Skip to main content

Strukturwandel begünstigt Männer

KOLUMNE / FRAUEN

Viele Kohleregionen Europas zeigen antidemokratische Tendenzen. Ein Grund dafür: Der Strukturwandel ist auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichtet. Es fehlen Frauen, die entscheiden.

von Franziska Stölzel

  1. März 2024

Regionen im Strukturwandel neigen dem Populismus zu. Das ist nicht nur eine Wahrnehmung, gespeist aus Nachrichten über rechtsextremistische Vorfälle, wie wir sie aus der Lausitz nur zu gut kennen. Wir sehen es an den Wahlprognosen und auch an unserem Umfeld. Und es ist europaweit zu beobachten.

Das Projekt „Carbon Intensive Regions in Transition“ (CINTRAN (Opens in a new window)) untersucht verschiedene Energietransformationsorte in Europa. Es geht hauptsächlich um die Verfügbarkeit und die Umsetzung von Ressourcen. Im Abschlussbericht wird erklärt, dass Energieregionen extrem traditionell sind und es daher konservative oder populistische Ansichten leicht haben. Als Vertreterin der Lausitz war ich Anfang März bei der CINTRAN Acedemy in Brüssel (Opens in a new window) dabei. Dort haben meine Kolleg:innen die Projektergebnisse einigen EU- Abgeordneten vorgestellt. Ein Thema bestimmte dort alle Vorträge: die Sorge um die Demokratie in den Regionen, die den Ausstieg aus der Kohle bewältigen müssen.

Von Schlesien bis zum Rheinischen Revier, von Ida-Virumaa in Estland bis Westmakedonien zeigen Wahlergebnisse eine zunehmende Radikalisierung. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Doch einer geht auf einen politischen Fehler zurück: Der Strukturwandel in den Kohleregionen ist von Männern für Männer gemacht.

Erhalt von Privilegien

Bergbau ist eine zutiefst männliche Angelegenheit. Wo immer Kohle, Gas und Öl gewonnen werden, sind die Familienstrukturen männlich dominiert. Das klingt noch immer durch, wenn man in Betriebsräte hineinhört. Da gelten Frau und Familie als Helferstruktur für den Alleinverdiener. Männer haben ein höheres Einkommen und arbeiten länger. Frauen werden in politische Prozesse selten einbezogen, denn sie werden gar nicht als Akteurinnen angesehen. Ihre Arbeit im Haushalt entspricht der traditionellen Rolle und bleibt weitestgehend unbezahlt. Die Zivilgesellschaft ist abgesehen von Bergmannsvereinen, Fußball und Feuerwehr - eher schwach, weil auf das Engagement von Frauen wenig Wert gelegt wird. Das haben Forschende bereits in einigen Studien herausgefunden.

Das ändert sich auch durch den Wandel der Wirtschaft nicht. Nach dem Kohleausstieg starten zwar mehr Frauen ins Erwerbsleben, das muss aber nicht an mehr Anerkennung liegen, die ihnen zuteil wird. Es kann auch einfach Notwendigkeit sein. Jedenfalls entspricht es selten dem, was sich junge Frauen für ihr Arbeitsleben wünschen. Das kenne ich aus meinem Freundeskreis. Die Gründe, die Lausitz zu verlassen, haben nicht nur damit zu tun, dass es in Berlin mehr Kultur, mehr Diversität und mehr Lohn gibt. „Mich nervt das Meckern und die Haltung der Menschen“, sagte mir eine Freundin aus Weißwasser, die seit Jahren in Berlin lebt. Kommt sie mal zu Besuch, sind viele unzufrieden mit den Lebensbedingungen, obwohl die gar nicht so schlecht seien. Kaum jemand aber möchte sich selbst einbringen, um etwas besser zu machen.

Das kommt auch daher, dass die Prozesse im Strukturwandel wenig partizipativ sind. Die Politik vermittelt den Eindruck, das für die Menschen zu übernehmen. Für Ansiedlungen und Arbeitsplätze zu sorgen und eine Lebensqualität praktisch herbeizufördern. Das zielt auch darauf ab, gesellschaftliche Machtverhältnisse etwa zwischen den Geschlechtern - eher zu erhalten als zu verändern. Diejenigen, die für den Erhalt von Privilegien kämpfen, sind selten die treibenden Kräfte fairer Veränderungsprozesse.

Dabei zeigt sich, dass Frauen, wo man sie lässt, für eine ganz neue Lebensqualität sorgen können. Frauen finden Erfüllung und Anerkennung in eigenen Projekten, die in den Transformationsregionen zwar rar aber dafür recht erfolgreich sind. Ein gutes Beispiel ist die Nachbarregion Turów in Polen mit dem Projekt Zklaster (Opens in a new window). Hier dominieren engagierte Frauen die nachhaltigen Energiestrukturen. Erst nachdem sie sich in diesen selbst aufgebauten Projekten bewiesen haben, dürfen Sie manchmal beratende Positionen einnehmen. Eine Stimme haben sie deshalb noch lange nicht.

Frauen arbeiten effizienter

Wir Forschenden geben in zahlreichen Papieren Ratschläge (Opens in a new window) für eine nachhaltige und gerechte Transformation. Schlüsselaufgabe ist der Kampf gegen extremen Wegzug, der die Familien zerreißt. Das wird nicht gehen ohne die Abschaffung von Ungerechtigkeiten bei Arbeit und Einkommen. An diesen Verbesserungen muss sich der Prozess messen lassen, nicht am Bruttoinlandsprodukt oder am ausgegebenen Fördergeld.

Noch eine Gemeinsamkeit der Strukturwandel-Regionen ist übrigens diese: Diejenigen, die den Strukturwandel vorgeben, arbeiten ganz anders als die Menschen, die ihn in den Regionen umsetzen. Konflikte wie unerfüllte Erwartungen, Zeitdruck, Zielverfehlung sind deshalb zu erwarten. Beide Seiten fühlen sich missverstanden und nicht wertgeschätzt. Konflikte verhärten sich und es folgt Stillstand.

Auch hier zeigen Umfragen und Auswertungen von Organisationen, dass die von Frauen geführten Teams effizienter arbeiten und ökonomisch besser aufgestellt sind. Das liegt vor allem daran, dass ihnen die Bindung zu Kund:innen und Mitarbeitenden wichtig ist, sie auf Vereinbarkeit von privaten und beruflichen Belangen Wert legen und sich für Entscheidungen mehr Zeit nehmen. Entgegen dem Klischee, Männer würden konsequenter führen, verteilen weibliche Führungskräfte Regeln und Aufgaben klarer. Weil eine Frau in Führung sich eher als Mentorin versteht, begegnet sie Mitarbeitenden auf Augenhöhe. Vor allem junge Menschen lehnen einen patriarchalen Führungsstil ab. Weibliche Führung heißt längst nicht mehr, die Ellenbogentaktik der Männerbünde zu kopieren. 


Topic Köpfe und Stimmen