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Die Zerstörung von Chrysalis und die Ringe des Saturn

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Sternengeschichten Folge 663: Die Zerstörung von Chrysalis und die Ringe des Saturn

Das, was den Saturn so besonders macht, sind seine beeindruckenden Ringe. Alle großen Planeten im äußeren Sonnensystem haben Ringe, aber kein Planet hat ein so gewaltiges Ringsystem wie Saturn. Wir wissen woraus sie bestehen, wir kennen die Struktur der Ringe im Detail, wir haben Raumsonden direkt durch die Ringe geflogen - aber wir wissen immer noch nicht genau, wie sie entstanden sind. Eine der besten Ideen, die wir dazu haben, hat mit Neptun zu tun und mit zwei Monden des Saturn, von denen einer nicht mehr existiert.

Die ganze Angelegenheit ist naturgemäß komplex, also fangen wir mal mit den Dingen an, die wir mit Sicherheit wissen. Saturn ist von jeder Menge mehr oder weniger breiten Ringen umgeben. Manche davon sind extrem schmal und nur wenig Meter breit, manche über 10.000 Kilometer. Wir wissen, dass sie gleichzeitig extrem dünn sind; ihre Dicke beträgt zwischen 10 und 100 Metern. Und sie bestehen aus unzählichen Brocken, von denen die größten ein paar Meter groß und die kleinsten nicht größer als Staubteilchen sind. Das Material ist vor allem Eis, aber es sind auch Gesteinsbrocken darunter. Der Saturn selbst ist so alt wie der Rest des Sonnensystems, also circa 4,5 Milliarden Jahre. Die beeindruckenden Ringe sind dagegen ein vergleichsweise junges Phänomen und nur gut 100 Millionen Jahre alt. Irgendwas muss also in der jüngeren Vergangenheit des Sonnensystems passiert sein, dass Saturn zu seinen Ringen verholfen hat.

Wo kommen die her? (Bild: NASA, public domain) (Opens in a new window)
Wo kommen die her? (Bild: NASA, public domain)

Und bevor wir uns ansehen, was das gewesen sein könnte, ein kurzer Einschub: Nicht alle Ringe des Saturns sind auf die selbe Weise entstanden. Wir wissen, dass es auf manchen Monden Eisvulkanismus gibt, wie ich in Folge 300 erzählt habe. Dabei werden Eisteilchen ins All geschleudert, die Ringe bilden könnte. Das ist nicht das Phänomen, um das es im Folgenden geht - wenn ich ab jetzt von den "Ringen des Saturn" reden, dann meine ich die großen, hellen Ringe, die man schon im 17. Jahrhundert entdeckt und die, die man im Allgemeinen vor Augen hat, wenn man sich die Saturnringe vorstellt.

Wo also kommen die her? Die wissenschaftlich korrekte Antwort lautet: Das wissen wir nicht. Die heute weitestgehend akzeptierte Vermutung lautet: Die Ringe sind das Material, das entstanden ist, als einer seiner Monde auseinandergebrochen ist. Das klingt prinzipiell plausibel, denn die Monde des Saturn sind eisige Himmelskörper mit einem Kern aus Gestein und würden genau die Mischung an Material in der genau der Gegend produzieren, in der wir die Ringe heute beobachten. Nur: Monde brechen nicht einfach so auseinander. Wie macht man einen Saturnmond kaputt? Schon im 19. Jahrhundert hat man vermutet, dass ein Mond dem Saturn vielleicht zu nahe gekommen ist, so dass er durch die dort sehr stark wirkende Gezeitenkraft des großen Planeten auseinandergerissen worden ist. Auch das klingt plausibel, aber hier gilt wieder: Warum sollte ein Mond sich vor 100 Millionen Jahren plötzlich auf den Weg gemacht und dem Saturn immer näher gekommen sein? Auch das machen Monde nicht einfach so, die bleiben so lange auf ihren Umlaufbahnen, bis sie durch eine äußere Ursache dazu gebracht werden, die Bahn zu ändern. Womit wir wieder bei der Frage sind: Was ist damals passiert und hat einen Mond zerstört?

