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Leuchtersuche in Wien, Bücherjagd in Bautzen

Von Hasnain Kazim - Menorah / Drecksarbeit / Krabat

Liebe Leserin, lieber Leser,

kürzlich hatte meine Frau Geburtstag, und ich wollte ihr etwas schenken, was ihr schon länger gefällt: eine Menorah, ein siebenarmiger Leuchter. Nun ist die Menorah eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums. Im Staatswappen Israels ist sie zum Beispiel zu sehen, zwischen zwei Ölbaumzweigen.

Ich bin ja, bis auf wenige Ausnahmen, ein Freund der kulturellen Aneignung, aber irgendwie war ich mir unsicher, ob ich meiner Frau so etwas kaufen kann. Also fragte ich einen jüdischen Freund, und der sagte: “Warum nicht? Wenn es ihr gefällt und wenn es dir gefällt, ist doch alles gut! Wem würdest du damit schaden? Niemandem!”

Bei einer kleinen Recherche fand ich heraus, dass der siebenarmige Leuchter auch in der Bibel vorkommt, im Alten Testament. Im 2. Buch Mose bittet Gott die Israeliten, einen solchen Leuchter aus purem Gold zu machen.

Ich schrieb einem Bekannten aus der jüdischen Gemeinde in Wien, um zu fragen, wo ich solch einen Leuchter bekommen könnte. Er antwortete prompt und schrieb mir die Namen diverser Geschäfte und Juweliere in Wien. Und nachdem er mit seiner Frau gesprochen hatte, die sich in diesen Dingen offensichtlich noch besser auskennt, schrieb er weitere Namen.

Ich machte mich auf den Weg zum ersten Juwelier. Wenn man sein Geschäft betritt, sieht man nichts Jüdisches daran, keine Leuchter, kein Schmuck, der darauf hindeutet.

“Entschuldigen Sie, ich hörte, dass Sie Chanukkaleuchter verkaufen…”

Er schaute mich freundlich an.

“Ich brauche das als Geschenk für meine Frau”, schob ich hinterher.

“Sind Sie Jude?”, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

“Ist Ihre Frau Jüdin?”

Wieder schüttelte ich den Kopf. “Ich möchte ihr das schenken, weil wir diese Leuchter so mögen”, sagte ich.

“Kommen Sie mal mit”, sagte er nun und führte mich zu einem hinten in seinem Geschäft gelegenen Schrank. Er öffnete die Tür: darin ein riesiger Leuchter, bestimmt einen Meter breit.

“Ah, der ist sehr schön, aber zu groß für uns. Ich suche eher so etwas”, sagte ich und zeigte ihm nun ein Foto.

“Das ist aber kein Chanukkaleuchter, sondern eine Menorah”, sagte er und lachte. Tatsächlich hat der eine acht arme, der andere sechs.

Am liebsten wäre ich im Boden versunken vor Scham. “Ja, natürlich. Klar.”

“Also, vor Chanukka haben wir einige Leuchter vorrätig. Aber das ist erst im Dezember. Kommen Sie im November vorbei, da werde ich Ihnen einige zeigen können.”

“Ich möchte den meiner Frau zum Geburtstag schenken, daher brauche ich ihn jetzt. Wissen Sie, wo ich einen in Wien zu dieser Zeit bekommen könnte?”

“Warten Sie!” Er ging und holte ein uraltes Adressbuch, aus dem schon die Blätter fielen und blätterte darin herum. “Der E. sollte welche haben”, sagte er. Dann rief er E. an. “E., mein alter Freund, hier ist dein Freund R. Sag, ich habe einen Kunden, der sucht eine Menorah, hast du welche da?… Wie? Ach? Das ist gar nicht E.? Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung!”

Er suchte mir dann noch die Nummern von weiteren Freunden aus seinem alten Büchlein, schrieb sie mir auf, und ich machte mich auf den Weg.

Um es abzukürzen: Ich kenne jetzt gefühlt alle jüdischen Juweliere, Möbel- und Einrichtungshändler sowie Geschäfte für religiöse Gegenstände in Wien. Überall wurde ich äußerst zuvorkommend behandelt, überall zeigte man mir die - wenigen - vorrätigen Modelle oder half mir mit weiteren Telefonnummern und Adressen. Man kennt einander, fast alle haben uralte Adressbücher mit hineingekritzelten Telefonnummern. Hier und da wunderte man sich, weshalb ich eine Menorah haben wollte, half mir dann aber mit größter Mühe. Viele der Geschäftsleute sprachen ein etwas altertümliches, sehr liebenswürdiges Deutsch. Ich kam mir vor wie versetzt in eine andere Zeit. Ich weiß, klingt ein bisschen nach Klischee, ist aber wirklich so.

