#002 - Taubenschlag-Newsletter:
Liebes Taubenschlag-Publikum,
die Reaktionen auf den möglichen Millionenbetrug (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Hessen ließen nicht lange auf sich warten: der hessische Landesverband der Gehörlosen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) verurteilt den Betrug scharf, und auch der hessische Dolmetschverband (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) reagierte schnell – beide noch am selben Tag, als der Fall bekannt wurde. Eine umfangreiche Liste mit Forderungen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), u.a. Registrierung von Dolmetscher*innen und Vermittlungszentralen in der Hand gehörloser Fachleute, fordert der Deutsche Gehörlosen-Bund. Man will sich außerdem mit dem Bundes-Dolmetschverband zusammensetzen. Es bleibt spannend. Die Staatsanwaltschaft wollte sich gegenüber Taubenschlag nicht zu Details äußern – bei laufenden Verfahren völlig normal.
Betrug im Zusammenhang mit Dolmetschleistungen ist übrigens nichts Neues: In Dänemark wurden 2022 vier Taube Männer wegen ebenfalls millionenschwerem Betrug verurteilt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). 2009 wurden 26 Menschen in den USA vom FBI verhaftet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), weil sie den Videodolmetschdienst um Millionen betrogen haben sollen.
Historisch war im Mai nicht nur die Tatsache, dass CDU-Chef Friedrich Merz mal wieder an einer Abstimmung scheitert und erst im zweiten Anlauf Kanzler wird. Auch die taz schaffte es, Geschichte zu schreiben, und das eher nebenbei. In dem Artikel zur zunächst gescheiterten Abstimmung zum Bundeskanzler wird eine Bundestagsabgeordnete zitiert. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Auch die bayerische Bundestagsabgeordnete Heike Heubach sagt: „Von uns war das niemand. In der SPD waren wir uns einig, dass wir Verantwortung übernehmen wollen.“
Wo es anders seitenlang um die Schönheit er Sprache, die Stille und das Fliegen der Hände geht, steht hier nur: “die bayerische Bundestagsabgeordnete”. Die Normalität, mit der eine gebärdensprachliche Äußerung zitiert wird, ist ein tolles Signal. Gern weiter so. Normalisierung, aber an der richtigen Stelle.
Leider war das wohl eher eine Ausnahme, denn ein paar Wochen später macht die taz die Menschen in Russland taub, deswegen schauen sie weg. Bitte? Doch lest selbst. Erst den Titel, dann die Einleitung. “Die taube Gesellschaft” “schaut weg”. Ein Grund mehr, keine Behinderungsmetaphern für gesellschaftliche Phänomene oder Charaktereigenschaften einzusetzen. Man verheddert sich einfach viel zu schnell. Oder anders: Behinderungsvergleiche hinken schon aus Prinzip.
https://taz.de/Russische-Reaktion-auf-Drohnenangriff/!6088386/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Etwas untergegangen ist der Film über die Gallaudet Four, die vier Gesichter hinter “Deaf President Now (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)”. So heißt auch der Film, der auf dem Streaming-Anbieter Apple TV+ am 16. Mai erschienen ist. Wir konnten ihn vorab sehen und den Vieren Fragen stellen, unter anderem zu dem Thema, das im Film kurz vorkam: Wenn du als gehörlose Frau in Seenot die Wahl hast zwischen zwei Booten, einem voll mit gehörlosen Männern, eins voll mit hörenden Frauen, welches würdest du nehmen? Lest die Antwort hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Regie führte übrigens Nyle DiMarco zusammen mit Davis Guggenheim.
Apropos DiMarco, apropos Apple TV+: DiMarco hat auf Instagram ein Video gepostet, (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in dem er am Set der Erfolgsserie “Severance” zu sein scheint, in der es um die Trennung von Beruf und Privatleben geht. Also wenn man es ganz einfach zusammenfassen will. So ganz echt sieht das “Set” nicht aus, aber es wäre schon erstaunlich, wenn ein Regisseur, der für den gleichen Produzenten gearbeitet hat, so etwas ohne Hintergedanken postet. Es dürfte aber bei dem aktuellen Tempo noch ein paar Jährchen dauern, bis die neue Staffel alle Ungewissheiten beseitigt. Solange kann man ja schon mal die erste und zweite Staffel anschauen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wenn man wegen “Deaf President Now (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” sowieso schon ein Abo abgeschlossen hat. Ach ja - Oscar-Gewinner und Belliers-Neuinterpretation “Coda (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” gibt es dort auch.
Bei Bidens Amtseinführung 2021 gab es noch Gebärdensprachperformance auf der Bühne (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), aber Trump streicht munter alles, was nur im Entferntesten mit Diversity zu tun hat. Der amerikanische Gehörlosen-Bund NAD fackelt nicht lange und macht Nägel mit Köpfen: das Weiße Haus wurde verklagt, weil Pressekonferenzen nicht mehr für Taube Menschen verdolmetscht werden:
https://www.rawstory.com/white-house-sign-language-interpreter-suit/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Viele reden über Künstliche Intelligenz und Gebärdensprachen, aber meist sind es Avatare, die mehr schlecht als recht aus der Laut/Schriftsprache in eine Gebärdensprache übersetzen. Umgekehrt gibt es bislang nur grobe Experimente, die meist auf Fingeralphabete fixiert sind. Ein deutlich fortgeschrittenes Beispiel zeigt Google eher nebenher, der Dolmetscher Jon Urquhart geht etwas ins Detail mit einer interessanten Perspektive, warum das ein Gewinn für Taube Content Creator*innen sein könnte:
https://www.youtube.com/watch?v=uADfMyWudB4 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Doch von der Idee bis zur Praxistauglichkeit muss es diese Technik auch noch schaffen. Bei den Sprüngen, die Künstliche Intelligenz macht, wäre es aber wenig überraschend, wenn das eher früh als spät geschieht. Spannend bleibt: Wie gut kommt die KI mit anderen Gebärdensprachen klar?
Wir werden euch auf dem Laufenden halten!
Wille
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