Logbuch 2025, Teil 10
Es waren zwei Wochen – und was für welche. Es ist unheimlich aufregend, einer Demokratie live und in Farbe dabei zusehen zu können, wie sie durch den Entsafter gepresst wird, sagt man. Doku-Empfehlung hierzu: "Civil War” von Alex Garland (Opens in a new window). Noch schöner ist die Aussicht, all das in absehbarer Zeit auch bei sich zuhause erleben zu dürfen. Die Grundzüge dessen finden bereits statt, evtl nicht ganz so aufregend und von einstudierten Hysterievorwürfen begleitet, aber doch, wirklich, es passiert! Außerdem: Kinderbücher, Ein Mann, der einiges zu verzeihen hat und eine Tagesschau von Weld. Wir gehen rein:
Thema Faschismus:
Vor ca. Zwei Monaten nannte ein Mann mal Trump einen Faschisten (Opens in a new window) (insgesamt tun das viele Menschen, aber es geschah in einer Talkshow) und daraufhin gab es die tollsten Abwehrreflexe: Das entwertet den Begriff, er wurde demokratisch gewählt, der Mann mit dem vollen Haar hat einen falschen Faschismusbegriff (stimmt, trotzdem ist Trump Faschist), Faschismus ist Hitler und alles andere Geschichtsklitterung, es treffen zwar alle Merkmale von Faschismus zu aber noch nicht stark genug deswegen kann mans nicht so bezeichnen, der echte Faschismus kommt von links und vom Islam und von Ökos, Putin und Trump sind zwar Faschisten, aber die USA trotzdem demokratisch, in Russland ist 1935 aber in den USA 1925, die Bundesregierung sind auch Fa- naja.
Eine vollständige Aufzählung aller betreffenden Geschehnisse würde doch arg den Rahmen sprengen, die letzten zwei Wochen reichen auch: Trumps meist maskierte Braunhemden (Opens in a new window) haben einiges an Terror in Straßen und Nachbarschaften gebracht und verhaften alles, was nicht weiß genug ist. (Opens in a new window) Insbesondere in Kalifornien haben sich Communities organisiert und die mehr oder minder staatlich legitimierten Abschiebeknechte in Vollmontur entweder vertrieben oder umstellt. In Los Angeles kam es zu Belagerungszuständen (Opens in a new window), in denen der ICE-Abteilung die Ausfahrt aus Blocks versperrt wurde. Es folgten Bilder, die an den in der Einleitung genannten Spielfilm erinnern. Nachdem sich die Geheimpolizei den Weg freirammte, freiprügelte, und mit allem, was gerade noch so als nichttödlich deklariert wird freischoss, schickte der Diktator die Nationalgarde (Opens in a new window) und zusätzlich Marines (Opens in a new window) nach Los Angeles. Armee gegen Bevölkerung. Journalist*innen wurden beschossen (Opens in a new window), verprügelt, verhaftet. Ein US-Senator wurde auf einer Pressekonferenz der Innenbarbie zu Boden gerissen und zwischenzeitig (Opens in a new window)abgeführt, weil er kritische Fragen stellte. Einer der Bürgermeisterkandidaten von New York wurde ebenfalls zwischenzeitig verhaftet (Opens in a new window), weil er Migras sicheres Geleit zu ihren Anhörungen vor Gericht gab. In Minnesota erschoss ein Trump-Anhänger als Polizist verkleidet (Opens in a new window) eine Landesabgeordnete und ihren Mann und verletzte einen Landessenator und seine Frau schwer. Parallel dazu ließ sich der Machthaber zu seinem Geburtstag eine Militärparade ausrichten (Opens in a new window), die eher dürftig besucht war, während am selben Tag bis zu 11 Millionen Menschen (Opens in a new window)(Organisator*innenangaben, laut Guardian bis zu 6 Millionen) in mehr als 2.000 Orten gegen sein Regime auf die Straße gingen.
Vielleicht hatten die skeptischen Stimmen auch Recht und es gibt schlicht regionale Beschränkungen: In Deutschland hieße es Faschismus, in Amerika Konservatismus mit Kohlensäure.
