"Wir werden international wahrgenommen"
INTERVIEW / FESTIVAL-INTENDANT KÜHNEL ÜBER KULTUR UND STRUKTURWANDEL
Daniel Kühnel will die Lausitz zu einer Art Bayreuth machen. Nur eben 12.000 Quadratkilometer groß. Im Interview spricht der Intendant des Lausitz-Festival über die Herausforderungen der Fläche, die Nöte der Künstler und falsche Erwartungen der Kulturszene.
September 2023

Herr Kühnel, das Lausitz-Festival läuft zum vierten Mal. Eine international sichtbare Großveranstaltung zu etablieren, dauert natürlich. Wo stehen Sie?
Die Lausitz ist geographisch, kulturell und sozial eine heterogene Region und das Lausitz Festival ist ein Mehrsparten-Kunst-Festival. Es gibt Festivals etwa in Norddeutschland, die können sich auf eine Sparte konzentrieren. Und dort ist die Mentalität der Menschen bei weitem nicht so verschieden wie in der Lausitz. Wir haben hier eine weite Landschaft mit einer begrenzten Verkehrsstruktur in einer eher ländlich geprägten Gegend. Das sind alles spannende Herausforderungen, zumal für uns als kleines, erst allmählich entstehendes Team. An den Zugriffen auf unserer Webseite aus ganz Deutschland, Belgien, Österreich und Frankreich und dem gewachsenen medialen Interesse sehen wir allerdings, dass wir - obwohl wir ein junges Festival sind, dessen Start mit dem Beginn der Pandemie zusammenfiel - Erfolg haben und verstärkt international wahrgenommen werden.
Das Lausitz-Festival ist eine Strukturwandel-Maßnahme des Bunds, an die die Region hohe Erwartungen knüpft. Kann man dem überhaupt gerecht werden?
Strukturwandel-Maßnahme würde ich das nicht nennen, es ist ein Angebot, das Öffnen eines Raums der schönen Möglichkeiten. Wir haben vom Bund vier Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Das sind, gemessen an der Weite und Komplexität der Lausitz, letztlich beschränkte Mittel, um nachhaltig eine Festivalstruktur zu etablieren, die vielen Erfordernissen gerecht werden sollen. Solch ein Festival aufzubauen, ist ein Prozess und bedeutet, dass man nicht gleich im ersten oder zweiten Jahr alles Notwendige schon getan haben kann. Das müssen wir den Ländern, Gemeinden, den Theatern und Spielstätten, die mit uns zusammenarbeiten, immer wieder deutlich machen. Ein Festival nur in Cottbus oder nur in Hoyerswerda würde anders funktionieren. Einen weiten Raum zu bespielen, bringt Fragen mit sich, für die Antworten erst entwickelt werden müssen, Ganz einfaches Beispiel: Wie plakatiert man sinnvoll zwischen Doberlug-Kirchhain und Ebersbach-Neugersdorf? Oder müssen wir andere Mittel finden, um sichtbar zu sein? Es braucht Geduld.
Wie haben Sie den weiten Raum der Lausitz erschlossen?
Wir haben im Team einen Netzwerkverantwortlichen. Toni Jährig (Opens in a new window) ist gebürtiger Oberlausitzer und kennt sich bestens in der Region aus. Er fährt durch die Lausitz, nimmt Kontakt auf zu potentiellen Spielstätten und lotet aus, was wo möglich ist. Wir haben ein Buch aufgelegt mit 168 Spielstätten in der Lausitz, die wir erschlossen haben. Wir schreiben da nicht einfach, es gibt die Telux in Weißwasser (Opens in a new window), soundso sieht es da aus. Wir haben alle Informationen zusammengetragen, von Ausstattung bis zu Ansprechpartnern. Da sind Orte dabei, wo vorher nie etwas aufgeführt wurde, und wir helfen, solche Orte zu entwickeln. Das ist ein sichtbarer Effekt, den das Lausitz-Festival hervorbringt.
Was bedeutet das organisatorisch?
