LöwenPost 2025/18
Sino Kolumne: Basisdemokratie ~ Tier-Ranking 2025 ~ Great Wall Motor

Ich möchte von demokratischen Prozessen in China erzählen und dieses Thema immer mal wieder hier in der LöwenPost aufgreifen, da viele Menschen in der westlichen Welt diesbezüglich erschreckend wenig wissen und sich ein verzerrtes Bild von China aufbauen. In China haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche basisdemokratische Institutionen etabliert, beispielsweise in der Stadt Wenling in der Provinz Zhejiang. Früher wurden hier eher langweilige ideologische Vorträge von örtlichen Parteikadern gehalten, welche die Menschen nicht begeisterten. Erst als diese Zusammenkünfte vor 26 Jahren in eine basisdemokratische Mitbestimmungsveranstaltung umgewandelt wurde, stieg das Engagement der lokalen Bevölkerung. So haben die Menschen bei diesen Treffen den örtlichen Parteifunktionären über Missstände berichtet, beispielsweise eine unbeantwortete Gerichtsklage oder dem Ausbleiben von Lohnzahlungen oder Grundstücksstreitigkeiten. Bei angesprochenen Problemen leiteten die Parteifunktionäre die Lösung selber ein. Als der heutige Präsident Chinas Xi Jinping im Jahr 2002 in der Provinz Zhejiang die Funktion des Parteisekretärs übernahm, intensivierte er die basisdemokratischen Institutionen in der ganzen Provinz. Das stieß auch auf Widerstände der Parteikader, weil sie befürchteten, dass dadurch zu viele Missstände aufdeckt werden, welche negativ auf die eigene Person zurückschlagen können. In der Stadt Wenling hat man diese Ängste aber überwunden und präsentiert heute auf einem Monitor im örtlichen Verwaltungsgebäude die Aufnahme- und Änderungsquote durch Einwände und Änderungswünsche der Bevölkerung bei der Haushaltsplanung der 77 Stadtbezirke. Nach einem Zufallsprinzip werden die Menschen der Stadt zu den Haushaltsplanungen eingeladen und können aktiv an diesen Planungen mitwirken. So wurde beispielsweise ein Werbebudget für eine örtliche Touristenattraktion auf Vorschlag von Bürgern erhöht. Online-Übertragungen von Sitzungen zu Haushaltsplanungen ergänzen das bürgerliche Mitbestimmungsangebot. Und so sind ähnliche basisdemokratische Prozesse in den Städten und Dörfern in ganz China entstanden.
In meinem Taibang Blog (Öffnet in neuem Fenster) ("Neue Liegeplätze im Hafen Huanghua (Öffnet in neuem Fenster)") habe ich schon angekündigt, dass ich in der LöwenPost auf das Thema Städte-Ranking in China eingehen möchte. Jedes Jahr bewertet die Shanghai Media Group die Städte in China mittels Kriterien zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, Verkehrsinfrastruktur, Lebensqualität, Freizeitangebote, Talentpool, Hightech-Industrie usw. und stellt damit ein Ranking zur Attraktivität aller 337 Städte auf. Gerade wurde das neue Ranking 2025 auf Yicai.com (Öffnet in neuem Fenster), einer Website des China Business Network, veröffentlicht. Dabei werden die Städte in fünf Stufen (Tier-1 bis Tier-5) eingeteilt. "Tier" ist das englische Wort für "Stufe" oder "Ebene". In China spricht man dann z.B. von einer Tier-2-Stadt und kann damit die Modernität dieser Stadt einschätzen. Berufseinsteiger wählen nach der Bewertung ihre bevorzugten Bewerbungsziele aus und Unternehmen können bei ihren Investitionsentscheidungen je nach gewünschter Rahmenbedingung diese Bewertung in ihre Standortwahl einfließen lassen. Für mich selbst ist das Ranking ein wertvoller Hinweis für die Lebenshaltungskosten, die in China ein starkes Gefälle nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern eben auch je nach Rankingplatzierung zwischen den Städten aufweisen. Welche Systematik steht nun dahinter? Prinzipiell haben alle Stufen eine festgesetzte Anzahl von Städten. In der Stufe Tier-1 sind die Städte Beijing (Peking), Shanghai, Shenzhen und Guangzhou als die modernsten Städte in China immer gesetzt. Dazu werden in der Neue-Tier-1-Stufe 15 Städte zugeordnet. Die Stufe Tier-2 enthält dann die nächsten 30 Städte im Ranking, die Stufe Tier-3 hat 70 Städte, in der Stufe Tier-4 befinden sich 90 Städte und in die letzte Tier-Stufe werden die übrigen 128 Städte eingeordnet. Das bedeutet auch, dass es eine relative Einordnung ist. Denn selbst wenn eine Stadt große Entwicklungserfolge und Verbesserungen vorweisen kann, ist ein Abfallen im Ranking möglich, wenn andere Städte noch besser waren. Das Ranking sagt also wenig über die absolute Modernität aus, sondern verdeutlicht die Entwicklung im Vergleich zu anderen Städten. Letztendlich spornt es den Wettbewerb zwischen den Städten an. Unsere Wohnung befindet sich in Cangzhou, einer Tier-3-Stadt. Das ist für mich eine gute Kategorie, weil die Lebenshaltungskosten zu vielen anderen Ballungsräumen viel niedriger sind, aber die Angebote an Freizeitaktivitäten oder die Verkehrsanbindungen (z.B. zum Bahnhochgeschwindigkeitsnetz) trotzdem sehr gut sind. Wie hat Cangzhou im Ranking abgeschnitten? Die Stadt entwickelt sich erfreulich gut und klettert im Ranking sogar langsam nach oben. 2016 startete man als Tier-4-Stadt auf Platz 141, wobei in den darauffolgenden Jahren schon der Sprung in die Tier-3-Stufe erfolgte. Von Platz 87 (2021) und 84 (2024) konnte man dieses Jahr den 72. Platz erreichen. Bei der Einzelkategorie Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich Cangzhou von Platz 86 (2024) auf Platz 71 in diesem Jahr. Aber letztendlich möchte ich das relative Ranking auch nicht überbewerten, weil man schlicht und einfach in fast allen Städten in China die atemberaubende Entwicklung und Modernität des Landes erleben kann und in allen Städten immer bessere Wohn- und Lebensbedingungen entstehen.