Fangen wir am Anfang an, also mit der Entstehung des Saturn. Zusammen mit der Sonne, der Erde und den anderen Planeten ist der Saturn vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden. Damals sind auch die großen Monde des Saturn entstanden, unter anderem sein größer Mond, der Titan, von dem ich in Folge 157 ausführlich erzählt habe. Es ist auch Iapetus entstanden, ein kleinere Saturnmond, der in der letzten Folge der Sternengeschichten einen kurzen Auftritt gehabt hat. Es sind die anderen Monde entstanden, die wir heute kennen und es ist Chrysalis entstanden. So haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Himmelskörper genannt, der damals vielleicht existiert hat und dessen Schicksal zentral für diese Geschichte ist.

Chrysalis ist ungefähr so groß wie Iapetus, mit einem Durchmesser von circa 1500 Kilometern. Das sind zwei ordentlich große Monde, auch wenn sie nicht so groß sind wie der gigantische Titan, mit einem Durchmesser von 5150 Kilometern. Titan ist ungefähr 1,2 Millionen Kilometer vom Saturn entfernt, Iapetus ist mit einem Abstand von 3,5 Millionen Kilometer weiter weg. Chrysalis umkreist den Saturn irgendwo zwischen den beiden. Und auch wenn Saturn damals schon der Planet ist, den wir auch heute noch sehen können, gibt es auch hier Unterschiede. Die Achse, um die er sich alle knapp 11 Stunden einmal dreht, steht damals fast senkrecht auf die Ebene, in der er sich um die Sonne bewegt. Oder anders gesagt: Die Neigung seiner Achse ist fast gleich Null. Das muss nicht so sein; bei der Erde zum Beispiel haben wir heute eine Achsenneigung von 23,5 Grad, was auch der Grund ist, warum wir hier so ausgeprägte Jahreszeiten erleben können. Jupiter hat dagegen eine Achsenneigung von nur 3 Grad. Und keine Sorge, es wird bald klar werden, warum die Neigung der Achse wichtig ist.

Wir haben also einen Saturn mit einer sehr geringen Achsenneigung und einem Mond, der heute verschwunden ist. Wir haben außerdem noch ein paar weitere Planeten im Sonnensystem und auch wenn sie alle vergleichsweise weit voneinander entfernt sind, üben sie natürlich trotzdem eine Gravitationskraft aufeinander aus. Die Effekte sind gering, aber über lange Zeit hinweg können sie dennoch Auswirkungen haben. Die diversen gravitativen Störungen sorgen unter anderem dafür, dass die Rotationsachse von Saturn anfängt zu präzessieren. Das bedeutet: Die Richtung am Himmel, in die sie zeigt, bleibt nicht fix sondern ändert sich im Laufe der Zeit. Auch davon habe ich schon oft gesprochen, zum Beispiel in den Folgen 211 und 645, in denen es um die Präzession der Erdachse ging. Heute zeigt sie in Richtung des Polarsterns, aber das ändert sich im Laufe der Zeit und die Erdachse braucht knapp 26.000 Jahre um eine komplette Drehung zu vollenden. Die Geschwindigkeit mit der sich die Richtung der Achse ändert, nennt man Präzessionsrate und die wird im Fall des Saturns gleich noch wichtig.

