LA DISPUTE - Licht in düsteren Zeiten.
Achtung: Das Album erscheint am 9.5., nicht am 18.07., wie im FUZELETTER stand. Sorry!

Sechs Jahre sind vergangen, seit LA DISPUTE ihr letztes Album veröffentlicht haben. Jetzt meldet sich die Emotional-Post-Hardcore-Band aus den USA endlich mit „No One Was Driving The Car“ zurück. Im Interview erklärt Sänger Jordan Dreyer, was ihn während des Schreibens bewegt hat und warum es auch in schlechten Zeiten immer noch Hoffnung im Leben gibt.

Im September erscheint euer neues Album und es trägt den Titel „No One Was Driving The Car“. Ich habe gelesen, dass dies ein Zitat eines Polizisten über einen tödlichen Unfall ist, an dem ein selbstfahrendes Auto beteiligt war. Was war an dem Ereignis so besonders, dass du es zum Titel gemacht hast?
Ich glaube, wenn ich zurückblicke, wurde mir die Unbeständigkeit des Lebens immer bewusster. Ich denke, dass im Allgemeinen wahrscheinlich die meisten Menschen, die sich mit den Geschehnissen zu Hause und auf internationaler Ebene befassen, das Gefühl haben, dass wir alle von der Geburt bis zum Tod auf der Stelle treten und unser Bestes tun, um dabei Sinn und Zufriedenheit und ein Gefühl des Glücks und der Erfüllung zu finden. Aber wir sind nicht immer in der Lage, dies so zu erreichen, wie wir es uns wünschen, weil andere Umstände im Spiel sind. Und ich glaube, viele Menschen, mich eingeschlossen, suchen manchmal nach einer äußeren Erklärung dafür, wie schwer alles sein kann, wie gewalttätig das Leben ist, wie schwierig es ist, Zufriedenheit zu finden, nicht nur über Jahre hinweg, sondern auch einfach im Alltag. Und es schien mir ein starkes Bild zu sein, um dieses Gefühl zu beschreiben, dass jemand in ein angeblich selbstfahrendes Auto einsteigt und darauf vertraut, dass etwas außerhalb seiner selbst ihn sicher von einem Punkt zum anderen bringt, und dann auf harte Weise herausfindet, dass die Realität, wie er verstanden hat, nicht notwendigerweise mit der Konsensrealität und den tatsächlichen Lebensumständen übereinstimmt, wenn das Sinn macht. Ich hielt das für eine gute Möglichkeit, das in wenigen Worten zusammenzufassen.
Storytelling ist ein sehr wichtiger Teil dessen, was euch als Band ausmacht. Aber ich denke, dass ihr speziell bei dieser neuen Platte auch eine interessante Veröffentlichungsstrategie habt, die irgendwie damit zusammenhängt. Am Anfang habt ihr drei Songs auf einmal veröffentlicht und sie nur mit „I“ betitelt. Und dann habt ihr noch einen neuen Song rausgebracht und das Ganze „II“ genannt. In eurer Instagram-Ankündigung habt ihr erklärt, dass es hier so etwas wie einen Anfang, eine Mitte und ein Ende gibt. Kannst du mir sagen, was für eine Geschichte ihr damit erzählt?
