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UNGEFILTERTE EHRLICHKEIT ÜBER DIE DUNKELHEIT

SACHBUCH-KRITIK

Unsicherheit und Angst, Unwohlsein und Unfälle, Verbrechen und Gewalt, Verderben und Tod. Das sind so ein paar Dinge, die die Menschen mit Dunkelheit verbinden. Doch es war... ähh... ist ja nicht alles schlecht im Dunkel und an Dunkelheit, wie uns die in Linz lebende Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Lisa-Viktoria Niederberger in ihrem weitgreifenden Plädoyer DUNKELHEIT wissen lässt.

Das Buchcover von Lisa-Viktoria Niederbergers DUNKELHEIT auf einer Fotografie des Nachthimmels mitsamt Mond - ohne jeden Filter, aufgenommen im Dezember 2024 // Foto: © the little queer review
Das Buchcover von Lisa-Viktoria Niederbergers DUNKELHEIT auf einer Fotografie des Nachthimmels mitsamt Mond - ohne jeden Filter, aufgenommen im Dezember 2024 // Foto: © the little queer review

Erschienen ist die Mischung aus Fakt und Utopie, persönlichen Erfahrungen und Gesprächen mit Expert*innen, Analyse und Meinung im März im geschätzten Haymon Verlag aus dem schönen Innsbruck in Österreich. In vier größeren Abschnitten sowie einem Pro- und Epilog befasst die Autorin sich mit Dunkelheit aus verschiedenen Blick- beziehungsweise Licht- und Schattenwinkeln.

Dabei geht es im Teil „Im Schatten der Straßenlaterne“ um „Sicherheit und Unsicherheit auf nächtlichen Wegen (und was das Patriarchat damit zu tun hat)“ um eben genau dies. Da muss es nicht der wacheste Mensch der Welt sein, um die Richtung zu erkennen. Spannend ist es, wenn Niederberger in einer „kleine[n] und unvollständige[n] Kulturgeschichte der nächtlichen Beleuchtung“ darauf eingeht, wie die Veränderung von Außenbeleuchtung bspw. in der Biedermeier-Zeit dafür sorgte, dass die Herren der Schöpfung sich rumtrieben, derweil die Frauen bei Lichte betrachtet eben nicht auf die Straße, sondern ins Heim gehörten. „Gaslighting“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung.

https://steadyhq.com/de/thelittlequeerreview/posts/bb2d3f79-a798-4457-a3c5-9966a321c683 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Apropos Schöpfung: Auch wie die Religionen (nicht nur zwischen den Zeilen liest sich dabei ein Schwerpunkt auf die christlichen Ausrichtungen heraus) Licht und Dunkel zu nutzen verstehen, um ihre schreckhaften, schlafenden Schäfchen einzufangen wird thematisiert. Da werden Macht und (Un-)Wissen genutzt, es wird zumindest indirekt Gewalt geübt. Daheim oder in der nicht immer sinnvoll und sicher ausgeleuchteten nächtlichen oder winterlichen Öffentlichkeit, kann diese schnell physisch werden.

Natürlich spielt auch ein Unsicherheitsgefühl eine Rolle, die „Antizipation von Belästigung“. Diesem, wie auch konkreten Bedrohungen, entgegenzuwirken, sei entscheidend. Lisa-Viktoria Niederberger hat ein paar Vorschläge, die zumindest auf dem Papier smart klingen und zumindest einmal auf Machbarkeit abgeklopft werden sollten. Außerdem wäre es dafür notwendig, dass Ingenieurswissen und Psychologie vereint würden. Wie machbar das ist, steht in den immer weniger sichtbaren Sternen.

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Im zweiten und längsten Abschnitt geht es intensiv um Lichtverschmutzung, den negativen Einfluss auf Flora und Fauna, dem nachlässigen Umgang mit Stadtnatur, dem Verschwinden des Schönen und der romantisierten Nacht, wie wir sie, ob nun aus unsrer Kindheit (oder den Erzählungen der Kindheit unserer Eltern) oder manch einem Sonett, erinnern mögen. „Schwindende Welten, verlorener Zauber: Von Glühwürmchen, Sternbildern und Ausflügen in den Lebensraum Nacht“, heißt der Teil schon beinahe lyrisch. Niederberger verknüpft hier gekonnt Naturwissenschaft und Kulturgeschichte, entdeckt eigene Fehler und ist bemüht, bei aller Kritik am Individuum Mensch (ugh!), konstruktiv zu bleiben – was ihr nahezu immer gelingt.

