Passer au contenu principal

“Die Lausitzer sind bereit, Widersprüche auszuhalten”

INTERVIEW / JULIA GABLER ÜBER LANDSCHAFT UND SOZIALLEBEN IN DER LAUSITZ
  1. Februar 2024

Mit ihrer Bergbau-Geschichte ist die Lausitz prädestiniert, um Kompromisse zu finden, sagt die Görlitzer Sozialwissenschaftlerin Julia Gabler. Das sollte man nutzen, wenn es um die Konflikte der Landschaftsnutzung geht.

„Ich erlebe, dass die Bereitschaft in der Lausitz hoch ist, Dinge auch in Kauf zu nehmen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Julia Gabler. Foto: Tine Jurtz
Manche Strukturprojekte werden nur gemacht, damit das Geld nicht verfällt, meint die Sozialwissenschaftlerin Julia Gabler. Foto: Tine Jurtz

Frau Gabler, warum bewegt der Ausbau der Erneuerbaren so sehr die Gemüter auf dem Land?

Das ist der berühmte Effekt, den wir „not im my backyard“ nennen. Der besagt, dass Menschen, die grundsätzlich für Klimaschutz sind, zu Gegnern werden, wenn dieser Klimaschutz zu nah an sie heranrückt. Das ist nicht ungewöhnlich. Es gibt einen Widerstand gegen technische Erneuerungsprozesse, der ganz strukturell ist. Der tritt bei uns jetzt gerade verstärkt auf, weil die Lausitz als Energieregion in der Transformation steckt.

Haben wir ein Problem damit, wenn sich unsere Heimat zu schnell verändert? Insbesondere die Landschaft, die wir ja täglich sehen?

Den Begriff „Heimat“ mag ich nicht. Ich bevorzuge „Zuhause“, das ist positiver und konstruktiver und drückt alles aus, was man dem Wort Heimat als Gutes entnehmen kann.

Nehmen wir Heimat als den sozialen Raum, der aus dem privaten Zuhause und der nahen Öffentlichkeit besteht, wo ich mich aufgehoben und anerkannt fühle, nicht in meinem Weltbild herausgefordert werde, wo ich jeden Weg und jeden Stein kenne und möchte, dass das alles auch in 20 Jahren noch so aussieht, selbst wenn ich dann nur noch zu Besuch komme. Wünschen wir uns das nicht alle?

Natürlich. Aber wir kriegen meist was anderes. Heimat, also unberührte Landschaft, die verbunden ist mit einer Traditionsidee von Kontinuität, das haben wir in der Lausitz nur noch in ausgewählten kleinen Zonen. Das steht in Kontrast mit dem Neuen, devastierten Dörfern und der Tagebaulandschaft. Die Lausitz ist eher ein Beispiel, wie gesellschaftlicher Zugriff auf Landschaft und ihr Schutz koexistieren können.

Die Landschaft der Lausitz ist an vielen Stellen durch den Bergbau zerschunden. Wie kann man daraus jetzt etwas formen, das Zukunft hat?

Wir haben in einem Projekt mit Studierenden mal geschaut, welche Alternativpläne zur Seenlandschaft es eigentlich gibt. Wir haben festgestellt, es gibt gar keine. Seit den 1950er Jahren heißt es immer, wir machen Tagebau und hinterher kommt da Wasser rein und dann machen wir Seetourismus. Der Ingenieur Otto Rindt nannte das „doppelte Bodennutzung“. Es gab da nie eine Diskussion um Alternativen. Wir sind noch sehr umstellt von dieser Idee, dass die Lausitz touristisch funktionieren muss. Insofern ist diese Landschaftsnutzung ein Instrument, um einen ökonomischen Zweck zu erfüllen.

Wie meinen Sie das?

Wir machen im Strukturwandel das Gleiche wie in den 1990er Jahren. Es wird in Gewerbeparks investiert, weil man denkt, dass dadurch ökonomische Prosperität entsteht. Gleichzeitig eilen wir voran, weil wir Angst haben, wir schaffen es nicht das Geld auszugeben. Ich sitze im Begleitausschuss, wo Förderprojekte für die Oberlausitz beschlossen werden. Da wird einem schon manchmal schwindelig bei den Summen, die bewilligt werden. Viele Projekte, so mein Eindruck, werden nur gemacht, damit das Geld nicht verfällt.

Wie kann man es besser machen?

Wir sollten mehr über Landschaft und Beteiligung sprechen. Das ist dann sehr kleinteilig, dann landen wir bei lokalen Initiativen wie dem Partwitzer Förderkreis (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Bei solchen Gruppen entstehen Konzepte, wie man Landschaftsschutz und Spaziergangswege vereinbaren kann. Da haben Leute ganz reale Interessen und die sollten mehr Beachtung finden als der nächste technologische Hype oder das Festhalten an Masterplänen wie dem Seenland. Wir rennen im Strukturwandel dauernd einem Hype hinterher aus Angst, den nächsten Megatrend zu verpassen. Das ist bei Wasserstoff so, bei E-Mobilität oder bei Künstlicher Intelligenz. Und da heißt es jedesmal: Wir müssen da eine europaweit führende Region werden. Diese Hypes sind meist noch ganz weit weg, aber man will sofort alle mitnehmen. Ich halte das nicht für den richtigen Ansatz.

