Weißt du eigentlich, was FLlNTA* oder TERF bedeutet? Kannst du erklären, wer ein Token ist und wofür das Sternchen nach trans* steht?
Ich ärgere mich manchmal über klassische Medien, die es nicht immer so wichtig finden, mit ihrer Sprache auch junge und jene Menschen, die nicht politiknahe aufwachsen, abzuholen. Im Zuge der Ernennung der neuen Regierungsmitglieder haben österreichische Medien beispielsweise von einem „CV-Bruder“ gesprochen. Welcher Jugendliche weiß bitte, wofür CV steht?
Okay, Bruder sagen sie auch - aber, dass CVer Mitglieder einer katholischen Studentenverbindung sind, wissen eben nicht alle. Journalismus hat die Aufgabe, alle zu erreichen, nicht nur die ohnehin Informierten. Jetzt könnten die Kids ja theoretisch CV-Bruder googeln, wird zwar keiner machen, aber bitte. Nur werden sie dann eben nicht auf den ersten Klick erfahren, dass die Studentenverbindung zum Vorfeld der ÖVP gehört. Wieso das wichtig ist zu wissen, müssen Journalist*innen für sie einordnen.
Bei der Chefredaktion erklären wir derartige Begriffe selbstverständlich. Dabei stoße ich bei meinen jungen Kolleg*innen aber auf ein neues, altes Problem. Sie verstehen nicht wirklich, wieso es mir wichtig ist, dass wir Begriffe, von denen sie überzeugt sind, dass alle jungen Menschen sie kennen - oft Akronyme, also aus den Anfangsbuchstaben mehrerer englischsprachiger Begriffe gebildete Kurzwörter - erklären. Es weiß eben nicht jeder, dass FLINTA* ein Sammelbegriff für eine Personengruppe ist, die unter der patriarchalen Gesellschaft leidet und mit TERFs Feminist*innen gemeint sind, die trans Personen ausschließen. Aber was alles muss erklärt werden? Was, wenn jemand auch nicht versteht, was unter „patriarchaler Gesellschaft“ oder „Feminismus“ gemeint ist und wie erkläre ich Begriffe überhaupt richtig?
Damit uns dieser Spagat gelingt, hat die_chefredaktion kürzlich einen Workshop gebucht. Workshopleiter*in m Horvat hat uns erklärt, wie wir sensibel über trans Personen (Geschlecht stimmt nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein) und nicht-binäre Personen (Sammelbegriff für Geschlechter abseits des zweigeschlechtlichen Systems von Mann und Frau) berichten.
Die meisten Medien verwenden noch nicht einmal ein Gender-Sternchen und machen damit nicht nur Frauen unsichtbar, sondern alle Personen, die mit dem Stern gemeint sind. Das Argument, der Stern würde den Lesefluss stören, sieht m als Argument für den Stern. Das Sternchen soll ganz bewusst den Lesefluss stören, damit wir kurz inne halten und uns bewusst machen, dass es eben nicht nur zwei Geschlechter gibt. Es reicht auch nicht nur von Schülerinnen und Schülern zu sprechen, schließlich gibt es mehr als nur Männer und Frauen. Um alle einzuschließen, müssen wir „entgendern“ – zum Beispiel mit dem Sternchen, dem Unterstrich oder dem Doppelpunkt, erklärt m.
m selber ist nicht-binär und hat ex-jugoslawische Wurzeln, was geschlechtsneutralen Sprachgebrauch noch einmal auf eine ganz andere Stufe hebt. Denn im Bosnisch/Serbisch/Kroatischen (BKS) kann man nicht einmal in der Ich-Person sprechen, ohne sich als weiblich oder männlich definieren zu müssen. Ein Beispiel: Der Satz „Ich bin nachhause gegangen“ lautet auf BKS „Išla sam kući (Opens in a new window)“ oder „Išao sam kući (Opens in a new window)“ – an der Endung der erste Version wird deutlich, dass die Sprecherin eine Frau ist, die zweite Version steht für einen Mann - und was sagen alle anderen?
Darüber habe ich mir bisher kaum Gedanken gemacht, besser gesagt, machen müssen, weil ich das Privileg, cis zu sein (cis steht für Menschen, deren Geschlecht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenem Geschlecht übereinstimmt), habe.
Für viele mag das auf den ersten Blick kompliziert und akademisch wirken, aber es ist eigentlich nur eine Sache, des Einlassens und Verlernens. Möchte ich, dass sich alle Menschen gesehen fühlen oder will ich einen Teil der Menschen ausschließen, aus Angst vor Veränderung, vielleicht gar aus Ignoranz? Gleichzeitig sollten wir Journalist*innen nicht so ignorant sein, davon auszugehen, dass alle diese Begriffe kennen, weshalb ich es wichtig finde, sie zu erklären. Würden alle Medien das machen, würden die Begriffe bald in unseren alltäglichen Wortschatz übergehen und es bräuchte nicht jedes Mal eine Ausführung ihrer Bedeutung.
Um es in den Worten von m zu sagen: Vor zwei Jahren kannte auch noch keiner den Begriff „PCR-Test“ und jetzt verwenden wir ihn alle ganz selbstverständlich – auch dank der Medien.
Glossar:
FLINTA* = Abkürzung für Frauen, Lesben, inter*, nichtbinäre und trans* Personen.
TERF = steht für „Trans-Exclusionary Radical Feminism” (Trans-ausschließender radikaler Feminismus) und bezeichnet Feministinnen, die trans geschlechtliche Personen diskriminieren.
Token = POC, die nur aufgrund ihrer Hautfarbe bzw. Herkunft in einem gewissen Medium (Film, Sendung, etc.) vorkommen, um sagen zu können, man hätte ja eh einen „Migranten“.
POC = People of Color. Menschen, die nicht weiß sind.
Gendersternchen * = Symbolisiert neben weiblichen und männlichen auch nichtbinäre und divers geschlechtliche Personen.

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Chefredakteurinnen der Woche
PCR-Tests spielen auch in unseren „TikTok“-Videos eine Rolle, in denen unsere beiden „TikTok-Chefinnen“ Anna und Lucija regelmäßig Corona-Maßnahmen und Innenpolitik humorvoll näher bringen. Wieso es wichtig ist, Nachrichten auf TikTok witzig zu vermitteln, hat einmal eine Schülerin treffend erklärt: „Klimakrise, Coronakrise, Wirtschaftskrise – wir wachsen mit lauter Krisen auf. Es braucht Humor, um daran nicht zu zerbrechen.“
Beitrag der Woche
Mit dem Begriff des „Woke Washing“, also des performativen Aktivismus von Firmen, die aktuelle gesellschafspolitische Themen nur nutzen, um ihr Image zu stärken, haben wir uns in einem unserer letzten Beiträge auseinandergesetzt. Dafür haben Marilyn, Bendera und Melanie mit den Gründerinnen des Fashionmovements „Kids of the Diaspora“ und der Sprecherin des Black Voices Anti-Rassismus-Volksbegehrens gesprochen und sich auf der Straße erkundigt, was junge Menschen von „Woke Washing“ halten. Der Beitrag entstand im Rahmen der Talentefabrik, ein Ausbildungsprogramm, das wir in Zusammenarbeit mit fjum (Opens in a new window) und Happy House Media auf die Beine gestellt haben. Im Lehrgang erlernen junge Menschen digitales Storytelling, Video und Journalismus-Skills und bekommen anschließend ein Praktikum vermittelt. Der Lehrgang ist noch nicht einmal abgeschlossen und Teilnehmerin Vicky hat schon ihr Praktikum beim ZDF in Wien begonnen.
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