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Wenn sich trans Personen nicht auf das Gesundheitssystem verlassen können

Behandlungen werden von Krankenkassen oft nicht übernommen und den Ärzt*innen selbst fehlt Wissen – nicht nur was Transitionen anbelangt, oft sehen sie in der Genderidentität einer trans Person die Ursache für andere Beschwerden. Also hilft sich die Community selbst. Ein Rant über den Status Quo von Kuku Schrapnell.

Es ist schlecht bestellt um die Gesundheitsversorgung von trans Menschen in Deutschland. Das beginnt schon bei dem normiert vorgeschriebenen Ablauf, durch den eine Person muss, die transitioniert. 

Zuerst muss man – vorausgesetzt man findet einen transsensiblen Therapieplatz – eine Psychotherapie machen. Während die durchschnittliche depressive oder angstgestörte Person im Schnitt bis zu sechs Monate auf einen Therapieplatz warten muss, kann sich die Wartezeit für Therapeut*innen, die als transsensibel bekannt sind, häufig noch länger ziehen. Wer allerdings auf transfeindliche Therapeut*innen trifft, wird meist um Monate auf dem eigenen Weg zu einem erfüllteren Leben zurückgeworfen.

Doch auch nach abgeschlossener Therapie und mit ausgestelltem Indikationsschreiben, das empfiehlt und bestätigt, dass eine Behandlung der Geschlechtsdysphorie helfen würde, ist noch lange nicht alles geklärt. Als nächster Schritt steht für die meisten die sogenannte Hormonersatztherapie an. Auch wenn für die Begleitung prinzipiell jede Praxis für Endokrinologie, Urologie oder Gynäkologie geeignet wäre, ist auch hier die Trefferquote, was sensible Behandler*innen angeht, gering. Hinzu kommt bei den Behandelnden häufig ein immenses Unwissen über das, was sie eigentlich tun sollen. 

Es gibt wenige medizinische Studien zur Hormongabe. Stattdessen werden die durchschnittlichen Werte von cis Männern und Frauen als Referenz genommen. Häufig ist in der Community deutlich mehr Wissen zu finden, wie mit bestimmten Hormonleveln, Bedürfnissen und plötzlichen Veränderungen umzugehen ist, als in den Praxen, in denen eigentlich Expert*innen sitzen sollten. Das Wissen wird vor allem durch den Austausch und Ausprobieren gewonnen und weitergegeben. Das erfüllt zwar nicht unbedingt wissenschaftliche Standards, aber den Zweck.

Für viele Personen ist der nächste Schritt eine oder mehrere geschlechtsangleichende OPs. Während manche Psychotherapeut*innen die Indikation für die Hormontherapie oftmals schon nach der ersten Sitzung ausstellen, sind in den Richtlinien der Krankenkassen für die OPs deutlichere Maßgaben gesetzt. So verlangen die Krankenkassen eine mindestens sechsmonatige Therapie und noch ein paar andere eher bürokratische Dinge, wie einen trans Lebenslauf, bis man einen Antrag auf Kostenübernahme stellen kann. Oft wird dieser dann aber beim ersten Mal durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen abgelehnt, da es gar nicht so einfach ist, alle erforderlichen Dokumente, in denen dann auch noch exakt das Richtige steht, zusammenzubekommen. 

Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen gilt nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom Oktober 2023 aktuell aber nur noch für binäre trans Personen – und auch für diese gibt es aktuell kaum Sicherheit. Immer mehr Personen berichten, dass die Krankenkassen sich weigern, die OPs zwischen 5000 Euro für eine Gesichtshaarentfernung und bis zu 70.000 Euro für eine Facial Feminization Surgery zu zahlen. 

Immerhin lassen sich für diese spezifischen Transitions-Behandlungen insbesondere in Großsstädten noch Expert*innen und sensible Praxen finden. Wer aber Probleme mit der Lunge oder den Gelenken hat, steht vor der Herausforderung, die Allgemeinmedizin konsultieren zu müssen. Viele Ärzt*innen können, wenn sie einmal das Wort trans gehört haben, an nichts anderes mehr denken. Nicht umsonst gibt es in der Community die Rede vom „trans broken arm syndrome“, bei dem Behandler*innen selbst bei einem gebrochenen Arm noch davon ausgehen, dass der wahre Grund für das Unwohlsein vielleicht doch etwas mit den Hormonen oder anderen Teilen der Geschlechtsidentität zu tun hat.