„Menschen mitnehmen“, das ist eine Zauberformel, wenn es um Themen geht,
 von denen die Menschen noch nicht überzeugt sind. Was ist falsch an diesem Ansatz?

Es gibt vor, zu wissen, was richtig ist, verbunden mit Innovationsgläubigkeit. Es wird ein politisches Ziel definiert - nehmen wir das Zwei-Prozent-Flächenziel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) für Erneuerbare. Dann müssen die Unternehmen mit ins Boot, um das Projekt wirtschaftlich zu flankieren. Und dann sollen die Bürger durch Positivgeschichten überzeugt werden. Wenn das aber nicht klappt, dann werden Sozialwissenschaftler losgeschickt, um Akzeptanzforschung zu betreiben. Ich als Sozialwissenschaftlerin bin skeptisch gegenüber Akzeptanzforschung und kann Ihnen sagen, warum das nicht klappt: Weil es die Bürger infantilisiert. Ich frage lieber: Was ist für die Leute relevant, wofür setzen sie sich tatsächlich ein?

Es gab auch Studien, die ergaben, dass die Bürger kein großes Interesse
 am Mitwirken haben.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass man die Bürger immer überall beteiligen soll. Ich glaube, die Stringenz, die Verwaltung braucht, um ein Großprojekt umzusetzen, steht ständig im Widerspruch zu der Multiperspektivität von Bürgerinteressen. Eigentlich müssen wir das immer wieder ausbalancieren. Bei der Arbeit in den Werkstätten hat sich herausgestellt, wie vielfältig diskutiert werden muss, wenn man zahlreiche gesellschaftliche Interessengruppen beteiligt. Da muss man dann auch kommunizieren, dass bestimmte Sachen nicht gehen.

Dass Sachen nicht gehen, höre ich im Zusammenhang mit Strukturwandel
 kaum.

Wir sind politisch nicht besonders einfallsreich. Politik versucht immer mehr, die Bedürfnisse der Leute in ihren Lebenswelten abzubilden. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Politik muss deutlich sagen, es geht um einen minimalen Konsens. Das bedeutet, ich muss nicht nur meine Interessen einbringen - ich muss auch die Schattenseiten davon aushalten. Ich erlebe, dass die Bereitschaft in der Lausitz hoch ist, Dinge auch in Kauf zu nehmen.

Inwiefern?

Die Menschen in der Lausitz sind unterschiedliche Lebenswelten gewohnt und können sehr gut mit Widersprüchen umgehen. Man kann im Tagebau arbeiten und trotzdem kritisch sein, was das für die Umwelt und das eigene Umfeld bedeutet. Das sind eigentlich optimale Voraussetzungen, um Kompromisse zu finden. Die Leute sehen, dass es eine Notwendigkeit gibt - auch eine gesellschaftlich erzeugte Notwendigkeit - bestimmte Veränderungen hier zu vollziehen. Sie sind dann auch bereit, die Kosten auszuhalten für einen gesellschaftlichen Gemeinwohlwert.

Also für eine saubere Energie, die dann auch in die Großstädte geliefert
 wird?

Ja. Früher, als es um die Kohle ging, hieß das: Ich akzeptiere, dass meine Wäsche immer dreckig ist, wenn der Rest des Landes Strom kriegt. Das ist sehr gemeinwohlorientiert und überhaupt nicht romantisch. So wird in dieser Region auch gedacht. Die Lausitz musste schon viel Wandel über sich ergehen lassen, ohne dass man sie gefragt hat. Wenn man sie jetzt fragt, dann sollte man die Antwort auch aushalten. Und wenn die Antwort lautet, „ich mache mir Sorgen wegen all dieser Solarflächen“, dann sollten wir das erst mal akzeptieren. Wenn es uns dann gelingt, über alternative Standorte genauso zu diskutieren, wie über Modellprojekte, in denen Bürger ihren erneuerbaren Strom selbst produzieren und dadurch unabhängig in der Stromerzeugung werden können, dann fühlen sich die Menschen ernstgenommen und die Lösungen sind vielfältiger, konfliktsensibler, aber auch ergebnisoffener.

Julia Gabler lebt seit 2013 in Görlitz und lehrt seit 2020 Management Sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz. Sie hat in Köln, Berlin und Brüssel studiert. Seit 2009 arbeitet sie zu Sozialem Wandel und Umbruch sowie zu Formen der Bewältigung in Ostdeutschland. Sie hat in Görlitz zu Verbleibchancen qualifizierter Frauen im ländlichen Raum geforscht und ist Gründerin des Frauennetzwerks F wie Kraft – fe/male progress for the oberlausitz and beyond. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Julia Gabler ist am 28. Februar beim Salon Talk im Muskauer Park zu Gast zm Thema „Landschaft und Erneuerbare“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Mit Julia Gabler sprach Christine Keilholz. 


Sujet Gesellschaft und Kultur