Genoss*innenbeitrag: from Kollapscamp, with love

Quelle: Screenshot Insta Story
https://www.instagram.com/stories/pfoetchen.music/3711964716982871302?utm_source=ig_story_item_share&igsh=MThhMjZ1dmw0ZjRiMw==) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Genoss*innenbeitrag vom Kollapscamp-Orgateam
Das erste Kollapscamp ist vorbei, und wir sind immer noch total überwältigt von Euch, von der Intensität und Resonanz, von den vielen Potenzialen und Beziehungen, die hier entstanden sind. Wir sind stolz und glücklich, aber auch erschöpft, und deshalb noch nicht der Lage, einen ausführlicheren Text zu schreiben, der tiefgehend und kritisch analysiert, was hier passiert ist, der vielleicht sogar über nächste Moves und Strategien nachdenkt. Aber wir wollen uns trotzdem direkt nach dem Camp bei Euch melden, wenn all die Eindrücke noch frisch sind, uns bedanken (beim gastgebenden Kollektiv und der tollen KüFa Food for Action, bei den Sanis und bei den Crèpes- und Waffelständen, beim Solibus und der IL, bei den Menschen, die den Infopoint und den Kids Space organisiert haben, und denen, die die Bar betreuten – und vielen, vielen mehr), und Reflexionen, Selbstkritiken, aber auch unseren Stolz und unsere Freude teilen: darüber, was hier passiert ist, was wir alle zusammen hier erreicht haben.
Mehrgenerationencamp
Von Anfang an, schon im Orgaprozess, war eines sichtbar: hier war nicht nur die verhältnismäßig junge Klimabewegung vertreten – die war auch präsent und sichtbar, mit Menschen von Ende Gelände, Extinction Rebellion, und dem Umfeld der Letzten Generation. Jenseits davon trafen sich aber auch viele linke und ökologische Bewegungsspektren, die sich seit Jahren oder in manchen Fällen Jahrzehnten nicht mehr auf Demos, und schon gar nicht auf Camps geschleppt haben. Von einer grünen Stadträtin aus Hamburg über (Selbstbeschreibung) “queere junge Zecken”, von bürgerlichen Linken zu organisierten Christ*innen. Es waren Menschen da, die sich bisher noch nie mit derart “linken” Inhalten und Organsierungsformen befasst hatten. Es war auch ein queeres Camp, und gut informierten Quellen zufolge entstanden während der Abschlussparty am Samstag in den verzweigten Katakomben des gastgebenden Kollektivs die versprochenen all gender Cruising Spaces. Die älteste Teilnehmerin war 85, die jüngsten waren Kids. Es gab Globalisierungskritiker*innen, Omas gegen Rechts, Anti-Atom- und Jugendumweltbewegte, Menschen aus der Hacker- und der Erneuerbaren-Szene, sogar die von uns im Programm sträflich vernachlässigte SoLaWi-Bewegung war dabei, und begann, sich mit der Kollapsbewegung vernetzen.
Selbstorganisiercamp
Was uns zum nächsten Punkt bringt: Selbstorganisierung. Die war hier richtig, richtig toll, was uns einerseits besonders beeindruckte, weil so viele Menschen hier waren, die noch nie auf irgendeinem aktivistischen Camp waren, und wofür wir andererseits wahnsinnig dankbar waren, weil uns als Orgacrew, viele von uns selbst mit nicht besonders viel Erfahrung im Organisieren eines derart großen Events, immer wieder Sachen entglitten, es erhebliche Reibungsverluste und Lücken im Prozess gab, weil wir immer wieder Sachen aus dem Blick verloren. In all diesen Fällen waren es die Teilnehmer*innen, die sich der Probleme annahmen, und – eines unserer Lieblingsbeispiele – einen wunderschönen selbstorganisierten Kids Space aufbauten. Es haben tatsächlich so viele Menschen so spontan und so motiviert “Reproschichten” übernommen, wie wir es noch nie erlebt haben.