Ich glaube, ich habe in den letzten fünf Jahren relativ viel Zeit damit verbracht, über meine Lebensstation nachzudenken. Das ist wohl zum Teil einfach ein Nebenprodukt davon, dass ich ein paar Jahre älter geworden bin und angefangen habe, mich mit meiner eigenen individuellen Geschichte zu beschäftigen und wirklich bewusst die Ereignisse zu analysieren, die mich dahin geführt haben, wo ich jetzt bin. Die Geschichte beginnt in den ersten drei Tracks in der Gegenwart, mit der Figur in der Krise, und man sieht diese Art von Bewertung, diese Selbsteinschätzung des eigenen Weges von diesem Punkt an, dem Dreh- und Angelpunkt der Platte, der der Song ist, den wir heute veröffentlicht haben. Es geht also von jemandem aus, der im Laufe einer Nacht eine existenzielle Krise durchlebt und dann ganz bewusst Ereignisse aus seiner Geschichte auspackt, die ihn zu diesem Moment geführt haben könnten. Und im nächsten Abschnitt der Platte, der etwas später kommt, erfährt man bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit dieser Person. Und dann gibt es einen weiteren großen Übergangsmoment zu einer ungenannten Zukunft außerhalb der Zeit und eine Art Endreflexion über diese persönliche Bewertung. Es ist also wirklich, auch wenn es in externen Geschichten erzählt wird, die persönliche Erzählung einer einzelnen Person von der Krise zu ihrer Vorgeschichte und dann weiter zu den Schlussfolgerungen, die sie daraus über sich selbst hinaus zieht. Es ist eher die innere Reise der Person als eine Abfolge von Ereignissen, die in einer linearen Zeitlinie nachgezeichnet werden.
Ihr habt einige emotional harte Songs auf dem Album, was nichts Neues für euch ist. Und es gibt ein paar, die mir wirklich aufgefallen sind, und einer davon ist der „Sibling fistfight at mom’s fiftieth“. Eine Textzeile lautet: „What a miracle it is we get to be alive“. Kannst du mir ein bisschen mehr über die Idee hinter dem Stück erzählen?
Das basiert auf einer wahren Begebenheit beim 50. Geburtstag meiner Mutter, wenn auch etwas fiktionalisiert und pointiert. Ich habe viel über meine Mutter nachgedacht. Sie ist eine zutiefst einfühlsame Person, für die sich alles um ihre Kinder und Enkelkinder, um ihren Mann und allgemein die Familie dreht. So sieht meine Mutter die Welt, zum Glück. Ich glaube, das hat extrem geprägt, was ich jetzt als Erwachsener für ein Mensch bin. Und ich fühle in gewisser Weise die Last, die sie trägt, wenn ich mich hinsetze und darüber nachdenke, wie es ihr geht, wenn ihre Kinder sich abmühen, wenn Umstände, auf die sie keinen Einfluss haben oder Entscheidungen, die sie getroffen haben, Auswirkungen auf ihr Leben haben, Und ganz allgemein glaube ich, dass sie viel von ihrem Schmerz, meinem Schmerz und dem Schmerz meiner Geschwister auch in sich trägt. Und ich fühle sehr mit ihr. Ich bin froh, dass du dich auf diese Zeile beziehst, denn man könnte den Song auch als mutlos und verzweifelt interpretieren. Aber ich denke, die Realität des Lebens ist, dass wir Freude und Schmerz erleben, oft in gleichem Maße oder in ausgewogener Weise in Richtung Schmerz. Und ich glaube, ich muss meinen Alltag auch verstehen durch die Schönheit, die ich sehe, und durch die Beziehungen, die ich knüpfe, und den Einfluss, den die Menschen auf mich haben und den ich auf die Menschen habe. Und ich glaube, mit diesem Song wollte ich sagen, dass das Leben, wenn es schwierig ist, nicht schlecht ist, weil wir alle die Last des Lebens erfahren und es für jeden schwer ist und man einen Weg finden muss, sich auf das Gute zu konzentrieren. Und ich denke, es ist ein Wunder. Wir werden mit Gefühlen geboren und haben die Fähigkeit, sie zu empfinden. Und ich denke, ich wollte, dass dieser Song, auch wenn ich über die Tatsache spreche, dass wir letztendlich sterben, trotzdem die Freude anerkennt und irgendwie die Schönheit in der Tatsache findet, dass wir es tun. Ja, ich glaube, das ist wirklich einer meiner Lieblingssongs auf der Platte und ich bin ziemlich stolz darauf.
Isabel Ferreira de Castro