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Die Spin-Doktoren gegen den Spin

Vom absurden Selbstmissverständnis einer Industrie, die Desinformation bekämpfen will

Es gibt Momente im öffentlichen Diskurs, in denen sich Geschichte nicht nur wiederholt, sondern sich – in grotesker Spiegelung – selbst persifliert. Ein solcher Moment ist gekommen, wenn ausgerechnet jene Industrie, die wie keine zweite für die systematische Verzerrung, Steuerung und Manipulation öffentlicher Meinung steht, einen offenen Brief an die Bundesregierung richtet, in dem sie ein entschlossenes staatliches Vorgehen gegen Desinformation fordert.

Der offene Brief der Kommunikationsverbände (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) DPRG und BdKom an Friedrich Merz und Karsten Wildberger liest sich wie eine Tragikomödie spätmoderner Demokratie. Dort, wo man eine ethische Selbstreflexion, eine nüchterne Inventur der eigenen Rolle im System der öffentlichen Meinung erwarten könnte, steht eine Forderung: Der Staat möge härter durchgreifen. Gegen jene „Vergifter des Diskurses“, gegen die digitalen Schattenmächte, gegen Fake News, Deepfakes, Trollfarmen und Spalter. Es ist, als würde ein Pyromane beim Innenminister einen Antrag auf die Leitung der Feuerwehr einreichen.

Denn das, was in diesem Brief als Bedrohung beklagt wird – die gezielte Erzeugung von Realitätsbildern, die Destabilisierung des Diskurses, die strategische Nutzung von Emotion und Affekt zur Meinungsbildung – ist seit über einem Jahrhundert das Kerngeschäft der Public-Relations-Industrie. Die PR war von Beginn an nicht das Gegenmittel zur Desinformation, sondern ihre systematische Professionalisierung. Sie ist – um es klar zu sagen – die historisch erste, institutionalisierte Form staatlich-korporativer Desinformation.

Und nun, im Jahr 2025, stellt sich diese Industrie in die Pose des demokratischen Retters. Der alte Trick des Reframings – die Umpolung der Semantik, der Tausch von Täter- und Opferrolle – scheint nun auf das eigene Berufsbild angewandt. Der Spindoktor als Verteidiger der Wahrheit. Die Lobbyistin als Hüterin der Aufklärung. Der Verband als Verteidiger demokratischer Kultur.

Es ist ein Coup, aber ein durchschaubarer.

Die Architekten der Zustimmung

Man muss sich nur die Gründungsmythen der PR-Industrie vor Augen führen, um die Absurdität dieser neuen moralischen Selbstinszenierung zu erkennen. Edward Bernays, der Neffe Sigmund Freuds, veröffentlichte 1928 sein Werk Propaganda – ein Buch, das bis heute zu den Grundlagentexten der Branche zählt. Darin heißt es:

„Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft.“

Dieser Satz ist kein Eingeständnis, sondern ein Bekenntnis. Bernays war kein zynischer Kritiker, sondern ein glühender Verfechter der Manipulation – ein Demokrat im Dienste der Steuerung. Seine „Torches of Freedom“-Kampagne, mit der er das Rauchen von Frauen salonfähig machte, indem er Zigaretten mit dem Symbol des Feminismus auflud, war ebenso manipulativ wie seine PR-Arbeit für die United Fruit Company, die zur politischen Vorbereitung eines CIA-Putschs in Guatemala beitrug.

Was Bernays begann, wurde von Hunderten seiner Nachfolger weiterentwickelt, verfeinert, professionalisiert. Die Geschichte der PR ist die Geschichte der Veredelung der Täuschung – durch semantische Operationen, symbolische Politik, orchestrierte Ereignisse, durch Framing, Astroturfing, Spin. PR war nie neutral. Sie war immer Interessenpolitik mit anderen Mitteln – und oft: gegen die demokratische Öffentlichkeit.

Die Ironie des offenen Briefes

Der offene Brief der DPRG/BdKom nun will davon nichts mehr wissen. Stattdessen wird ein nahezu dystopisches Bedrohungsszenario gezeichnet: Die Demokratie sei unter Beschuss, der Diskurs vergiftet, die Öffentlichkeit zersetzt. Das alles ist nicht falsch. Doch der vorgeschlagene Lösungsweg erinnert an jenen Arzt, der dem Patienten eine Medikation verschreibt, deren Hauptbestandteil sein eigenes Gift ist.

Denn was wird gefordert? Eine „breit angelegte Medienbildungsoffensive“ (die sich die PR wohl gleich selbst zertifizieren wird), „verpflichtende Kennzeichnung KI-generierter Inhalte“ (mit welchem Audit? Mit welchen Normen? Und wer kontrolliert die PR-Kampagnen selbst?) sowie – besonders pikant – „Identitätsprüfungen auf digitalen Plattformen“.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Industrie, deren Geschäftsmodell auf der Verwaltung, Optimierung und Maskierung von Identitäten basiert, fordert nun die Feststellung realer Identität als Voraussetzung öffentlicher Rede. PR-Manager, deren Beruf darin besteht, Bilder zu entwerfen, Emotionen zu verkaufen, Unwahrheiten in Erzählungen zu verwandeln, treten nun als Wächter gegen Anonymität und Unwahrheit auf.

