#7: (K)Eine Wahl haben wollen
Was ist eigentlich dieser Choice Feminismus? Und wieso reden alle in einem so abfälligen Tonfall davon? Diese Woche geht’s im Newsletter um die freie Wahl und um die Frage, welchen Ansprüchen sie genügen muss, um nicht als “schlecht für die feministische Sache” kritisiert zu werden.
Auf meinen Lesungen geht es oft um Sexfantasien. Kein Wunder, schließlich habe ich dem Thema in meinem Buch ein ganzes Kapitel gewidmet (Opens in a new window). Und zwar, meinem ehemalig schlechten Gewissen darüber, dass mein Kopfkino nicht selten den Weg der tugendhaften, politisch Korrekten verlässt.
Für erfreulich viel Diskussion sorgen die Guilty Pleasures meiner feministischen Mitstreiter*innen untereinander und immer wieder stellt sich die Frage: darf ich das geil finden?
Zuletzt fragte mich eine Zuhörerin, was ich dazu sagen würde, dass sie so sehr auf Dark Romance Literatur stünde (ein Genre, in dem es nicht selten vorkommt, dass weibliche Figuren sich in männliche Charaktere verlieben, die ihnen eigentlich Gewalt antun woll(t)en - enemies to lovers at its best).
Meine verkürzte Antwort auf Fragen dieser Art ist meistens, dass das in der eigenen Entscheidung liegt. Ob und wie viel des besagten Guilty Pleasures man konsumiert. Wie viel Geld man für bspw. Bücher dieser Art ausgibt oder ob man sie sich ausleiht. Ob man sie öffentlich mit Lobliedern rezensiert oder laut von den eigenen widerstreitenden Gefühlen bei der Lektüre berichtet.
Ich will meinem Buchkapitel nicht vorgreifen, falls du es noch nicht gelesen hast, deswegen nur so viel: es gibt komplexe Gründe, wieso wir hot finden, was tabu ist.
Ich bin der Ansicht, was reflektiert in meinem Kopf abgeht oder einvernehmlich in meinem Schlafzimmer, muss nicht zum Verrat an der feministischen Bewegung aufgeblasen werden. Den eigenen Aktivismus nur zu fantasieren, macht dich ja auch nicht zu einer besseren Feministin. Sondern der Gang zur Wahlurne, auf die Demo oder die Spende eines Teils deiner Ressourcen an ein aktivistisches Projekt.
Viele Menschen geben sich mit dieser Antwort zufrieden. Manche wirken erleichtert, haben sie doch gerade eine Art Absolution erteilt bekommen. Dass das aber alles nicht so einfach ist, so schwarz und weiß, das ist mir bewusst. Ich treffe hier die bewusste Entscheidung, meinen Feminismus als diplomatisches und bedürfnisorientiertes Programm zu fahren.
Ich wähle einen Feminismus mit möglichst realistisch lebbaren Prinzipien, weil ich davon überzeugt bin, dass wir alle nur Menschen sind. Und die sind bekanntlich fehlbar, brauchen zwischendurch mal Zucker und können auf die Dauer nicht gut mit allzu dogmatischem Idealismus.
Diese Wahl treffen aber andere Feminist*innen nicht so wie ich. Ihnen reicht der verständnisvolle Ansatz nicht weit genug, weil er nicht genug verlange und deswegen letztlich auch unsere Gesellschaft nicht weit genug in die gewünschte Richtung bewege. Eine Kritik, die ich sehr gut nachvollziehen kann.
Du hast die Wahl… Solange du richtig wählst
Einen anderen Vorwurf habe ich bisher aber noch nicht verstanden. Nämlich den des “Choice Feminismus”. Der wird nämlich immer dann unterstellt, wenn Frauen oder Feminist*innen eine Wahl treffen, die augenscheinlich unfeministisch ist. Zum Beispiel, wenn sie sich für Botox, Schönheits-OPs, das Hausfrauendasein oder eine devote Rolle im Bett entscheiden.
Nicht alles, wofür Feminist*innen sich frei entscheiden würden, sei automatisch deswegen feministisch, heißt es dann. Aber ist es deshalb direkt verwerflich? Ich dachte, es hieß auch “we support women’s rights and wrongs”?
