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#13: Geld verdienen, vergleichen, verteilen

“Geld bedeutet für mich Sicherheit”, sagte ich zu einer Freundin, während wir Limo trinkend auf meinem Balkon saßen. “Das ist für mich ganz anders", antwortete sie, “Ich fühle Sicherheit in Gemeinschaft und Geld ist für mich ein notwendiges Übel.” 

Dieses Gespräch ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her, aber ich kann immer noch spüren, wie wenig ich ihre Sichtweise nachvollziehen konnte. Mit Geld konnte ich mir doch Unterstützung kaufen? Andere Leute für die Dinge oder Dienste bezahlen, die ich selbst nicht oder nicht alleine zu Wege bringen kann. Und abseits dieser Transaktion schuldete ich ihnen nichts. 

Wieso sollte ich meine beruhigende, finanziell basierte Unabhängigkeit eintauschen wollen gegen eine Gemeinschaft, in der man zwar Verantwortung unter mehreren Menschen aufteilen kann, aber eben auch immer auf andere angewiesen ist? Abhängig sein. Dann könnte ich ja gar nicht allein entscheiden, was wann und wie passieren soll.

Mein Gefühl der Ablehnung gegenüber dieser Idee war stark. Mir eine große Hausgemeinschaft wie die der Freundin vorzustellen, die Ressourcen teilte und gemeinsam Entscheidungen traf, kam mir langsam und unfrei vor. Aber der Gedanke an Ehe, geteiltes Heim und Kernfamilie schien mir immer noch normal und die Aussicht auf ein zukünftiges Gemeinschaftskonto mit einem romantischen Partner sinnvoll. Wie passt das zusammen?

Cleo live

Im September wird die Sommerpause vorbei sein und dann gibt es Lesungen aus meinem Buch “Gleichstellung” auch wieder live:

09.09. 20 Uhr: gemeinsam mit Matthias Kreienbrink im Kino Union, Berlin Friedrichshagen (Tickets gibt’s hier (Opens in a new window))

16.09. 18:30 Uhr: Lesung und Q&A im Sisu Lou Buchcafé in Braunschweig

21.09. Brunch: Lesung und Diskussion im Liosalon bei Lio Brix in Berlin-Kreuzberg

Heute dämmert mir so langsam, was die Freundin gemeint haben könnte, als sie explizit von der Sicherheit in einer Gemeinschaft, einem Netzwerk an Menschen sprach, das weiter gespannt ist als die Nuklearfamilie. Und auch, wieso sie die Nähe zu anderen Menschen als sicherer empfindet als ein gefülltes Sparschwein.

Geld und Erwartungen 

Geld ist für viele Menschen ein Konfliktthema in ihrer Beziehung zu sich selbst und ihren Partner*innen. Zu wenig davon zu verdienen, zu wenig zur Verfügung zu haben oder zu viel Geld für die falschen Dinge und zu wenig für die richtigen auszugeben, hat bestimmt bei den meisten schon zu Stress geführt. Mich finanziell auf eigene Beine zu stellen und mich auch darauf verlassen zu können, wurde mir als oberstes Gebot beigebracht. Finanziell unabhängig zu sein, besonders als Frau. 

Aber was ist, wenn das nicht (mehr) klappt? Wenn ich zu dem Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr genug Geld habe, bisher nur in mein erfolgloses Aktiendepot anstatt in ein Support-Netzwerk investiert habe, dann gucke ich ganz schön dumm aus der Wäsche. Und wenn ich eine andere Einzelperson als alleiniges Auffangnetz betrachte, dann legt das einen hohen Druck und eine große Verantwortung auf eben nur ein einziges Paar Schultern. Vor allem in den Fällen, in denen romantische Gefühle die Basis der Verbindlichkeit zwischen den Beteiligten bilden, können wir häufig beobachten, dass dieser Druck und die Erwartung, alles für einen anderen Menschen sein zu müssen, auch der*die finanzielle Versorger*in, eben diese Basis auch schnell wieder zermürben können.

Sehr deutlich spürbar wird der Druck, laut dem SPIEGEL Magazin, wenn man sich die heteronormativen Ehen anschaut, in denen das klassische Verdienst-Verhältnis umgekehrt ist - sprich, in denen die Frau ein höheres Einkommen mit nach Hause bringt als ihr Mann. In dem Artikel mit dem leicht überzogenen Titel “Hilfe, mein Mann verdient weniger als ich!” (Opens in a new window) werden die Ergebnisse des neuesten deutschen Sozialberichts (von November 2024) besprochen, der herausstellt, dass Frauen nur in 10% der Fälle mehr zum Haushaltseinkommen beitragen als ihre Partner. In Haushalten mit Kindern verzeichnete man nur 8%. 

