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Dies und Das - Wenn es kein Ende hat.

Anmerkung: Diesen Text habe ich bereits vor einiger Zeit geschrieben. Besser gesagt im Dezember 2021. Inzwischen hat sich einiges geändert, aber ich habe den Text über das Ende meines Studiums aus vollem Herzen geschrieben und möchte ihn daher gern teilen. Vielleicht findet sich der ein oder die andere wieder. Und ja, er ist lang und ebenfalls ja, da schwingt viel Emotion mit.

Herbst 2016. Da saß ich nun im Urlaub auf diesem kleinen, seltsamen, alleinstehenden Hügel an der schottischen Küste, Wind in den Haaren, Meersalz in der Nase, und irgendwas in mir entschied sich in den folgenden Tagen, dass es wohl das Studium der Literaturwissenschaft und Anglistik werden sollte. Denn wenn ich mich jetzt nicht für ein Studium entschied, würde ich niemals studieren, das wusste ich. Und ich wollte studieren. Wozu quält man sich sonst als mittelgute Schülerin durchs Abitur?

April 2017. Nun ging es also los. Alles neu, riesige Uni, viele Menschen. Als jemand der eher schlecht darin ist, neue Menschen kennen zu lernen und große Menschenmengen nicht so leiden kann, war das schon eine Herausforderung. Trotzdem: Ich war voller Hoffnung. Hier konnte ich neu starten! Niemand sagte ich könnte dies oder das nicht. Niemand fragte was meine Eltern so machen, wo ich herkomme (nämlich aus einem winzigen Dorf von einem landwirtschaftlichen Betrieb und sowas ist Außenstehenden immer schwer zu erklären). Ich konnte sein, wie ich wollte und in der Anglistik schien es auch allen wirklich egal zu sein. Wie man war, es war in Ordnung. 

Und dann sah ich mich, wie ich am Ende des Studiums stolz mein Zeugnis in den Händen hielt, auf einer großen Abschlussfeier, innerlich allen Kritiker:innen meiner Fähigkeiten den Mittelfinger zeigend. Den Lehrer:innen in der Grundschule, die sagten ich gehöre zur Realschule, obwohl alle meine Freundinnen aufs Gymnasium durften und diese in meinen Augen nicht besser oder schlechter waren als ich. Den Lehrer:innen auf dem Gymnasium, die mir geraten haben zur Realschule zu wechseln anstatt die 6. Klasse zu wiederholen, nur weil ich im mündlichen nicht brillierte wie es gewünscht war. Keine Ahnung, wer auf die Idee gekommen ist einer mündlichen Leistung 70 % Gewichtung zu geben und einer schriftlichen nur 30%. Für jeden introvertierten Menschen, der zwar clever ist, reden vor anderen aber hasst, ist das der absolute Tod und man behält ewig Komplexe zurück (Highlight: „Zur Motivation bekommst du eine 5+“). Es hat 3 Jahre im Studium gedauert, bis ich mich dort traute mehr zu sagen. Bis ich verstanden hatte, dass meine Ansichten vollkommen in Ordnung sind. Das es häufig kein richtig oder falsch gibt und das selbst „falsch“ in Ordnung ist. Das es ok ist nicht alles zu wissen, aber immer wieder nachzufragen. Niemand verlangte dort von mir, auch nur ein Wort zu sagen und dann ging es plötzlich ganz leicht. 

Ich wollte unbedingt an diesem Tag des Abschlusses mit meinem Studium allen Leuten die jemals gezweifelt hatten (inklusive mir selbst) den Mittelfinger zeigen und sagen: Hab ich es euch nicht gesagt! Ihr seid alle im Unrecht gewesen. Nur weil ich nicht rechnen kann, bin ich noch lange nicht unfähig. Nur weil ich Französisch nicht kann, weil meine Lehrer:innen es geschafft hatten mir eine absolute Abneigung gegen diese Sprache beizubringen, aufgrund ihrer pädagogischen Unfähigkeiten – ich Danke der „bretonischen“ Krimireihe dafür, dass sie mir diese Abneigung ganz sachte genommen hat -, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht clever bin. Nur weil ich den Sinn von Argumentationsprinzipien (Sanduhr und..??) nie durchdrungen habe, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht schreiben kann! Und nur weil ich nichts sage, heißt das noch lange nicht, dass ich nichts weiß. Es bedeutet nur, dass ihr alle im Unterrichten versagt habt. Ihnen allen sollte mein Mittelfinger gebühren. Ebenso wie allen Bekannten und Familienmitgliedern, die manche in die Höhe hielten, aufgrund ihrer überragenden Leistungen im „sich gut präsentieren können“.