Innerearbeitscamp
Wir freuen uns auch sehr darüber, dass wir in unserem Programm nicht nur internationale top-standard-Kurse im Bereich “praktische Katastrophenvorbereitung” hatten wie den von Cadus (Climate Emergency Responder) oder das zweitägige Planspiel “Organizing in Crisis”, Gatans Förbands/Pär Plüschkes episch-populäres Format “Stop the Bleed”, ebenso vollkommen neue Module wie “How to Defend a Pride March” oder einen Workshop, der ganz praktisch zeigt, wie mensch in Zeiten von Strom-, Internet und allemmöglichen-Ausfällen miteinander telekommunizieren kann. Ein erheblicher Teil des Programms, ungefähr ein Drittel, war dem gewidmet, was wir manchmal als “Emo-Arbeit”, häufiger, und wie wir finden besser, als “innere Arbeit” bezeichnen. Im Orgaprozess war von Anfang an klar, dass wir als Camp nur dann zur Entstehung einer solidarischen Kollapsbewegung beitragen können, wenn wir es schaffen, diejenigen, die sich ihre Hände in praktischer Arbeit und Katastrophenvorbereitung schmutzig machen wollen (ob in der queeren Selbstverteidigung oder im Bau von Hochbeeten), stabil mit denjenigen zu vernetzen, deren Arbeit eher im Inneren liegt: die sich um Traumata kümmern und sichere Räume herstellen, die darum ringen, zu verstehen, was Solidarität im Kollaps bedeuten kann, die die inspirierende Praxis des Klimakollapscafés fortsetzen. Diese gleichwertige Verbindung von innerer und äußerer Arbeit auf Augenhöhe halten wir für eine der zentralen politischen Achsen und Innovationen einer Kollapsbewegung.
Kinda-sorta-Kollapscamp
Dieser Fokus auf innere und praktische Arbeit anstatt klassischer Konferenz- und Diskussionsformate hat aber auch zu einer Entscheidung geführt, die wir im Nachhinein für einen Fehler halten: wir haben fälschlicherweise angenommen, dass das, was wir gerne “Kollapsakzeptanz” nennen – tatsächlich eine Mischung aus Akzeptanz physikalischer und gesellschaftlicher Kollapsrealitäten, und einer leichten Genervtheit mit all den Diskussionen darüber, ob das mit dem Kollaps, oder genauer, den Kollapsen, wirklich und sicher schon der Fall ist und sein wird – bei den meisten Menschen auf dem Camp ähnlich stark ausgeprägt sei, wie bei uns, was dazu führte, dass wir, mit Ausnahme des aus der Kerngruppe kommenden Vortrags “Systeme im Kollaps” zu wenige Events organisierten, auf denen diese Fragen (“Die Kollapsfrage”) kontrovers aber gleichzeitig respektvoll hätte diskutiert werden können. Und wenn “Kollaps” besprochen wurde, dann eher in Gesprächen am Rande von Workshops, Gesprächen, in denen mehr über Kollaps als Diskurs/Erzählung/Strategie gesprochen wurde, denn als realer physikalischer und gesellschaftlicher Prozess. Im Sinne einer möglicherweise entstehenden Kollapsbewegung haben wir hier unsere Verantwortung der Entwicklung einer “Kollapsdidaktik” nicht wirklich wahrgenommen.
Fehlerkulturcamp
Wo wir gerade bei Fehlern sind: wir haben ne ganze Reihe davon gemacht, und die wollen wir hier offenlegen. Nicht im Sinne eines beichtartigen Schuldgeheuls-und-Asche-aufs-Haupt-Streuens, sondern im Sinne einer vernünftigen, solidarischen und produktiven Fehlerkultur, in der wir verstehen, dass diejenigen, die sich nach vorne trauen, die Risiken eingehen, die auch mal handeln, bevor vollkommen klar ist, dass das, was dabei herauskommt, vollkommen fehlerfrei sein wird, nunmal Fehler machen werden. Das gilt vor allem, wenn es sich um ein ohne vorherigen Zusammenhang ziemlich randomly zusammengewürfeltes (und im Grunde zu kleines und an manchen Stellen ehrlich überfordertes) Orgateam handelt, dass von Anfang an nur online zusammenarbeiten konnte, und es trotzdem geschafft hat, hier was ziemlich geiles zu organisieren. Jetzt aber zu den Fehlern, und die folgende Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig.
Wir hätten gerne mehr internationale, vor allem BiPoc-Perspektiven auf dem Camp gehört, sowohl in Workshops, als auch bei den Teilnehmenden. Wir schafften es, Menschen aus der Anglo-Welt hierher zu holen, aber nicht die äußerst inspirierenden Soulèvements de la Terre aus Frankreich; auch unser Versuch, Menschen, die in den Fluten von Valencia organisiert und geholfen haben, waren nicht von Erfolg gekrönt, was nur teilweise an unzureichenden Finanzmitteln lag. Es gab zwar ein improvisiertes “Internationals”-Meeting, an dem ung. 50 Menschen teilnahmen (zB aus Finland und der Türkei, den USA und der Schweiz, aus Holland und Österreich), aber mehr Raum für Strategiediskussion und internationale Vernetzung hätte dem Camp gut zu Gesicht gestanden.
