🎧 Trauma & Atem
Wir leben in einer Welt, die zunehmend durch äußere Systeme strukturiert ist: Familie, Schule, Arbeit, Technologie, Algorithmen. Von Geburt an werden wir in narrative, genetische und soziale Kontexte hineingestellt, die wir uns nicht ausgesucht haben. Unsere Identität formt sich dabei innerhalb einer Blase aus Anpassung, Abwehr und Illusion. Diese Blase schützt – aber sie begrenzt auch.
Das eigentliche Trauma ist oft nicht das, was geschehen ist, sondern was nicht geschehen konnte: ein natürlicher Ausdruck von Reaktion, Kontakt, Protest, Bedürfnis, Empfindung.
Wenn dieser Ausdruck unterdrückt wird – aus Angst, Scham, Gewalt oder Überforderung – wird die Energie eingefroren, abgespalten, verkapselt, internalisiert. Willkommen in der Blase.
Praktisch nachvollziehbar
Der Atem dient auch als Spiegel. Er zeigt, wo sich unser System reguliert oder in Schutzmustern bewegt. Wenn wir mit dem Atem arbeiten, treten wir in Beziehung zu unserer inneren Landschaft:
Flach oder gepresst? Ein Hinweis auf Spannung.
Gehalten? Mögliche Erstarrung oder Unterdrückung.
Chaotisch oder rhythmisch? Signalisiert emotionale Zustände und neuronale Muster.
Trauma-sensitive Atemarbeit lädt dazu ein, diesen Spiegel nicht zu brechen, sondern in ihm sich selbst zu erkennen. Ziel ist nicht „Tiefe“ oder „Durchbruch“ zu erreichen, sondern die Entwicklung von Sicherheit, Kapazität und Kontakt – mit dem eigenen Körper, mit der Umwelt, mit der Realität jenseits der Blase.
Fragen an die Leser:innen
Wer atmet hier eigentlich – Du oder Dein Muster?
Welche Geschichten verhindern, dass Du dein Erleben wirklich spürst?
Wo reagierst Du aus Gewohnheit statt aus Gegenwärtigkeit?
Welche Ängste hältst Du für „Dich selbst“ - oder “die Anderen”, obwohl es Deine Schutzprogramme sind?
Vertiefung am Beispiel
Nennen wir ihn Franz. Mitte 30. Sucht, fühlt, lebt bewusst. Doch: Irgendein Thema (Sex, Geld, Intimität, Erfolg) bleibt diffus unlösbar. Das Leben ist „okay“, aber nicht durchlässig. Woran liegt’s?
Nicht an mangelndem Willen oder Verständnis – sondern an der verkörperten Grenze seines Systems. Seine Atemmuster spiegeln unbewusste Schutzmechanismen: Rückzug, Anpassung, Kontrolle.
Der Körper sagt: „Ich kann nicht anders.“
Die Arbeit beginnt nicht mit Veränderung, sondern mit radikaler Wahrnehmung.
Franz lernt, dass seine Reaktionen nicht „falsch“, sondern sinnvoll sind – bzw. es waren.
Risiko & Möglichkeit
Sich auf Atemarbeit einzulassen heißt, seine Blase zu befragen – und möglicherweise zu destabilisieren. Das kann Angst machen. Deshalb braucht es Räume, in denen das Verlassen der Komfortzone nicht zur erneuten Überwältigung führt, sondern zu Integration.
Denn: Die Blase ist nicht das Problem. Ihre Erstarrung ist es.
Fazit
Trauma zeigt sich oft nicht als Erinnerung, sondern als Atemmuster.
Nicht als Drama, sondern als Enge.
Nicht als gespeicherte Geschichte, sondern als gegenwärtige Umgangsform.
Der Weg beginnt im Gewebe und geht über die körperliche Beziehung hinaus.
Der Atem ist dabei nicht das Ziel, sondern die Grunglage mit der Lebendigkeit.