Skip to main content

„Wenn mehr Geld in den Dörfern bleibt, haben wir mehr Zustimmung“

INTERVIEW / BÜRGERENERGIE IN DER LAUSITZ
  1. Juli 2025

Ein Forschungsprojekt der BTU will die Energiewende auf den Kopf stellen und mehr Bürgerenergie in die Lausitz holen. Damit das gelingt, arbeiten Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen.
Dorf-Aktivist Günther Thiele (li.) und Rechtswissenschaftler Dirk Marx bei einer Veranstaltung in Missen im Kreis Oberspreewald-Lausitz.
Dorf-Aktivist Günther Thiele (li.) und Rechtswissenschaftler Dirk Marx bei einer Veranstaltung in Missen im Kreis Oberspreewald-Lausitz.

Herr Marx, Herr Thiele, warum braucht die Lausitz mehr Energiewende von unten?

Dirk Marx: Der Klimawandel lässt uns die Art und Weise, wie wir Energie gewinnen und Ressourcen verbrauchen, grundlegend überdenken. Als Weltgesellschaft und in Deutschland haben wir uns entschieden, das Ganze soweit zu kontrollieren, dass wir die Temperaturerhöhung vielleicht in den Griff bekommen können. Dafür gibt es Stellschrauben auf der globalen, der nationalen und der lokalen Ebene. Eine der größten Stellschrauben in Deutschland ist die Energiewende. Aber dieser Ausstieg aus dem Abbau und der Verstromung von Kohle muss als großes politisches Projekt natürlich von der Zivilgesellschaft unterstützt werden.

Wie gut funktioniert das in der Lausitz?

Günter Thiele: Eine echte Einbeziehung der Bürger in solche Transformationsprozesse haben wir in der Lausitz noch nicht erlebt. Wir haben als Region mit der Wiedervereinigung ja schon einen Strukturwandel vollzogen, in dem die Bürger nicht gefragt worden sind, wie sie sich das vorstellen. 130 Dörfer sind abgebaggert worden, da mussten viele Menschen sich komplett neu orientieren. Und jetzt kommt die Braunkohle weg und eine vollkommen neue Landschaft wird geschaffen. Auch diesmal wurden die Bürger erst hinterher einbezogen, als schon alles entschieden war. Aber ohne die Einbeziehung der Zivilgesellschaft bringen diese Prozesse nur Unzufriedenheit.

Nehmen Sie Unzufriedenheit wahr?

Thiele: Soweit ich mich erinnere, haben wir noch nie solche politischen Kämpfe in den Volksvertretungen gehabt wie jetzt, da es um Windräder und Stromleitungen geht. Da wird sich teilweise angegriffen in einer Form, die nicht mehr demokratisch zu nennen ist. Das zieht sich auch in Freundeskreise hinein. Wenn, wie etwa in Dissen, ein riesiger Solarpark geplant wird, dann führt das schnell zu Spaltung im Ort. Manche profitieren von den Pachterträgen, andere ärgern sich über die Anlage vor ihrer Haustür. Man wechselt zwar noch nicht gleich die Straßenseite, aber das Thema wird ausgespart. Ich bin überzeugt, wenn mehr Geld in den Dörfern hängenbleiben würde, wo die Solarparks und Windräder entstehen, wenn nicht nur die Flächenbesitzer profitieren würden, würde das zu mehr Zustimmung und Einigkeit führen.

In anderen Regionen Deutschlands erfreut sich Bürgerbeteiligung bei der Energieerzeugung einer langen Tradition. In der Lausitz ist sie noch relativ selten. Woran liegt das?

Thiele: Der Mittelstürmer von Energie Cottbus, Timmy Thiele, ist hier so bekannt wie ein bunter Hund. Wenn die Bürger den Strukturwandel so gut kennen würden wie diesen Fußballer, dann wären wir ein gutes Stück weiter. Wenn es um Energieprojekte geht, kommt aus den Verwaltungen immer der Satz: „Wir machen doch schon alles für euch.“ Dagegen habe ich etwas, denn so entsteht eine Wissenshierarchie zwischen der Politik und den Bürgern. Wenn die Energiewende gelingen soll, geht das nur mit mehr Bürgerenergie. Wenn Bürgerenergie richtig zum tragen kommen soll, dann müssen wir weg von solchen Denkweisen.

Marx: Diese Syntax stammt aus der DDR: „Wir erledigen das für euch, kümmert euch mal um euer Leben.“ Ich lebe seit 18 Jahren in der Lausitz, aber bin in Schleswig Holstein aufgewachsen. Da dominiert ein Individualismus, in dem einzelne Persönlichkeiten, natürlich auch profitgetrieben, mit viel Geld und Know-how Projekte aus dem Boden stampfen. Das passiert zur Not auch konfrontativ gegen die Gemeinde oder andere regionale Interessen. Da geht es schonmal bis vor Gericht, um ein Projekt durchzuboxen. Solche Typen - ehemalige Vorstandsvorsitzende oder Geschäftsführer mit Millionen auf dem Bankkonto - gibt es in der Lausitz viel seltener. Daher ist die Dynamik hier eine ganz andere. Es geht viel weniger von den Bürgern direkt aus und viel mehr passiert von oben, weil es eine Strategie von Bund oder Land gibt oder eben die Interessen des Energiekonzerns.

