Von der Wiese zum Lausitz Science Park
HINTERGRUND / FORSCHUNG IN DER NIEDERLAUSITZ
Juni 2023
In Cottbus soll sich der Erfolg der Technologiestadt Adlershof wiederholen. Das wird Jahrzehnte dauern, aber hat jetzt schon Wirkung auf Grundstückspreise und Eigentumsfragen.
von Christine Keilholz
Auf die Luftaufnahme vom alten Militärflugplatz, die Doreen Mohaupt an die Wand ihres Büros wirft, ist ein dicker, gezackter Kreis gemalt. Alles, was sich darin befindet, ist praktisch der wertvollste Boden der Stadt Cottbus. Man habe dieses Bild nicht an die Öffentlichkeit gegeben, sagt Mohaupt, um der Bodenspekulation nicht Tür und Tor zu öffnen. „Viele Investoren wie auch Institute und Forschungseinrichtungen, die bei uns nachfragen, wollen in die Nähe des Hauptcampus.“ Der Campus der BTU Cottbus-Senftenberg grenzt direkt an das Gelände im dicken Kreis, das als „Lausitz Science Park (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ weit über die Stadt hinaus bekannt werden soll. 420 Hektar groß ist das Gelände im Nordwesten von Cottbus. Entstehen soll hier eine Wissensstadt rund um Institute, Labore und forschungsnahe Unternehmen.
Mohaupt ist 47 und leitet seit 2019 den Fachbereich Stadtentwicklung. Mit dem Lausitz Science Park hat sie ein Langzeit-Vorhaben, um das sie viele Stadtplaner beneiden dürften. Aus einem Gelände, das weitgehend aus Wiese besteht, soll ein pulsierendes Zentrum werden. In einer Metropole wie Berlin wäre das wohl ein weiterer Stadtteil. Für eine Stadt wie Cottbus kann ein Areal mit Wohnungen für 6.000 Menschen, mit einer neuen Tram-Linie und Tausenden von Jobs das Leben in der Stadt ganz neu sortieren.
Wachstum durch Wissenschaft statt Industrie
Der Lausitz Science Park - das wichtigste innerstädtische Entwicklungsprojekt in Cottbus und der ganzen ehemaligen Kohleregion. Von 10.000 Arbeitsplätzen war die Rede als Stadt, Land und BTU das Projekt im Frühjahr 2022 präsentierten. Es ist einer der Superlative, die im brandenburgischen Strukturwandel usus geworden sind, wo neue Arbeitsplätze stets in Tausendern gemessen werden. Falls die gewünschten Menschen tatsächlich kommen, wäre die Ehre von Cottbus als Großstadt wiederhergestellt - die sie vor einem halben Jahrzehnt verlor, als die Einwohnerzahl unter die 100.000er-Marke sank.
Die Kraft, neues Wachstum hervorzubringen, wurde in der alten Industriestadt Cottbus selbstredend der Industrie zugesprochen. Man suchte nach Kompensation für die 30.000 verschwundenen Jobs der Textilindustrie, von der praktisch nichts geblieben ist, und für die doppelt so vielen Jobs in der Braunkohle, deren einstige Inhaber längst weggezogen sind oder andere Arbeit gefunden haben.
Mit Kohleausstieg und Strukturwandel hat sich der Fokus geändert. Nun ist es die Wissenschaft, die den Wiederaufstieg der Stadt anführen soll. Dafür hat der Bund ein knappes Dutzend Institute in der Stadt angesiedelt. Die Jobmotoren von morgen heißen Fraunhofer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Helmholtz und Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Für die alte Industriestadt erfordert das auch eine neue Selbstdarstellung. Die hat ihren sichtbarsten Ausdruck im Lausitz Science Park.
Technologiepark Adlershof als Blaupause
Für all das gibt es ein Vorbild namens Adlershof (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Der ehemalige Kasernen- und Fernsehstandort der DDR hat sich entwickelt zu einer Wissenssstadt mit 1.200 Unternehmen und 22.000 Beschäftigten. Adlershof schafft es schon längst nicht mehr, alle Grundstücksbewerber unterzubringen. Was hier keinen Platz findet, kann in Cottbus heimisch werden, so kalkuliert die Landesregierung. In Adlershof haben sich die Grundstückspreise seit Anfang der 1990er Jahre von 50 Euro pro Quadratmeter bis 2.500 Euro entwickelt. Das ist das 20-fache von mittlerer Lage in Cottbus.
Bevor die Preise steigen, gilt es nun, für alles Nötige zu sorgen. Für die erwarteten 6.200 Einwohner muss die Stadtverwaltung eine Grundschule, eine weiterführende Schule und vier Kitas planen. Straßen, Schienen und Platz für Restaurants und Geschäfte muss her. Mit einer solchen Dichte an Leben hat der Science Park gute Chancen, das neue Stadtzentrum zu werden - während sich im alten, keine drei Kilometer entfernt, die Ladenlokale leeren - das größte davon ist Galeria Kaufhof, das die Stadt verlässt.