Der Artikel fährt fort mit dem kurzen Interview einer solchen Hauptverdienerin, die ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck bringt, dass sie sowohl mehr Brötchen verdiene als auch noch die buchstäblichen Brötchen in Form von Einkäufen mit nach Hause bringen müsse, weil ihr Mann das meistens nicht übernehmen würde. In ihrer Beziehung käme es regelmäßig zum Konflikt über das Ungleichgewicht in der Übernahme von Erwerbs- und Sorgearbeit. Heißt, die Interviewte übernahm immer noch mehr Arbeit im Haushalt als ihr Partner, obwohl der aufgrund seiner Arbeitslosigkeit mehr Zeit Zuhause verbrachte. Zu dem Verantwortungsdruck, dass das Überleben der Familie von ihr abhängig sei, gesellten sich auch noch tagtägliche Machtkämpfe innerhalb der Beziehung.

Ich möchte an dieser Stelle nicht den ganzen Artikel nacherzählen, aber es melden sich noch unterschiedliche Paartherapeuten und Soziologinnen zu Wort, die wahlweise behaupten, Frauen müssten halt jetzt bei der Berufswahl mal anfangen mitzudenken, dass sie auch ihren Mann mitversorgen müssen, wenn sie gleichgestellt leben wollen (unverschämt). Oder dass die guten alten Rollenbilder daran Schuld seien, dass sich Paare mit “umgekehrtem” Einkommensverhältnis darin unwohl fühlten und die Männer deswegen aus Angst um ihre schwindende Männlichkeit erst recht keine Sorgearbeit übernehmen und die Frauen aus Sorge um sein verletztes Ego im Haushalt sogar nochmal eine Schippe drauflegen würden (unverhältnismäßig). 

Jedenfalls finden weder der SPIEGEL noch die zitierten Expert*innen eine Lösung, sondern hoffen leise, dass das Problem in Zukunft dadurch von selbst verschwinde, “dass Krisen und wirtschaftliche Unsicherheit am Ende zu mehr Gerechtigkeit führen könnten. Gerade jungen Frauen wird stark dazu geraten, wirtschaftlich unabhängig zu werden, statt sich darauf zu verlassen, dass die Partnerschaft hält und sie im Alter durch andere versorgt werden”, so Soziologin Jutta Allmendinger.

Das “Problem”, von dem hier die Rede ist, ist nicht das Risiko, dass ein Gehalt allein irgendwann auch für den Lebensunterhalt eines oder einer Einzelnen nicht reicht. Das “Problem” ist hier nur das Unwohlsein der Geschlechter mit einem umgekehrten finanziellen Machtgefälle von Frau zu Mann. 

Aber das Problem, auf das wir gerade durch besagte “wirtschaftliche Krisen” zusteuern, ist doch, dass beide trotz Vollzeitverdienst immer prekärer leben werden. Was hilft mir mein eigenes Einkommen als Frau, wenn ich damit nicht überleben kann. Das Erreichen meiner Unabhängigkeit liegt in diesem Fall hauptsächlich nicht in meiner Entscheidung, sondern in fairer Bezahlung.

Und was die angesprochene unsichere Versorgung durch andere im Alter angeht, kann ich mir gut vorstellen, dass Allmendinger recht behält, wenn man sich alleine auf den*die Partner*in oder etwaige Kinder bezieht. Aber wie war das nochmal mit der Idee einer Gemeinschaft, die sich anders aufstellt als die Kernfamilie? 

Was für mich erst einmal abschreckend (Abhängigkeit) oder utopisch (unklare Umsetzbarkeit) geklungen hat, wird abseits der heteronormativen und mono-normativen Vorstellungen von Familie bereits in Ansätzen gelebt: queere Kollektive, Poly-Patchwork-Familien oder Alters-WGs unter Freund*innen teilen Ressourcen wie Wohnraum, Geld und Sorgearbeit und unterstützen sich gegenseitig auch über Generationen hinweg in Hausgemeinschaftsprojekten wie dem meiner Freundin vom Anfang. 

Wie es klappen kann, sich auch als Freund*innen und vor allem in Gruppen, die größer sind als die ewige 2, gegenseitig zu supporten und Sicherheit zu geben, erklärt die Soziologin und Beziehungsberaterin Dr. Andrea Newerla in ihren Workshops und in ihrem bald erscheinenden Buch “Wie Familie, nur besser - Wie wir neue Formen des Zusammenlebens gestalten” (Opens in a new window). Ich schätze ihre Arbeit und Expertise sehr und freue mich deshalb wie eine Schneekönigin auf diesen neuen Wissensschatz. 

Weil ich spüre, dass mir noch der Mut fehlt, nicht nur romantische Beziehungen anders zu leben, sondern auch diese Glorifizierung der Unabhängigkeit des Individuums abzulegen. Denn Abhängigkeit ist nichts, das wir in unserem System tatsächlich verhindern können. Und sie wird nur dann wirklich gefährlich, wenn es nur einen einzigen Anker gibt, der uns hält. Doch wenn es viele gibt, geraten wir nicht direkt in Not, nur weil mal eine Kette reißt.

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Was dir nie jemand sagt…

über Sex ab 50

In dieser Reihe stelle ich Menschen, die 50 Jahre oder älter sind, fünf Fragen dazu, wie sich ihr Sexleben entwickelt hat.

