Newsletter – dein kreativer Journaling Kurs #6

Rituale rund um das Schreiben - kleine Anker, große Wirkung
Wann beginnt dein Schreiben? In dem Moment, in dem du beschließt zu schreiben? Oder in dem Moment, wo dir die Idee kommt, worüber du gerne schreiben würdest? Mit dem ersten Wort? Damit, dass du den Füller in die Hand nimmst, dich an deinen Schreibort begibst, die erste Seite deines Journals öffnest? Oder vielleicht schon viel früher – mit dem Beschluss eine Routine zu etablieren?

Sehr zur Verwunderung meiner vier Kinder, die es immer nicht glauben wollen, wie man trotz der großen Freiheit, die man als Erwachsener hat, so einen Blödsinn machen kann, erkläre ich ihnen oft „Also, wenn keiner von euch da ist, gehe ich um 20Uhr ins Bett“. Dabei ist 20Uhr natürlich nicht der Moment, an dem der Nachtschlaf mit geschlossenen Augen beginnt, sondern der Moment, an dem meine Abendroutine beginnt: ich lüfte die Wohnung, ich zünde jeden Abend die eine Kerze mit besonderem Geruch an, ich koche mit einen Tee – neuerdings mit Ashwaganda. Ich habe so meine Handgriffe: Schreibtisch frei räumen, Zähne putzen, Magnesium und Melatonin nehmen, Bett aufschütteln, Rückenlehne, Tagebuch bereit legen, schreiben, lesen... und irgendwann geht auch das Licht aus. Aber in dem Moment, wo ich alle Fenster öffne und meine Wohnung eben so riecht, wie sie immer nur am Abend riecht, stellt sich mein Inneres schon auf Abendroutine und schlafen ein.
Die Frage, wann das Schreiben beginnt, ist eine berechtigte, denn viele unserer tief verinnerlichten Handlungen beginnen eben nicht in dem Moment der tatsächlichen Ausführung, sondern schon einen Moment davor. Vielleicht beginnt dein Journaling mit dem Moment, in dem du die Kanne aufsetzt, die Kerze anzündest, deinen Stift ausrollst. All das sind keine Nebensächlichkeiten. Im Gegenteil: Rituale sind der Schlüssel zu innerer Tiefe – und sie helfen dir, regelmäßig und verbunden zu schreiben und quasi deinen ganzen Organismus einzustellen auf das, was als nächstes kommen wird.
Und darum soll es diese Woche im kostenlosen Journaling-Kurs gehen: Wie Rituale rund ums Schreiben wirken, warum sie psychologisch so kraftvoll sind und wie du deine ganz persönlichen Anker findest.
Warum Rituale (nicht nur) beim Schreiben so kraftvoll sind

In der Psychologie spricht man bei Ritualen oft von „sinnstiftenden, rhythmisierten Handlungen“, die Sicherheit und Orientierung geben. Sie sind besonders wirksam, weil sie drei Dinge miteinander verbinden:
1. Körper & Geist
Durch wiederkehrende Handlungen signalisieren wir unserem Gehirn: Jetzt beginnt etwas Bestimmtes. Unser vegetatives Nervensystem reagiert sofort. Rituale beruhigen, fokussieren, holen uns in den Moment.
2. Konditionierung
Ähnlich wie beim bekannten Pawlow’schen Hund funktionieren Rituale als Anker. Wenn du regelmäßig mit einer Tasse Kakao schreibst, wird dein Gehirn irgendwann beim bloßen Geruch sagen: Aha, jetzt wird’s kreativ. Es entsteht eine Verbindung, die unser rationales Denken übersteigt und in gewisse Automatismen führt - und genau die machen das Schreiben leichter.
3. Emotionale Selbstregulation
Rituale schaffen emotionale Sicherheit. Sie sind kleine Inseln im Alltag, in denen du nicht funktionieren musst. Wenn du dich regelmäßig in dein Journaling-Ritual begibst, stärkst du dein inneres Sicherheitsgefühl – und das öffnet Räume für echte Tiefe.
Kleine Anker haben eine große Wirkung und die meisten Anker sind am wirkungsvollsten, wenn sie möglichst viele Elemente und sensorische Impulse integrieren, die immer wieder gleich ablaufen:
Ein bestimmter Platz zum Schreiben kann helfen, dich zu fokussieren auf das was kommt: Vielleicht gibt es diese eine Ecke oder diesen einen Stuhl in eurem Haus, einen Ort, den du nur für das Schreiben reservierst. Einige Jahre habe ich meine Morgenroutine immer an einem speziellen Wohnzimmerfenster des Pfarrhauses genossen. Auf der Fensterbank lagen allmorgendlich meine Sachen bereit, der Aufblick beim Schreiben war stets derselbe. Wer sich mehr mit dem großen Benefit eines eigenen Raumes (und glaubt mir: Platz ist in der kleinsten Hütte) beschäftigen möchte, dem empfehle ich meine Kolumne [Wort zum Montag] Nimm Raum ein - feelslike_sina (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (einfach klicken). Denn es ist schon ein wenig absurd: unseren Kindern gestalten wir oft wunderschöne Zimmer, während wir selbst keine Rückzug haben.

