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„BEAUTIFUL KILL“

FILM-KRITIK - [Enthält leichte Spoiler zum Verlauf der Handlung]

„I feel it in my fingers
I feel it in my toes
War is all around me
And so the killing grows“

So die zartfühlige Anpassung (oder Verfremdung) eines musikalischen Klassikers von Wet Wet Wet. Das passt nicht nur auf die Weltlage, sondern ebenso auf die letzten Filme, für die Alex Garland verantwortlich zeichnete, wie etwa CIVIL WAR oder jüngst WARFARE (Opens in a new window). Ebenso zum dritten Film wie Auftakt einer neuen Trilogie der postapokalyptischen Horror-Drama-Filmreihe 28 YEARS LATER, der heute im Kino startet.

Garland schrieb ebenfalls das Drehbuch zum ersten Teil, 28 DAYS LATER, und war für Teile des Nachfolgers, 28 WEEKS LATER, verantwortlich. Mit ihm, jedenfalls was den Erstling angeht, der mittlerweile bald 70-jährige britische Kultregisseur Danny Boyle, der auch nun wieder Platz auf dem Regiestuhl nahm – was dem Film deutlich anzumerken ist. Im Guten wie Nicht-Ganz-So-Guten. Doch eines nach dem anderen, denn zunächst geht es in die Vergangenheit, bevor es 28 Jahre in die Zukunft geht.

Wir befinden uns wieder am Beginn der Filmreihe, in jener Zeit, in der das so genannte Rage-Virus (zu dt.: Wut-Virus) ausbricht, das Menschen binnen weniger Sekunden in rennende, zappelnde, wütende Infizierte verwandelt, die sich letztlich wie Zombies verhalten. Zeuge wird der eben noch mit seinen diversen Schwestern die Teletubbies schauende Jimmy. Der rennt hilfesuchend in Daddy's Church (Opens in a new window), wo ihn, nun, Grausiges erwartet.

Jodie Comer und Regisseur Danny Boyle bei den Dreharbeiten zu Sony Pictures' 28 YEARS LATER. © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.
Jodie Comer und Regisseur Danny Boyle bei den Dreharbeiten zu Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Sprung in die Zukunft: Wir befinden uns auf der (real existierenden) Gezeiteninsel Lindisfarne, die nur bei Ebbe über einen Damm zu erreichen ist. (Und im „wirklichen“ Leben vor allem als Urlaubsinsel genutzt wird, da schwer zu erreichen und es aus Platzmangel wenig bezahlbaren Wohnraum gibt.) Hier leben ein paar sich selbst versorgende Überlebende/Nicht-Infizierte nach strengen Regeln des Arbeitens und Trainierens, Miteinanders und der Abschottung und nicht zuletzt des Glaubens. Über all das wacht auch Queen B. Lilibeth.

Morgens begegnen wir in der harmonischen Insel-Einöde dem 12-jährigen Spike (großartig: Alfie Williams), dem Sohn von Isla (Jodie Comer) und Jamie (derzeit scheinbar in jedem zweiten Film: Aaron Taylor-Johnson). Der fürsorgliche, doch sehr mann-männliche Papa hat vor, den Sohn heute zum ersten Mal über den Damm mit auf das unter Quarantäne stehende Festland zu nehmen, so dass der dort seine erste Tötung von Infizierten vornehmen (“The more you kill, the easier it gets”) und erfahren kann, wo er womöglich später einmal arbeitet. Werden vom englischen Brexit-Land doch einige der Ressourcen wie Brennholz geholt.

Jamie (Aaron Taylor-Johnson) und sein Sohn Spike (Alfie Williams) in Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Mama Isla bleibt indes daheim im Bett. Sie leidet unter einer mysteriösen Krankheit, die massive Kopfschmerzen/Migräneanfälle und Demenz-Schübe auslöst. (Manch eine*r mag hier bereits ahnen, was die Ursache ist.) Um sie kümmert sich auch der Familienfreund Sam (Christopher Fulford), der „Spikey“ später von einem seltsamen Dr. Kelson auf dem Festland berichten wird...

