#12: Make straight great again?
“Es hat für mich überhaupt keinen Sinn mehr, noch Sex mit hetero Männern zu haben”, verkündete ich vor ein paar Monaten überschwänglich einer Freundin. Worauf ich dabei anspielte, war, dass meine sexuellen Begegnungen mit queeren Menschen in der letzten Zeit überdurchschnittlich positiv ausgefallen waren. Lustvoll, kommunikativ-sicher und aufregend. Aber reichte das schon, um eine ganze Kohorte von der Speisekarte zu nehmen?
Die positiven Erfahrungen auf der einen Seite wahrscheinlich nicht. Wenn da nicht die frustrierenden Erfahrungen auf der anderen Seite stünden und in der Verhandlungssache gegen “straight dudes” schwer ins Gewicht fallen würden. Wenn es um Sex geht, zeigt nicht zuletzt die Statistik um den “Orgasm Gap (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” in heterosexuellen Verhältnissen einen der prominentesten Frustrationspunkte. Auch schon auf dem möglichen Weg hinein ins Bett, beim Dating nämlich, gibt es Schwierigkeiten in der Verständigung zwischen den Geschlechtern.
Erst letzte Woche wurde mir von einer Freundin, die auf heterosexueller Partnersuche ist, ein Artikel in der New York Times weitergeleitet. Schon der Titel sang dasselbe leidvolle Lied, das mir auch seit einiger Zeit in meiner Social Media Bubble genauso begegnet wie in Gesprächen mit Freundinnen: “The Trouble With Wanting Men” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Memes, humoristische T-Shirts und anderer Merch verkünden auf Insta augenzwinkernd, was in langen Berichterstattungen über die Boysober- und 4B-Bewegungen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in ernster Tiefe besprochen wird. Frauen seien frustriert vom hoffnungslosen Dating mit hetero Männern, die sich nicht (genug) melden, mit Therapie-Sprech egoistisches Verhalten rechtfertigten, schnell aggro würden oder anderweitig nicht den Standards entsprächen, die die empowerte und unabhängige Frau von heute voraussetze.
Ich leitete den Artikel an mehrere Männer in meinem Umkreis weiter, die Frauen daten, und war ehrlich gespannt auf ihre Reaktionen. Und es wird wenig überraschen, wenn ich sage, dass auch auf der “anderen Seite” (siehe da, auch in meinem Kopf herrscht schon Lagerbildung) der Frust schon ganz nah unter der Oberfläche saß:
Im September wird die Sommerpause vorbei sein und dann gibt es Lesungen aus meinem Buch “Gleichstellung” auch wieder live:
09.09. 20 Uhr: gemeinsam mit Matthias Kreienbrink im Kino Union, Friedrichshagen
16.09. 18 Uhr: Lesung und Q&A im Sisou Lou Buchcafé in Braunschweig
21.09. Brunch: Lesung und Diskussion im Liosalon bei Lio Brix in Berlin-Kreuzberg
“Ich hab es so langsam satt, immer von Frauen zu hören, wie schlimm Männer doch seien und wie viel lieber sie lesbisch werden würden, wenn sie könnten. Manche Frauen haben mir gegenüber auch schon das Equivalent von “du bist anders als andere Frauen” geäußert und ich empfinde diese Einstellung beinahe als die neue Norm unter jungen, liberalen Frauen”, brach es aus einem meiner Gesprächspartner heraus.
Als ich das hörte, fühlte ich mich ertappt. Mal abgesehen von den aktuell sehr angesagten Beschwerden über hetero Männer als “un-dateable”, denen ich mich auch schon das eine oder andere Mal angeschlossen hatte, hatte ich ihm und wenigen anderen Typen in meinem Umfeld auch schon zurückgespiegelt, dass er mir “anders als die anderen Männer” vorkam. Aber meint der Spruch wirklich dasselbe, wenn man ihn an eine Frau vs. einen Mann richtet?