Natürlich schützt die eigene Weiblichkeit eine nicht vor misogynem Verhalten. Genauso wie Homosexualität einen nicht immun gegen Homophobie macht etc. Aber ich werde den Eindruck einfach nicht los, dass der “Choice Feminismus”-Vorwurf auch immer den Beigeschmack von “ich weiß besser, wie Feminismus geht und du machst es falsch” hat.
Ging es nicht um Selbstbestimmung? Muss alles, was eine feministisch eingestellte Person tut, nach den Maßstäben der Bewegung ausgerichtet sein? Verliert ihr Aktivismus sonst nur seine Glaubwürdigkeit oder auch seine Wirkung?
Die Grenze des Akzeptablen scheinen viele spätestens dort zu ziehen, wo die Person, die feministisch-fragwürdig handelt, große Reichweite hat oder damit Geld verdient. Anders kann ich mir den gellenden Aufschrei rund um Sabrina Carpenters neues Albumcover aktuell nicht erklären. (Opens in a new window) Pop dürfe das, man müsse Popkultur und Sexualität auch nicht entkoppeln, aber man dürfe zynische Posen wie bei “Man’s Best Friend” nicht unkommentiert veröffentlichen. Es bräuchte Reflexion und öffentliche Einordnung. Denn niemand verstünde online Ironie. Wir sind eine buchstäbliche Gesellschaft geworden.
Ehrlich gesagt, keine Ahnung, ob man diese Aussage stützen oder widerlegen kann. Ist mir auch nicht so wichtig. Solange es jede Menge unironisch anti-feministischen Content gibt, auf den kein Aufschrei nach Reflexion folgt, ist unser Ironieverständnis auch nicht so ein großes Problem?
Jedenfalls spekulieren alle über Carpenters Gesinnung, weibliche Unterwerfung wird lautstark kritisiert, wahrscheinlich wird die Sängerin mit ihrem Album jede Menge Geld verdienen und vielleicht steigt sogar der unironische Absatz von Handschellen mit Plüsch und kinky Sextoys wieder an. Win, win, win - well played.
Ich denke, wir können keine weibliche Selbstbestimmung fordern, um Frauen dann vorschreiben zu wollen, welche Wahl sie zu treffen haben. Wir müssen auch die Freiheit der anderen aushalten können.
Choice Feminismus als Kritikpunkt ist ein Oxymoron. Die feministische Bewegung wird überleben, auch wenn ihre Anhänger*innen nicht immer feministisch handeln. Letztlich wird sie wahrscheinlich sogar deswegen lebendig bleiben. Und sich realistisch an den Bedürfnissen und Limitierungen derjenigen orientieren, die sie voran treiben.
Du möchtest meine Arbeit unterstützen, aber nicht das 1000. Abo irgendwo abschließen, nur um es aus den Augen zu verlieren und umständlich kündigen zu müssen? Feel you.
Wenn du diesen Newsletter heute besonders magst, kannst du mir auch einfach einmalig dafür einen Kaffee spendieren:
https://ko-fi.com/cleolibro (Opens in a new window)Herzlichen Dank!
In der neuen Folge meines Podcasts “Cleophonie - Sprachnachricht von Cleo” geht es auch um das Treffen einer Wahl. Nämlich die Wahl der sexuell unterwürfigen Rolle - allerdings als Feministin:
https://steady.page/de/cleophonie/posts/26d11e2d-fdbc-4ba9-a203-7af508bfba94 (Opens in a new window)Sabrina Carpenters neues Album Cover erregt die Gemüter derjenigen, die diese Frage gerne mit “Nein.” oder “So nicht!” beantworten. Die Verunsicherung darüber, was nun Selbstbestimmung ist und was Verrat an der feministischen Sache, scheint größer zu sein, als gedacht.
In dieser Sprachnachricht teile ich meine Gedanken zu “Man’s Best Friend” und “Babygirl” mit dir und erkläre ein paar der komplexen Facetten von Unterwerfung. Und natürlich enthalte ich dir auch nicht vor, was ich davon halte, wenn Feminist*innen devot Sex haben möchten.
Mit einer Abo-Mitgliedschaft erhälst du Zugang zu dieser und allen anderen Folgen!
Was dir nie jemand sagt…
über Sex ab 50
In dieser Reihe stelle ich Menschen, die 50 Jahre oder älter sind, fünf Fragen dazu, wie sich ihr Sexleben entwickelt hat. Heute kommt Ella, 50, (Name geändert) zu Wort! Wenn du auch einmal dabei sein möchtest oder jemanden kennst, der*die interessiert ist, melde dich gerne bei mir!
