Passer au contenu principal

Leserfrage: Iran, Israel und mediale Kompetenzlosigkeit

Screenshot der Tagesschauseite mit dem Kommentar (Video)

Moritz ist Politik-Student. Und Moritz hat mir auf Steady schon in der vergangenen Woche eine Frage gestellt.
Er habe viel über den Kommentar von Natalie Amiri in der Tagesschau nachgedacht und mich gebeten zu erklären, warum die Operationen im Iran und im Gazastreifen völlig unterschiedlich sind.

Das zu beantworten hat mich große Überwindung gekostet. Ich hatte mich bereits in einem Posting dazu geäußert.
Denn ich denke, die von Frau Amiri aufgeworfene rhetorische Frage ist dumm. Und die von ihr angedeutete Antwort entspricht den psychologischen Mechanismen, die hinter Verschwörungsmythen stehen.

Moritz hat aber gefragt, bevor er mal als Politikwissenschaftler und Kommentator in der Tagesschau Unfug erzählt. Das ist konstruktiv. Weshalb man es vernünftig beantworten muss. Nun muss ich mich halt zusammenreißen.
Allerdings ist der Kommentar von Amiri ein Paradebeispiel dafür, warum die Gräben in den Debatten um den Gazastreifen immer tiefer werden.

Deshalb beantworte ich zunächst die Frage von Moritz und von Frau Amiri.
Und dann werde ich erklären, woran es liegt, dass Diskussionen dadurch verunmöglicht werden.

Der Kommentar

Im Kommentar der Tagesschau sagte Natalie Amiri am 13.06.2025 unter anderem folgendes:

„Denn… Ich bin keine Militärstrategin, aber als Beobachterin stellt sich mir heute noch mehr als sonst die Frage, wie kann Israel - die wie es selbst sagt gefährlichste Macht der Welt – den Iran aus 2000 Kilometern Entfernung binnen 24 Stunden durch chirurgische Angriffe fast Schachmatt setzen, aber es in 20 Monaten es nicht schaffen, eine paramilitärische Organisation wie die Hamas 60 Kilometer entfernt militärisch zu bezwingen.“

Im Weiteren deutet Amiri an, das Vorgehen sei ein absichtliches Hinauszögern, da ein Ende des Krieges eine Untersuchung gegen Netanjahu bedeuten würde.

Unterschiedliche Zielsetzung

Das Ziel jeder Streitmacht in jedem Krieg ist es, den Gegner davon abzuhalten, weiter angreifen zu können.
Gebietseroberung zur Übernahme, Besiegen eines Staates, Änderung eines politischen Systems… das alles sind politische Ziele. Das militärische Ziel ist immer gleich: Den Gegner kampfunfähig machen. Im Großen wie im Kleinen.
Ob das, wie bei Nazi Deutschland, durch eine Kapitulation geschieht oder, wie bei den USA in Vietnam oder Russland in Afghanistan, durch Rückzug, ist unerheblich.

Und darin liegt bereits der Schlüssel. Der taktisch ist und nicht, wie Frau Amiri sagt, strategisch.

Eben weil der Iran 2000 km weit weg ist (es ist deutlich weniger, geschenkt) ist das Ziel bereits erreicht, wenn der Iran keine Möglichkeit mehr hat, Israel anzugreifen. Oder keine Lust mehr.
Denn der Iran kann eben nicht mal vorbeischauen und einen Kibbuz überfallen, Leute entführen oder selbstgebastelte Raketen aus Wasserrohren schießen.
Die Gaza-Palästinenser könnten dies aber jederzeit tun.

Konventionelle Kriegsführung

Und deshalb reicht es, wenn sich jemand in ein Flugzeug setzt, Richtung Iran fliegt und dort dann eine Rakete auf einen Raketenstarter, in eine Kaserne oder auf ein Flugabwehr setzt. Es ist konventionelle Kriegsführung, wie aus dem Lehrbuch.

