Film: »The Eternal Song«
Film Premiere and 7-Day Gathering Livestream & Recordings, 3.-9. Juni 2025 (Öffnet in neuem Fenster)

»Mahashani« ist Lakota und bedeutet »du bist meine Haut«.
Der Film »The Eternal Song« ist ein Film über die Kultur der indigenen Völker der Erde. Die beiden wunderbaren Filmemacher*innen Maurizio and Zaya Benazzo reisten drei Jahre um die Welt, um auf Einladung von indigenen Kulturen deren Leben, Alltag und Spiritualität zu filmen. Dieser Film ist konsequent aus der Sicht der Indigenen gemacht. Einerseits geht es um die Erfahrung der Gewalt und Unterdrückung durch die Kolonisatoren, um diese Geschichte des Verlustes ihres Landes, ihrer Identität, Sprache und Kultur. Andererseits geht es aber eben genau um diese Kultur, die hier zum Ausdruck gebracht werden soll, als Alternative zu dem westlichen Kulturmodell.

Diese indigene Kultur ist ganz anders als unsere westliche Kultur. Wir im Westen – die Kolonisatoren – glauben, dass unsere Kultur die fortschrittlichste ist, dass wir die am höchsten stehende Zivilisationsstufe repräsentieren. Aber das ist ein großer Irrtum. Die westliche Kultur hat in vielen Hinsichten auch Irrwege eingeschlagen, oder zumindest vieles verloren, was man als echtes Wissen, als Wissen vom Heiligen oder vom Lebendigen bezeichnen kann.
Die Menschen im Westen schauen herablassend auf die sogenannten primitiven Kulturen und glauben, ihnen den rechten Weg weisen zu müssen. Was aber in der Geschichte dieser »Zivilisierung« im Wesentlichen passierte, war Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung. Die indigene Menschen wurden verachtet und zum Christentum gezwungen. Die Kinder wurden in sogenannte residential schools, Internate, gesteckt. Sie wurden von ihren Eltern getrennt und komplett dem autoritären Diktat der westlichen schwarzen Pädagogik unterworfen. Es wurde ihnen verboten, ihre Sprache zu sprechen. Sie wurden dafür gedemütigt und beschämt. Ihnen wurde Gewalt angetan. Eine Frau erzählt, dass ihr als Kind die Fingernägel herausgezogen wurden, weil sie ihre indigene Sprache benutzte.
Eine australische Aborigines, 82 Jahre alt, spricht über die Massaker, die die Weißen an den Einheimischen verübt hatten. In der offiziellen Geschichtsschreibung Australiens wird das totgeschwiegen. Gleichwohl leben die Menschen mit diesen Orten, wo diese Energie und diese Erinnerung gespeichert sind. Zusätzlich zu dem Schmerz des Massakers, wo die Menschen getötet und die Frauen sexuell missbraucht wurden, kommt nun der Schmerz der Verleugnung und des Todschweigens.
Es wäre darüber vieles zu sagen. Es ist ungemein wichtig, diese Geschichte der Kolonisierung aufzuarbeiten und Wiedergutmachung zu leisten. Diese ist nicht nur wichtig für die Heilung der Opfer, sondern auch ganz besonders für die Heilung der Täter. Der Film gibt hierzu viel Anregungen und macht uns erst mal die existenzielle Dimension bewusst, die mit dieser Geschichte der Gewalt und Unterdrückung einhergeht.