Vor allem eine ständige und freudige Weiterentwicklung. Wir haben jetzt mit den Gesellschaftern Cottbus und Görlitz eine gemeinsame länderübergreifende GmbH, sodass wir endlich auch anfangen können, längerfristig zu planen. Der Fördermittelzeitraum ist sehr kurz. Gerade wenn man Künstler holen will, die weit im Voraus verplant sind, ist das ein Problem, mit dem wir von Jahr zu Jahr umgehen mussten. Das könnte jetzt leichter werden.
Es gibt Kritik aus der Lausitzer Kulturszene, dass das Festival viel Geld für Hochkultur ausgibt, die mit der Region nichts zu tun habe und die Kulturschaffenden vergesse. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kenne diese Kritik. Aber zunächst mal: Viele Lausitzer Kulturschaffende arbeiten mit uns und nutzen das Festival gern, um Wunschprojekte zu verwirklichen und als eine Bühne. Darüber freuen wir uns. Wer einige unserer Originalproduktionen erlebt hat, weiß wie stark die Lausitz in unsere Veranstaltungen hineinwirkt. Der Strukturwandel, der uns jedes Jahr zu einem anderen Thema inspiriert, das wir künstlerisch umsetzen, ist immer präsent. Das Tanzprojekt „Gletscher (Opens in a new window)" beispielsweise ist von der ersten Idee bis zur Uraufführung in und aus der der Lausitz heraus entstanden. Aber wir müssen auch immer wieder klar machen: Wir haben nicht den Auftrag, Geld vom Bund an die Kulturbetriebe zu verteilen. Wir verwalten nicht einen Etat, aus dem die Kulturbetriebe Mittel beantragen können. Wir erhalten diese Mittel, um ein international sichtbares Festival aufzuziehen. Das ist etwas ganz anderes.
Woher kommt dieses Missverständnis?
Es ist diese Erzählung im Umlauf, dass durch das Lausitz-Festival wahnsinnig viel Geld bei den einzelnen kleinen Theatern landen wird. Das zeugt von einem grundsätzlichen Missverständnis. Das Geld wird nicht dem Festival zur Verfügung gestellt und dann verteilt. Das wäre uns gar nicht gestattet. Wir haben den Auftrag, ein Festival mit einer Mischung aus internationalen und aus lokalen Künstlern aufzuziehen und dies erfüllen wir. Die Annahme, dass es besser wäre, die Summe auf die Kultureinrichtungen der Region zu verteilen, ist auch ein Irrglaube. Durch unzählige kleine Tröpfchen würden bei keiner einzigen Einrichtung die wirklichen Probleme gelöst und der Region als ganze wäre kein Dienst erwiesen. Umgekehrt ist es so, dass diese Bundesmittel nicht einfach in die Region fließen würden, da das Bundesinteresse sehr klar mit der Zielrichtung einer neuen belastbaren und länderübergreifenden Trägerstruktur sowie eines international strahlenden Markenaufbaus verbunden ist. Es ist daher ein Zusatz für die Region und kein Ersatz, wir verdrängen auch niemanden, wir kooperieren und arbeiten in beiden Bundesländern eng zusammen.
Welche Probleme meinen Sie?
Ganz allgemein: Die Probleme im Kulturbetrieb sind strukturell und tariflich. Künstler werden oft nicht so vergütet, wie sie müssten. Ob das Schauspielerinnen sind, Tänzer oder Musiker. Es gibt zwar Tarifverträge, aber die können nicht immer eingehalten werden. Solche und ähnliche Probleme werden Projektmittel des Bundesmittel nie lösen können. Die Frage ist doch: Schafft man es, mit dem Festival-Solitär ein Potenzial freizusetzen, das am Ende möglichst vielen nutzt? Das ist unsere Aufgabe.
Eine weitere Kritik lautet: Das Festival macht Hochkultur für ein städtisches Publikum und geht am Kunstverständnis der Lausitzerinnen und Lausitzer vorbei.