Ursprünglich als “du bist nicht wie die anderen Mädchen, du bist [etwas besseres]” bekannt geworden, stellte dieser Satz quasi den Ritterschlag des “Cool Girls” dar. Auch zu meinen “Cool Girl” Hochzeiten wollte ich unbedingt diese verbale Auszeichnung von einem am besten älteren Mann verliehen bekommen, die mir bescheinigte, dass ich im besten Sinne wenig mädchenhaft war. Dieser beste Sinn bedeutete, zwar wie ein hot chick auszusehen, sich aber möglichst nicht für andere Frauen oder Mädchenkram zu interessieren.
Möglichst “unweiblich” kategorisierte Interessen wie Eishockey, Scotch trinken und Death Metal machten mich also besser als andere Frauen. Was an sich - abgesehen vom verdammt misogynen Ursprung der Bewertung meiner Hobbies - nicht so schlimm wäre, würden dem “Cool Girl” Topos nicht auch eine ganze Menge Erwartungen an ein maximal “unschwieriges” Verhalten zugrunde liegen.
Das “Cool Girl” hat sich nämlich nicht zu beschweren, kein “Drama” zu machen, wenn mal etwas passiert, das sie nicht gut findet. Z. B., wenn ihr Freund seine Freiheiten genießt, ohne die Beziehungsabsprachen zu respektieren. Oder wenn sie dumm angemacht wird oder man sich ihr gegenüber sexistisch verhält. Ein “Cool Girl” tut dann so, als wäre nichts, um nicht direkt wieder zum “zickigen Mädchen” degradiert zu werden.
Ein “Cool Girl”, eine, die nicht so ist wie andere Frauen, macht den Mund nicht auf. Sie ist nicht unangenehm, weil sie nicht auf Ungerechtigkeiten aufmerksam macht. Sie lässt die Dinge geschehen, wie sie immer schon passiert sind, und das Beste an allem: sie stellt nie Ansprüche. Nicht an ein gerechteres Miteinander im Öffentlichen und auch nicht an einen verantwortungsbewussten Partner im Privaten.
Eine Frau, die nicht ist wie die anderen, ist bequem für’s System.
Ein Mann, der nicht ist wie die anderen, ist auch bequem. Aber nicht in der Hinsicht, dass er ständig kuscht, seine Bedürfnisse unsichtbar macht und versucht, sich möglichst wie das stereotype Bild einer Frau zu verhalten. Einer, der anders ist als viele andere (not all men, haha), versucht nicht mit mir um die Oberhand in jeder Unterhaltung zu kämpfen. Er hört zu, weil es ihn tatsächlich interessiert. Er kümmert sich um seine eigenen Bedürfnisse, aber kann auch nach Hilfe fragen und es sogar akzeptieren, wenn er sie gerade nicht bekommen kann.
Vor einem Mann, der anders ist als viele andere, sorge ich mich nicht um meine emotionale und körperliche Unversehrtheit - weder wenn ich alleine mit ihm bin, noch wenn ich mit ihm schlafe, noch im Kreis seiner Freunde. Weil er sich vor ihnen mir gegenüber nicht plötzlich anders verhält, als wenn wir alleine sind. You get the idea.
Es mag zwar derselbe Satz sein, aber je nachdem, an wen er sich richtet, stellt er durchaus sehr unterschiedliche Qualitäten in den Vordergrund. Gegenüber Männern kann er ein Vertrauensbekenntnis sein und eine Kritik an vielfach am eigenen Leib erfahrenen Frauenhass. Gegenüber Frauen klingt er auch wie Kritik. Aber nicht daran, dass Frauen Männern ständig so gefährlich werden würden. Sondern weil sie Männer nerven mit ihren Ansprüchen und ihrem Weiberkram.
Das gibt’s doch so gar nicht mehr, sagst du? Dann verlass vielleicht mal das Haus. Ich tippe diese Zeilen im Exil eines bayerischen Dorfs mit 110 Einwohner*innen. Glaub mir, außerhalb von Ehrenfeld und Kreuzberg ist noch alles beim Alten.
Die Spaltung zwischen Männern und Frauen, die heterosexuell daten, zu erkennen und zu kritisieren, ist das Eine. Sich nun zu überlegen, wie man wieder Brücken schlagen kann, ist das Andere und mein präferierter nächster Schritt.