...bis wir allerdings soweit sind, geht es zunächst auf besagtes Festland. Dass der Aufenthalt dort nicht ganz reibungslos läuft, können wir uns gut vorstellen. Weniger wohl, wie kreativ Regisseur Danny Boyle, Autor Alex Garland und Bildgestalter Anthony Dod Mantle die vorhersehbaren Begegnungen mit den „Zombies“ einbauen und inszenieren. Dass mitunter besonders enge Momente entstehen, die zum Teil mit iPhone-Geräten neuerer Generation im 2.76:1-Format gedreht wurden. Eine ultrarealistische Spielerei, die in den ersten Momenten überrascht bis irritiert, schließlich begeistert.

Ebenfalls eindrücklich (auch dank eines hervorragenden Sound Designs und famosen Schnitts), wenn des Nächtens ein Haus in sich zusammenfällt oder Jamie und Spike von einem Alpha (aka einem wesentlich weiter entwickelten, stärkeren Infizierten in Form eines Anführers) und einem Haufen Krähen gejagt werden. In diesem Zusammenhang überrascht es übrigens, wenn Jamie behauptet, die Zombie-ähnlichen hätten „no mind, no soul“, wir dann aber jenem Alpha begegnen, der Warnzeichen absetzt und seine Gruppe bewusst anführt. Oder auch, wenn wir es in der zweiten Filmhälfte mit einer schwangeren (und gebärenden) Infizierten zu tun bekommen.

Ein Infizierter in Sony Pictures' 28 YEARS LATER. © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.
Ein Infizierter in Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Allerdings erfahren wir ebenso, dass Jamie, den wir wohl lange für den erwachsenen „Jimmy“ halten, es mit der Wahrheit im Notfall nicht ganz genau nimmt. Was nicht zuletzt Sohn Spike irritiert, der sich wiederum kurzerhand entschließt, die Mutter an die Hand zu nehmen und sich mit ihr auf dem Festland auf die Suche nach besagtem Dr. Kelson zu begeben. Damit beginnt der zweite Filmteil, der mit weit klassischen Elementen dystopischer Zombie-Filme wie -Serien arbeitet. Ungewöhnliche Verstecke, weitere Überlebende oder Gestrandete, Knochen und Namen, Blut und Eisen... äh, Eiter. (Das britische Festland ist nach dem Zurückdrängen des Virus aus Europa, siehe 28 Weeks Later, streng abgeriegelt – wer einmal dort ist, muss bleiben. Grüße an den Brexit!)

Da kommt es dann zum zuweilen auftauchenden Boyle-Nachteil: Der Film zerfasert inhaltlich ein Stück weit. 28 YEARS LATER fühlt sich recht episodenhaft an. Zunächst der Start und die erste Jagd, dann die Suche mit der Mutter und Begegnung mit dem schwedischen NATO-Soldaten Erik (Young Royals-Star Edvin Ryding als Arschloch) und schließlich die Begegnung mit dem von Ralph Fiennes gespielten Arzt. Ganz zum Ende noch Spikes Zukunft – 28 Tage später – und die Begegnung mit einer Art Kult und einer von Skins-Jack O'Connell gespielten Figur. Letzteres weist dabei auf den zweiten, für Januar 2026 angekündigten Teil 28 YEARS LATER – THE BONE TEMPLE unter der Regie von Nia DaCosta (Candyman, The Marvels) hin.

Dr. Kelson (Ralph Fiennes) und Isla (Jodie Comer) in Sony Pictures' 28 YEARS LATER. © 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.
Dr. Kelson (Ralph Fiennes) und Isla (Jodie Comer) in Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Das tut weder dem Vergnügen noch dem Grauen, die der teils eigenwillig humorvolle (Stichwort: Schalentier-Allergie) Film mit sich bringt, keinen Abbruch, hindert ihn jedoch daran, wirklich großartig zu sein. Allerdings muss er wohl letztlich im Gesamtkonzept der Trilogie gesehen werden (was der Autor dieser Zeilen wiederum immer etwas schwierig findet). Diesem kleinen Kritikpunkt zum Trotz beeindruckt 28 YEARS LATER an vielen, vielen Stellen. Sei es durch tolle Bilder, gutes Timing, soliden Gore (FSK: 18), manch Emotion, Spitzen-Spiel, etc. pp.

