Skip to main content

Wald und Welt

Wahnsinn mit Methode/Peter Thiel/Christian Bau/Film Die alte Welt /Kochen - einmal asiatisch, einmal Bordeaux

Auf meiner täglichen Waldrunde mache ich seit neuestem kuriose Begegnungen. Auf den Pisten und Wegen suchen scheue PKW im Schritttempo ihren Weg. Sie haben auswärtige Kennzeichen, die Fahrerinnen oder Fahrer wirken gestresst und desorientiert. Wegen der vielen sommerlichen Baustellen in der Stadt lotst ein perverses Navi ortsunkundige PKW-Piloten in die Tiefen des Vortaunus, wo sie stundenlang herum fahren, dann vor Schranken oder Pollern und umgestürzten Baumstämmen kehrt machen müssen. Vorgestern sprach mich eine ältere Krankenschwester aus Groß-Gerau an, die schon recht lange durch den Stadtwald kurvte, ohne eine Ausfahrt zu finden. Sie bat mich, bei ihr einzusteigen und sie aus dem Wald zu lotsen. Mir kam es vor, als hätte ich diese Szene genau so schon einmal gesehen, in einem Film von David Lynch.

Passt zur Gesamtlage. Selten waren die Nachrichten so durcheinander, ein echter Salat. Nun haben schon frühere Generationen Kriege, Lügen, Skandale und Börsenturbulenzen erlebt, aber doch selten innerhalb eines einzigen Nachmittags und am nächsten Morgen ist schon weider alles anders.

Jede Zeit hat ihre Begriffe und Zauberformeln, die sie uns erklären, aber unsere Gegenwart ist von der Abwesenheit solcher Erkenntnis geprägt. Am ehesten passt das Motto des rechten Agitators Steve Bannon, der seinen Leuten aus der MAGA-Bewegung den kommunikativen Imperativ flood the zone with shit mitgab. Desorientierung als Programm. Von seinem 2012 verstorbenen Wegbegleiter Andrew Breitbart stammt die Einsicht über den Ursprung effektiver Politik: politics is downstream from culture. Wenn wir uns heute ständig mit Migration, Wokeness und co beschäftigen, folgt das einem klaren und seit langem verfolgten, kulturellen Programm der Rechten. In seinem Politroman Der Magier im Kreml (Opens in a new window) beschreibt der italienische Autor Giuliano da Empoli eine ganz ähnliche Strategie, die aus dem Kreml verfolgt wurde: "Vielleicht” sagt die dem Putin-Berater Wadim Baranow nachempfundene Figur “gibt es jemanden, der gegen Impfungen ist, ein anderer ist gegen Jäger oder Umweltschützer oder Schwarze oder Weiße. Spielt keine Rolle. Hauptsache, jeder hat etwas, das ihm am Herzen liegt, und jemanden, der ihn zur Weißglut bringt." Alle Themen, die sich irgendwie mit Frust, Wut und Hass verbinden lassen - von der Tea Party Bewegung zu den Corona-Protesten - digital heftig anfachen – einfach, um Verwirrung zu stiften.

Überall, wo die radikale Rechte an die Regierung kommt, wird gehetzt, getriggert und systematisch gelogen und man erkennt das Land dann gar nicht wieder. Derzeit ist das in Washington und in Moskau der Fall und beide senden unablässig ihr Zeug über digitale und politische Kanäle, die seit vielen Jahren erprobt sind. Wenn man in Wochen wie der vorigen mal nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht, so ist das kein Zufall. Es soll genau so sein.

Das klappt aber nur, weil alle anderen es zulassen. Im linken, liberalen und ökologischen Spektrum dominiert die Selbstbeschäftigung, die vergebliche, aber wie alternativlos betriebene Pflege nationaler Parteien und eine umfassende Ignoranz gegenüber den Möglichkeiten von Kultur. Daher kommen die Themen, die Weldeutungsangebote und sogar die politischen Emotionen nahezu ausschliesslich von rechts.

Migration ist das offensichtlichste Beispiel: Menschen migrieren seit es Menschen gibt. Es ist kein neues Phänomen und per se kein rechtes oder linkes. Es ist eine bloß mittelschwere politische Aufgabe: Was klappt, was klappt nicht? Der Migrationsexperte Gerald Knaus hat seit Jahr und Tag empfohlen, Konzepte der internationalen Kooperation zu entwickeln, um rasche und transparente Verfahren und Institutionen zu entwickeln. Passiert ist wenig, schon gar nicht kulturell oder diskursiv. Stattdessen strebt heute das Goethe-Institut weltweit danach, Menschen für den deutschen Arbeitsmarkt anzuwerben, während eine aus Afghanistan stammende Kita-Mitarbeiterin in Offenbach abgeschoben wird, nach Litauen. Wegen eines Dublin-Verfahrens, das die kleinen Staaten an der EU-Außengrenze besonders belastet. Ein besseres, europäisches Migrationskonzept würde den Rechten ihr Thema entziehen, aber niemand geht es an, weil so eine Erzählung von Gemeinschaft, Erneuerung und Wanderung ein kulturelles Wagnis wäre. Weil es viele Seniorinnen und Senioren in Deutschland gibt, glaubt man offenbar , den Leuten nichts mehr zumuten zu dürfen. Und das Manifest der SPD-Veteranen, in deren Welt offenbar noch Michail Gorbatschow im Kreml regiert, bekräftigt diesen Eindruck. Es gibt Ältere, die alles weiterhin so haben möchten, wie sie das kannten. Aber jene, die gerne dazu lernen, sind in der Mehrheit - jedenfalls nach meiner Erfahrung.