Fast vergessen: Bundesfritze war auch noch zu Besuch im ovalen Büro (Opens in a new window). Er lächelte brav zu Lügen über gestohlene Wahlen, durfte den Befreiungsmythos bekräftigen, Gold und Golfschläger überreichen und bei Fox News den Ausländern Antisemitismus in die Schuhe schieben (Opens in a new window). Außerdem will er nicht, dass man mit gerümpfter Nase über den great Leader spricht. Die Tagesschau schreibt vom “sanften Zauber des ersten Beschnupperns” (Opens in a new window), aber sendete keine Tierdoku.
Thema Übergabe Besenrein:
Was hat die Faschisierung der Vereinigten Staaten mit Deutschland zu tun? Leider gar nicht mal so wenig. Der Fraktionsvorspahnende der Union sieht vielleicht nicht so sehr stilistisch, aber inhaltlich eine Menge Gemeinsamkeiten zu Trump (Opens in a new window). Neben Jens suchen auch andere die Nähe zum Autoritarismus, sei es der rege Austausch von Norbert Röttgen mit der Heritage Foundation (Opens in a new window) oder Spindoktoren wie Armin Petschner-Multari (Opens in a new window), der neben Florian Hahn, Andreas Scheuer und Doro Bär einem Erlebnistrip zu Ron DeSantis (Opens in a new window) beiwohnte. DeSantis gilt als radikaler als Trump und wurde kurzzeitig als mögliche Alternative zu ihm gehandelt. Florian Hahn ist inzwischen Staatsminister im Außenministerium und gedenkt gerne den Gebirgstruppen der Wehrmacht, die Transfeindin und Abtreibungsgegnerin Doro Bär ist mittlerweile unsere Raumfahrtministerin, die sich nebenher auch mit Forschung befassen muss. Unser Innenhorst Dobrindt legte nicht nur den Grundstein für Andi Scheuers Mautdebakel, sondern verlangte einst auch nach einer “Konservativen Revolution” (Opens in a new window) – eine Bewegung, die den Nationalsozialismus beflügelte. Ein AfD-Verbot sieht er skeptisch (Opens in a new window), dafür wollte er mal die Linke verbieten lassen (Opens in a new window). Der Kulturkampfminister hat ja so seine Begeisterung für Blut- und Boden-Rhetorik und den großen Austausch im Kleinen. Jüngst wurde er mit einer Gast-Textur in der Süddeutschen (Opens in a new window) geadelt, in der er, Zitation, auf die Gefahren von “radikal-feministischer, postkolonialer, öko-sozialistischer Empörungskultur” hinwies. Dann gabs da noch diese 551 Fragen (Opens in a new window) und die sukzessiven Kürzungen bei Demokratieförderungsprojekten (Opens in a new window). Erweiterung von Befugnissen (Opens in a new window) für Sicherheitsbehörden. Abbau des Sozialstaats (Opens in a new window). Zusammenarbeit mit Faschisten in Sachfragen gibt es zuhauf, zumindest auf kommunaler (Opens in a new window) und inzwischen auch auf Landesebene (Opens in a new window). Ach halt, im Bundestag gabs das ja auch schon! (Opens in a new window)

Thema Rechtsstaatlichkeit:
Immerhin versteht sich die Union als Law & Order-Partei, – was Verantwortung ggü dieser Selbstbezeichnung bedeutet, oder? Das VG Berlin bestätigte anhand von drei Fällen die Zurückweisung Asylsuchender als rechtswidrig. Weil die Sachlage in ihrer Grundsätzlichkeit über den Einzelfall hinausgeht (Opens in a new window), beschied darüber eine höhere Kammer anstatt einer einzelnen Person. Eine Revision des Beschlusses ist nicht möglich. Innenhorst Dobrindt will seine im Rahmen rechtswidriger Grenzkontrollen stattfindenden rechtswidrigen Zurückweisungen nun besser begründen, hats bislang aber noch nicht. Der Spiegel stellt zur Debatte: “Sollte Innenminister Dobrindt seine Verschärfung der Grenzpolitik zurücknehmen?” und “Ist die Missachtung des Gerichtsbeschlusses durch die Bundesregierung akzeptabel?”. Vox Populi, Vox dei. Passenderweise hat Markus Söder beim Gillamoos schon gefordert, “nicht die Gerichte sollen entscheiden, sondern die Politik soll sagen, was sie sich vorstellt! (Opens in a new window)” Teile der Union, die Bild, die Weld und latürnich Julian Reichelts Bumsbude stürzten sich auf die Parteizugehörigkeit eines der drei Richter in der zuständigen Kammer, in der Folge waren alle drei Kammermitglieder Bedrohungen ausgesetzt (Opens in a new window). Delegitimierung von Gerichten? Das gabs doch irgendwo schon mal?