Das ist nicht nur grotesk. Es ist ein Angriff auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung im digitalen Raum. Wer fordert, dass nur sprechen darf, wer sich eindeutig identifiziert, betreibt nicht Diskurshygiene, sondern die Einführung einer bürokratisch legitimierten Sprachpolizei – mit PR-Siegel.

Die postfaktische Umkehrung

Was hier geschieht, ist eine postfaktische Umkehrung der PR selbst: Aus dem „Spin“ wird die Wahrheit, aus der Täuschung der Schutz, aus der Manipulation die Aufklärung. Die eigene Rolle in der Erosion des Diskurses wird nicht thematisiert – im Gegenteil: Man stellt sich selbst an die Frontlinie des Kampfes gegen eben jene Phänomene, die man jahrzehntelang mitentwickelt hat.

Dass gerade die PR-Industrie heute moralische Forderungen an den Staat stellt, zeigt: Wir leben in einer Zeit, in der die Architekten der Simulation selbst nicht mehr zwischen Realität und Inszenierung unterscheiden. Die Grenze zwischen Inszenierung und Intervention, zwischen Manipulation und politischer Verantwortung ist verwischt. Die PR hat nicht nur die Wirklichkeit manipuliert – sie hat die Wahrnehmung dessen, was Wirklichkeit ist, unterwandert.

Und wenn die Spindoktoren nun in das Gewand der Ethik schlüpfen, dann nicht, weil sie Buße tun, sondern weil sie begriffen haben: In der neuen Ökonomie der Aufmerksamkeit verkauft sich das moralische Kapital besser als jedes Produkt. Der Ruf nach Regulierung wird zur nächsten PR-Kampagne. Die Kampagne zur Demokratieverteidigung – zur nächsten Imagepflege.

Die PR als Zwillingsschwester der Desinformation

Man könnte auch anders fragen: Was genau unterscheidet PR von Desinformation (Was auch immer das heutzutage genau ist)?

  • Beide arbeiten mit verkürzten Narrativen.

  • Beide zielen auf emotionale Affizierung.

  • Beide operieren selektiv mit Fakten.

  • Beide setzen auf Repetition und Wiedererkennung.

  • Beide nutzen mediale Infrastruktur, um Botschaften zu streuen.

  • Beide stellen sich oft als „Fakten“ dar, sind aber interessengeleitet.

Der Unterschied liegt lediglich in der Bewertung: PR gilt als legitim, weil sie von Unternehmen oder Institutionen betrieben wird. Desinformation gilt als illegitim, weil sie von falschen Akteuren kommt. Es ist ein Kriterium der Herkunft, nicht der Methode. Das ist der Kern des Problems. Desinformation ist keine Pathologie – sie ist Teil des Kommunikationssystems, das PR selbst geschaffen hat.

Die PR will nicht Desinformation verhindern. Sie will kontrollieren, wer sie definieren darf.

Der eigentliche Skandal

Was dieser Brief offenbart, ist nicht nur ein absurdes Missverständnis der eigenen Rolle. Es ist der Versuch, durch staatliche Kooperation die Definitionsmacht über Wahrheit zu erlangen – und das unter dem Vorwand der Demokratieverteidigung. Es ist der Versuch, das eigene Geschäftsmodell unter dem Schutzschirm staatlicher Ordnung zu legitimieren – als „Demokratieförderung“.

Und darin liegt der eigentliche Skandal: Die PR, die sich jahrzehntelang als Dienstleisterin der Wirtschaft und politischen Akteure verstand, will nun zur moralischen Instanz werden. Sie will nicht mehr nur vermitteln, sie will bestimmen. Wer redlich spricht, wer toxisch ist, was Wahrheit bedeutet, was gefährlich, was legitim – all das soll nun kommunikativ reguliert werden.

Was bleibt, ist eine Gesellschaft, in der das Primat der Politik längst an die Regisseure des Diskurses übergegangen ist. Eine Gesellschaft, in der der Ruf nach Zensur aus den Schreibstuben jener kommt, die mit der Kunst der Vernebelung Karriere gemacht haben. Eine Gesellschaft, in der die Wahrheitsindustrie zunehmend mit der Lügenindustrie identisch wird – nur mit besseren Logos.

Die Masken fallen nicht, sie werden getauscht

Am Ende bleibt das Bild einer Branche, die längst aufgehört hat, sich selbst zu reflektieren. Die PR ist nicht Opfer des digitalen Desinformationszeitalters – sie ist seine Mutter. Und wenn sie heute nach mehr Regulierung ruft, dann nicht aus Sorge um die Demokratie, sondern aus Sorge um ihre Deutungshoheit.

Es ist, als würde ein Wolf den Förster um Hilfe bitten, weil er im Wald plötzlich anderen Raubtieren begegnet. Doch was dieser Wald braucht, ist nicht mehr Überwachung – sondern eine Rückkehr zur Wahrheit. Und das beginnt mit einem einfachen, aber überfälligen Satz:

„Wir, die PR-Industrie, sind Teil des Problems.“

Doch so einen Satz liest man selten in einem offenen Brief. Dafür braucht es kein Spin – sondern Mut.

Sujet Gesellschaft

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