Ob aus reinem Interesse, sozialwissenschaftlicher Neugier oder therapeutischer Empfehlung heraus - die eigenen Eltern nach ihren Lebenseinstellungen und - Geschichten zu befragen, kann vieles bewegen. Ein tieferes Verständnis füreinander, transgenerationele Traumata, Empathie und Konflikte liegen nah beisammen und manchmal nur wenige Fragen entfernt verborgen.
In der 9. Sprachnachricht teile ich mit dir, welche Erkenntnisse ich durch die Gespräche mit meinem Vater gewinne. Außerdem erkläre ich dir, wie und warum du dasselbe Experiment mit deinen Eltern oder Großeltern starten solltest.
https://steady.page/de/5962eacd-fbf0-4e2f-9ccf-0749e4be7b85/posts/6a4284bf-b41c-4e14-acaa-89b437d8f18a (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Zuletzt saß ich in einem Kreuzberger Café mit einem hetero Mann, der mir davon berichtete, dass er mittlerweile mit der Verwendung des Labels “hetero/straight” für sich hadere, obwohl es die Wahrheit sei - die für seine Liebespräferenzen schlichtweg richtige und passende Bezeichnung. Er haderte demnach auch nicht mit seiner Identität, sondern mit dem Eindruck, dass dieses Label es ihm mittlerweile deutlich erschweren würde, Frauen näher kennenzulernen.
Es sei so, als würden alle anderen Menschen “straight dudes” meiden. Erst kürzlich habe ein Date ihm mit den Worten abgesagt, sie würde sich nicht mehr auf hetero Männer einlassen wollen. Vollkommen ungeachtet seiner Person und Persönlichkeit. Dass alles, was man in diesem Moment fühlt, tiefe persönliche Enttäuschung und Frustration ist - und nicht abstrakte Genderpolitik - kann ich komplett nachvollziehen.

Die Frage, was das mit einem selbst zu tun haben soll? Das Gefühl, dass diese Sippenhaft für ein ganzes Geschlecht doch nicht fair ist, weil man selbst doch einer von den Guten sei, das musste er mir gar nicht erst erklären. Das sehe ich ein. Aber ein wichtiges Detail sehe ich tatsächlich nicht mehr ein: Dass das bedeuten soll, dass ich jetzt hier meine Reichweite nutze, um zu sagen “Ladies, lasst uns doch mal nicht den Teufel an die Wand malen. Sie sind ja nicht alle schlimm und keiner ist unfehlbar!”
Auch wenn das stimmt, ist das nicht der nächste Schritt, der im Brückenbau-Projekt passieren muss.
Der nächste Schritt liegt auf der Seite der Männer: Bist du ein Mann, der mit Frauen intim, romantisch und verpartnert sein möchte? Dann mach dir erstmal klar, was es überhaupt für dich und deine Dating-Zielgruppe bedeutet, “einer von den Guten” zu sein. Was heißt das konkret? Lackierte Fingernägel tragen? Jeden Tag ein “GuMo”-Text zum Aufstehen senden? Oder doch regelmäßig einen Beziehungs-Check-In organisieren, ohne zu erwarten, dass die Partnerin die Leitung durch alle aufkommenden emotionalen Momente übernimmt?
Welche Art von Beziehung möchtest du überhaupt zu einer Frau führen? In was bist du schon gut? Kommunikation? Gefühle erkennen und benennen können? Oralsex? Was magst du an Frauen überhaupt? Und auch wenn die Antwort auf diese letzte Frage: “eigentlich nichts so wirklich” ist, fair enough. Aber dann hör auf, Frauen zu daten, weil du denkst, das würde von dir erwartet und Nähe zu anderen Männern sei schwul und unmöglich.