Doch die Gaza-Palästinenser haben weder solche Waffensysteme, die man ausschalten kann, noch Kasernen.
Die Waffen der Palästinenser sind keine ballistische Raketen auf riesigen LKW, sondern kleine, selbstgebaute Qassam-Raketen. Keine Drohnen, sondern Kalaschnikows. Keine Flugabwehr-Batterien, sondern Sprengfallen.

Es reicht nicht aus, den Palästinensern die Raketen zu nehmen. Denn dann schleichen sie sich durch Tunnel an Grenzposten und feuern auf die.

Asymmetrische Kriegsführung

Und deshalb müssen die israelischen Streitkräfte jedes einzelne Haus prüfen, jeden Tunnel finden und sprengen oder fluten, jede Sprengfalle entschärfen.

Deshalb spiel es auch gar keine große Rolle, ob Israel nun „gefährlichste Macht der Welt“ ist. Was übrigens Quatsch ist, das sind und bleiben für lange Zeit die USA, gefolgt von den Chinesen und in mittlerer Zukunft vielleicht die Europäer.
Denn asymmetrische Kriegsführung hat zum Ziel, diese Vorteile auszugleichen.

Israel ist dem Iran hoffnungslos überlegen. Es hat bessere Waffensysteme, bessere Informationen. Aber wenn ein Trupp israelischer Soldaten in einer Straße im halb zerstörten Chan Yunis patrouilliert, nützt ihnen das alles wenig.
Klar, die Nachtsichtgeräte, das Training, die unterschiedlichen Gewehre, die Panzer, das alles bringt Vorteile. Aber es muss nur ein Schütze an einem Fenster lauern, und sie sind genauso tot.
Erst vor wenigen Tagen wurden sieben israelische Soldaten in Chan Yunis getötet, weil ihr Fahrzeug auf eine Sprengfalle gefahren ist.

Beispiele

Zwei Beispiele möchte ich geben, um das verständlicher zu machen.

Zum ersten erwähne ich gerne den Hügel 937.
US-Fallschirmjäger der 101. US-Luftlandedivision sollten 1969 im Rahmen einer größeren Operation einen taktisch und strategisch unbedeutenden Hügel nehmen und sichern. Der war vom Vietcong und der Volksarmee gut befestigt. Weshalb die Soldaten sich verlustreich ihren Weg nach oben erkämpfen mussten. Oben angekommen war keiner mehr da.

Also ging man wieder runter, der Vietcong kehrte zurück, am nächsten Tag ging das Spiel von vorne los. Zehn Tage lang.
Der Hügel wurde später von den Soldaten Hamburger Hill genannt. Weil aus den Soldaten Hackfleisch gemacht wurde.

Auf dem Papier waren die Verluste der Nordvietnamesen später doppelt und dreimal so hoch. Aber das spielt keine Rolle, wenn man den Willen hat, ausreichend Menschen zu opfern. Und den Willen haben alle radikalen Muslime.
Es gibt militärisch keine andere Möglichkeit, als da mit schierer Wucht reinzuhauen. In dem Fall mit Luftunterstützung und dem Roden des ganzen Hügels.

Zum zweiten hat Hermann Rosenberg eine Anekdote erzählt.
Rosenberg war einer der ersten Soldaten des KSK, Sniper und als solcher auch u.a. in Afghanistan eingesetzt.

Er merkte, dass die Afghanen die Deutschen schlicht verarschen. Im vollen Bewusstsein, dass diese sich ans Kriegsvölkerrecht halten.
Ein Schütze schoss aus einer Stellung, beispielsweise einem Haus, versteckte seine Kalaschnikow und schlenderte dann in ein anderes Haus. Dort war auch eine Waffe hinterlegt, mit der er das Feuer wieder aufnahm.

Rosenberg hielt Rücksprache mit dem Kommandeur und Rechtsberater. Und die bestätigten dann erst, dass es ok ist, den identifizierten Kombattanten auch zu erschießen, wenn er gerade keine Waffe hat.
Dieser Trick fand wohl recht schnell ein Ende, nachdem die Sniper ein oder zwei Leute ausgeknipst haben.