Mit dem Projekt Create Energy wollen Sie solche Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Wie konkret?

Thiele: Create Energy ist ein kommunales Forschungsprojekt. Durch unsere finanziellen Mittel haben wir die Möglichkeit, Schulungen, Bildungsangebote und Veranstaltungen mit den Bürgern selber zu machen. So können wir selbstbestimmt arbeiten, ohne von den Kommunen abhängig zu sein. Das ist eine ganz wichtige Geschichte, um Bewegung in den Gemeinden zu stimulieren, die für Energieprojekte attraktiv sind.

Marx: Das ist die finanzielle Seite, aber es braucht auch juristisches Know-how, wenn man sich auf dieses Spielfeld begeben will. Die rechtswissenschaftliche Expertise haben wir am Lehrstuhl. Wichtig ist: Wir machen keine Rechtsberatung. Vielmehr wollen wir gemeinsam ein Projekt so entwickeln, damit alle Interessen berücksichtigt werden. Wir wollen Bürger mobilisieren, damit die ihre eigene Energiegenossenschaft machen. Bestenfalls zusammen mit der Kommune auf dem Dach der Schule oder Sporthalle. Wenn wir Bürgerenergie hinbekommen, dann wäre das zum ersten Mal ein Produkt, wo die Bürger den Strukturwandel anfassen können können.

Herr Marx, als Rechtswissenschaftler beschäftigen Sie sich intensiv mit Transformationsprozessen. Inwiefern ist die Energietransformation da besonders?

Marx: Wie Teilhabe an Prozessen wie der Energiewende gestaltet werden kann und sollte, wird in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert. Deren Perspektiven lassen sich nicht immer vereinen. Besser als eine theoretische Diskussion ist ein realer Case. Im Wissenschaftsdiskurs nennt man das Citizen Science. Dieser Ansatz funktioniert so, dass Wissen und Macht abgegeben werden an andere Player, auch an Bürgerinnen oder Gruppierungen. Das stellt eine Vielfältigkeit der ursprünglichen Gestaltungsbedingungen her und man kann in Zukunft quasi in Gemeinschaft Wissenschaft betreiben.

Citizen Science ist quasi der Gegenentwurf zur Elfenbeinturm-Wissenschaft?

Marx: Genau.

Auf welche Herausforderungen stoßen Sie dabei in der Praxis?

In der Praxis werden wir Forschenden noch oft missverstanden, weil wir leider aus dem Elfenbeinturm doch nicht rauskommen, obwohl wir behaupten, das zu tun. Aber wenn man das kapiert, geht man zum Therapeuten oder zum Zahnarzt oder zum Hausarzt oder zu Günter Thiele - also man sucht sich Hilfe. Durch diese Hilfe entstand unser Kooperationsansatz mit dem Verein Lausitzer Perspektiven und anderen Partnern.

Create Energy läuft bis März 2027. Was möchten Sie bis dahin erreichen?

Thiele: Nicht wir bestimmen das Ziel, sondern die Menschen. Und das verlangt erstmal, dass wir hinhören - und nicht doch am Ende wieder alles besser wissen. Aber da sind wir gerade noch in der Analyse.

Marx: Natürlich gibt es konkrete Ziele unserem Mittelgeber und auch den kommunalen Partnern gegenüber. Wir erhöhen die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft für das Thema durch die exemplarische Schaffung von Energiegenossenschaften. Eine, zwei oder drei Genossenschaften auf den Weg zu bringen, das wäre toll. Wenn uns das gelingt, wäre es das größte Glück, nächstes Jahr gemeinsam mit Bürgern und Bürgerinnen, Kommunalvertretern und anderen Interessierten am Tisch zu sitzen und einen Forschungsantrag zu schreiben, der tatsächlich Mittel in diese vielfältige Truppe hineinbringt. Damit würden wir auch diese Forschungsmittel-Konstellationen so weit ändern, dass man von wahrer Citizen Science sprechen kann. Sowas hat es in dieser Art und Weise noch nie gegeben.

Thiele: Also wir möchten am Ende genauso bekannt sein wie der Mittelstürmer von Energie Cottbus.

Dirk Marx, Jahrgang 1969, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Öffentliches Recht an der BTU Cottbus-Senftenberg. Dort koordiniert er das Forschungsprojekt Create:Energy. Der promovierte Gesellschaftswissenschaftler lebt seit 2007 in der Lausitz.

Günter Thiele, Jahrgang 1946, ist Mitbegründer der Dorfbewegung Brandenburg sowie der Bürgerregion Lausitz und Mitglied im Verein Lausitzer Perspektiven. Er setzt sich seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich für regionale Belange ein.

Mit Dirk Marx und Günther Thiele sprach Gereon Wintz.

Create Energy ist ein Projekt zur Förderung einer demokratischen Energiewende, insbesondere im Lausitzer- und Rheinischen Braunkohlerevier. Das dreijährige Verbundprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Förderprogramm „Kommunale Modellvorhaben zur Umsetzung der ökologischen Nachhaltigkeitsziele in Strukturwandelregionen (KoMoNa) (Opens in a new window)“ mit 1,33 Millionen Euro gefördert. Koordiniert wird das Projekt von der BTU Cottbus-Senftenberg in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen.

Topic Energie und Klima