir bleiben musikalisch, die BALLERINA ans Herz gelegt (Öffnet in neuem Fenster) sowie der ebenfalls interessante BITTER TASTE (Öffnet in neuem Fenster).

ALLE LIEBEN TOUDA

...nur wir nicht so, möchten wir ergänzen. Der an mancher Stelle gefeierte Film des französisch-marokkanischen Regisseurs Nabil Ayouch, der das Drehbuch gemeinsam mit Ehefrau Maryam Touzani geschrieben hat widmete sich einem speziellen marokkanischen Musikstil, Aïta genannt.

ALLE LIEBEN TOUDA (Nisrin Erradi) // © ImmerGuteFilme
ALLE LIEBEN TOUDA (Nisrin Erradi) // © ImmerGuteFilme

“Alles begann mit einem Schrei. Aus einem Schrei wurde Gesang. Eine Aïta.”

Die dramatische Revue ist voll und ganz auf die Hauptdarstellerin Nisrin Erradi, die die titelgebende, alleinerziehende Touda gibt, ausgerichtet. Im Fokus steht dabei die Sorge um ihren Sohn Yassine (Joud Chamihy) sowie die Bemühungen, eine solide Zukunft für einander aufzubauen. Das ist in der religiös-patriarchal geprägten Welt, in der sie lebt, ohnehin schwer. Da sie eine Karriere als Sängerin in der Tradition der Sheikhas anstrebt, wird es erst recht kompliziert.

ALLE LIEBEN TOUDA (Nisrin Erradi) und Sohn Yassine (Joud Chamihy) // © ImmerGuteFilme
ALLE LIEBEN TOUDA (Nisrin Erradi) und Sohn Yassine (Joud Chamihy) // © ImmerGuteFilme

(Sexuelle) Freiheit und Begehren, Selbstbestimmung, Feminismus oder gar eine Affäre (mit verheirateten Mann, eher mäßig gespielt von Lahcen Razzougui) – alles solide No-Gos in Toudas Lebenswelt. Was sie nicht daran zu hindern scheint, diese Welt ihrer Wirklichkeit anzupassen. Das Thema ist ein starkes, das Spiel vieler Beteiligter ebenso und nicht zuletzt beeindruckt manch ein Motiv der Bildgestalterin Virginie Surdej. Dennoch bleibt der Film bei allem Engagement seltsam distanziert. Die implizierte Begeisterung, das Brennen für Musik und Freiheit bleibt Behauptung. Das ändern auch ein realistisch-schockierender Filmbeginn oder ein starkes Schlussmotiv nicht.

Bei aller Sympathie für ALLE LIEBEN TOUDA dürfte er bald in Vergessenheit geraten. (Übrigens kann auch eine*r von uns nicht ohne Buttermilch.)

Seit dem 29. Mai 2025 im Kino; Laufzeit ca. 102 Minuten; FSK: 16

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Kategorie Film

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