Ein weiterer, und für uns sehr schmerzhafter Fehler, war die Art und Weise, wie die sehr aktiven Diskussionen, die wir in unserer Orga über die Rolle von “Leadership” führen, im Eröffnungsevent rüberkamen. Unsere Idee war, Tadzios sehr, und in der öffentlichen Sichtbarkeit auf jeden Fall zu zentrale Rolle bewusst zu thematisieren, und symbolisch die Übergabe des Hefts der Handlung an an das Bewegungskollektiv – eine Übergabe, die in der realen Arbeit bereits weitgehend passiert ist – darzustellen. Das kam ganz offensichtlich bei ganz vielen überhaupt nicht rüber, die leise Ironie konnte kaum jemand merken, und am Ende fanden selbst wir, dass es an manchen Punkten auch ziemlich cringe war.
Jedoch, auch wenn unser Versuch der Thematisierung von Leadership in unseren Bewegungen – was ist die Funktion von Leadership, wird sie gebraucht, wie wird sie kontrolliert und zur Rechenschaft gezogen, wie ausgetauscht, etc. - offensichtlich gescheitert ist (Fehlerkultur: mistakes will be made) sind wir stolz auf den Versuch, zu einem Thema Worte zu finden, dass in linken Bewegungen oft vermieden wird, aber nur mit einem Ziel diskutiert wird: produktive Formen politischer Leadership zu delegitimieren und zu shamen. Wir – und das betonen vor allem diejenigen Menschen im Orgaprozess, die es noch nicht gewohnt sind, mit welcher Lust sich in der radikalen Linken gerne gegenseitig zerfleischt wird – wünschen uns für die Zukunft nicht nur eine offenere Fehlerkultur, sondern auch eine Gesprächskultur, in der Kritik produktiv artikuliert und aufgenommen werden kann.
Kollapscamp
Bei aller Erschöpfung und Kritik von außen wie von innen ist unser aller Grundgefühl aber eines, was der Euphorie schon ziemlich nahekommt. Das Kollapscamp war der erste politische Space, zumindest im deutschsprachigen, aber wir glauben auch im europäischen Kontext, in dem fast 1000 Menschen zusammenkamen, und “Kollapsakzeptanz” die dominante politische Position war, wo wir unsere Zeit nicht primär mit Verdrängungsdebatten mit Menschen verschwenden mussten, deren politische Analysen vor allem darin bestehen, Wege zu suchen, die Realität zu ignorieren (zum Beispiel wurde uns endlich mal kein “Alarmismus” vorgeworfen). Wer selbst kollapsbewusst ist, und natürlich: wer auf dem Camp war, wird wissen, wie wuchtig die Erfahrung ist, sich mit dem Wissen über die Realität nicht mehr allein zu fühlen. Manche von uns vergleichen sie mit Coming Out Erfahrungen. In diesem Raum der Kollapsakzeptanz traf sich eine große Anzahl von Menschen, die nicht nur in Workshops sitzen und diskutieren, sondern die ihre Energie zunehmend in den Aufbau von Sicherheits- und Solidarstrukturen für die Zukunft investieren wollen. In diesem ersten Kollapscamp trafen sich zum ersten Mal richtig viele Leute, für die die Idee, gemeinsam an einer solidarischen Kollapsbewegung zu arbeiten, einen Weg in die Zukunft schafft, der nicht nur dunkel und scheiße aussieht.
Wie geht's weiter? Klar haben wir schon Ideen und Visionen, aber verzeiht uns, wenn wir die hier erstmal nicht teilen: die allerletzten Zelte werden gerade abgebaut, und wir sind stehend k.o. Nochmal: dank an Alle, die hier waren, Alle, die mitgeholfen haben, Alle, die uns unterstützt haben, von nah und fern. An all die geht nämlich der Dank, den uns ein (hier anonymisierter) Teilnehmer am Ende des Abbaus noch mitteilte: Er sagte (paraphrasiert), dass er 40 Jahre resigniert und frustriert mit der Welt war und dass dann auf einmal wir daher kommen und einen Ort schaffen, an dem Menschen sich ehrlich mit Kollaps auseinandersetzen und anpacken wollen, was für eine Lebensfreude ihm das gibt und dass er unbedingt weiter dabei sein möchte. Und damit meinte er nicht nur das Orgateam: damit meinte er alle von uns, die auf dem Camp waren und es möglich gemacht haben.
Soviel dazu. Ihr hört von Uns. Jetzt chillen wir erstmal.
Die Orgacrew des Kollapscamps
p.s.: und wirklich der letzte Punkt: Danke an Alle, die uns geholfen haben, unser noch kurz vor dem Camp empfindliches Finanzloch zu stopfen. Wir sind jetzt finanziall im grünen Bereich, und werden demnächst veröffentlichen, an welche Projekte das übrige Geld geht. Wer aber weiterhin an das Kollapscamp und die mit Sicherheit kommenden Folgeprojekte spenden will, kann das gerne hier tun: https://www.betterplace.org/de/projects/156994-solidaritaet-i-d-katastrophe-deine-spende-fuers-kollapscamp (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)