Du bist meine Haut
Doch kommen wir zu den positiven Aspekten, kommen wir zu »mahashani«: Du bist meine Haut. Der Lakota-Mann in dem Film spricht hier über die Liebe und sagt, im Lakota gäbe es kein Wort für Liebe. Das ist aber nicht deshalb der Fall, weil es keine Liebe gibt, sondern weil die Liebe so allumfassend ist, dass es keinen Sinn macht, sie isoliert zu benennen. Allerdings haben sie Worte für die diversen Aspekte von Liebe, womit man versuchen kann, diese indigene Sichtweise in unsere westliche Denkweise zu übersetzen.
Im Westen gibt es das Konzept des Individuums. Unsere Kultur, unsere Medizin und Psychologie basieren auf der Grundidee, dass es ein einzelnes Individuum gibt, das in sich unabhängig von dieser Umwelt funktioniert. Das Ich wird als in sich ganz und abgeschlossene Einheit verstanden. Meine Haut ist diese physische Substanz, die meinen physischen Körper umschließt. Was jenseits dieser Haut ist, hat mit mir selbst nur am Rande zu tun.
Anders bei mahashani: Der Andere ist meine Haut. Mein ich definiert sich über diesen Anderen, in der Beziehung zu diesem. ›Sie/er ist meine Haut‹ bedeutet, ich erstrecke mich bis zu ihm. Dort, bei ihm, berühre ich und fühle ich. Und dort fühle und definiere ich mich. Der Andere ist konstitutiv für meine Identität, ohne den Anderen bin ich nicht ich. Das ist der Ausgangspunkt für das elementare Verständnis in indigenen Gesellschaften, dass wir immer ein Volk, ein Stamm, ein Kollektiv sind.
Indigene denken nicht individualistisch, sondern gemeinschaftlich, und diese Gemeinschaft bezieht sich nicht nur auf ihre Mit-Menschen, sondern auch auf die Tiere, Pflanzen, Gewässer, Steine, Mutter Erde, Elementarwesen, Geistwesen und »supernatural«, also das göttliche Wesen. Ich kann gar nicht ohne die anderen sein. Mein Ich macht ohne den Anderen keinen Sinn, weil er meine Haut ist. Der Andere/die Andere ist konstitutiv für meine Identität. Deshalb gibt es keine Idee der Feindseligkeit. Es würde keinen Sinn machen, den anderen zu bekämpfen, weil ich dann mich selbst bekämpfe. Die Trennung zwischen mir und dem Anderen findet nicht statt. Es gibt noch nicht mal diese Idee des »Anderen«.
»Wir sind alle eins«, sagen wir manchmal so locker, aber oft ist es nur ein mentales Konzept, das uns die Sache logisch vereinfacht. Jetzt haben wir eine fertige Erklärung für alles. Aber »eins« können wir nur denken, wenn wir auch »zwei« denken. Diese Sichtweise des mahashani wirklich zu fühlen und zu erfahren, lässt den anderen oder diese Haut nicht verschwinden, aber dieses Gegenüber ist auch nicht anders. Vielmehr wird dieses Gegenüber zu mir. »In lakesh« sagen die Maya: »Ich bin ein anderes Du«.
Wir im Westen werden das nicht so schnell verstehen können. Ziel ist es nicht, diese Sichtweise in unsere westliche, binäre Logik zu zwängen. Lassen wir diese Sichtweise uns sanft und langsam berühren. Lasst uns beten, dass wir diese Herangehensweise vielleicht irgendwann wirklich sehen und fühlen können. Lasst uns die Indigenen ehren, ihren Schmerz, ihr Trauma, ihren furchtbaren Verlust, der sich vom Körper bis zur Seele erstreckt. Wir Weißen haben vieles wiedergutzumachen. Lasst uns ihnen zuhören. Lasst uns trauern. ¶
Noch weitere sechs Tage werden um die Premiere des Films herum Online-Veranstaltungen mit zahlreichen Vertreter*innen der indigenen Kulturen sowie den beiden Filmemachern stattfinden. Eine Sitzung unter der Leitung von Dr. Gabor Maté war gestern zum Auftakt.
Registriere dich heute noch (4.6.2025), um an den Live-Veranstaltungen (kostenlos) teilzunehmen. Die angegebenen Uhrzeiten sind PDT: Pacific Daylight Time, also kalifornische Sommerzeit, 9 Stunden nach der deutschen Zeit. Start heute ist 08:00h PDT, also 17:00h deutsche Zeit.
Hier kostenlos registrieren: https://theeternalsong.org/ (Öffnet in neuem Fenster)
Programmübersicht: https://theeternalsong.org/broadcast/ (Öffnet in neuem Fenster)
Quellen zu den Vertreter*innen der indigenen Gesellschaften: