Beweise, dass du anders bist
Du baust eine Community auf? Du verkaufst Abos oder Mitgliedschaften? Mein Community-Marketing-Newsletter âBlaupauseâ unterstĂŒtzt dich dabei. Diese Woche: Was die ARD von Mozart lernen kann.
Diese Blaupause wird prÀsentiert von scoopcamp.

Das scoopcamp geht wieder los!Â
Live und in Farbe laden nextMedia.Hamburg (Opens in a new window) und die dpa am 8. September in den Del Mar Beachclub in Hamburg ein, um gemeinsam die Zukunft des Journalismus zu diskutieren:
Wie finanziert sich qualitativ hochwertiger Journalismus in einer zunehmend digitalen Medienwelt? Gibt es Alternativen zu harten Paywalls und Abonnements? Wie können Journalist*innen und VerlagshĂ€user ihre Zielgruppen besser verstehen â und was kann der Journalismus von Influencer*innen lernen?
Das klingt spannend? Dann melde dich noch heute fĂŒr das scoopcamp 2022 an! Alle Informationen zum Timetable und den Ticketshop findet ihr unter www.scoopcamp.de (Opens in a new window).

Hallo!
Vorsicht, es folgt öffentlich-rechtlicher Humor.
â Jemand, der bei der ARD arbeitet: "Du bist bei Krautreporter? Das ist doch dieses Crowfunding-Dings, oder?" (lacht unsicher)
â Ich: "Ja."
(Denkpause. Die Mine erhellt sich. Pointe incoming.)
â "Wir finanzieren uns ja auch durch Crowdfunding!"
(Lachen. Betretene Stille.)
Der Rundfunkbeitrag ist kein Crowdfunding
Believe it or not, dieser Dialog hat sich tatsĂ€chlich schon hĂ€ufiger zugetragen. Er löst GefĂŒhle bei mir aus.Â
FremdschĂ€men. Denn lustig ist der Witz zwar nicht, er lĂ€sst aber tief blicken. Zum Vorschein kommen Verunsicherung, Selbstentwertung und ein schlechtes Gewissen.Â
Traurigkeit. Denn die Punch-Line beruht darauf, dass das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem eben genau kein Crowdfunding ist. Es gibt keine Crowd, die das System trÀgt und verteidigt. Bedauerlich und trist.
Frust. Diese Situation wird sich nicht Ă€ndern. Das öffentlich-rechtliche System ist höllisch kompliziert konstruiert. Dazu kommen Behördenkultur, Ungerechtigkeiten in den Sendern, vor allem aber der Hass vom rechten Rand, der sich in den Mainstream vorarbeitet.  Zerstörung ist inzwischen wahrscheinlicher als Reform.Â
Was die Schlesinger-AffĂ€re beim RBB so gefĂ€hrlich macht fĂŒr ARD und ZDF: Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es vor allem zur Kontrolle der MĂ€chtigen. UnabhĂ€ngiger Journalismus ist der Kern des Auftrags. Und jetzt entsteht der Eindruck, die Verantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk seien selbst die MĂ€chtigen. Der Skandal â und die, die nun folgen werden â zerstören Vertrauen. Wie man das zurĂŒckgewinnt, könnten ARD und ZDF von Community-basierten Medien abgucken. Sie könnten den Beweis antreten, dass sie anders sind.
Was das alles mit dir zu tun haben könnte, steht ganz am Ende.
Wie Vertrauen entsteht
Nochmal kurz zum Scherz oben. Sein absichtsvolles Missverstehen besteht darin, dass Crowdfunding auf dem Gegenteil von RundfunkbeitrĂ€gen beruht: Freiwilligkeit. Diese Freiwilligkeit schafft Community. Aber nur unter bestimmten Bedingungen.Â
Damit eine Community entstehen kann, braucht es Vertrauen. Wenn ich mich entschlieĂe, freiwillig fĂŒr etwas zu zahlen, von dem auch andere profitieren, will ich absolut sicher sein, dass ich nicht ĂŒber den Tisch gezogen werde. Vor allem aber will ich wissen, wer die Personen hinter der Community sind und was ihre Absichten sind. Nur wenn ich sie vertrauenswĂŒrdig finde, engagiere ich mich, auch finanziell.Â
Die Voraussetzung von Vertrauen ist also Transparenz. Je mehr offen liegt, desto besser. Wer bin ich? Was sind meine Werte und GrundsĂ€tze? Wie viel Geld flieĂt? Was passiert mit diesem Geld? Wer profitiert? Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann sich eine Community um eine verbindende Idee versammeln.Â
Rundfunk ohne BeitrĂ€ge klingt ganz andersÂ
Wie eine Community auch fĂŒr Fernsehen und Radio wunderbar funktioniert, kann man sich in Amerika anschauen. Dort gibt es kein öffentlich-rechtliches Radio wie bei uns, sondern mit NPR einen Verbund von mehr als 90 nicht-kommerziellen Hörfunksendern, die sich zum groĂen Teil durch freiwillige Zahlungen von Hörer:innen finanzieren und nur zu etwa 2 Prozent aus staatlichen Zuwendungen.

Dadurch ist ĂŒber Jahrzehnte eine Community entstanden von gebildeten, interessierten Menschen, eher Ă€lter und nicht besonders dynamisch unterwegs, die sich im amerikanischen politischen Sektrum eher links ("liberal") verorten. Sie tragen NPR wirtschaftlich, und deswegen spiegelt sich ihre Weltsicht auch im Programm wieder. Ich höre seit mehr als zehn Jahren von Deutschland aus NPR-Programme und finde eigentlich nicht, dass es dort besonders links zugeht, aber das sind eben die kleinen Unterschiede. Warum das öffentliche Radio so organisiert ist, hat ebenfalls mit den Unterschieden in der politischen Kultur zu tun.Â
Ich argumentiere nicht, dass dieses System besser ist und unseres ablösen sollte. Ich bin nur beeindruckt, wie sich diese AbhĂ€ngigkeit von dem eigenen Publikum positiv auf das Programm auswirkt. NPR hat â mit einem wesentlich kleineren Budget als etwa die ARD â quasi im Alleingang die Podcast-Kultur erfunden. "This American Life", "Planet Money", "Fresh Air", "Invisibilia (Opens in a new window)", "How I built this" und einige andere der populĂ€rsten Podcasts der Welt sind NPR-Produktionen.
Die Sprache von NPR ist â im Unterschied zum Beispiel zum Deutschlandfunk â zugewandt und einfach zu verstehen. Die Leute kommen stĂ€ndig zu Wort und werden direkt angesprochen. Moderatoren artikulieren ihren Interviewpartner gegenĂŒber die Perspektive des Publikums, nicht die der Politik-Szene oder der Presse. Den NPR-Sound kopieren heute (zum GlĂŒck) auch deutsche Podcasts. Das Deutschlandfunk-Feature zum Beispiel, öffentlich-rechtliche Rundfunkkultur in Reinform, konnte dagegen nie kulturellen Einfluss auf Podcasts entwickeln.Â
Und dann, alle paar Monate, bitten die Moderator:innen diese Community offen und direkt um Spenden. Das ist Crowdfunding, und es funktioniert. Und das hat etwas mit dem GeschĂ€ftsmodell zu tun und einer kompromisslosen Kundenorientierung, und mit Transparenz. So entsteht Vertrauen.Â
Das ist ĂŒbrigens keine ganz neue Idee. Â
Crowdfunding Ă la Mozart
https://youtu.be/6cqM-J7Niko (Opens in a new window)Am 28. Dezember 1782 schreibt Wolfgang Amadeus Mozart einen Brief (Opens in a new window). Der Komponist erklĂ€rt dem Vater, wie und warum er seine Musik gleichzeitig populĂ€r und anspruchsvoll komponiert: "Um Applaus zu gewinnen, muss man Dinge schreiben, die so verrĂŒckt sind, dass ein Kutscher sie singen könnte, oder so unverstĂ€ndlich, dass es gerade deshalb gefĂ€llt, weil kein vernĂŒnftiger Mann es verstehen kann." Seinen Erfolg schreibt er also nicht allein seiner Kunst zu, sondern der FĂ€higkeit, sie auch einfachen Leuten zugĂ€nglich zu machen.  Â