Thema Migration: Nebenher trickst sich die Bundesregierung am Bundesrat vorbei die Definition sicherer Herkunftsstaaten (Opens in a new window) zurecht, weil Formalien bei Abschiebungen auch einfach hinderlich sind. Polen ist so genervt von Deutschlands Grenzkontrollen, dass sie jetzt zurückkontrollieren wollen (Opens in a new window). Und in den Niederlanden haben das einfach irgendwelche Bürgerwehren gemacht, Innenhorst Dobrindt war nicht amüsiert und wies auf die Rechtslage hin (Opens in a new window), die er selbst zu bespucken pflegt. In diesem Sinne kann man 40 Jahren Schengen (Opens in a new window) nur gratulieren, irgendwann ist auch mal gut mit der Reisefreiheit.
Thema Neutralität:
Nestlétagspräsidentin Klöckner legt viel Wert auf die Würde des Parlaments. Baskenmützen und Palestine-Shirts sind unerwünscht (Opens in a new window), weil politische Botschaften. (Den Shop, der das Shirt verkauft, sonstige Aktionen und unkritische Haltung zu Kemalismus lassen wir hier mal außen vor) Ein Vertreter der Nazipartei darf im Anschluss ohne Beanstandung mit eisernem Kreuz am Revers sprechen. Auch die Buchperformance vom Unionssepp (Opens in a new window), der auch schon mal mit SA-Losungen aufgefallen (Opens in a new window) ist, verhallte ihrerzeit ohne Ordnungsruf.

Thema Verzeihen:
Es gibt neue Erkenntnisse zu Jens Spahns Maskendebakel (Opens in a new window) und einen Untersuchungsbericht dazu, den seine Parteikollegin und Gesundheitsministerin unter Verschluss hält. Jens hat ihn zwar nicht gelesen, aber findet, der Bericht spiegele eine Einzelmeinung (Opens in a new window). Die EU will strengere Korruptionsgesetze festlegen, die deutsche Bundesregierung bremst (Opens in a new window). Zufall oder Chiffre?
Thema Freund und Helfer:
Der hinterrücks von der Polizei erschossene Lorenz aus Oldenburg bekam nach neuesten Erkenntnissen nicht den Luxus eines Warnschusses (Opens in a new window), als er wegrannte. Auch gab es einen Freispruch für einen Polizisten, der einen Obdachlosen erschoss (Opens in a new window). Beides ärgerliche Einzelfälle, aber es gilt zu verstehen: In dynamischen Situationen muss schnell reagiert werden, insbesondere, wenn sich Menschen von dir als Waffenträger entfernen! Dann gabs da noch diese Brandstiftung in Solingen, gegen deren Motiv nicht ermittelt werden wollte, sich dann doch ein rechtes Motiv und die versuchte Vertuschung der ermittelnden Beamten herausstellte: Der Täter scheint noch mehr Brandstiftungen aus rassistischem Kalkül (Opens in a new window) begangen zu haben.