Schon der preisgekrönte Trailer begeisterte die Menschen, auch aufgrund der Verwendung des Marschgedichts BOOTS von Dschungelbuch-Autor Rudyard Kipling, eindringlich gesprochen von Taylor Holmes. Selbstredend begegnen wir diesem wie historischen Militäraufnahmen und Filmausschnitten im Hauptfilm und werden an Sergei Loznitsas Dokumentationen und nicht zuletzt an Kerstin Poltes BLINDGÄNGER-Beginn (Opens in a new window) erinnert.

https://www.youtube.com/watch?v=mcvLKldPM08 (Opens in a new window)

Ob das fertige Produkt nun die ausgelöste Erwartungshaltung erfüllen und dem Hype gerecht werden kann, wird sich in den kommenden Tagen nicht zuletzt an den Kinokassen zeigen. (Für das internationale Startwochenende werden immerhin Einnahmen von 30 Millionen US-Dollar angestrebt (bei einem Budget von circa 60 - 70 Millionen), vor allem tritt der Dystopie-Horror gegen den Disney-Film (Opens in a new window) ELIO an, den wir aus Zeitgründen leider nicht sehen konnten, das holen wir aber nach.)

Worauf sich wohl alle Zuschauer*innen einigen könnten, ist, dass 28 YEARS LATER, ganz wie seine Vorgänger, optisch herausragend, von treibendem Score sowie passender Popmusik begleitet und arg zeitgemäß ist. Seien es erwähnte Andeutungen Richtung Brexit, Parallelen zu Covid, Kommentaren zur vermeintlichen Überlebens-Notwendigkeit von Technik und Co. sowie Militarisierung und fortdauerndem Krieg.

Panischer oder gespannter Blick? Jamie (Aaron Taylor-Johnson) und sein Sohn Spike (Alfie Williams) in Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.
Panischer oder gespannter Blick? Jamie (Aaron Taylor-Johnson) und sein Sohn Spike (Alfie Williams) in Sony Pictures' 28 YEARS LATER // © 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Von unserer Seite unbedingt eine Empfehlung, nicht nur für jene, die die 28 Tage und Wochen zuvor verfolgt haben, der neue Film funktioniert ohne Vorkenntnisse. Wenn er durch sie auch schmackhafter ist. Ansonsten eben zunächst in die düstere, doch immerhin wunderbar grüne Zukunft schauen (Opens in a new window) und anschließend zurückblicken. 

AS

PS: “Scots on the Rocks.” - Herrlich!

PPS: Finde(n) es by the way einigermaßen irritierend, wenn ausgesprochene und sich öffentlich immer wieder positionierende Pazifist*innen begeistert in Filme wie Mission Impossible: The Final Reckoning (Opens in a new window) oder From the World of John Wick: Ballerina (Opens in a new window) rennen (wollen).

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Opens in a new window) oder auf Facebook (Opens in a new window). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Opens in a new window).

 28 YEARS LATER ist seit dem 19. Juni 2025 im Kino zu sehen.

28 YEARS LATER; Großbritannien 2025; Regie: Danny Boyle; Drehbuch: Alex Garland; Bildgestaltung: Anthony Dod Mantle; Musik: Young Fathers; Darsteller*innen: Jodie Comer, Aaron Taylor-Johnson, Alfie Williams, Ralph Fiennes, Christopher Fulford, Edvin Ryding, Jack O'Connell, Emma Laird, Erin Kellyman, u. v. a.; Laufzeit ca. 115 Minuten; FSK: 18

Topic Film

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