„Kinder und Jugendliche werden gezielt angeworben“
INTERVIEW / RECHTSEXTREMISMUS IN DER LAUSITZ
Juli 2025
Sprembergs Bürgermeisterin sieht den Strukturwandel in Gefahr, wenn den Rechtsextremen nicht energischer begegnet wird. Deren Auftreten und Mitgliederwerbung zeigen eine neue Qualität, ist Christine Herntier überzeugt.

Frau Herntier, Sie bekommen für Ihre Wortmeldung zum Rechtsextremismus in Spremberg große überregionale Aufmerksamkeit. Wie reagieren die Sprembergerinnen und Spremberger darauf?
Es gab in den zurückliegenden Tagen unglaublich viele Reaktionen in den sozialen Medien, viele E-Mails und viele persönliche Gespräche. Ich habe festgestellt, es gibt einen kleinsten gemeinsamen Nenner in Spremberg: Niemand will die Stadt rechts sehen.
Trotzdem sind in Spremberg Rechtsextreme aktiv, insbesondere von der Kleinstpartei III. Weg. Warum gerade hier?
Das wüsste ich auch gern, warum die sich ausgerechnet Spremberg aussuchen. Ich weiß nur, wir müssen da etwas tun. Seit Ende 2024 sind die sehr sichtbar mit ihren Aufklebern und den Schmierereien am Bahnhof. Ich wünsche mir Erkenntnisse dazu von den Sicherheitsbehörden, damit wir handeln können.
Kommt da zu wenig von Polizei und Landespolitik?
Wir hatten zum Gespräche mit der Polizeidirektion zum Jahresanfang. Die haben damals eingeschätzt, das ist nicht so schlimm. Ich kann das nicht mehr nachvollziehen. Diese Gruppierung stand mit Infostand in der Langen Straße und hat das als große Aktion in Social Media beworben. Zu mir kommen viele Bürger und erzählen mir von ihren Erlebnissen mit Rechtsextremen oder auch im eigenen Umfeld. Sie sagen, dass sie verängstigt sind, und fragen mich, was wir tun.
Brandenburgs Innenminister hat Ihnen bereits öffentlich Unterstützung versprochen. Was erwarten Sie vom Land?
Wir haben am Freitag ein Gespräch mit Verfassungsschutz, Polizei, Schulamt und dem Team der Mobilen Beratung. Denn das wirklich Widerliche an diesen Aktionen ist, dass gezielt Kinder und Jugendliche angeworben werden. Das kann man nicht hinnehmen. Wir brauchen mehr Schulsozialarbeiter und mehr pädagogisch ausgebildetes Personal an den Schulen, das versiert ist in Medienbildung und auch politische Bildung übernehmen kann. Denn vieles, was sich bei uns im öffentlichen Raum äußert, passiert über die sozialen Medien und trifft die Jugendlichen unvorbereitet. Da müssen wir dringend etwas tun.
Sie sind schon lange Lokalpolitikerin. Haben Sie so etwas schon erlebt?
Nicht so. Wir hatten massive Probleme mit gewaltbereiten Rechtsextremen in den 2010er Jahren. 2015 und 2016 war das extrem. Immer wenn der Verfassungsschutzbericht erscheint, suche ich sofort nach Spremberg. In den letzten Jahren kamen wir darin zum Glück nicht mehr vor. Und das soll auch so bleiben!
Sprechen wir in der Lausitz zu wenig über Rechtsextremismus?
Ich fürchte ja. Ich habe 2014 schon angesprochen, wir müssen darüber nachdenken, wohin sich die Lausitz entwickelt. Da hieß es noch: Bloß die Region nicht schlecht reden. Das dürfen wir auch nicht. Es gibt hier einen Aufschwung, den müssen wir auch öffentlich vertreten. Man darf nicht hinnehmen, dass das konterkariert wird. Aber man darf nicht so tun, als wäre da nichts, die Schmierereien sind schließlich für jeden sichtbar.
Sie haben beklagt, die wirtschaftlichen Erfolge seien vielen Bürgern nichts wert. Was meinen Sie damit?
Spremberg ist eine Stadt mit starker Wirtschaft und steht finanziell gut da. Das kommt daher, dass wir uns früh getraut haben, unseren Industriepark in Schwarze Pumpe für die Zeit nach der Kohle fit zu machen. Damit sind wir weiter als andere Standorte. Wir können viele Vereine unterstützen, müssen keine Gebühren erhöhen wie andere Kommunen. Aber das wird von vielen nicht gesehen. Es wird auch nicht erkannt, dass wir diesen Wohlstand der Transformation verdanken. Die sehen viele Bürger skeptisch und negativ.
Seit der Kommunalwahl im Juni 2024 ist dieser skeptische Ansatz in Ihrem Stadtparlament sehr stark vertreten.
Ja, wir haben eine große Gruppe von Abgeordneten, die gegen die industrielle und auch gesellschaftliche Transformation sind. Da werden die ganz großen Themen aufgemacht: Es geht um Renten, den Ukrainekrieg, den Ärztemangel. Das passiert in Sitzungen, aber auch in den sozialen Medien. Dabei gibt es Dringendes, worüber wir uns hier in Spremberg einig werden müssen. Etwa wie es weitergehen soll mit unserem Industriepark, wenn wir uns nicht durchringen, Energieprojekte in der Stadt zuzulassen. Ohne grünen Strom aus der Nähe kommen keine Investoren und unsere Bemühungen der letzten Jahre waren umsonst. Darüber müssen wir reden.
Christine Herntier, 68, ist seit 2014 parteilose Bürgermeisterin von Spremberg. Die studierte Ingenieurökonomin war Mitgründerin des Textilunternehmens Spremberger Tuche, das 2012 schließen musste. Als Bürgermeisterin verhandelte Herntier 2018 in der Kohlekommission die Bedingungen für Deutschlands Kohleausstieg. Sie ist Initiatorin des Kommunalbündnisses Lausitz-Runde.
Mit Christine Herntier sprach Christine Keilholz.