Tja und dann kam Corona. Durch mein Pendeln hatte ich so schon kaum Freund:innen während des Studiums kennengelernt, denn wenn man nicht in einer WG wohnt und grundsätzlich nur 4 Tage die Woche in der Unistadt ist und die Wochenenden lieber zu Hause bei seinem Pferd verbringt, lernt man eben nicht so viele Menschen kennen. Nicht das mich das gestört hätte. Ich mag keine Partys, ich bin nicht gern mit vielen fremden Menschen zusammen, mir reichen einige sehr gute Freundinnen und ich bin sehr froh um die paar, die ich habe. Trotzdem machte Corona es nicht leichter. 

Die letzten 1 ½ Jahre verbrachte ich mit Onlineseminaren und Hausarbeiten. Ja, man kann so lernen, aber es ist einfach nicht das Gleiche. Man trifft nicht mal kurz Dozierende auf dem Gang, man sitzt nicht vor einer Office Hour neben einem Berg Plüschtiere, die die Dozentin dort zum Zeitvertreib platziert hat. Man trinkt nicht mal kurz einen Kaffee bei Hassan. Man geht nicht in den Pausen in die Bib, um sich als Bücherwurm von Büchern zu umgehen und in die wunderbare Stille einzutauchen. Man sitzt Zuhause allein vor seinem PC, man schreibt Studienleistungen allein vor seinem PC, man schreibt Hausarbeiten allein vor seinem PC. 

Die letzte Zeit meines Studiums war die nervenaufreibendste, anstrengendste Zeit. Nicht unbedingt wegen dem Workload, sondern wegen dem Drumherum. Mehrmals habe ich darüber nachgedacht einfach alles hinzuschmeißen. Man sieht niemanden, man trifft niemanden, man ist allein mit seinen Gedanken. Schaffe ich das? Kann ich das? 

Es ist eine Sache, jeden Tag in die Uni zu gehen und dort in der Bib zu sitzen, umgeben von einer Atmosphäre des Lernens und gleichzeitig inspirierenden Menschen; und eine vollkommen andere sich plötzlich alle Literatur im Internet zusammen suchen zu müssen, weil die 60 km Fahrt zur Uni den Aufwand und Zeitverlust nicht zu rechtfertigen scheint. Man hat zwar noch Kontakte in die Uni, zu Dozierenden die man alle zwei Wochen mal für 10 Minuten via Zoom trifft, aber mit seinen Zweifeln sitzt man allein da. 

Weiter studieren war niemals so schwer wie Ende 2020. 

Als letztendlich keine Seminare mehr übrig waren und nur noch die Bachelorarbeit bevorstand, war ich bereits wieder vor längerer Zeit nach Hause gezogen. Dort brauchte ich wenigstens keine überteuerte Miete für mickrige 25 qm zahlen. Und dennoch: Ich schrieb, verzweifelte und schrieb weiter. Hinzu kamen Fragen über die Zukunft, erste Bewerbungen die im Sande verliefen. Mehr Zweifel: Was habe ich überhaupt in meinen Studium gelernt, was ich anwenden kann? Habe ich überhaupt etwas Sinnvolles gelernt? Und was mache ich, wenn es vorbei ist? Mein Auslandpraktikum, welches wegen Corona ausgefallen ist, nachholen? Allein eine Reise durch Frankreich (Wegen der Landschaft und dem Essen)? Alles schwierig, schließlich gabs ja weiterhin das böse C und den Mittelfinger konnte ich so auch niemandem zeigen. 

