Fragen zur „Schönheit“
Am 25.05.2025 ist die 60. Ausgabe des kulturellen Jahrbuchs “Konkursbuch” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) im gleichnamigen Verlag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erschienen. Mit dabei ein Aufsatz von mir!
(Casper, Sigrun & Voigtmann, Sophie (Hg): Konkursbuch 60, Schönheit)

Zum Buch selbst schreibe ich später noch etwas auf meinem Kulturstrom-Literaturblog. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Doch an dieser Stelle möchte ich euch gerne das Interview zum Thema Schönheit präsentieren, das das Konkursbuch anlässlich der Ausschreibung zur 60. Ausgabe mit mir (auf schriftlichem Wege) geführt hat.
Konkursbuch: Ist der Schönheitsbegriff abhängig von der sozialen Schicht? Wenn ja, inwiefern? Gibt es allgemeine gesellschaftliche Maßstäbe für Schönheit?
Schwerdt: Sicherlich ist der Schönheitsbegriff als kulturelles Phänomen tendenziell (auch) abhängig von der sozialen Schicht, denn diese beruht ja auf gewissen Gemeinsamkeiten wie Zugang zu Bildung, zum Kulturbetrieb, auf gruppenspezifisch anerzogenen Werten, gemeinsamen Äußerlichkeiten und vielen anderen prägenden Faktoren, die nicht zuletzt natürlich auch vom verfügbaren Einkommen und entsprechenden kulturellen Handlungsoptionen, der gesellschaftlichen Akzeptanz von Lebensweisen und nicht zuletzt von gesellschaftlich/ökonomischen Machtverhältnissen abhängen. Doch diese Aufzählung zeigt auch, dass der Schönheitsbegriff je nach persönlicher Situation individuell durchaus variieren kann. Inwieweit er unter dem Druck einer angestrebten Gruppenzugehörigkeit jedoch ausgelebt werden kann, ist fraglich. Allgemeine gesellschaftliche Maßstäbe für Schönheit dürfte es insofern nur dann geben, wenn die Gesellschaft nur wenig differenziert ist (wenn man vom Kulturdiktat autoritärer Staaten einmal absieht).
Konkursbuch: Was ist der Unterschied zwischen Schönheit und Kitsch? Ist er klein oder groß? Gibt es überhaupt einen?
Schwerdt: Im Grunde ergibt sich die Antwort aus dem oben geschriebenen. Schönheit ist keine feststehende naturgesetzliche sondern eine kulturell-gesellschaftliche Größe. Was dem einen Schönheit kann dem anderen Kitsch sein und umgekehrt.
Konkursbuch: Hat Ihnen die Schönheit schon mal das Herz zerrissen? Schildern Sie dieses Gefühl. Macht Schönheit Sie schwermütig?
Schwerdt: Zumindest kann mich Schönheit gelegentlich zur Verzweiflung bringen. Beispielsweise dann, wenn Dinge, die ich als schön empfinde einen ausgesprochen hässlichen Hintergrund haben. Ich möchte hier mal beispielhaft die Schiffe der frühen Neuzeit erwähnen, Wunderwerke der Schiffbaukunst, perfekt in Form und Linien, mit ihren Segelschwingen vom Wind getrieben über die Meere … was für Bilder von Anmut, Schönheit und Sehnsucht tun sich da auf. Wunderwerke der Schiffbaukunst und Waffentechnik, erschaffen einzig zu dem Zweck, Kriege zu führen, andere Länder und Kulturen auszubeuten, auszulöschen, zu unterdrücken, Sklaven in Ketten von Afrika in die karibischen Plantagen zu transportieren usw.. Und dann gibt es da die Schönheit der Natur, grandiose Sonnenuntergänge in malerischer Kulisse. Schwermut macht sich breit, wenn hier die Schönheit ihre eigene Vergänglichkeit zelebriert.
Konkursbuch: Kann Schönheit süchtig machen? So dass man sich nicht mehr mit Gewöhnlichem zufriedengeben kann.
Ich glaube, Schönheit macht immer „süchtig“, ist immer etwas nach dem der Mensch auf die eine oder andere Weise und entsprechend seinen Möglichkeiten strebt. Und ja, natürlich nimmt dieses Streben gelegentlich krankhafte Züge an. Doch die Frage impliziert, dass es einen Unterschied zwischen schön und gewöhnlich gibt, doch das ist nicht unbedingt der Fall.
Konkursbuch: Haben Sie schon mal einen bösen Menschen schön gefunden, dämonische Schönheit erlebt?
Schwerdt: Ehrlich gesagt nein. Es fällt mir ohnehin schwer, Menschen schön zu finden. Schön ist für mich etwas Perfektes. Ich glaube auch es gibt nicht zufällig Begriffe wie attraktiv, hübsch (das vielgeschmähte), niedlich, charismatisch, liebenswürdig, sexy, verlässlich, warmherzig (je nach Ambitionen des Betrachters) etc.. Schön können Abbilder von Menschen, beispielsweise antike, idealisierte Plastiken sein, aber Menschen?