Das offene Visier

Letzteres ist der Grund, warum diese Kombattanten uns für schwach halten. Was wir sind. Moral ist militärisch eine Schwäche.
Das ist eine Feststellung, kein Apell auf Rechtsnormen zu pfeifen!
Solche und ähnliche „Tricks“ verwenden auch die Palästinenser, die Iraker, die Hisbollah.

Das fängt dabei an, dass die Angehörigen der Polizei und der Qassam-Brigaden ihre Uniformen versteckt haben. Und sie höchstens herausholen, um bei Geiselübergaben mit verhüllten Gesichtern zu posieren. Und es endet bei den Tunneln unter Krankenhäusern und Kommandoposten in Schulen.

Taqiya ist das Prinzip, seinen Glauben zum eigenen Schutz zu verheimlichen. Dies bezieht sich nur auf den Glauben, ist eher schiitisch aber insgesamt im Islam bekannt. Das ist zumindest ein Hinweis darauf, dass es in diesem sozio-kulturellen Kontext ein normiertes Verständnis dafür gibt, zu verschleiern. Ganz ähnlich das Prinzip der russischen Maskirowka.

Das Völkerrecht ist jedoch westlich geprägt. Und in diesem europäischen soziokulturellen Kontext gilt das als ehrlos. Es hat eine lange Tradition Kämpfe offen auszutragen. Selbst der militärische Gruß mit der Hand an der Stirn geht vermutlich darauf zurück, vor einem Turnier das Visier des Helmes zu öffnen um zu beweisen, dass auch der drinsteckt, der draufsteht.
Natürlich gibt es auch im „Westen“ asymmetrische Kriegsführung, Terror und Partisanen. Finnland in den Weltkriegen, Kampfschwimmer, IRA. Aber es ist nicht derart kulturell verwurzelt.

Hilflos vor der Dummheit stehend

Nun gibt es zwei Faktoren, die es mir sehr schwer machen, das noch zu erklären. Geschweige denn darüber zu diskutieren. Und ich weiß, dass es sehr vielen Menschen so geht.

Zum ersten ist mir zutiefst unverständlich, wie man so etwas nicht verstehen kann.
Das hat nichts damit zu tun, dass ich einmal Soldat war. Ich hätte mir eine solche Frage, wie die von Frau Amiri, auch nicht gestellt, bevor ich überhaupt zum Militär gegangen bin. Meinem 18-jährigen Ich wäre das nie in den Sinn gekommen.

Denn um das zumindest erahnen zu können, muss man sich doch nur einmal in die Rollen eines Soldaten hineinversetzen, der in einen Jet steigt, der Raketen für Millionen untergeschnallt hat, und eines Soldaten, der in kurzer Hose Schießgewehr durch die Trümmer von Le Havre, Berlin, Huế, Bachmut oder Gaza laufen muss.

Man muss nur die Medienmeldungen sehen, bei denen es um zerbombte Raketenstarter einerseits und erschossene Menschen andererseits geht. Man muss sich nur fragen, was das Ziel Israels im Iran und im Gazastreifen sein muss.

Ich verstehe es nicht. Und wenn man etwas nicht versteht, macht das aggressiv und erzeugt eine Abwehrhaltung. Selbst wenn man introspektiv und geduldig unterwegs ist.
Aber es ist ja heutzutage nicht so, dass Menschen wie Moritz dann nett fragen und es sich erklären lassen. Die Medien zelebrieren diese Dummheit vor Millionen.

Ein aktuelles Beispiel:
In seiner Sendung vom 24.0625, stellte Markus Lanz die Frage, was das Ziel des Angriffs auf den Iran ist. Nach dieser Anmoderation habe ich bereits ausgeschaltet. Es ist schlicht nicht mehr auszuhalten.
Allerdings bin ich da inzwischen etwas abgebrüht, da ich mich auch nach Jahren damit auseinandersetzen musste, dass Social-Media-Kommentatoren allen Ernstes fragten, was das Ziel der Ukraine sei.