In Gespräch Nummer fünf hat mir die promovierte Biologin und Autorin Meike Stoverock, fast 51, Rede und Antwort gestanden. Ja, richtig gelesen, ihr Name ist dir in diesem Newsletter schon einmal begegnet. Ich werde nämlich nicht müde eines ihrer tollen Bücher zu empfehlen: “Female Choice - Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation (Opens in a new window)”.

Meike Stoverock hostet allerdings auch den sehr hörenswerten Geschichtspodcast “Olle Kamellen” (Opens in a new window) und schreibt regelmäßig in ihrem Newsletter “Amor und Psyche (Opens in a new window)” und in den sozialen Medien (Instagram @meikestoverock, Bluesky (Opens in a new window)) über eine interessante Mischung aus mental health, Politik und Zwischenmenschlichem. Schau rein!

Wenn du auch einmal Teil der Interview-Reihe sein möchtest oder jemanden kennst, der*die interessiert ist, melde dich gerne bei mir!

Welche Stichworte beschreiben Sex ab 50 für dich am besten?

Meike: “Authentischer, mit mehr Respekt für meine eigene Lust, nicht mehr so sehr gefärbt durch gesellschaftliche Normen. Mit 30 habe ich den Druck, vaginale Penetration als das Nonplusultra zu sehen, noch viel stärker gespürt.”

Was fühlt sich bei Sex ab 50 anders an als mit 30?

Meike: “Zu wissen, dass männliche Zärtlichkeit nicht bedeutet, dass der Mann etwas für mich empfindet. Das war früher ein Einfallstor für schmerzhafte emotionale Verstrickungen, die für mich meist mit Liebeskummer endete.”

Worauf willst du heute beim Sex nicht mehr verzichten?

Meike: “Meine klitoralen Orgasmen ohne vaginale Penetration.”

Ist dir Sex heute wichtiger oder unwichtiger als mit 30?

Meike: “Sowohl als auch. Das patriarchal geprägte Standardprogramm ist mir heute unwichtiger als früher, in diesem Rahmen ist es für mich reizlos, mich mit Männern zu treffen. Meine Ansprüche an Sexualität sind gewachsen und eine Lust, in der sie erfüllt werden, ist mir mindestens genauso wichtig wie mit 30, wenn nicht sogar wichtiger.”

Was hat dir nie jemand über Sex ab 50 gesagt?

Meike: “Dass sich die eigene Sexualität entwickeln kann und darf. Sie darf stärker oder schwächer werden, Neigungen und Fetische können auftreten oder an Reiz verlieren, der persönliche Fokus darf sich verschieben. Und dass man nicht nur unter 35 seine Sexualität entdecken und ausleben kann.”

Vielen herzlichen Dank dafür, liebe Meike, für deine einsichtsreiche Arbeit und dass du dir die Zeit genommen hast, in deinen klaren Antworten herauszustellen, dass ein Fokus auf die eigenen sexuellen Bedürfnisse auch für die psychische Gesundheit von Vorteil ist und in jedem Alter Platz haben sollte!

Empfehlungen

In einem Newsletter über das Geld verdienen und die Unterschiede der Gehälter darf die Lektüre von Mareice Kaisers Arbeit nicht unerwähnt bleiben. Deswegen gilt meine Leseempfehlung dieses Mal ihrem Sachbuch “WIE VIEL - Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht”:

Was wir allerdings immer noch viel zu oft mit Geld machen, ist, darüber zu schweigen, wie viel wir davon verdienen, (ver)erben oder ausgeben. Deshalb haben Mia Gatow und ich den CA$HLETTER gegründet. Einen Mail-Verteiler für Schreibende, die mit ihren Texten Geld einnehmen und sich anonym darüber informieren wollen, wie hoch aktuell ihre Honorare für Artikel, Moderationen oder Bücher sind.

Einmal im Quartal versenden wir eine anonyme Umfrage an alle Leute im Verteiler, werten sie aus und versenden dann die Ergebnisse als Newsletter. Wer den ersten CA$HLETTER empfangen und sich im Oktober an der nächsten anonymen Umfrage beteiligen möchte, der*die kann sich bei mir mit einer formlosen E-Mail an cleo.libro@gmail.com (Opens in a new window) dafür anmelden. The more, the merrier, the aussagekräftigere Daten ;-)

Events

Kommt zahlreich zu meiner gemeinsamen Lesung mit Matthias am 09.09. ins Kino Union in Berlin Friedrichshagen! Tickets gibt es hier (Opens in a new window)(sind auch nicht teuer 😉):

Wir freuen uns auf euch!

Kontakt

Du möchtest mit mir über etwas, das du bei mir gelesen oder gehört hast, sprechen? Dann kannst du mich über meine Website (Opens in a new window) erreichen oder mir bei Instagram eine DM (Opens in a new window) schreiben. Ich freue mich auf deine Gedanken!

Danke für’s Lesen und liebe Grüße von

Cleo

Dank

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Topic Cleographie

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