Welche Stichworte beschreiben Sex ab 50 für dich am besten?
Ella: “Verbindung, slow burn, multiple Orgasmen, embodiment (also der Körper wird mehr "körperlich"), manchmal aber auch Angst vor dem älter aussehenden Körper.”
Was fühlt sich bei Sex ab 50 anders an als mit 30?
Ella: “Weniger Sport, mehr Verbindung. Sex spielt eine kleinere Rolle, weil eine gewisse Sättigung der körperlichen Seite da ist. Weil ich wild war, habe ich jetzt nicht den Druck, tausend neue Dinge oder Partner*innen auszuprobieren. Ich brauche das Ganze Drumherum an Sex-Spielzeug, Sex Parties, das "orgiastische Feiern" nicht mehr, um guten Sex zu haben.”
Worauf willst du heute beim Sex nicht mehr verzichten?
Ella: “Humor. Die Art von desire, die aus Liebe und weniger reiner Begierde entsteht (letzteres ist auch schön, but again, been there, done that).”
Ist dir Sex heute wichtiger oder unwichtiger als mit 30?
Ella: “Unwichtiger (das beinhaltet aber nicht Masturbation, vor allem, wenn ich single bin. Die bleibt wichtig, weil sie nur mir gehört).”
Was hat dir nie jemand über Sex ab 50 gesagt?
Ella: “Dass er anders sein soll als in den Jahren zuvor. Dass er stattfindet, vielleicht auch. Ich habe aber auch nie gedacht, dass ich 50 werde. Dachte altern passiert nur "anderen Leuten".
Das klingt lustig und naiv, aber wenn man sehr jung ist, denkt man eventuell nicht daran, dass Menschen, die so alt sind wie die eigenen Eltern, überhaupt irgendwas machen, was menschlich und zugleich interessant sein könnte.”
Vielen Dank, Ella, das war wundervoll direkt und prägnant und macht deutlich, dass sich auch ein Zustand der satten Zufriedenheit erreichen und gut darin leben lässt!
Passend zur Frage, wie frei unsere Wahl überhaupt sein kann - besonders im sexuellen Kontext - gibt es heute eine Buchempfehlung aus der Philosophie:

Und wenn du nach Orientierung zwischen Begriffen wie “Selbstbestimmung” und “Choice Feminismus” suchst oder einfach mal einen basalen Überblick über die Entwicklung und Errungenschaften der feministischen Bewegung bekommen willst, dann empfehle ich “Stand Up - Feminismus für alle”:

Und wer wissen möchte, wieso meine Wahl bei Dates schon lange auf die Limo anstatt auf den Cocktail fällt, der*die kann das in meiner neuesten Kolumne bei Tagesspiegel+ lesen:
Für mich bitte ein stilles Wasser! Wie ich lernte nur noch nüchtern zu daten (Opens in a new window)
Am 11. Juli werde ich zum ersten Mal eine Lesung moderieren! Und zwar liest die umwerfende Lisa Opel bei La Blutique, DEM Periodenladen in Berlin Fhain, zwei ihrer scharfen Kurzgeschichten vor. Es wird, man kann es erahnen, um hotte und non-chalante Darstellungen von Menstruationssex und anderen sexy Tabus gehen. Im Anschluss gibt’s dann noch ein Q&A mit Lisa und mir über Feuchtigkeit, Fantasien und die Kunst entspannt über Sex zu reden.
Tickets gibts unter diesem Link (Opens in a new window), beim Periodenladen. Lasst euch das nicht entgehen!

Einen Überblick über Veranstaltungen mit mir (Opens in a new window) erhälst du auf meiner Webseite!
Du möchtest mit mir über etwas, das du bei mir gelesen oder gehört hast, sprechen? Dann kannst du mich über meine Website (Opens in a new window) erreichen oder mir bei Instagram eine DM (Opens in a new window) schreiben. Ich freue mich auf deine Gedanken!
Danke für’s Lesen und liebe Grüße von
Cleo
Merci an die subscriber des Newsletters für euren Support! Und merci beaucoup an die Abo-Mitglieder, die mit ihrem Beitrag meine Arbeit unterstützen und auch kostenlosen Content möglich machen <3