Thema Kindgerecht:
Abschiebungen können ein einschneidendes, traumatisierendes Erlebnis sein. Um dem entgegenzuwirken, hat Frontex im Jahr 2023 und jüngst geupdatet ein hyperinklusives Kinderbuch (Opens in a new window) veröffentlicht, das Kindern im Zuge des Abschiebeprozesses gegeben werden soll. Ein Poesiealbenteil hat Platz für liebe Wünsche der Freund*innen, ein Achtsamkeitstagebuch soll Orientierungshilfe im Land geben, dessen Sprache die Kinder evtl nicht können und hey: vielleicht entdecken die Kleinen da ja neue Süßigkeiten? Keine Sorge, Handschellen dienen nur der Sicherheit, lustige Spiele wie die Westenfarbe des Abschiebepersonals raten lockern die Stimmung und im Grunde ist das alles nur eine dornige Chance, oder wie es im Buch steht:
Thema Desinformation:
Der Verfassungsschutzbericht ist da! (Opens in a new window) Mehr politische Verbrechen denn je, mehr Extremisten, mehr Gewalt, Anstieg rechter Straftaten um etwa ein Drittel des Vorjahres! Horst Dobrindt hatte für die Pressekonferenz extra schicke Grafiken mit unterschiedlich skalierten X-Achsen mitgebracht, damit Linksextremismus insgesamt problematischer und größer wirkt als Rechtsextremismus. Auch berichtete er von einem Anstieg des linken Potentials, obwohl es den gleichen Wert zum Vorjahr aufweist. Bis sich immerhin ein Medium (Opens in a new window)dem Thema annahm, verging allerdings etwas Zeit. Die Lücke füllte indes die Tagesschau mit wunderschönen Instagram-Kacheln: Unter dem Titel “Mehr Bedrohung von rechts und links” wurde nüchtern das Hufeisen geschwungen. Linksextremismus? “Nahezu tägliche Straf- und Gewalttaten”! (Opens in a new window) “Hohe Brutalität”! “Sachschäden in Millionenhöhe”! Rechtsextremismus? Da gibts einige, einige mehr, und viele in der AfD. Dass rechte Straftaten ungefähr das siebenfache gegenüber linken ausmachen, doppelt so viel Gewalt, dass täglich alle 12 Minuten eine rechte Straftat (Opens in a new window) geschieht und neun rechte Gewalttaten in fast allen Bundesländern (Opens in a new window)? Hat es irgendwie nicht in den Infopost der Tagesschau geschafft.
Schon von dem Skandal gehört, dass die EU-Komission Umweltverbände finanziert? (Opens in a new window) Die Weld hat da ganz exklusiv herausgefunden, dass damit Klagen gegen Fossilkonzerne unterstützt würden. Das sagt ein Verein, der sich zwei Wochen vorher gegründet hat, sich an zivilgesellschaftlichem Engagement stößt und primär aus dem Umfeld von Union und FDP rekrutiert. Eine in Korruptionsskandale verwickelte Unionspolitikerin durfte als Kronzeugin auch nicht fehlen. Die Tagesschau fands hochspannend (Opens in a new window), hat alles bis auf die Sache mit dem Verein als Quelle abgeschrieben (Opens in a new window) und dann nach und nach den Artikel korrigiert, weil die Kritik doch etwas viel war und sich plötzlich herausstellte, dass an der Sache nichts dran ist. Das schrieb Politico, ulkigerweise ebenfalls zu Axel Springer gehörend, allerdings auch schon im Februar (Opens in a new window).
Für den Zirkelschluss gabs selbstredend auch tolle Berichterstattung zu den Geschehnissen drüben: Die Proteste gegen Trumps Geheimpolizei wurden in der Tagesschau entgegen des offiziellen Polizeiberichts von Los Angeles als eskalativ geframed, als Quelle Trumps Innenministerium genommen, (Opens in a new window) im ZDF bekam die Militärparade ca. 80% der Aufmerksamkeit und die Proteste von Millionen von Menschen verkamen zum Randereignis. Die Zeit nannte den rechtswidrigen Einsatz von Militär gegen die eigene Bevölkerung exakt so wie T-Online die rechtswidrige Verhaftung eines US-Senators betitelte: Umstritten.
Ferner liefen: Nur falls die Frage aufkommen sollte, Verkehrsregeln und Haftung gelten auch, wenn man Carsharing nutzt. Ein Spiegel-Autor hats für euch herausgefunden (Opens in a new window) und wunderte sich, dass er die Dinger nicht einfach wie E-Scooter auf den Gehweg pfeffern darf und auch noch Abschleppkosten berappen muss. Erstaunlicherweise darf man die Karre auch nicht einfach in der Pampa abstellen, wenn man die Wechselwirkung zwischen Vollgas und Reservestand ganz praktisch lernt. Falls der Spiegel noch Fachkräfte sucht: Recherchefähigkeit ist theoretisch vorhanden, aber ich kann auch gern darüber schreiben, wie ich Privilegien überstrapaziere und an den Beschränkungen meines Horizonts scheitere. Ohne Taxirechnungen, versprochen!
Das wars.
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