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Herntier sagt, was geboten ist  

KOMMENTAR / RECHTSEXTREMISMUS IN DER LAUSITZ

Sprembergs Bürgermeisterin redet offen über Neonazi-Umtriebe in ihrer Stadt. Das zeigt eine neue Qualität des Umgangs mit einem alten Problem, das der Lausitz schadet wie kein anderes.

von Christine Keilholz

  1. Juli 2025

Spremberg bekommt seit einer Woche viel Aufmerksamkeit. Über den „wachsenden Einfluss von Neonazis in der Stadt“ berichtete die Tagesschau. Andere überregionale Medien nahmen das Thema auf. Das ist die Art von Berichterstattung, die sich keine Stadt wünscht. Als die Stadtverordneten am vergangenen Mittwoch zusammensaßen, richteten sich sowohl Zorn als auch Hoffnungen auf die Bürgermeisterin. Christine Herntier (parteilos) hat die Aufmerksamkeit selbst verursacht, indem sie rechtsextreme Umtriebe der Stadt ansprach.

Die Liste der Vorfälle, die Herntier im Amtsblatt zusammentrug, ist lang: verfassungsfeindliche Schmierereien, Verherrlichung Adolf Hitlers und die Umtriebe der rechtsextremen Partei III. Weg, die in der Fußgängerzone Kinder anspricht. Sie berichtete von Bürgern, die sie um Rat fragen, weil sie Angst hätten.

Nun drohen einige Stadtverordnete damit, ein Abwahlverfahren gegen die Bürgermeisterin einzuleiten. Wie der Potsdamer OB Mike Schubert (SPD) könne sie aus dem Amt gedrängt werden, tönte es aus der AfD-Fraktion, der stärksten im Spremberger Stadtparlament. Der Vorwurf: Sie habe mit ihren Äußerungen der Stadt Schaden zugefügt. Der Vorwurf ist absurd. Aber er verweist auf den falschen Umgang mit Rechtsextremismus, der in der ostdeutschen Lokalpolitik zu lange üblich war.

Scharf verurteilen, umdrehen, weitermachen

Wenn es um rechtsextreme Vorfälle geht, gibt es in Rathäusern und Ministerien einen Reflex: Scharf verurteilen und dann umdrehen und weitermachen. Gezeigt hat sich das in Burg im Kreis Spree-Neiße, als dort vor zwei Jahren Lehrer ihre Erfahrungen mit Schülern, Hakenkreuz-Schmierereien und verständnislosen Eltern publik machten. Es gab scharfe Worte des Ministerpräsidenten. Es wurden Präventionsmaßnahmen angekündigt. Dann ging es zum nächsten Thema.

Der Ruf von Rechtsextremismus ist ein Standortnachteil. Und für ostdeutsche Städte steht viel auf dem Spiel. Die nachholende wirtschaftliche Entwicklung ist schwer möglich, wenn einer Stadt oder einer ganzen Region das Stigma anhaftet, Hort von Neonazis zu sein. Hoyerswerda hat das schmerzhaft erfahren. Nach den Ausschreitungen von 1991 fiel die Stadt in eine Lethargie, weil Investoren lieber fern blieben. Was hätte an Entwicklung drin sein können für die Stadt mit der ikonischen Baustruktur, wäre sie nicht so lange in den Nachrichten gewesen mit Bildern von Hass und Brand? Aus dieser Erfahrung erwuchs die Praxis des Schweigens und der Abwehr. Doch die hat dem Image des Ostens wenig gebracht, den Agitatoren aber viel.

Die befürchteten Standortnachteile sind bereits da. Rechtsextremismus zeigt Wirkung, das lässt sich nicht nur in Umfragen nachlesen. Die gekippten Jugendclubs und die wachsenden Simson-Truppen sind Grund, warum junge Leute wegziehen. Rassismus im Alltag ist ein Grund, warum es wenig Zuzug gibt. Fehlende Offenheit für das Fremde ist der Grund, warum Fachkräfte wegbleiben.

Wegschweigen hat den Falschen genutzt

Selbst die Milliarden des Strukturwandels konnten das bisher nicht ausgleichen. Rechtsextremismus ist der Grund, warum die durch günstige Lage gesegnete Lausitz trotz all ihrer Affinität für Technologie und Entwicklung sich so sehr anstrengen muss, um positiv wahrgenommen zu werden. Deshalb hat es die wahrscheinlich beste Förderkulisse Deutschlands noch nicht geschafft, die magische Anziehungskraft einer Aufsteigerregion zu entfalten. Allenfalls bei Polit-Unternehmern vom rechten Rand, die die Chance wittern, eine Gemeinde zu rekrutieren.

Sonst war es die Zivilgesellschaft, die solche Dinge ansprach. Nun tut das eine Bürgermeisterin. Und das war geboten, denn Christine Herntier kann sich das leisten. Die 67-Jährige ist seit den Verhandlungen um den Kohleausstieg das Gesicht der Lausitzer Kommunalpolitik. Sie hat in der Kohlekommission hart verhandelt, um das Bestmögliche für die Lausitz herauszuholen. Sie hat mit der Lausitz-Runde eine neue Organisationsform für Kommunen hochgezogen. Sie steht nicht im Verdacht, die Lausitz schlecht reden zu wollen. Die Lausitz hat nicht viele starke und unabhängige politische Stimmen. Herntier ist eine.

Rechtsextremismus entgegenzutreten, ist nicht nur Aufgabe von Verwaltung, Verfassungsschutz und den Beratungsteams. Auch wir regionale Medien sind gefordert. Wir müssen das schiefe Bild gerade rücken, das entsteht, wenn überregionale Kolleginnen und Kollegen nur über rechtsextreme Erscheinungen aus unserer Region berichten. Auf der anderen Seite müssen wir das Wunschbild des regionalen Marketings korrigieren, das nur Erfolgsgeschichten erzählen will. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Probleme ansprechen, Schutz aus der Öffentlichkeit bekommen. Egal ob es die Bürgermeisterin ist oder der Sozialarbeiter oder ein direkt Betroffener. Das geht nur durch Berichterstattung und Debatte. Der Ansatz, ein aufpoliertes Image um jeden Preis aufrechtzuerhalten, ist der falsche.

Topic Politik