Häufig liegt es dann an den Patient*innen selbst, die entsprechende Aufklärungsarbeit zu machen, auch oft über die eigene akute Situation hinaus. Ein befreundeter trans Mann erzählte mir, dass er noch in den Wehen liegend der Hebamme das mit dem Trans-Sein erneut erklären musste, weil diese auch jemanden in ihrem Umfeld hatte und noch ein paar Fragen hatte.

Es wundert nicht, dass es am Ende häufig die Communitys sind, die einen großen Teil der Aufgaben des Gesundheitssystems übernehmen: entweder finanziell, weil die Krankenkasse nicht zahlen will, oder weil sie mit Wissen aushelfen, wenn kein*e Ärzt*in einen hilfreichen Rat hat, oder wenn sie Kranke pflegen, weil sich viele doch lieber auf Hausmittel und Auskurieren verlassen, als in eine Praxis zu gehen und dort womöglich krank noch diskriminiert zu werden.

Es gibt sogar Gruppen, die selbst die Hormone herstellen, weil die staatliche Versorgung weltweit zu unsicher ist oder verschiedene Präparate in einigen Ländern nicht zugelassen sind. Friends setzen sich gegenseitig die Hormonspritzen, um nicht auf Praxen angewiesen zu sein, oder helfen sich mit den unterschiedlichen Gels und Pillen aus, weil mal wieder die Zeit bis zum nächsten Termin überbrückt werden muss.

Trans-Sein im deutschen Gesundheitssystem muss aber auch aus einer Klassenperspektive betrachtet werden: Das größte Gesundheitsrisiko bleibt Armut und trans Menschen sind überdurchschnittlich oft arm oder prekär. Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass trans Personen drei Mal so häufig wie cis Menschen an Hunger leiden, weil sie sich die Lebensmittel nicht leisten können. Die Brüche im Lebenslauf durch Outing und die damit verbundene Diskriminierung sorgen dafür, dass die aus der Geschlechtsidentität resultierende Ausgrenzung meist auch materielle Folgen hat, so wie bspw. die Schwierigkeit, einen guten Job zu finden.

Auch Prävention wie gesunde Ernährung und Sport oder ein bezahlbarer, sicherer Wohnraum zahlen aufs Gesundheitskonto ein. Das Stresslevel für trans Personen ist durch die alltägliche Konfrontation mit Diskriminierung in vielen Bereichen stark erhöht. Wer arm ist, kann sich Gesundheit oft nicht leisten. 

Am Ende ist es die Community, die hilft: Mal werden Soli-Partys veranstaltet, mal wird Geld per Fundraiser gesammelt. Um der Gängelung durch die Krankenkassen zu entgehen, entstehen vermehrt Sozialkassen für trans, inter und nicht-binäre Menschen, die auf kollektive Bestrebungen setzen. Gemeinsam gesammelte Spenden werden an verschiedene trans Personen ausgezahlt, damit sie sich OPs und geschlechtsaffirmierende Eingriffe leisten können. Solidarisch eben. Das Portal queermed versucht außerdem, Community-Erfahrungen mit einzelnen Behandler*innen zu bündeln und zu veröffentlichen.

Bis zu einer Gesundheitsversorgung von trans Menschen, die den Namen auch wirklich verdient, ist es aber trotz der Bemühungen aus der Community noch ein weiter Weg. Das Bundessozialgericht sagt, der Gemeinsame Bundesausschuss solle sich um eine Lösung mit den Krankenkassen kümmern. Der Gemeinsame Bundesausschuss hingegen verweist auf den Gesetzgeber. Und der besteht gerade aus CDU und SPD – was nichts Gutes verspricht.  

Dieser Text (Opens in a new window) erschien zuerst in der Missy 04/25 (Opens in a new window).

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