Ich glaube nicht, dass hier unterschiedliche Kunstverständnisse vorliegen. Wenn jemand sagt, ich möchte Kunst, aber ich mag etwas anderes und bin etwas anderes gewöhnt, dann ist das natürlich in Ordnung. Ich bin überzeugt, dass Mozart oder Shakespeare oder Picasso für jeden etwas Relevantes zu sagen haben und Kultur im ländlichen Raum ebenso anspruchsvoll sein kann wie anderswo. Etwas, wo auch der Lausitzer aus Hoyerswerda sagen kann: Es geht um mich. Genau das haben übrigens viele Leute gesagt nach unseren Veranstaltungen, was unglaublich schön ist. Ich glaube nicht daran, dass der Uniprofessor aus Paris eine andere Kunst braucht als die Menschen in der Lausitz. Dahinter stünde doch eine sehr eigenartige Auffassung in Bezug auf Menschen und auf das, was das Verhältnis von Menschen und Kunst ausmacht. Aber ja, in der Lausitz braucht man für Kunst eine andere Fassung für den schönen Stein und diese Fassung liefern wir.
Was tut das Lausitz-Festival für die Lausitz-Identität? Darum ging es ja auch, als Bund, Sachsen und Brandenburg das Festival beschlossen.
Das Festival bringt die Möglichkeit mit sich, bekannte Sachverhalte aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Die Schau mit den Augen der Kunst bringt eine Art Distanz, die notwendig ist, um den eigenen Standort zu bestimmen. Auf diesen Prozess muss man sich natürlich einlassen wollen, auch wenn es keine Alternative dazu gibt. Das zu erklären, würde hier zu weit führen, aber ich stelle freudig fest, dass viele sehr offen sind und mitdenken, aber natürlich nicht alle und nicht sofort. Das ist normal. Es ist nicht immer leicht, neue Blickwinkel anzunehmen. Natürlich können dabei Menschen, die von außerhalb der Lausitz dazu kommen, darauf Lust machen. Für die Menschen in der Lausitz, wie überall, ist es ein Zugewinn, zu erleben, dass da plötzlich Leute kommen, die ganz anders über Bekanntes und Vertrautes reden, als sie das selbst tun. Die Probleme, die wir haben, werden plötzlich in einer anderen Sprache adressiert. Das ist der entscheidende Faktor, den Kunst mit sich bringt.
Welche Rolle kann Kunst im Strukturwandel spielen?
Der Strukturwandel ist doch eigentlich eine Ungeheuerlichkeit: Wir sind aufgerufen, in dieser Gegend eine Welt, die untergeht, hinter uns zu lassen und eine neue zu erschaffen. Das betrifft auch Zugezogene und Gäste. Wir sind mitten in einem weltschaffenden Prozess. In der Lausitz entsteht eine neue Kultur. Ich kann jeden verstehen, der sagt: Ich möchte in meinem Ich angesprochen und gesehen werden. Das ist ein legitimer Anspruch.
Das heißt, es geht mehr um regionales Selbstbewusstsein als um Identität?
Das sind Begriffe, die mit Umsicht zu verwenden sind, aber ja, sicher geht es auch um Selbstbewusstsein. Was Transformation betrifft, kann die Lausitz einen Führungsanspruch für sich behaupten. Wir verändern uns seit 500 Jahren bewusster als andere. Diesmal muss es noch viel schneller gehen. Die Lausitz kann also sagen: Guckt auf uns, wie wir das machen. Ich weiß nur nicht, wie die Formulierung dieses Führungsanspruchs gelingen soll, wenn nicht durch die Kunst.
Daniel Kühnel, Jahrgang 1973, studierte Klavier in seiner Heimatstadt Jerusalem, später Rechts- und Musikwissenschaften in Berlin und wurde 2004 Orchesterintendant bei den Symphonikern Hamburg. Seit 2017 verfolgte er die Idee eines europäischen Kunstfestivals in der Lausitz, das von der Bundesregierung finanziert und von den Ländern Sachsen und Brandenburg ausgetragen wird. Mit Daniel Kühnel sprach Christine Keilholz.