Am Ende fand ich tatsächlich keine Menorah, die passte. Letztlich musste ich tun, was ich hatte vermeiden wollen: im Internet bestellen. Ich fand also eine, die mir sehr gut gefiel, ausgerechnet im “Fachhandel für Kirchenbedarf”, wo es “liturgische Geräte”, “Kirchenzubehör”, “Paramente” (ich musste nachschlagen, was das ist…) und “Devotionalien” gibt. Dieser Laden bot auch wunderschöne Leuchter an - und ich bestellte einen.

Und was soll ich sagen? Das Ding ist sehr schwer und sehr schön, er ist natürlich nicht aus Gold, wir lieben ihn und er erleuchtet künftig unser Haus.

Die Sprache, dein Kleid…

“Kleider machen Leute”, heißt eine Novelle von Gottfried Keller. Ich finde, mindestens genauso sehr macht Sprache Leute. Du bist, wie du sprichst. Oder auch: Du sprichst, wie du bist. Und je nach dem, wer du bist, solltest du sprechen. So unterschiedlich, wie wir Menschen sind, so verschieden ist eben auch unsere Sprache. Die einen reden so, die anderen so, Sprache ist nunmal auch regional geprägt, es gibt Dialekte und verwandte Sprachen, es ist eine Vielfalt, die mir grundsätzlich bei Sprachen gefällt.

Es gibt Menschen, für die ist Sprache Beruf. Politiker zählen dazu. In einer Demokratie ist Sprache ist das einzige Instrument, das Politikern zur Verfügung steht. Und so breit das Meinungs- und Parteienspektrum ist, so verschieden darf auch die Sprache von Politikern sein. Die einen reden sehr gewählt, andere eher bodenständig, manche haben eine regionale Färbung, wieder andere lieben die komplizierte, möglichst gebildet wirkende Ausdrucksweise. Des einen Wortschatz ist größer als des anderen. (Mein Eindruck ist: Bei manchen Leuten beschränkt er sich auch auf ein Grunzen und Grummeln.) Aber egal, wie unterschiedlich die Sprache und das Sprachvermögen: Eines sollten Politikerinnen und Politiker allesamt, nämlich ihre Sprache beherrschen. Sprich: wissen, wie sie was wann wo sagen.

Diese Woche gab es Aufregung, weil Bundeskanzler Friedrich Merz die militärischen Angriffe Israels auf iranische Atomanlagen “Drecksarbeit” genannt. Ich wurde mehrfach gefragt, was ich davon halte. Das möchte ich an dieser Stelle beantworten.

Die meisten regten sich auf, ohne das ZDF-Interview im Zuge des G7-Gipfels in Kanada selbst gesehen oder gehört zu haben.

Tatsächlich war es die Journalistin, die ihm dieses Stichwort gab.

Journalistin: “Ist das nicht sehr verlockend, dass die Israelis jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das sehr viele in der Welt als einen sehr großen Störfaktor wahrnehmen?”

Merz: “Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff ‘Drecksarbeit’. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht, mit Anschlägen, mit Mord und Totschlag, mit Hisbollah, mit Hamas. Am 7. Oktober 2023 in Israel. Das wäre ohne das Regime in Teheran niemals möglich gewesen. Die Belieferung Russlands mit Drohnen aus Teheran. Ja, Drecksarbeit, die Israel da gemacht hat. Ich kann nur sagen: Größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen. Wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre den Terror dieses Regimes gesehen. Und dann möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand.”

Man muss also schon auch sagen: Ohne die Vorgabe in der Frage hätte Merz dieses Wort nicht benutzt. Aber ich möchte Merz nicht in Schutz nehmen und auch nicht “Drecksarbeit” das Wort reden.

Einerseits erwarten wir von Politikern, dass sie “Tacheles reden”, dass sie die Dinge klar und deutlich benennen, dass sie “nicht um den heißen Brei reden”. Andererseits sollen sie sich anständig ausdrücken, nicht pauschalisierend, abwertend, zuspitzend, polarisierend, radikal.