Der Chef und Gründer des chinesischen Autoherstellers Great Wall Motor (GWM), Wei Jianjun, hat in einem Interview im Mai für Diskussionen gesorgt, als er der chinesischen Automobilindustrie eine ungesunde finanzielle Lage attestierte. Einen Hersteller verglich er, ohne allerdings einen Namen zu nennen, mit dem großen Immobilienentwickler Evergrande, der durch eine hohe Verschuldung im letzten Jahr Insolvenz anmelden musste. Jeder wusste, dass Wei damit das führende Elektroautomobilunternehmen BYD meinte. BYD ist tatsächlich durch das enorme Wachstum stark verschuldet, was vom Unternehmen selbst wegen der starke Marktposition nicht als problematisch angesehen wird. Wei wies daraufhin, dass viele Autohersteller offene Rechnungen von Lieferanten über viele Monate hinweg nicht bezahlen und somit die Verschuldung geringer aussehen lässt. Tatsächlich lassen sich die chinesischen Autohersteller im Durchschnitt 6 Monate Zeit, ehe sie Rechnungen der Lieferanten bezahlen. Der starke Preiskampf auf dem chinesischen Markt führt oft zu Preissenkungen und Rabatten, was die Margen der Hersteller drückt. Wei kritisiert auch das System der Tageszulassungen, wo eigentlich Neuwagen als Gebrauchtwagen mit hohen Rabatten verkauft werden und somit nicht die Listenpreise beeinflussen, wobei dieses System auch massenhaft in Deutschland angewendet wird. In der Tat existiert auf dem chinesischen Markt ein großer Konkurrenzkampf und der ein oder andere Hersteller finanziert diesen Kampf mit mehr Kapital von Investoren. So hat BYD neue Aktien herausgegeben und Hozon Auto durch eine kommunale Investmentgesellschaft finanzielle Zuschüsse bekommen. Wir werden in den nächsten Jahren sicherlich auch einige Pleiten und Fusionen sehen, wobei ich aber nicht von dem Konsolidierungsbedarf ausgehe, wie so mancher Experte prognostiziert, da der chinesische Automarkt sehr groß und im Wachstum ist. Dieser bietet auch für kleinere Firmen noch genug Absatz- und Ertragsmöglichkeiten. Aber zurück zu Herrn Wei. Auch wenn er die finanziellen Balanceakte in der Branche richtig einschätzt, so hätte er allen Grund besser auf das eigene Unternehmen zu schauen und keinen Streit mit erfolgreichen Konkurrenten anzufangen. Denn in seiner Modellpalette fehlen wichtige Elektromodelle, weil die Autos seiner Elektromarke Ora mit dem runden Design eher unpraktisch sind und vor allem ausschließlich weibliche Käufer anspricht. Ohne die Hybridmodelle der anderen Marken wäre seine EV-Marktpositionierung eher schlecht. Die Verkaufszahlen der Elektromarke Ora gehen seit 2021 kontinuierlich zurück. Auch das Europageschäft ist eher von negativen Turbulenzen und Erfolglosigkeit gekennzeichnet. Sein Montagewerk in Bulgarien ging bereits nach 5 Jahren in die Insolvenz. Von schlechter Mitarbeiterstimmung beim Standort München konnte man lesen, bevor im letzten August die Europazentrale in München ganz geschlossen wurde. Diese gab es zu diesem Zeitpunkt erst seit knapp drei Jahren. Diese Erfolgslosigkeit merke ich im Interview Wei deutlich an, da er frustriert wirkt und seinen Ärger über die gesamte EV-Branche kippt. Wenn er seine Dieselmodelle für Afrika lobt, dann spüre ich die fehlende Begeisterung und Bereitschaft für die Elektromobilität. Kein Wunder, dass seine Firma in diesem Bereich nicht glänzt. So muss Wei zwar vielleicht selbst nicht das Schicksal von Evergrande befürchten, aber die Gefahr eines Abstiegs in die Liga eines automobilen Nischenanbieters besteht schon. Statt belehrende Interviews zu geben, sollte er lieber die Hausaufgaben in seinem Unternehmen erledigen.