Schauen wir aber zuerst zum Titan. So wie zwischen Mond und Erde gibt es auch zwischen Titan und Saturn eine Gezeitenkraft. Bei der Erde sorgt dieser Effekt für Ebbe und Flut; die Gezeiten sorgen aber auch dafür, dass sich der Mond langsam von der Erde entfernt. Beim Titan ist es genau so: Er wandert im Laufe der Zeit langsam nach außen. Und das ist absolut wichtig für den Rest der Geschichte! Titan hat fast so viel Masse wie alle anderen Saturnmonde zusammengenommen. Er hat deswegen auch einem starken Einfluss auf die Präzession der Rotationsachse des Saturn und der Einfluss wird sogar noch größer, wenn er sich entfernt. Das klingt seltsam, aber man kann sich die Monde wie Griffe vorstellen, an denen die Gravitationskraft der Sonne und der anderen Planeten ansetzen kann, um die Rotationsachse des Saturns zu drehen. Titan ist der größte Griff und je weiter er weg ist, desto stärker ist auch der Hebel, den die Gravitationskraft hat. Wie gesagt, das ist ein vereinfachtes Bild, aber es ist auch nicht völlig falsch. Wenn der Titan sich also vom Saturn entfernt, dann ändert sich die Geschwindigkeit, mit der Saturns Rotationsachse ihre Richtung ändert.

Und jetzt kommt Neptun ins Spiel. Man kann sich fragen, was der bei diesem Thema überhaupt zu suchen hat. Neptun ist der äußerste Planet des Sonnensystems und weit vom Saturn entfernt (zwischen den beiden zieht auch noch Uranus seine Runden). Was hat der mit der Angelegenheit zu tun? Nun, ich hab ja zu Beginn gesagt, dass das alles sehr komplex ist und das war nicht gelogen. Das ist nämlich der Punkt, an dem die Spin-Orbit-Präzessionsresonanz ins Spiel kommt. Unser Sonnensystem ist ein höchst dynamischer Ort. Alles ist in Bewegung, und damit ist nicht einfach nur die Tatsache gemeint, dass sich die Planeten um die Sonne bewegen. Das tun sie zwar, aber alles andere bewegt sich auch! Die Bahnen, auf denen sie um die Sonne laufen, verändern sich selbst ständig, sie werden größer und kleiner, sie drehen sich im Raum, und so weiter. Die Rotationsachsen der Planeten schwanken und drehen sich und all das hat Auswirkungen. Alle Himmelskörper beeinflussen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft und es gibt Situationen, wo dieser Einfluss besonders groß werden kann. So einen Zustand nennt man "Resonanz" und er tritt immer dann auf, wenn sich irgendwelche Zustände regelmäßig wiederholen. Gravitative Störungen können sich dann aufschaukeln, genau so wie man buchstäblich eine Schaukel immer höher schubsen kann, wenn man nur regelmäßig und im richtigen Moment anschubst. Resonanzen im Sonnensystem gibt es immer dann, wenn zwei Bewegungen auf bestimmte Weise zusammenpassen. Wenn ein Planet zum Beispiel genau doppelt so lange für eine Runde um die Sonne brauchen würde, als die Erde, dann würde dieser Planet jedes zweite Jahr wieder genau in der gleichen Position in Bezug auf die Erde stehen wie zuvor. Er könnte der Erde also auch regelmäßig alle zwei Jahre einen Gravitationsschubs geben und das könnte sich im Laufe der Zeit so summieren, dass die Bahn der Erde instabil wird. So einen Planeten gibt es zum Glück nicht, aber Resonanzphänomene dieser Art sind häufig.

Das, um das es in dieser Geschichte geht, ist eine Spin-Orbit-Präzessionsresonanz zwischen Saturn und Neptun. Und es bedeutet: Die Geschwindigkeit mit der sich die Richtung von Saturns Rotationsachse ändert, ist auf die Geschwindigkeit abgestimmt, mit der sich die Umlaufbahn des Neptuns um die Sonne dreht. Es dauert in beiden Fällen ungefähr 1,9 Millionen Jahre, bis eine Runde durch ist und es ist schwer vorstellbar, dass das irgendwelche Auswirkungen haben sollte, aber wie gesagt: Das Sonnensystem ist ein dynamischer Ort. Die Himmelskörper existieren nicht isoliert voneinander sondern hängen durch unsichtbare Gravitationsfäden zusammen. Wenn man an einem Ort ein wenig daran zupft, dann wackelt es irgendwo anders. Bewegungsenergie und Drehimpuls werden durch ein Netzwerk an Resonanzen zwischen den Himmelskörpern ausgetauscht und bei der Spin-Orbit-Präzessionsresonanz zwischen Saturn und Neptun hat das dazu geführt, dass sich die Neigung der Rotationsachse im Laufe der Zeit erhöht hat.