An Merz’ Stelle hätte ich den Begriff nicht “dankbar” übernommen, sondern hätte gesagt: Frau Zimmermann, das ist nicht das Wort, das ich nutze, aber ich bin Israel dankbar, dass es ein terroristisches, mörderisches, extremistisches Regime bekämpft, das auch für uns eine Gefahr darstellt. Ich bin dankbar, dass Israel gegen ein Regime militärisch vorgeht, das jahrzehntelang Menschen verschwinden, Kritiker öffentlich an Kränen aufhängen lassen, Oppositionelle gefoltert, Homosexuelle von Hochhäusern gestürzt, beknackte Fatwas wegen irgendetwas erlassen, wegen eines Romans tödlich beleidigt das Leben eines Schriftstellers seit dem 14. Februar 1989 zur Hölle gemacht, Frauen zur Verhüllung gezwungen und überhaupt allgemein diskriminiert, das jahrzehntelang nach der Atombombe gestrebt und die Welt bedroht hat. Ich bin dankbar, dass Israel diese Aufgabe für andere, und genau genommen: auch für uns übernommen hat.

Das hätte ich besser gefunden. Aber ja, natürlich ist Krieg auch “Drecksarbeit”. Denn ja, auch in Iran sterben Unschuldige, Zivilisten, Frauen, Kinder. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, könnte man es so bezeichnen. Denn was ist mit “Drecksarbeit” gemeint? Doch nicht, dass man Zivilisten töten sollte. Sondern Arbeit, die sonst kein anderer machen möchte.

Als die alliierten Truppen noch in Afghanistan waren, übernahmen auch andere, allen voran die US-Truppen, die “Drecksarbeit”, und ich erinnere mich, dass sie es selbst tatsächlich “dirty work” nannten: das gezielte Töten von hochrangigen Taliban-Kommandeuren. Die deutschen Truppen hatten das Glück, mit solchen Aufgaben nicht betraut zu sein. Profitieren taten auch sie davon.

Die Kritik, das Wort “Drecksarbeit” werte Menschen in Iran ab oder lasse sie als “nicht zugehörig” erscheinen, teile ich nicht. Ich finde dieses Wort nicht angemessen, aber auch nicht empörend.

Dass ausgerechnet der Alt-Komiker Dieter Hallervorden nun eine Anzeige gegen Merz mitunterschrieben haben soll, obwohl er sich kürzlich noch öffentlich beschwerte, dass man in Deutschland nicht mehr alles sagen dürfe, ohne Repressionen zu befürchten, ist nur ein schräger Randaspekt dieser ganzen Geschichte.

Und dass ausgerechnet Navid Kermani in der “Süddeutschen Zeitung” schreibt: “Wer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl.”, ist ein weiteres Beispiel für die Selbstgerechtigkeit mancher in dieser Debatte. Man kann Dinge natürlich auch falsch verstehen wollen. Aber gut, es ist ein sehr emotionaler Text, ich verstehe Kermanis Aufgewühltheit, nur: Der Stringenz des Textes hilft das nicht.

Er schreibt: “Und die Behauptung, dass es zur offiziellen Staatsdoktrin Irans gehört, Israel zu vernichten, wie es auch in deutschen Nachrichten täglich verkündet wird - fragt einfach Chat-GPT, um herauszufinden, ob das überhaupt stimmt. Ja, es gibt die Drohungen des Revolutionsführers, sogar Vernichtungsfantasien, und den allermeisten Iranern sind sie mehr als unangenehm. Aber angesichts der Kräfteverhältnisse werden sie im Land selbst so ernst genommen wie das wöchentliche ‘Tod Amerika’.”

Man soll Chat-GPT befragen? Echt jetzt? Und ja, die mächtigsten Instanzen des Landes wollen die Vernichtung Israels, aber weil sie allesamt zu blöd, zu schwach, zu unfähig sind, ihre beknackten mörderischen Fantasien auch umzusetzen, sei das alles ja irgendwie nicht so schlimm? Weil ihre intellektuellen Fähigkeiten und ihre finanziellen Möglichkeiten nicht Schritt halten mit ihrer Bösartigkeit und ihrer Feindseligkeit, soll man die Staatsdoktrin, ein Land zu vernichten, nicht so ernst nehmen? Und “den allermeisten Iranern” sei das eh “mehr als unangenehm”? Wirklich? Wen hat er befragt?