Wenn du Frauen ganz leidlich findest oder dir egal ist, welches Geschlecht jemand hat, wenn du die Person magst, dann ist das Brückenbau-Projekt etwas für dich. Aber es ist ein ganzes Stück Arbeit und egal, ob wir das fair finden oder nicht, es ist einfach viel kaputt gegangen zwischen den Geschlechtern in den letzten Jahrhunderten. Wir dürfen uns auch ruhig darüber beschweren, dass das nicht unsere eigene Schuld ist, solange wir dabei anpacken und versuchen, die Verhältnisse neu und gleichgestellt aufzubauen.
Das können wir bspw. über die Reflektion eigener Vorstellungen vom Zusammenleben mit anderen schaffen. Oder eigener Vorstellungen und Bewertungen von Geschlecht, Nähe und Sexualität. Und durch das Gespräch miteinander. Damit meine ich aber nicht nur die Kommunikation zwischen den Geschlechtern wie “ich will offen gegenüber deiner Sicht auf die Dinge sein” oder “mir ist bewusst, du hast schon viel Negatives erlebt und ich will es gemeinsam besser machen”.
Damit meine ich auch besonders Kommunikation unter (hetero) Männern, in der man sich gegenseitig zur Verantwortung zieht für das Verhalten, weswegen alle Männer gerade in Sippenhaft genommen werden.
Es reicht nicht, nur “einer von den Guten zu sein”, um einer von den Guten zu sein.
Du musst dich auch mit den anderen darüber austauschen, was das bedeutet, wie das geht und wie nicht.
Und natürlich schaue ich hier auch auf mich, meine Freundinnen und meine fellow hetero datenden Frauen, die aktuell lieber über einen “Männer sind trash”-Witz bonden als normalen Smalltalk zu machen. Ich weiß ja, wo es herkommt, aber dass wir mit der menners-Attitüde als Lebenseinstellung mehr Mauern als Brücken bauen, dürfen wir uns schon bewusst machen. Und auch hier: boysober etc. ist komplett fair game. Aber schon ohne jegliche Geduld, Resilienz oder Offenheit ins (online) Dating einzusteigen, wird höchstwahrscheinlich enden mit: wie man in den Wald ruft… Ein gutes Beispiel dafür kann man in besagtem New York Times-Artikel lesen.
Ich denke, wir sind alle erwachsen und sollten Verantwortung übernehmen. Nur so schaffen wir wieder Vertrauen ins hetero Dating, ins “straight”-Label und in die Idee, dass gleichgestellte Verbundenheit zwischen allen Geschlechtern nicht nur eine Utopie sein muss.
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https://ko-fi.com/cleolibro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Herzlichen Dank!
Um’s Dating geht’s hier ja öfter. So wie in meiner neuesten Kolumne beim Tagesspiegel+: “Ich will heute Abend unbedingt Sex! Wie Frauen einen sicheren One-Night-Stand finden” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Umso spannender, auf Cleographie die Dating Eindrücke meines Vergangenheits-Ichs nachzulesen (bisschen wie im Tagebuch schmökern). Auch vor 3 Jahren war ich nicht gerade von der Situation begeistert. Aber heute klinge ich schon wieder etwas hoffnungsvoller, findest du nicht? 🥲 “Date Neid - Wieso Selbstbewusstsein nicht immer hilfreich ist” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Wenn Kommunikation der gewissenhafte große Bruder vom Flirt ist, dann ist Dirty Talk seine verbotenerweise flirtende Cousine. In meinem Artikel auf WELT+ liest du über die Bettgeflüster-Tipps aus der Sexualberatung und die Insights aus der Sprachforschung: “Worte, die Lust machen - und wie man sie richtig einsetzt” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Was könnte besser zum Thema dieses Newsletters passen, als ein Buch, das so wundervoll facettenreich und humorvoll über die Abgründe des ewigen heterosexuellen Missverständnisses berichtet wie Virgine Despentes “Liebes Arschloch”:

Kommt zahlreich zu meiner gemeinsamen Lesung mit Matthias am 09.09. ins Kino Union in Berlin Friedrichshagen! Tickets gibt es hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)(sind auch nicht teuer 😉):

Wir freuen uns auf euch!
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Danke für’s Lesen und liebe Grüße von
Cleo
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