Also halten wir mal fest was bis jetzt passiert: Die Gezeitenkraft zwischen Titan und Saturn lässt den Titan nach außen wandern. Dadurch erhöht sich langsam auch die Präzessionsgeschwindigkeit von Saturns Rotationsachse. Irgendwann, vor ungefähr 300 Millionen Jahren ist der Punkt erreicht, wo diese Geschwindigkeit genau mit der Präzessionsgeschwindigkeit von Neptuns Umlaufbahn übereinstimmt. Ab da wirkt die Resonanz, was bedeutet, dass die Präzession jetzt einerseits stabil wird, sich die Geschwindigkeit also nicht mehr ändert. Andererseits muss sich dafür irgendwas anderes ändern und das ist die Neigung von Saturns Rotationsachse, die immer stärker wird. In der Zwischenzeit bewegt sich der Titan aber immer weiter nach außen bis auf einmal ER auch in einer Resonanz landet. Auf seiner Wanderung weg vom Saturn hat er irgendwann vor ungefähr 200 Millionen Jahren einen Punkt erreicht, wo er für drei Runden um den Planeten genau so lange braucht wie Chrysalis für eine Runde. Diese Resonanz ist zerstörerisch; sie macht die Umlaufbahn von Chrysalis instabil.

Der Mond kann jetzt entweder aus dem Saturnsystem geschleudert werden, oder - und das ist für diese Geschichte der interessantere Fall - in Richtung des Saturn selbst. Wenn er dabei nicht einfach direkt auf den Riesenplaneten prallt, sondern quasi streifend mit ihm kollidiert, dann kann er dabei so zerissen werden, dass ein Großteil des Materials aus dem Chrysalis besteht, in Form von Ringen übrig bleibt. Das war vor ungefähr 100 Millionen Jahren und seitdem hat Saturn seine Ringe. Weil jetzt außerdem ein vergleichsweise großer Mond nicht mehr da ist, fällt auch dessen Einfluss auf die Präzessionsgeschwindigkeit der Saturnachse weg. Sie passt nicht mehr zu Neptuns Präzession und die Spin-Orbit-Resonanz endet. Die Saturnachse hört auf sich weiter zu neigen, geht aber natürlich auch nicht mehr in die Position zurück, in der sie ursprünglich war. Sie bleibt circa 27 Grad geneigt und auch Titan hat die Sache nicht ganz unbeschadet überstanden: Seine ursprüngliche fast kreisförmige Umlaufbahn ist durch den ganzen dynamischen Aufruhr ein wenig langgestreckter geworden.

Ob das alles wirklich so war, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass die Neigung von Saturns Achse mit 27 Grad unerwartet groß für einen Planeten dieser Art ist. Wir wissen, dass die Ringe jung sind und Titan eine Umlaufbahn hat, die auffällig wenig kreisförmig ist. Und die Präzession von Saturns Achse liegt ebenso auffällig nahe an der Präzessionsgeschwindigkeit von Neptuns Bahn. All das passt zusammen und all das lässt sich zumindest in Computersimulationen nachvollziehen.

Und wenn die Geschichte wirklich so gelaufen ist, dann zeigt sie ein weiteres Mal, was für ein wunderbarer und komplexer Ort das Sonnensystem ist. Die Gezeiten zwischen Titan und Saturn verändern die Umlaufbahn des großen Mondes, dadurch ändert sich die Geschwindigkeit der Achsendrehung des Saturns, bis irgendwann der ferne Neptun ins das Spiel eingreift und die Rotationsachse des Saturn verschiebt, während Titan durch seinen Einfluss einen anderen Mond seinem zerstörerischen Schicksal entgegenschickt und von all dem bleiben am Ende die fantastischen Ringe des Saturns.

Topic Astronomie

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