Pocket-Alarm
Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Heute: ein Desaster mit Ansage.

Hallo!
Seit Jahren herrscht im Krautreporter-Slack regelmĂ€Ăig âPocket-Alarmâ. Den ruft die Reaktion dann aus, wenn die beliebte Lesezeichen-App Pocket (Opens in a new window) einen KR-Text empfiehlt. Dann beginnen unsere Server zu rauchen.

Das liegt daran, dass Pocket zu Mozilla gehört, einer Stiftung, die auch Firefox betreibt. Das ist mit immerhin 7,52 Prozent aller Page Views der drittgröĂte Browser in Deutschland (Opens in a new window). Ăffnen Firefox-User eine neue Seite oder einen neuen Tab, finden sie unter der Rubrik âRecommended by Pocketâ ausgewĂ€hlte journalistische Texte, die sich fĂŒr ein ausgeruhtes Leseerlebnis eignen. FĂŒr viele unabhĂ€ngige Medien ist das bisher eine wertvolle Traffic-Quelle. Firefox bringt auf diesem Weg hunderttausende Leser:innen vorbei und hilft kleineren Publikationen, von neuen Zielgruppen entdeckt zu werden.

Welche Texte genau in diesen Genuss kommen, liegt daran, wie oft Pocket-Nutzende einen Text speichern. Zum anderen gibt es aber eine kleine Redaktion, die solche Texte tÀglich aussucht und zusammenstellt. Der Firefox-Start-Tab war also bisher selbst eine Art Magazin.
Am Freitag aber herrschte bei uns auf einmal eine ganz neue Form von Pocket-Alarm: Mozilla kĂŒndigte ĂŒberraschend an, Pocket zum 8. Juli 2025 einzustellen (Opens in a new window). Die Firefox-Integration, Apps und API verschwinden. Die Stiftung begrĂŒndet den Schritt mit âverĂ€nderten Nutzungsgewohnheiten im Netzâ und will Ressourcen ganz auf Firefox und neue Technologien wie KĂŒnstliche Intelligenz konzentrieren.
Was ist da los?
Google hat Pocket auf dem Gewissen
Nun, schuld ist Mozillas AbhĂ€ngigkeit von Google. Damit Google die Standard-Suchmaschine in Firefox bleibt, zahlt der Tech-Gigant seit Jahren eine Umsatzbeteiligung in unvorstellbarer Höhe. Der aktuelle FĂŒnf-Jahres-Vertrag bringt Mozilla nach SchĂ€tzungen rund 400 bis 450 Millionen US-Dollar pro Jahr; 2023 flossen laut GeschĂ€ftsbericht sogar 555 Millionen Dollar, das waren gut 85 Prozent der GesamtÂeinnahmen von Mozilla.

Die Logik dahinter ist simpel: Google sichert sich Klicks aus einem Browser, den es nicht selbst kontrolliert, und Mozilla finanziert damit Entwicklung und Stiftung. Ohne das Geld wĂ€re Firefox kaum wettÂbewerbsÂfĂ€hig.
Aber dieser Deal wackelt. Das US-JustizÂministerium will Google verbieten, sich bei Browsern einzukaufen und durch seine marktbeherrschende Stellung anderen Suchmaschinen keine Chance zu lassen. Es vermutet, dass Google eine Monopol-Stellung ausnutzt. Nicht weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass Google allein 2022 etwa 20 Milliarden Dollar an Apple zahlte (Opens in a new window), um die Standard-Suchmaschine im Safari-Browser zu bleiben. Eine Summe, die sogar die amerikanische Tech-Presse âeye-wateringâ nennt.
Zugleich lĂ€uft der Google/Firefox-Vertrag Ende 2025 aus. Mozilla warnt intern vor einer AbwĂ€rtsspirale, sollte das Google-Geld wegfallen, und sucht neue ErlösÂpfade â von Browser-Ads bis VPN. Mit anderen Worten: Es geht fĂŒr Mozilla um alles, um die Existenz.
Wir geraten in die MĂŒhlen der groĂen FĂŒnf
Wir Indie-Medien werden also mal wieder Opfer der inzwischen extrem konzentrierte Struktur des Internets: Die âgroĂen FĂŒnfâ â Apple, Google, Meta, Amazon, Microsoft â kontrollieren die Betriebssysteme, Browser, Distributions-Plattformen und App-Stores, inzwischen auch die KI-Infrastruktur mit ihren Serverfarmen und Chips. Sie verfĂŒgen ĂŒber unbegrenztes Geld, um diese Struktur zu schĂŒtzen und keine neue Konkurrenz entstehen zu lassen. Innovation verlangsamt sich, da neue Player keinen verlĂ€sslichen Distributionsweg finden. Kleinere Anbieter wie Mozilla geraten unter die RĂ€der.
Das gilt in der Folge natĂŒrlich auch fĂŒr Krautreporter rund andere kleinere Medien. Wir waren bisher abhĂ€ngig von diesem Traffic-Boost von Pocket/Firefox. Die wiederum sind abhĂ€ngig von Google â eigentliche eine konkurrierende Suchmaschine, aber so dominierend, dass sie nach Belieben Almosen verteilen kann. GefĂ€hrlich, wie sich nun zeigt.
Déjà -vu: Schon wieder ist der Saft weg
Schön blöd, könnte man sagen, sich in so eine AbhĂ€ngigkeit zu begeben. TatsĂ€chlich ist es fĂŒr uns einfach hart, wenn mal wieder eine Plattform ĂŒber Nacht entscheidet, uns den Saft abzudrehen. Die AbhĂ€ngigkeit von einer fremden Infrastruktur werden wir einfach nicht los. Es ist ein DĂ©jĂ -vu:
Google Reader 2013 â Google schaltet den beliebtesten RSS-Aggregator aus, Millionen Feeds verlieren ihren Distributionskanal.
Facebook 2018 â Der Feed bevorzugt âMeaningful Social Interactionsâ, Publisher-Reichweite sinkt rapide.
Instagram 2022 â Meta pusht Reels, Fotos und Links performen plötzlich schlechter, einige Publisher verzeichnen bis zu 20 Prozent weniger Views.
Google 2023 â Als âHelpful-Content-Updateâ krempelt die Suchergebnisse um, viele unabhĂ€ngige Seiten verlieren Sichtbarkeit.
Twitter 2023 â X schafft den kostenlosen API-Zugang ab; externe Links bekommen genauso wenig Sichtbarkeit wie Spam.
Firefox 2025 â Pocket verschwindet, die letzte groĂe kuratierte Empfehlungsschleuse macht dicht.
Was soll ich sagen? Im Moment bleibt wenig auĂer Frust und Ratlosigkeit. All das wirft mal wieder grundsĂ€tzliche Fragen auf. Dazu mehr in einer kommenden Blaupause.
Bis nÀchsten Montag!
đ Sebastian
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