In diesem wunderbar geschriebenen, bei aller Ausführlichkeit sehr flüssigen Teil, deutet sich auch schon etwas an, das sie im „Epilog: Der weiße Rehbock“ als eine Art Conclusio und Erinnerung an sich selbst festhält:

„Ich muss mir die Nacht, die Dunkelheit nicht verfügbar machen, sollte meinen Anspruch – eine tolle Passage zu schreiben – nicht über den jener stellen, denen die Nacht wirklich gehört. Genau das ist doch das Problem: dass wir alles für unsere Zwecke nutzbar machen wollen, verwerten. Die Natur. Die Nacht. Das Dunkle.“ - S. 229

Und den Menschen hätte sie noch anfügen können. Denn um diesen geht es im dritten Teil „Zwischen Schlaf und Schaffen: Über jene, die nachts munter sind“, in dem sie neben Nachteulen und (freiwillig) Schlaflosen auch jenen folgt, die nächtens arbeiten müssen. Dafür begibt sie sich selbst auf Feldforschung und kehrt müde und mit ernüchternden Ansichten zurück, die es in sich haben. Dank ihrer eindrücklichen Schreibweise übertragen sich Resignation und Unzufriedenheit, Frust auf uns. Gleichwohl der Wunsch, doch etwas anders, besser, neu machen zu können.

Immer wieder geht es auch darum, was künstliches Licht mit uns Menschen, unserer Psyche wie auch körperlichen Gesundheit macht. Dies schon im Prolog, wenn sie eigene Erfahrungen mit aufdringlicher Leuchtreklame an einem Gebäude der Universität beschreibt. Wobei die Riesen-Lichtquelle mit der Uni nichts zu tun hatte... Machste nix.

Nix machen kann mensch auch gegen diese eine Sache, die wir nahezu zwangsläufig mit Dunkelheit, gar der ewigen Dunkelheit, verbinden: dem Tod (auch wenn so mancher es versucht). Der Abschnitt ist faszinierend, erschreckend und zeigt den geneigten Leser*innen mal wieder ein solides Problem auf: sie selbst. Seien es Angst und Scham sachlich und zielführend über Krankheit, körperlichen und geistigen Verfall (Hey, Joe (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)!) sowie den Tod zu sprechen, die Stichworte Leichenparadox und Leichentabu, Trauer zu akzeptieren sowie zu erkennen, dass der Tod nahestehender Menschen auch für uns transformativ ist.

Ansicht Morgenhimmel in Berlin im November 2024
Morning has (or is?) broken // Foto: © the little queer review

So geht Lisa-Viktoria Niederberger zum Schluss noch dezidiert auf die psychologische und mensch-menschliche Ebene der Dunkelheit ein, stellt fest, dass, wer keine Angst habe, hinzusehen, „inmitten der tiefsten mentalen Dunkelheit [...] plötzlich die allergrößte zwischenmenschliche Wärme“ erfahren könne. Der Abschnitt ist stark, hebt sich in seiner persönlichen Wirkung noch einmal vom Rest ab, womöglich auch, weil die Autorin hier intensiv vom Tod des Vaters und ihrem taumelnden Umgang damit berichtet. Dass ich ihn las, als sich der Geburtstag eines meiner besten, vor einiger Zeit verstorbenen Freunde jährte, tat Übriges.

Abgesehen von manch einer Repetition und die mir an mancher Stelle doch etwas zu utopischen Utopien am Ende jedes Kapitels, ist das essayistische Plädoyer Lisa-Viktoria Niederbergers bei allem Schrecken, den sie beschreibt, ein bildender Genuss. Ein kleiner Panoramablick ins (wünschenswerte) Dunkel, das von unserer mangelnden Empathie mit Tier wie Mensch erzählt, Kulturgeschichte mit Phsysik und Biologie zusammenführt, den Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit füreinander und ökologische Mahnung zugleich ist und dabei auch immer wieder ein Auge auf queere Menschen wirft, die sich von einsamer Dunkelheit wie auch dem Patriarchat ähnlichen Bedrohungen respektive Bedrohungsgefühlen ausgesetzt sehen, wie als solche gelesene heterosexuelle Cis-Frauen.

Kurzum: Schaut aufmerksam in diese DUNKELHEIT.

AS

PS: Martyrs ist so fundamental grandios!

PPS: Laut dem Wir gehören zusammen-Familienplaner 2025 ist heute Nacht Halbmond.

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Eine Leseprobe findet ihr hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Lisa-Viktoria Niederberger: Dunkelheit. Ein Plädoyer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre); März 2025; 284 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN 978-3-7099-8245-7; Haymon Verlag; 22,90 €

Sujet Sachbuch

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