Ungefilterte Fotos aus Gaza

Wir werden täglich bespielt mit Fotos aus dem Gazastreifen. Doch diese haben Filter durchlaufen. Und Filter können dazu führen, das man sich - im wahrsten Sinne - ein falsches Bild macht.
Als Teil meines Jobs sehe ich auch an, die Mechanismen der Agentur- und Nachrichtenmedien zu erklären.
Wann immer ich das bei der Versorgungslage im Gazastreifen aber tue, wird in den Kommentarspalten versucht, es irgendwie zu diskreditieren. Oder mich.
Beispielsweise indem unterstellt wird, ich wolle manipulierend so tun, als gäbe es keinen Hunger, keine Versorgungsprobleme oder alle anderen würden lügen. Man nennt das Strohmann-Argumente. Es wird etwas widerlegt, was ich gar nicht behauptet habe.
Das passiert auch immer dann, wenn ich Bilder aus dem Gazastreifen zeige, die nicht der Erwartungshaltung oder dem gängigen Narrativ entsprechen. Grundsätzlich wird darauf verwiesen, dass das nur Einzelfälle seien.
Also habe ich mal etwas Geld in die Hand genommen und einige Fotos von Agenturen gekauft.
Ich empfehle auch gerne Imshin, die auf ihrem X-Account (Opens in a new window) und auf Instagram (Opens in a new window)einfach nur das zeigt, was Palästinenser täglich selber veröffentlichen. Weil sie für ihr Café oder ihrem Schawarma-Stand werben. Unter dem Hashtag #TheGazaYouDontSee – Das Gaza, dass Ihr nicht seht.
Doch ich möchte auch einen Eindruck geben, was in den Agenturen zu kaufen ist, die große Medien nutzen. Was Medien zeigen könnten, wenn sie wollten.
Zunächst erkläre ich vereinfacht den Hintergrund, und dann zeige ich Bilder.
Natürlich kann ich nicht hunderte Bilder kaufen, es ist so schon teuer genug. Es muss also anekdotisch bleiben. Aber es vermittelt vielleicht einen Eindruck.
Der Markt
Den Markt, das Foto-Business, hinterfragen viele nicht.
Umso weniger diejenigen, die laut danach rufen, dass Israel keine internationale Presse in den Gazastreifen lässt.
Was das genau ändern sollte oder ob die Palästinenser von der Idee so begeistert wären, wird nicht hinterfragt. Denn man geht ja von vorn herein davon aus, dass Israel etwas zu verbergen hat und dass „die“ Wahrheit™ ganz im Sinne der Palästinenser wäre.
Nehmen wir an, ich wäre im Gazastreifen und würde ein Foto machen. Dann könnte ich dieses Foto verkaufen.
Da ich keinen Kontakt zu Reuters oder zur New York Times habe, wäre es das Beste, ich verkaufe die Bildrechte an eine Agentur. Die bekommt dafür einen Anteil und kümmern sich wie ein Manager darum, wie man damit am besten Geld verdient.
Die größte Agentur im Bereich Gazastreifen ist die Anadolu Agency (Anadolu Ajansı). Das ist eine staatliche Agentur der Türkei.
Richtig gelesen: Diese Agentur ist staatlich und vertritt die regierende Partei AKP von Erdoğan. Sie wurde schon vor 20 Jahren „auf Linie“ gebracht.
Überspitzt gesagt ist die Türkei der größte Vermarkter von Bildern aus dem Gazastreifen. Und sie verdient daran Geld.
Natürlich könnte ich mein Foto auch versuchen direkt an die Medien zu verkaufen.
Aber wenn ich das so mache, ist es danach „verbrannt“. Denn die Bild Zeitung oder die Washington Post werden sich beim direkten Kauf immer alleinige Rechte sichern. Mache ich das aber über eine Agentur, wird die versuchen die Rechte zu behalten. So könnten sie mein Foto auch an mehrere Medienhäuser verkaufen.
Es kommt also auch immer darauf an, was für ein Renommee ich selber habe, was das Bild am Markt wert ist, und so weiter.
Wenn kein großes Medium direkt kauft, kann die Agentur es auf dem Markt für Stock-Medien verbimseln. Das bringt weniger Geld, aber die Masse macht’s. Das sind Plattformen wie Getty Images, Shutterstock, Imago und viele andere.
Deshalb sind die meisten Foto-Journalisten heute keine fest angestellten Journalisten von großen Medienhäusern mehr. Selbst die, die es gab, haben stark abgenommen.
Jeder kann so etwas machen, dafür braucht es weder Studium noch Ausbildung.

