WeinLetter #102: Jetzt haben die Genossenschaften das Wort! Eine Replik auf Gert Aldinger
Liebe Weinfreund:in,
Du liest den WeinLetter #102. Heute gibt’s: Die Fortsetzung des großen Interviews mit Gert Aldinger - allerdings mit anderen Mitteln. Denn jetzt sind die Genossen dran! Es hat schon für Furore gesorgt, was Württembergs Weinlegende Gert Aldinger über die Weinbranche gesagt hat im zweiteiligen Interview im WeinLetter #100 (“Wir müssen den Rückgang managen”) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und WeinLetter #101 (“Du musst offen, experimentierfreudig und hungrig bleiben”) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Antwort in WeinLetter #102 kommt von Marian Kopp. Er ist geschäftsführender Vorstand der Lauffener Weingärtner in Württemberg. Denn an Genossenschaften ließ Gert Aldinger kein gutes Haar: “In Württemberg sind die Genossenschaften komplett abgestürzt”, sagte er zum Beispiel. Sie hätten beispielsweise die Umstellung auf Bio-Produktion komplett versäumt. Die Rebstöcke in den Steillagen entlag des Neckars - Hauptgebiet der Genossenschaften, auch der Lauffener - würde er mit Solarpanelen ersetzen. Das reichte Marian Kopp. Er schrieb dem WeinLetter. Hier lest ihr die Antwort auf Gert Aldinger. Wichtig: Es ist keine Verteidigungsrede, er zeigt auch auf, wie man als moderne, innovative Genossenschaft in die Zukunft gehen kann. So entsteht im WeinLetter eine produktive Diskussion zur Zukunft der deutschen Weinbranche - sie ist dringend notwendig. Denn totschweigen oder mit PR überkleistern lässt sie sich nicht mehr. Viel Spaß beim Lesen!
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Trinkt friedlich!
Euer Thilo

Württemberger Idylle oder Niedergang? Mitten im Steillagengebiet Katzenbeißer liegt der Krappenfelsen bei Lauffen am Neckar. Die Steillagen sind ein Kulturgut, aber immer schwieriger und unrentabler zu bewirtschaften FOTO: LAUFFENER WEINGÄRTNER
Die Genossenschaft steht nicht für den Niedergang der Weinbranche - sie ist zukunftsfähig!
von Marian Kopp
Der Weinmarkt in Deutschland befindet sich seit 2022 in einem spürbaren Rückgang. Der Weinkonsum sinkt nicht nur, er verändert sich auch qualitativ und strukturell. Insgesamt steht das Weingeschäft, auch international! – besonders auf der Nachfrageseite – unter anhaltendem Druck. Der Wettbewerb hat sich deutlich verschärft. Alle Marktteilnehmer, auch die Genossenschaften, sehen sich einem intensiven Verdrängungswettbewerb ausgesetzt und müssen sich in mehreren Hinsichten wandeln. Reine Herkunft oder Betriebsform, zum Beispiel „Weingut“, sind kein Selbstläufer mehr. Profilierung, Differenzierung und betriebswirtschaftliche Effizienz sind essenziell. Insofern widerspreche ich der pauschalen Kritik an Genossenschaften, wie sie Gert Aldinger im WeinLetter-Interview formuliert hat.
Ja, auch wir, die Genossenschaft Lauffener Weingärtner, haben seit dem Konsum-Peak während der Pandemie Absatz- und Umsatzrückgänge zu verzeichnen. Auch wenn er durch den hohen Absatzanteil an den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zunächst weniger als der Gesamtmarkt istzurückgegangen . Dennoch treffen uns die höheren Kosten der Erzeugung im Weinberg gerade für unsere Mitgliedsbetriebe, der Weinbereitung, der Abfüllung und des Vertriebs – wie auch alle anderen Betriebsformen.
Die “Sterberate” ist auch bei privat geführten Weingütern hoch
Die Betriebsform Genossenschaft bringt jedoch als „shared economy“ spezifische Stärken, aber auch strukturelle Herausforderungen mit sich – gerade im Vergleich zu Weingütern, Privat- und Großkellereien oder Importeuren. Diese gilt es konsequent strategisch zu nutzen beziehungsweise in Bezug auf die strukturellen Besonderheiten bewusst zu beachten.
