Die Bundeswehr lässt auf sich warten
ANALYSE / ANSIEDLUNGEN IN OSTSACHSEN
September 2022
Mit der Stationierung von 1000 Soldatinnen und Soldaten wollte auch die Bundeswehr einen Beitrag zum Strukturwandel leisten. Doch weder Berlin noch Dresden treiben diese bedeutende Ansiedlung voran.
Von Robert Saar
Michael Kretschmer und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) kündigten die Stationierung von Bundeswehrkräften (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in der Lausitz groß an. Die Bundeswehr war laut der damaligen Verteidigungsministerin gern bereit, neben der Kernaufgabe der Bündnis- und Landesverteidigung auch einen Beitrag zum Strukturwandel zu leisten. Der Freistaat Sachsen wiederum wollte mit schnellen Genehmigungen entgegenkommen. Die Infrastruktur sollte dort gestärkt werden, wo die Bundeswehr ihre Kasernen bauen will. Sachsens Ministerpräsident ließ gar eine eigene Task-Force beim sächsischen Ministerium für Regionalentwicklung (SMR) einrichten, die zwischen Bund, Land und potenziellen Kommunen vermitteln sollte. Das war 2021.
Passiert ist seitdem wenig. Wann der Truppenübungsplatz Oberlausitz ausgebaut werden soll, ist unklar. Dabei hat das Thema Landesverteidigung seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Dringlichkeit bekommen. Das Strukturwandel-Projekt der Bundeswehr würde eine die Stärkung der Truppe im Osten bedeuten. Recherchen der Neuen Lausitz zeigen nun: Die Stationierung der Bundeswehr im Osten des Landes ist bisher eine Luftbuchung.
Standortfrage soll Anfang 2023 geklärt sein
Die Idee, Bundeswehrkräfte für den Strukturwandel heranzuziehen, stammt von 2020 - und ist so neu nicht. In vielen Regionen ist die Bundeswehr der wichtigste Wirtschaftsfaktor (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Wo starke Unternehmen fehlen, bieten die Streitkräfte Jobs, Lehrstellen und Aufträge für lokale Betriebe. Als Strukturfaktor erfüllt die Bundeswehr auch im Inneren eine Funktion. Da überrascht es kaum, dass neben anderen Bundesbehörden auch die Truppe in die Lausitz abkommandiert wurde.
Im März 2021 konkretisierten Kretschmer und Kramp-Karrenbauer, dass neben 1000 Bundeswehrkräften auch der Ausbau des Truppenübungsplatzes Oberlausitz stattfinden werde. Dieser soll sogar um ein sogenanntes „Convoy and Training Support Centre“ erweitert werden, heißt es in der Absichtserklärung. Von der „Integration automatisierter und kooperativer Systeme in den Luftraum“ ist die Rede. Die Kommune, die den Zuschlag für die 1000 neuen Kräfte bekommen wird, soll Anfang 2023 bekanntgegeben werden.
Gut fürs Sicherheitsbedürfnis der Ostsachsen
Die anliegende Kommune des Truppenübungsplatzes Oberlausitz, Weißwasser, verweist auf das Verteidigungsministerium. Das wiederum spricht von „notwendigen Untersuchungen“, welche noch andauern würden. Das Regionalentwicklungsministerium teilte der Neuen Lausitz auf Anfrage mit, man stehe „dauerhaft mit dem Bundesministerium der Verteidigung und auch der kommunalen Ebene in Kontakt“. Details über Planungsstand, Investitionssummen oder Personalstärke gab die Task-Force, die von Staatssekretärin Barbara Meyer geleitet wird, nicht bekannt. Anders als bei anderen Großprojekten scheinen sich die Oberlausitzer Kommunen nicht gerade darum zu reißen, Garnisonsstadt zu werden. Weißwassers parteiloser Oberbürgermeister Thorsten Pötzsch bewertet die Haltung in der Stadt gegenüber der Bundeswehr als nicht nur positiv: „Einige Bevölkerungsgruppen finden das Militär eben nicht so toll. Aber insgesamt ist die Zustimmung sicher da.“
Der Truppenübungsplatz war bereits zu DDR-Zeiten da. Militär, Waffen und Soldatinnen vor der Haustür zu haben, sei also nichts neues für die Menschen in Weißwasser, sagt Pötzsch. Ob der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine Menschen in Weißwasser anders über die Bundeswehr denken lässt, die ja gleich vor der Haustüre ist? „Nein, hat man hier nicht gespürt. Es könnte einerseits das Sicherheitsbedürfnis stillen. Andererseits könnte es im Sinne eines Angriffszieles auch als Bedrohung wahrgenommen werden.“ Die neue Verteidigungsministerin von der SPD, Christine Lambrecht, habe er nach Weißwasser eingeladen, sagt der OB, „aber sie hat abgesagt“. Es hieß aus Berlin, man sei noch nicht in der Phase der Entscheidungsfindung.
Weißwasser will nicht Garnisonsstadt werden
Eine Gegnerin der Bundeswehr-Ansiedlung ist die Landtagsabgeordnete der Linken, Antonia Mertsching. „In der Lausitz gibt es ohnehin schon ein unausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Es verlassen mehr Frauen als Männer die Region.“ Mertsching sieht in der Bundeswehr eben keinen Arbeitgeber, der diesem Trend entgegenwirken würde. Die finanziellen Mittel, die Sachsen als Unterstützung für die Stationierung vorhält, würde sie auch lieber woanders sehen: „187 Millionen Euro blockt der Freistaat Sachsen für die Bundeswehr. Das Geld könnte aber auch – zum Beispiel – in den Schienentestring „Tetis (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ fließen.“
Auch der Angriffskrieg Russlands veränderten nicht die Position Mertschings und ihrer Partei, sich gegen zusätzliches Geld für das Militär auszusprechen. Außerdem gebe es in Europa und der NATO genug Kapazitäten und Truppen für einen Verteidigungsfall, findet die Politikerin. Angesprochen darauf, wer denn verantwortlich sei für den jetzigen Krieg in Europa, ist Mertsching klarer als manche Parteigenossen und Genossinnen: „Historisch muss man das alles sehr differenziert betrachten. Aber letztlich hat das russische Regime unter Putin entschieden, die Ukraine zu überfallen und in dieses Land einzumarschieren.“
Die Task-Force des Regionalministeriums hat bisher nur zweimal getagt. im September 2021 und im März 2022. Anders ausgedrückt: Sie traf sich nun ein halbes Jahr lang nicht mehr. Entscheidungen zum Start obliegen ohnehin dem Verteidigungsministerium. Der dortige Pressesprecher sagte zum Vorgang, dass die Entscheidung über Truppenstärke, -standort und -gattung im Kontext der „gesamtplanerischen Betrachtung“ gefällt würden und noch keine weiteren Details bekanntgegeben werden könnten. Damit bleibt eine der größten Bundes-Ansiedlungen in der Lausitz im Ungefähren.