Also weiter mit der Bachelorarbeit. Mein Thema war super, ich liebe es immer noch, aber diese Arbeit zu schreiben fühlte sich an, als würde ich mich jeden Tag auf dem Bauch liegend durch die Wüste quälen. Meine letzten Hausarbeiten waren schon nicht mehr so super gewesen. Alles zerrte an den Nerven. Es sollte einfach vorbei sein. Vorbei. Es machte keinen Spaß mehr, es war ein täglicher Kampf. Gegen Dämonen der Vergangenheit die sagten „Du kannst das nicht“, gegen Dämonen der Zukunft die sagten „Du wirst niemals einen Job finden“, gegen Dämonen des Jetzt die sagten „Freiheit hast du nicht mehr“. 

Inzwischen hatte ich mich sogar halbwegs damit abgefunden, dass es keine Abschlussfeier geben wird. Danke Corona. In meinem Kopf – als Teil der Generation „High School Musical“, „Camp Rock“, „Plötzlich Prinzessin“ und „Gilmore Girls“ war diese Uni – Abschlussfeier immer verbunden mit vielen, lachenden, fröhlichen Menschen, akademischen Ernst, schwarzem Talar und Hut. Das es sowas hier in Deutschland eher nicht gibt, wurde mir auch irgendwann klar, aber trotzdem: In meiner Vorstellung fliegen immer noch Hüte, Menschen geben Reden, alle sind schick angezogen, man ist in freudiger Erwartung was die Zukunft angeht. Tja und dann kam mein Bachelorzeugnis per Post in einem Briefumschlag. Ich habe die Empfangsbestätigung zurückgesendet. Das wars. 

Nachdem meine Bachelorarbeit meine schlechteste Hausarbeit des Studiums wurde – ich weiß es wäre besser gegangen, aber ich konnte und wollte nicht mehr. Es ging einfach nicht. So habe ich letztendlich beschlossen „zu journalistisch geschrieben“ nicht als Kritikpunkt anzusehen, sondern als Kompliment. Hat ja auch nur 3 Wochen totstellen, ein Coaching und viele mit Tränen getränkte Taschentücher gebraucht, um dahin zu kommen.
Nach also 4 Jahren Studium und davon 1 ½ Jahren der freudlosen Quälerei, bekam ich Post. Und das wars. Ich habe mein Zeugnis einmal angeguckt und dann samt Umschlag auf meinen Schreibtisch gelegt. Da liegt es immer noch. Zwischendurch habe ich es für Bewerbungen nochmal eingescannt und wieder in den Umschlag auf den Schreibtisch gelegt. Es fristet nun sein unbeachtetes Dasein. Es gab keine freudige Feier, keine schwungvollen Reden. Es gab keinen erhobenen Mittelfinger. Ich konnte nicht sagen „DA HABT IHRS GESESEHEN! Ich habe einen Bachelor und er ist besser als mein Abitur! Ihr hattet alle Unrecht!“. 

Es gab kein großes Ende. Es ist einfach so vorbei gegangen, als wäre es niemals da gewesen. Als hätte die Zeit dort niemals existiert. Mein Abschluss ist nun fast 6 Monate her. Einen Job habe ich immer noch keinen, denn offensichtlich bin ich Über- und Unterqualifiziert gleichzeitig. Morgen sollte nun doch eine Abschlussfeier stattfinden. Allerdings waren alle Studierenden dazu angehalten keine Freunde oder Familienmitglieder mitzubringen. Ich habe keine Karten gekauft. Warum soll ich etwas allein in einer riesigen Aula feiern? Nach 1 ½ Jahren in denen ich weder die Uni, noch Dozierende, noch Mitstudierende in Person gesehen habe? Ja, ich hätte gern gefeiert. Aber mit Freund:innen und Familie, mit viel Trara. 

So geht es nun leise zu Ende. Ungesehen, mit einem Studium das nichts weiter als eine Erinnerung ist, die inzwischen schon zu verblassen beginnt. Ja, ich habe mein Studium geliebt. Den Austausch, die Diskussionen, die Themen, die Menschen, welche alle irgendwie Besonders waren, auf ihre eigene Weise. Niemals habe ich mich so richtig als Mensch gefühlt wie da. Aber das Ende meines Studiums war kein Studium mehr. Es gab keinen Austausch, kein Leben. Es war abarbeiten von Leistungen, in der Hoffnung, dass es bald vorbei ist.
Dennoch, meine eine Dozentin hatte recht: Wir haben studiert, um bessere Menschen zu werden. Ich bin ein besserer Mensch geworden und dafür bin ich sehr dankbar.