Es geht im Brief um eine Reihe von Concertos, die Mozart komponiert hatte, um sie selbst öffentlich aufzufĂŒhren. Er schaltet "ein gedrucktes Avertissement" und wirbt darin fĂŒr diese Abonnenten-Konzerte; also AuffĂŒhrungen, die nur stattfinden wĂŒrden, wenn genug Leute eine Eintrittskarte kauften.Â
TatsĂ€chlich klappt das erst im dritten Anlauf. Am 20. MĂ€rz 1784 aber schickt der Komponist dem Vater stolz eine Liste seiner 176 "Souscribenten", eine exquisite Community, bestehend aus dem Who is Who des Wiener Adels: "Hier haben sie die Liste von allen meinen Souscribenten; â Ich habe allein um 30 Abbonenten mehr als Richter und Fischer zusamen." Lustig, oder? Auch dieser Creator hat sich verglichen. Richter und Fischer kenne ich persönlich nicht. Mozart hingegen, könnte man argumentieren, hat sich inzwischen etabliert.Â

Gefunden habe ich den Brief hier bei der Cornell University (Opens in a new window), das Original befindet sich im Mozarteum in Salzburg (Opens in a new window).
Zu den Zusatzleistungen, die Mozart seinen Souscribenten neben der Eintrittskarte in Aussicht stellt, gehören Partituren der Kompositionen. Und zwar gleich in zweifacher AusfĂŒhrung: Einmal fĂŒr Orchester und einmal fĂŒr Kammerorchester. Man kann sich die Musik also auch zu Hause im Salon vorspielen lassen, falls man ein Streichquartett zur Hand hat und einen Salon mit Comtes, Princessen und Lords zu fĂŒllen in Stande ist. Der Komponist passt sein Produkt also auf die speziellen BedĂŒrfnisse der Nischen-Community an.Â
Die ARD ist keine Community
Und damit zurĂŒck ins Funkhaus. Communitys sind Gruppen von Menschen, die sich abgrenzen von anderen Gruppe und sich dadurch zusammengehörig fĂŒhlen. "Ich muss nicht zahlen, aber ich tue es trotzdem, denn ich will dazugehören", das ist die Logik von Communitys. Aber nicht die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Budget von ARD und ZDF hĂ€ngt nicht von einer spezifischen Zielgruppe ab, sondern sie dienen allen Bewohnern dieses Landes. Wenn alle, oder möglichst viele gemeint sind, kann keine Community entstehen.Â
So betrachtet erklĂ€rt sich die Kritik am öffentlich-rechtlichen System. Die Kritiker bestreiten, dass sich die Sender an allen orientieren, sondern unterstellen eine Bevorzugung. Zum Beispiel von linken Parteien, von Ă€lteren Menschen, von Volksmusik-, Krimi- oder FuĂballfans. Wenn alle zahlen, warum gebt ihr das Geld aus fĂŒr diese Communitys, zu denen ich nicht dazugehöre?Â
Stattdessen: Ihr gehört aber lĂ€ngst dazu. Ihr kontrolliert nicht das System. Ihr seid Teil des Systems. Eure Chefetagen sind mit ehemaligen Journalist:innen gefĂŒllt, die zu viel Lebenszeit mit Politiker:innen verbracht haben. Eure Gremien sind politisch durchdrungen. Ihr schustert euch Geld zu. Ihr sprecht die Sprache der MĂ€chtigen. Ihr fĂŒhrt die Leben der MĂ€chtigen. Ihr vertrete die Interessen der MĂ€chtigen. Ihr seid selbst die MĂ€chtigen.Â
Ein System, das nur Die da oben vertritt â und noch dazu korrumpierbar ist â verliert seine LegitimitĂ€t. Das ist nicht meine Meinung. Ich finde das öffentlich-rechtliche System richtig, wichtig und unersetzlich wertvoll. Aber ich kann nachvollziehen, warum diese Sicht bei manchen Leuten immer erfolgreicher wird.Â
Wenn alle zahlen, sollten alle alles wissen
Wenn es darum geht, Vertrauen zu schaffen, können sich öffentlich-rechtliche Leute mindestens zwei Dinge abgucken von Community-basierten Modellen wie dem von NPR â oder dem Mozarts.