Ich finde, Merz sollte sich staatsmännischer, diplomatischer, klüger, würdevoller ausdrücken. Leider hat er ja schon in Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es ihm hin und wieder an gewissem Sprachvermögen fehlt. Mal redete er pauschal von “kleinen Paschas”, mal davon, dass bestimmte Leute “beim Arzt sitzen und sich die Zähne neu machen lassen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine”, dann wieder von “grünen und linken Spinnern”. Als Oppositionspolitiker mag man ihm das vielleicht durchgehen lassen. An einen Bundeskanzler lege ich andere, höhere Maßstäbe an. Eine bessere Wortwahl wäre nicht nur wohlklingender, sondern auch wirksamer. Vielleicht müssen ihm das seine Berater noch verklickern.

Inhaltlich stimme ich ihm, was Israels Vorgehen in Iran angeht, zu. Ich hoffe sehr, dass die iranischen Atomanlagen zerstört werden, und noch mehr hoffe ich, dass das Mullah-Regime endlich stürzt. Wohlwissend, dass es danach wohl nicht nicht besser wird. Militär kann nur politische Lösungen vorbereiten, nie selbst Lösungen schaffen. Ich hoffe sehr, dass die Welt aus den Fehlern in Afghanistan, Irak, Syrien et cetera gelernt hat und längst plant, wie ein Iran nach den Mullahs aussehen kann. Und dass sich auch die Iranerinnen und Iraner Gedanken darüber machen.

Danach sieht es allerdings nicht aus.

Viel zu viele Akteure streben selbst nach Macht, andere wiederum sind kaum organisiert, manche keinen Deut besser als die heutigen Mullahs.

Aber ein Schritt nach dem anderen.

Krabat in Bautzen

Vergangene Woche habe ich in Sachsen gelesen, in Meißen, Bautzen und Görlitz. Alles drei sehr, sehr schöne Städte. In Meißen war Literaturfest, ich kam ein paar Minuten zu spät, weil die Bahn Verspätung hatte, aber es war dann doch eine sehr schöne Lesung. In Görlitz war der Bär los, dort fand diese Woche einer der größten Kongresse der Astrophysiker statt. In den Cafés und Restaurants saßen viele Menschen bei sommerlichen Temperaturen, ich hörte Hindi und Mandarin, vor allem aber Englisch. Toll!

Und Bautzen? Was soll ich sagen? I am in love with that place. Das liegt natürlich an den Menschen, die ich dort seit einiger Zeit kenne, die sich für Demokratie und Vielfalt, für Dialog und vernünftiges Miteinander einsetzen und dabei aus sehr unterschiedlichen politischen Richtungen kommen. Hinzu kommt, dass diese Stadt einfach wunderschön ist.

Einer der Organsatoren meiner Lesung im Dom St. Petri zu Bautzen, der eine “Simultankirche” ist und mithin von Katholiken und Protestanten gleichermaßen genutzt wird, Heiner Schleppers, fuhr mich zwei Tage lang durch die Region, um sie mir näherzubringen. Das Sorbische. Ich bin durch sorbische Dörfer gefahren, habe die sorbische Sprache gehört, in Crostwitz war zufälligerweise 800-Jahr-Feier, wir haben dort - natürlich! - Eierschecke gegessen. Und ich habe Seen gesehen, die mal Kohlegruben waren. Man kommt sich vor, als wäre man am Meer, wirklich! Mitten in Sachsen!

Und wir waren an der Krabat-Mühle, dort spielt die geheimnisvolle Geschichte, die ich noch aus meiner Kindheit von Otfried Preußler kenne. Die sorbische Krabat-Sage hat aber auch andere Schriftsteller inspiriert, und in der DDR kannte man Preußler kaum, dafür das Buch von Jurij Brězan: “Krabat oder Die Verwandlung der Welt” - ein Buch, von dem ich wiederum noch nie gehört hatte. Zufälligerweise war Brězan mit dem Vater von Heiner befreundet.

Und wie das so ist mit Büchern, wollte ich dieses dann sofort kaufen. Ich bummelte also durch Bautzen und fand die Buchhandlung Kretschmar. Die Buchhändlerin, eine junge Frau, antwortete auf meine Frage, ob sie dieses Buch habe, sofort: “Nein, das ist leider vergriffen. Wenn, bekommen Sie es nur noch antiquarisch.” Die Buchhandlung hat im Obergeschoss ein Antiquariat, ich fragte also: “Haben Sie es da vielleicht?” Sie antwortete sofort: “Nein.”