Eine bestimmter sensorischer Reiz: Das kann ein Klang sein, ein Windspiels oder eine leise Musik, die jedes Mal dein Schreiben begleitet. Eine ganze Zeit lang habe ich beim Texten im Auto immer „You´re the Voice“ von John Farnham gehört. Kerzenlicht, Tee, der Blick in den Garten, diese eine bestimmte Kaffeetasse, das Schlagen der Turmuhr, jedes Mal, wenn du dich um Punkt 6Uhr an deinen Lieblingsplatz begibst. Alles, was deine Sinne einstimmt, kann Besonders sein und zu deinem ganz persönlichen Anker werden.
Ein bestimmtes Symbol: Auch ein Symbol kann dich innerlich auf das Schreiben einstellen: Ein Stein, ein kleiner Talisman, eine Karte mit einem Wort – etwas, das du berührst oder betrachtest, bevor du beginnst. Als ich in den vergangenen Wochen den Wintergarten wohnlich einrichtete, weil ich es mir besonders schön vorstellte, dort im Sommer bei schlechtem Wetter zu schreiben, hängte ich ein gerahmtes Bild mit einer Schreibmaschine auf, unter der nur das eine Wort steht: „Write – schreibe!“
Eine bestimmte Zeit: Immer zur gleichen Tageszeit zu schreiben wirkt wie ein biologischer Reminder: Jetzt darf ich mich mir zuwenden. Für mich ist das Schreiben am Morgen schon so normal wie das Zähne putzen. Kaum ein Morgen ohne schon seit Jahrzehnten – mit dem Ergebnis, dass mir das Vergessen dieser Angewohnheit fast schwere fällt als ihre Einhaltung.
Das Entscheidende ist: Dein Ritual muss nicht spektakulär sein. Es braucht tatsächlich nichts Großes und man sollte auch nicht allzu viele tiefgründige Gedanken daran verschwenden. Manchmal lesen wir „Tee und Kerze“ und haben das Gefühl, dass das doch fast zu banal ist, um wahr zu sein, aber in der Tat: genau das isses. Es soll sich echt anfühlen – wie eine liebevolle Geste an dich selbst und mir sagt eben nichts liebevoller Guten Morgen als Matcha Latte.

Mini-Deep Dive: Was ist ein Anker und wie funktioniert er?
Ein Anker ist in der Psychologie ein Reiz, der eine bestimmte Reaktion auslöst – emotional, körperlich oder mental. Wir kennen das alle, wenn uns ein Lied unmittelbar in eine bestimmte Stimmung versetzt. Oder ein Duft dich zurück in eine Kindheitsszene katapultiert? Meine Tochter schenkte mir vor einiger Zeit einen Pflege-Lippenstift, an dem ich immer wieder schnuppern musste. Ich kannte diesen Geruch, aber mir wollte einfach nicht einfallen, was daran mir so unglaublich vertraut war. Bis ich ihn Fabian zum Riechen gab: „Was auf unserer Kindheit hat so gerochen?“, fragte ich ihn und er meinte prompt: Diese Süßigkeiten in Lippenstift-Form. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen und in einem Moment krasser Erleuchtung stand ich unmittelbar wieder als 8jährige im kleinen Tante Emma Lade neben der Schule und stellte mir eine bunte Tüte zusammen. Absicht oder Zufall? Ich glaube ja, dass es Absicht ist, für Erwachsene Frauen Lippenstifte herzustellen, die riechen wie die Süßigkeiten, mit denen wir vor 30 Jahren schminken gespielt haben. DAS ist ein Anker.
Du kannst diese Wirkweise bewusst nutzen, um das Schreiben für dich zu erleichtern. Der Trick dabei ist: Wiederholung. Wenn du regelmäßig mit einem bestimmten Ritual schreibst, verknüpft dein Nervensystem diesen Reiz mit innerer Ruhe, Klarheit, Kreativität oder Fokus – je nachdem, wie du dich beim Schreiben fühlst. Und das wirkt nicht nur kurzfristig, sondern stärkt langfristig deine Schreibpraxis, je öfter du dein Ritual wiederholst und je mehr (fühlbare) Anker du integrierst.

Deine Aufgabe für diese Woche:
1. Beobachte: Wann gelingt dir das Schreiben besonders gut? Was hilft dir beim Ankommen? Finde mindestens drei Anker, die du mit deinen Sinnen erfassen kannst, die dich auf kreative Zeit und Zeit mit dir selbst einstimmen. Ist es, wie bei vielen Menschen, ein besonderes Getränk, das dich bei dir ankommen lässt? Dann nominiere eine deiner Tassen zur Schreibtasse und verpasse ihr den Ritterschlag mit deinem Schreibgerät ;-)
2. Probier es selbst aus: Welches Ritual fühlt sich für dich natürlich an? Vielleicht ein Mantra, ein Gebet, ein paar Momente tief ein- und ausatmen. Vielleicht eine kurze geführte Meditation?
3. Verankere dich: Wiederhole dein Ritual immer wieder ganz bewusst – und beobachte, wie sich deine Schreibroutine verändert. Sei mit dem Herzen dabei und versuche Vorfreude auf deinen persönlichen Schreibmoment zu entwickeln.
Schreibrituale sind keine Pflicht, sondern lediglich eine Einladung. Ich freue mich, wenn du diese Woche dein ganz persönliches Schreibritual findest – oder eines wiederentdeckst, das schon lange in dir schlummert. Wenn du schon ein festes Schreibritual hast, dann teile es doch in den Kommentaren auf Steady – vielleicht können wir uns dann gegenseitig inspirieren.
WICHTIG für alle, die jetzt erst in den Kurs einsteigen: Die ersten 5 Kursteile findest du ohne Paywall auf Steady, wo ich meine wöchentliche Kolumne veröffentliche. Einfach hier:
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Alles Liebe und bis nächste Woche,
eure Sina