Das erste Prinzip wÀre Transparenz. Wenn alle zahlen, sollten alle alles wissen. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass die gute Bezahlung von Intendanten zu hoch ist. Viele Kritiker:innen dieses Gehalts verdienen wahrscheinlich besser. Das Problem ist eher, dass der Eindruck entsteht, dieses Gehalt werde durch Mauschel-Methoden festgelegt. ZusÀtzliche Bonus-Zahlungen, die nur wenigen bekannt sind, sind der tatsÀchliche Skandal.
ARD und ZDF stehen nicht unter demselben Druck wie marktwirtschaftlich finanzierte Unternehmen. Sind sind deswegen wenig effizient, das liegt leider in der Natur der Sache. Deswegen mĂŒssen sie an anderer Stelle strengeren Standards genĂŒgen. GehĂ€lter â auch von freien Mitarbeitenden, so wie es die meisten Moderator:innen sind â sollten öffentlich sein. Wer wegen des Geldes zu privaten Sendern wechselt, der sollte eben gehen. Transparenz sollte der Wert sein, der alle anderen ĂŒbertrumpft.Â
Wenn alle zahlen, sollten alle alles nutzen können
Das zweite wichtige Prinzip: Was die Community finanziert, gehört der Community. Im Fall von ARD und ZDF mĂŒsste das heiĂen: Wenn alle zahlen, sollten alle alles nutzen können. Das klingt wie eine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Wenn BeitrĂ€ge, die ich finanziert habe, nicht mehr zugĂ€nglich sind nach einer bestimmten Zeit, ist das fĂŒr Beitragszahler nicht nur ein schlechter Deal, es kostet dem System LegitimitĂ€t.Â

Es sollte ein Grundsatz sein, dass alle nutzen können, was sie mitfinanzieren. Wenn man "Monaco Franze" (Opens in a new window)  nur mit einer Netflix-Abo schauen kann,  "Ein Mann will nach oben" (Opens in a new window) bei Amazon auf DVD kaufen soll und fĂŒr "Liebling Kreuzberg" (Opens in a new window) Telekom-Kunde sein muss, dann ist das System falsch konstruiert. Stellt alles ins Internet, was uns gehört.
Nun zu uns
Die meisten Leser:innen dieses Newsletters sind nicht die ARD. Aber beide VorschlĂ€ge sind fĂŒr alle nĂŒtzlich, die eine Community um sich versammeln.Â
 Ich empfehle immer, so offen wie möglich zu sein. Zum Beispiel die Zahl der Mitglieder und die Höhe des Umsatzes zu veröffentlichen. Fehler zuzugeben und aufzuarbeiten. Offenzulegen, was man nicht weiĂ. Wenn du dich öffnest, machst du dich verletzlich. Das ist ein wichtiger Schritt auf das GegenĂŒber zu. Oft ermöglicht es diese Transparenz den Usern, sich als Teil einer Community zu fĂŒhlen und sich fĂŒr eine Mitgliedschaft zu entscheiden.
 Wenn du eine Community startest, gehört alles der Community, nicht dir. Besonders, wenn die Leute fĂŒr eine Mitgliedschaft oder ein Abo zahlen. Sollen bestimmte Dinge nochmal extra kosten, fĂŒhlen deine Mitglieder sich wahrscheinlich verĂ€ppelt, zusĂ€tzlich aber sind sie auch persönlich enttĂ€uscht, denn du hĂ€ltst etwas zurĂŒck, was du nur verwaltest. Es gehört der Community.  Â
Bis nĂ€chsten Montag!     Â
đ Sebastian
PS:
đ§ Am Freitag um 12 bin ich zu Gast im Podcast "Turi2-Clubraum (Opens in a new window)". Wer mag, kann live zuhören.
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