Durch Videoschnipsel auf Social Media weiß ich, dass der anwesenden Kristin Helberg dann auch noch ohne Gegenrede erlaubt wurde zu behaupten, man könne nicht täglich eine Schulklasse an Kindern töten und dafür die Hamas verantwortlich machen. Und Israel würde absichtlich Kinder erschießen.

Selbstverständlich kann man beides völlig völkerrechtskonform. Beispielsweise wenn die Kinder Kombattanten sind, wenn sie nicht absichtlich oder bewusst erschossen werden (ja selbstverständlich geht das in einem Krieg), wenn Kombattanten sich unter ihnen verstecken oder indem sie gar nicht von den Israelis erschossen wurden.
Wenn Frau Helberg über Moral und Ethik sprechen will, ist das völlig ok. Aber dann darf sie das nicht als Tatsachenbehauptung kommunizieren.

Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass Frau Helberg entweder keine Ahnung hat, was in einem Krieg abgeht, oder dass Sie ganz bewusst die Propaganda der Islamisten und Antisemiten verbreitet.
Israel wolle seine Hegemonie vergrößern, sagte sie… Ja selbstverständlich will Israel das. Weil es umgeben ist von arabischen Failed States, die Israel vernichten wollen. Und gefestigte Staaten, mit denen es keine derartigen Probleme hat.
Und sowas wird dann als „ausgewogen“ einem Millionenpublikum verkauft.

Und bevor ich mich noch weiter reinsteigere…

Mach kein Scheiß, Moritz!

Verschwörungsmythen entstehen vor allem dadurch, dass man eine gewisse Meinung hat, und dafür dann versucht, eine Bestätigung zu finden.
Wenn ich die USA doof finde, werde ich mit ausreichend Engagement Beweise finden, dass sie nicht auf dem Mond gewesen sein können. Das nennt man Confirmation Bias.

Und das wird dadurch gestützt, dass man fehlendes Wissen durch Erklärungen ersetzt, die man parat hat.
Weiß man nicht, dass Stahlträger schon bei 800 °C einen Großteil ihrer Tragkraft verlieren, ist die Erklärung naheliegend, dass das World Trade Center gesprengt worden sein muss. Weiß man nicht wie leicht oder schwer es ist ein Passagierflugzeug zu fliegen, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass die offizielle Version von den Flugschülern nicht stimmen kann.

Und wenn die Journalistin und Diplom-Orientalistin Natalie Amiri keine Ahnung von Krieg hat, muss sie zu dem Ergebnis kommen, dass der Krieg im Gazastreifen von Netanjahu hinausgezögert wird, um an der Macht bleiben zu können.
Es ist psychologisch nachvollziehbar. Und trotzdem dumm. Präsentiert zur besten Sendezeit. Und alle, die das in den Redaktionsstuben abnicken, sind genauso blöde.

Ich versuche mir vorzustellen, dass Netanjahu in einem Briefing den Generälen sagt „Wir könnten gewinnen, Menschenleben retten, die Wirtschaft stabilisieren und einen Scheiß an Kohle sparen. Aber ihr macht jetzt mal schön langsam und lasst noch ein paar von Euren Leuten totschießen.“
Es will mir nicht gelingen. Nicht trotz, sondern umso weniger, weil er selber Offizier der Spezialeinheit Sajeret Matkal war.

Und weil ich das nun sein Februar 2022 mitmache, diese umfassende Kompetenzlosigkeit der Medienschaffenden, geboren aus einer friedensverwahrlosten Gesellschaft, in der man auf Soldaten herabblickt und Krieg das Schmuddelkind war, mit dem man nicht spielt, kostet es mich immer größere Überwindung, das noch sachlich zu erklären.

Aber ich hoffe, ich konnte zumindest Moritz davon abhalten, in dieses Hasenloch zu kriechen.

Sujet Leserfragen

7 commentaires

Souhaitez-vous voir les commentaires ?
Devenez membre de U.M. pour rejoindre la conversation.
Adhérer