Und wenn man sich das einmal klar macht, fällt einem auch auf, wie häufig Medien so tun, als würden die Journalisten zu ihnen gehören. Gerade im Gazastreifen war das erstaunlich. Vor allem zu beginn des Krieges, inzwischen hat das nachgelassen.
Plötzlich schreibt die Tagesschau, sie hätte ein Opfer interviewt. Obwohl genau das gleiche Interview plötzlich auch in der Hundustian Times und der CNN auftaucht. Plötzlich schreibt Reuters, einer ihrer Journalisten sei getötet worden, obwohl der seine Bilder auch an andere Medien verkauft hat.
Das ist eine Sprachregelung der Medien, die im Grunde nur dem Zweck dient, Authentizität zu suggerieren. Keine Redaktion in den USA oder Großbritannien kann überprüfen, ob derjenige, der ihnen Bilder verkauft oder mit dem sie vielleicht sogar einen Rahmenvertrag haben, nicht abends auf der Stadtteilversammlung der Fatah, Hisbollah oder Hamas Baklava futtert.

Das Business mit dem Elend
Im Gazastreifen haben wir damit also mindestens zwei Filter in dem, was wir täglich zu sehen bekommen.
Zum ersten das, was überhaupt verkauft wird.
Niemand interessiert sich für Fotos von Marktständen. Sie verkaufen sich einfach nicht. Und das wissen natürlich auch diejenigen, die Fotos verkaufen.

Elend verkauft sich. Ruinen, Hungernde, Essensausgaben, Verletzte, das wollen die Medien haben. Weil wir es anklicken. Und so sind die Marktplätze voll von solchen Bildern. Tausende täglich alleine aus dem Gazastreifen.

Ein weiterer Filter ist, ob andere das so toll finden, wenn sie fotografiert und veröffentlicht werden. Und im Falle des Gazastreifens geht das natürlich noch weiter. Denn der war auch schon vor dem Gazakrieg eine brutale Diktatur. Jeder Journalist tut also gut daran, nichts zu verkaufen oder überhaupt erst zu fotografieren, was die Hamas nicht will.
Und wenn das Narrativ aufrechterhalten werden soll, dass Israel die Palästinenser aushungern will, sollte man dem auch möglichst folgen.
Das ist systemisch, es ist im System der Medien enthalten. Da steckt keine Verschwörung dahinter, es ist normal.
Und da drauf kommt dann erst der Filter, den die meisten sich unter gezielter Propaganda sicher vorstellen. Gestellte Bilder. Oder Bilder von hungernden Kindern oder Alten mit Vorerkrankungen, was in dem Zusammenhang eine Dekontextualisierung ist. Die ich aber grundsätzlich verweigere abzubilden.

Ob die Türkei nun auch noch filtert, sei einmal dahingestellt.
Das ist auch der Grund, warum ich mich dabei eher zurückhalte. Denn ich finde die genannten, systemischen Filter viel gefährlicher. Zumal das meiste der Propaganda ja leicht zu durchschauen und oftmals stunzdoof ist. Adressiert an Ungebildete, die eher in anderen muslimischen Ländern zu verorten sind, als in Paris oder Los Angeles. Auch wenn es auch da natürlich genug Menschen gibt, die glauben wollen.

Eben weil sich durch das ständige Grundrauschen ein Framing, ein sozialpsychologischer Effekt einschleicht, ist es so gefährlich.
Wenn wir die Augen schließen und an Gaza denken, sehen wir Trümmer und verletzte Kinder, vielleicht sogar Hungernde und Menschen in Zelten. Die Frage muss also lauten, ob das tatsächlich die Lebensrealität abbildet und wie weit das für alle gilt.
Das Gaza, dass Ihr nicht seht
Die folgenden Bilder habe ich heute bei Stock-Anbietern gekauft.
Ort, Fotograf und Agentur habe ich angegeben. Ebenso das jeweilige Datum.
Alle Fotos wurden aufgenommen, nachdem laut UN und anderen eine Hungerskatastrophe droht. Bis auf die ersten beiden sogar nach der Blockade durch Israel.
Die Strandbilder wurden aufgenommen, nachdem das IPC eine Hungersnot ausgerufen hat.








Ich betone nochmal ausdrücklich, dass ich weder bestreite, dass die Bevölkerung im Gazastreifen teilweise leidet, noch dass es Hunger gibt. Ich behaupte auch nicht, dass der Junge mit dem Surfboard im Titelbild die Lebensrealität aller abbildet. Auch nicht, dass ausnahmslos alle Journalisten im Gazastreifen zur Hamas gehören.
Ich möchte die Mechanismen der Medien aufzeigen. Die viele auch nicht hinterfragen, obwohl sie sie inzwischen in der Tasche bei sich tragen.