Weil keine Investoren kamen
Alles auf Forschung, das ist in Cottbus nicht das Ergebnis kollektiver Einsicht in die Zukunftsfähigkeit technologienaher Arbeitsbereiche. Es hat eben nicht anders geklappt. Auch dafür steht der alte Militärflugplatz. Zehn Jahre lang boten Land und Stadt das Areal unter dem Namen Technologie- und Innovationspark vergeblich für Investoren feil. Doch namhafte Ansiedlungen, wie sie Grünheide mit Tesla (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bekam, blieben aus. Selbst das kleine Guben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an der polnischen Grenze läuft Cottbus als Industriestandort den Rang ab. Dort haben sich zuletzt zwei Batteriehersteller eingekauft. Auf Cottbus, die Metropole der Lausitz, setzt allein die Bahn (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Das Staatsunternehmen konnte von Bund und Land praktisch nach Cottbus beordert werden, um dort mit einem neuen ICE-Instandhaltungswerk seinen Beitrag zum Strukturwandel zu leisten.
Inzwischen ist Cottbus Teil einer Innovationsachse Berlin-Lausitz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Was bedeutet, dass sich an von der Hauptstadt über Wildau und Lübben Institute und Coworking Spaces für Akademiker aneinanderreihen sollen. Der Endpunkt ist der Lausitz Science Park im Norden von Cottbus. Dafür soll der Zentralcampus der BTU mit einer Brache namens Stadtfeld und gescheiterten Industriegebiet verbunden werden.
Neben den neuen Forschungseinrichtungen, die hier Platz finden, bietet das Areal auch noch Platz für 200 kleine und mittelständische Unternehmen. Diese sollen möglichst wissenschaftsnah arbeiten - am besten, sie werden gleich von den Forschern selbst gegründet. Zwar hat die landeseigene Wirtschaftsförderung Brandenburg das größte noch verfügbare Revitalisierungsareal im Land noch immer für Investoren im Angebot. Allerdings strebt man dort ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Investition und Forschung an. „Wenn wir es Investoren anbieten, die eine Produktionsstätte errichten wollen, dann gerne im Zusammenhang mit Forschung und Entwicklung“, teilt die Wirtschaftsförderung auf Anfrage mit. Auch die Verlinkung von Produktion und Testing biete sich auf dem Gelände an, heißt es. In dem Land, in dem Elon Musk landete, ist der Traum von der nächsten Gigafabrik noch nicht gestorben.
Strukturwandel ist Chefsache im Rathaus
Doch Doreen Mohaupt macht klar: Was laut ist und viel LKW-Verkehr bringt, ist im Science Park nicht vorgesehen. Das weiß umzeichnete Gelände an ihrer Bürowand gehört zurzeit noch mehreren Eigentümern. Der größte Teil gehört der Stadt, eine alte Kaserne wird von der städtischen Wirtschaftsförderung EGC angeboten. In einer alten Kabelhalle soll das Center for Hybrid Electric Systems (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (Chesco) einziehen. Wer sich diese Flächen sichert, wird für die Zukunft der Stadt entscheidender als die Frage, ob der Ostsee jemals voll wird - und ist deshalb auch ein Politikum. Als Oberbürgermeister Tobias Schick (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) kürzlich die Neuordnung seiner Dezernate verkündete, war die bedeutendste Änderung, den Dezernenten für Stadtentwicklung zu versetzen, weg von den Planungen für den Science Park. Dessen Entwicklung ist nun Chefsache im Rathaus.
Was nicht heißt, dass es schnell gehen wird. Jeder Wissenschaftspark hat Anlaufzeiten. Doreen Mohaupt rechnet mit Jahrzehnten, bis der Science Park gefüllt ist. Adlershof hat immerhin 30 Jahre gebraucht. „Bis dahin werden viele sagen: Da wird nur reingebuttert und es tut sich nichts. Damit müssen wir umgehen.“ Die Risiken sind viele in so langer Zeit. Die BTU, unter deren Federführung das Projekt läuft, spricht von einer „Innovationslandschaft mit internationaler Strahlkraft“. Größtes Risiko ist wahrscheinlich die Universität selbst: Wenn sie es nicht schafft, sich aus dem Einschreibeloch hervorzuarbeiten, können die Aufstiegschancen von Cottbus und der Lausitz scheitern. Aber was wäre die Alternative? „Wenn wir das nicht wagen, verpassen wir eine große Chance“, sagt Doreen Mohaupt. Dann überließe man das Gelände weiterhin Fuchs und Hase.