Seltsam, dachte ich. Woher weiß die das so genau? Ist das Buch hier so bekannt, dass man genau Bescheid weiß darüber, ob man Exemplare vorrätig hat?

Ich erzählte Heiner später von meiner erfolglosen Bücherjagd. Er reagierte seltsam wortlos. Ich dachte mir nichts dabei.

Am nächsten Tag bat ich ihn nach einem Ausflug in die Umgebung, mich nahe der Fußgängerzone aussteigen zu lassen, ich wolle noch einmal durch die Innenstadt gehen.

Ein paar Minuten später erhielt ich eine Textnachricht von ihm: “Bitte nirgendwo Krabat kaufen.”

Und dann erfuhr ich es später: dass er und seine Mitstreiter die ganze Zeit selbst auf der Jagd nach diesem Buch gewesen sind, um es mir zu schenken. Und ich habe es bekommen: ein neues, ungelesenes Exemplar!

Die Lesung selbst war mir eine Ehre und ein Vergnügen.

Zur selben Zeit fand übrigens ein paar hundert Meter weiter eine “Montagsdemonstration” statt, auch “Friedensmarsch” genannt. Ich war kurz dort, um mir das anzuschauen und anzuhören. Was dort gerdet wurde, ist in vielen Bereichen Ansichtssache und von der Meinungsfreiheit gedeckt. Vieles ist belanglos und banal, manches - “Frieden schaffen ohne Waffen!” - eine Utopie, also wünschenswert, aber unrealistisch, manches doch sehr seltsam. Besonders befremdlich: Russlandflaggen, Reichsflaggen, zum Teil mit ollem Vogel drauf, “AfD”-Banner, “Widerstand!”-Fahnen, ein Typ, der seinen Bagger mit Russland-Flagge und Friedenstaube drauf am Rand parkt.

Große Güte!

Drum herum ein Polizeiaufgebot. Und zu Beginn der Reden mussten die Teilnehmer auf die Regeln hingewiesen werden, wie sie sich zu benehmen haben.

Offensichtlich ist das nötig, weil es in diesen Kreisen eben auch Schläger, Prügler, gewaltbereite Neonazis gibt. Leute, die andere einschüchtern und auch mal ordentlich zulangen. In Bautzen erzählten mir einige Leute, die Rechtsextremisten würden immer jünger, es seien immer mehr Teenager darunter, sie sprachen von “Baby-Nazis”. Es ist zum Verzweifeln. Eine Gruppe nennt sich “Urbs Turrium”, eine andere “Elblandrevolte”, in Chemnitz heißt eine “Chemnitz Revolte”. Der sächsische Verfassungsschutz warnt davor, dass diese Gruppen ihre Aktivitäten verstärken wollen - und Zulauf haben. Nicht wenige von denen vertreten die Ansicht, dass nur “ethnische Deutsche” Deutsche seien - und dass Menschen wie ich “remigriert” werden müssten. Ich habe mir die Bilder von diesen gewaltbereiten Typen angeschaut und kann nur sagen: Dass Deutschland nur noch aus solchen Leuten besteht, das wollt ihr nicht wirklich…

Ein paar der “Montagsdemonstranten” immerhin verließen ihre Veranstaltung und kamen in den Dom, zu meiner Lesung. Ich rechnete damit, dass sie gekommen waren, um zu pöbeln oder mittendrin aufzustehen und demonstrativ wegzugehen. Aber nichts davon. Sie blieben, hörten zu, diskutierten am Ende vernünftig mit mir und kauften sogar Bücher und ließen sie sich signieren.

Ich werde auch in Zukunft immer wieder nach Sachsen reisen. Ein Bundesland, das landschaftlich vielfältiger, kulturell reicher und tatsächlich diverser ist, als man annehmen mag. Mit vielen Streitern für Demokratie. Man sollte es nicht den Extremisten überlassen.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Sonntag und eine schöne Woche! Ich werde wieder auf Reisen sein, lese am Montag in Düsseldorf, am Dienstag in Meerbusch und am Mittwoch in Köln (siehe www.hasnainkazim.com) und freue mich auf viele Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen.

Herzliche Grüße aus Wien,

Ihr Hasnain Kazim

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