Erfolgreiche progressive Bewegungen waren immer von Kultur beeinflusst und getragen. Mitterrand regierte mit dem umtriebigen, genialischen Jack Lang. Die Grünen wurden von Joseph Beuys mitgegründet. Die Sozialdemokratie hatte sogar ein internationales Netzwerk aus Intellektuellen und Kreativen an ihrer Seite – tempi passati. Kultur funktioniert wie ein Navigationssystem für große Gesellschaften. Rentenreform, Bürokratieabbau und Sanktionen für Bürgergeldschummler – solche Spiegelstrich Listen werden nicht reichen. Ohne Geschichten oder Traumpfade (Opens in a new window), die uns sagen, wo es lang geht, kurven wir noch ewig schwitzend und blinzelnd im Stadtwald herum.

Ich habe ja das Glück, im Team des Geschichtspodcasts Was bisher geschah (Opens in a new window)mitzuarbeiten. In der überwältigenden Reaktion auf die Folgen lerne ich auch etwas über das Medium: Wann die Leute es hören, was sie damit verbinden und vieles andere mehr. Es ist noch einmal etwas ganz anderes als ein Text für die Zeitung oder ein Buch.

Heute möchte ich ausnahmsweise an dieser Stelle kein Buch empfehlen, sondern eine andere Podcast Miniserie - einen Mehrteiler über das Leben und Werk des amerikanischen Unternehmers und rechtslibertären Vordenkers Peter Thiel. Um den ranken sich ja jede Menge Stories und Vorurteile, hier findet eine Annäherung an seine berufliche und gedankliche Biografie statt.

Auf eine ruhige Art kann man studieren, wohin die Reise der Republikaner in den USA geht, weil das Getöse von Trump uns ja jeden Tag ablenkt.

Nur wenige Menschen sind in der Lage und bereit, über ihre Erfahrungen mit Thiel zu sprechen, aber hier kommen sie zu Wort.

Solon der Weise warnte davor, das Leben eines Menschen vor dem Ende zu würdigen und wer weiß, wie es mit Thiel noch weiter geht - aber zum Verständnis der Gegenwart hilft dieser Podcast allemal.

https://www.ardaudiothek.de/sendung/die-peter-thiel-story/14471879/ (Opens in a new window)

In der Klasse 5, dem ersten Jahr am Gymnasium, verbrachten wir eine Woche im Landschulheim – von Saarbrücken aus war das Schloss Berg in Perl an der Mosel. In meiner Klasse gab es 42 männliche Schüler und nach meiner Erinnerung begleitete uns nur ein einziger Lehrer, Hans Eckert. (Er wäre ein eigenes Buch wert, aber ich komme ja zu nichts.)

Jedenfalls ist das Landschulheim heute längst ein Sterne Restaurant und Hotel – weit weg also vom seinerzeitigen Pfefferminztee und Graubrot. Über den Chef dort, den großen Christian Bau, gibt es eine Folge in der empfehlenswerten Dokuserie Am Pass – natürlich nicht zum nachkochen, das ist für Amateure unmöglich, einfach zur generellen Inspiration.

https://www.ardmediathek.de/video/am-pass-geschichten-aus-der-spitzenkueche/folge-3-am-pass-mit-christian-bau-oder-victor-s-fine-dining-by-christian-bau-oder-perl-nennig-s05-e03/sr/Y3JpZDovL3NyLW9ubGluZS5kZS9BTVBBU18xNTIyMzY (Opens in a new window)

Für französische Filme und Serien ist TV5Mondeplus.com (Opens in a new window) eine tolle Adresse, noch dazu gratis zu nutzen.In Europa sollten ohnehin alle gebühren- bzw öffentlich finanzierten Programme grenzüberschreitend zur Verfügung stehen, Schluss mit Geoblocking europäischer Produktionen! Hier habe ich einen Film entdeckt, den ich bei seinem Start glatt übersehen habe: Die Welt von gestern. Was, wenn das immer knapper werdende Duell zwischen rechtsextremen und demokratischen Kandidaten für den Élyséepalast einmal schief zu gehen droht? Welche Mittel sind dann noch erlaubt oder sogar geboten? Hochaktueller Politstoff, der aber leise daher kommt wie ein Kammerspiel – perfekt gespielt von Léa Drucker und Benjamin Biolay.

https://www.tv5mondeplus.com/de/cinema/drame/le-monde-d-hier (Opens in a new window)

Durch einen kuriosen Zufall habe ich meine Neigung zur koreanischen Küche entdeckt, stehe allerdings noch recht am Anfang. Generell finden sich in der asiatischen Küche aber gute Alternativen zu unseren Klassikern, etwa diese 5 Sandwiches für ein Picknick:

https://www.youtube.com/watch?v=dvlT4fUb2xQ (Opens in a new window)

Nun naht die Sommerzeit und ich werde mich wieder in den französischen Südwesten verziehen. Zur Einstimmung ein Video als Hommage an die Küche rund um Bordeaux, sehr zur Nachahmung empfohlen.

https://www.youtube.com/watch?v=g9DeFxyefuo (Opens in a new window)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Sonntag für Sonntag abonnieren viele neue Menschen diesen Newsletter, es ist eine reine Freude. Damit ich den Siebten Tag weiter in Ruhe schreiben und entwickeln kann, brauche ich auch die finanzielle Zuwendung durch Mitgliedschaften. Falls Sie noch keine haben, freue ich mich, wenn Sie heute eine abschließen oder jemanden dazu animieren. Merci.

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Der siebte Tag and start the conversation.
Become a member