Konkursbuch: Ist Schönheit nur ein Moment? Besteht ihre Kostbarkeit in ihrer Flüchtigkeit, ähnlich dem japanischen Kirschblütenfest Hanami?
Schwerdt: Schönheit ist vielschichtig und daher gehört diese Sichtweise natürlich auch dazu. Und Schönheit ist immer an das Leben gebunden, also etwas Vergängliches. In Bezug zur Lebensdauer des Betrachters (ohne den es Schönheit nicht gibt) muss sie sich aber nicht nur auf einen Moment beschränken.
Konkursbuch: Kann schöne Architektur das Selbstwertgefühl und Zusammenleben von Menschen stärken? Warum gibt es Vandalismus-Attacken auf „schöne“ Statuen, Gebäude oder Kunstinstallationen im öffentlichen Raum?
Schwerdt: Ja, selbstverständlich, aber eben nur der Menschen, die den gleichen Zugang, den gleichen kulturellen Bezug, die gleiche Verbindung zur „schönen Architektur und Kunst“ haben und sich zudem noch die Definitionshoheit darüber anmaßen, was schön, wertvoll und Kunst zu sein hat. Doch unsere Gesellschaft ist eben nicht gleich, weder sozial noch kulturell. Auch hier bei uns im eher ländlichen Bereich (immerhin nennt sich mein Wohnort Stadt) gibt es jede Menge „Schmierereien, Sachbeschädigungen etc.“ von Sprayern an historischen Gebäuden und Denkmälern. Den braven Bürgern fiel nichts Besseres ein, als gegen die „linksgrünversifften Studenten“ der hier ansässigen Landwirtschaftsuni zu wettern, die sogar das (unglaublich hässliche) Kriegerdenkmal und die Büste des Gründers der hiesigen ehemaligen Kolonialschule verunstaltet haben, von den Wänden der Straßenunterführung ganz zu schweigen.
Doch eine Ortsansässige Künstlerin hatte vor knapp zwei Jahren zusammen mit Jugendlichen ein Projekt gestartet, bei dem die Wände der besagten Unterführung mit farbenfrohen Graffiti-Bildern bemalt wurden. Seitdem gibt es dort keine Schmierereien mehr und inzwischen zieren solche Bilder mit Einverständnis der Besitzer so manch historische Fachwerkhausfassade, die zuvor mit Eternitplatten verkleidet und natürlich von den vermeintlich Linksgrünversifften mit Schmierereien verschandelt worden war (die offensichtlich als anmutig begriffenen Hakenkreuze waren selten ein Thema).
Konkursbuch: Ist Schönheit eng verbunden mit dem Guten und Wahren (Inschrift auf der Alten Frankfurter Oper: „Dem Wahren, Schönen, Guten“, Goethe)? Oder nur schmückendes Beiwerk, Dekor? Fallen Ihnen Handlungen ein, die Sie schön fanden („eine schöne Geste“)?
Schwerdt: Schönheit, Gutes und Wahres, stehen definitiv in keinem ursächlichen Zusammenhang zueinander. Und selbstverständlich ist auch das schmückende Beiwerk eine der vielen Facetten dessen, was Schönheit als kulturellen Bestandteil ausmacht. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass insbesondere an alten Gebäuden das Dekor immer auch Inhalte zum kulturellen Selbstverständnis der Erbauer transportiert.
Konkursbuch: Kann man Schönheit mit bestimmten Techniken erzwingen? Oder ist sie eine Gabe?
Schwerdt: Wenn man auf äußerliche Schönheit von Menschen abhebt, so gibt es ganz sicher Techniken die Optik zu verbessern, eine riesige Kosmetikindustrie und Influencergeneration macht sich schließlich darum verdient. Der Erfolg liegt allerdings im Auge des Betrachters. Und wenn mit der „Gabe“ das Phänomen der natürlichen Schönheit gemeint ist, so ist deren Bewertung ebenfalls kulturell und sozial bedingt.
Konkursbuch: Haben Sie sich schon einmal operieren lassen, kleinere oder größere Korrekturen vornehmen lassen, der Schönheit wegen? Schildern Sie die Gründe, die Operation und wie es Ihnen danach erging.
Schwerdt: Nein.
Konkursbuch: Darf Schönheit „künstlich“ sein, oder muss sie „natürlich“ sein? Sind Mischformen erlaubt?
Schwerdt: Letztendlich ist alles erlaubt, nur nicht die Erwartung, dass jeder das eigene Schönheitsideal teilt.
Konkursbuch: Kennen Sie jemanden, den Sie anmutig finden? Beschreiben Sie seine Bewegungen.
Schwerdt: Das ist lange her und heute würde ich das, wenn ich mich recht erinnere, nicht mehr so sehen. Was mich abschließend dazu führt, dass sich auch persönliche Schönheitsvorstellungen im Laufe der Zeit ändern können. Ich glaube, es wäre schlimm, wäre es anders. Denn Schönheit ist Leben und das ändert sich ständig, auch wenn wir das oft genug erst mit erheblicher Verspätung wahrnehmen – manche zu spät.