Konzentrationsprozesse sind dabei kein genossenschaftsspezifisches Phänomen, sondern betreffen sämtliche Betriebsformen: bei Traubenerzeugern, Weingütern wie auch im Kellereisektor. Die „Sterberate“ und der Wirtschaftlichkeitsverfall ist insbesondere bei privat geführten Weingütern enorm, wie die Unternehmensanalyse der Hochschule Geisenheim (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) immer wieder dokumentiert. Insofern stimmt schlicht nicht, dass der Niedergang der Weinbranche vor allem an den Genossenschaften festzumachen ist.
Dies gilt auch für die Qualitätsdebatte. Weine von Genossenschaften sind qualitativ weder per se besser noch schlechter als jene anderer Betriebsformen. Pauschale Abwertungen von Genossenschaftsweinen, wie es Gert Aldinger im WeinLetter-Interview vorgenommen hat, entbehren jeder sachlichen Grundlage und dienen häufig lediglich der Eigenprofilierung einzelner Marktteilnehmer.
Die Qualitätsdiskussion muss objektiv, differenziert und unabhängig von der Betriebsform geführt werden – einzig das Produkt, der Wein beziehungsweise Sekt, zählt.

Der Vorstand der Lauffener Weingärtner posiert 1952 vor drei großen Holzfässern in Mundelsheim, Württemberg FOTO: LAUFFENER WEINGÄRTNER
Die Lauffener Weingärtner in Zahlen
Umsatz in 2024): 17,3 Millionen Euro. Der Absatz von Wein und Sekt sank dabei um 3,6 Prozent, der Umsatz um 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und knapp weniger als die Gesamtbranche.
Rebflächen: Ca. 860 Hektar. Sie befinden sich alle im Mitgliederbesitz oder in Mitgliederpacht. Es werden nach eigenen Angaben keine Trauben zugekauft.
Produktion in 2024: 6,8 Millionen Liter.
Kundensegmente in Deutschland: 75 Prozent Lebensmitteleinzelhandel, 17 Prozent Direktverkauf an Verbraucher, 1 Prozent Gastronomie sowie 7 Prozent Fachhandel, Fachgroßhandel und Export. Der Export macht am Gesamtumsatz nur 1 Prozent aus (vor allem: Südkorea, Taiwan, China).
Gründungsjahr: 1935.
Rebsortenspiegel: Die Lauffener bewirtschaften einen hohen Rotwein-Anteil - 80,7 Prozent der Anbaufläche ist Rot, 19,3 Prozent sind weiße Rebsorten. Bei den Roten dominiert Schwarzriesling mit mehr als 40 Prozent an der Gesamtrebfläche. Gefolgt von Lemberger und Trollinger. Bei den Weißen dominiert Riesling, gefolgt von Grauburgunder und Müller-Thurgau.
Wichtigstes Produkt: Lauffener Katzenbeißer Schwarzriesling
Genossenschaften haben dabei durch ihre enge Anbindung an die Traubenerzeuger direkte Einflussmöglichkeiten auf Qualität und Herkunftssicherung. Dieses Potenzial – von der Traube bis zur Flasche – ist ein bedeutender Wettbewerbsvorteil und muss konsequent genutzt und kommuniziert werden. Zudem können die Genossenschaften die Produktionsfaktoren effizienter und damit nachhaltiger nutzen als kleine Betriebsformen.
Im Bereich der Vermarktung sind Genossenschaften strategisch häufig weiter als kleinere Weingüter: Der Zugang zum Lebensmitteleinzelhandel wurde frühzeitig aufgebaut und professionalisiert. Infolge sinkender Direktverkäufe sehen sich viele Weingüter inzwischen gezwungen, ebenfalls in diesen Vertriebskanal einzutreten – oft unter großem Preisdruck. Der Wettbewerb im LEH wird aber härter und härter.
Auch Genossenschaften müssen daher sowohl im Fachhandel, im Direktvertrieb als auch im LEH ihr Profil schärfen und weitere Markenarbeit betreiben. Markenpflege ist kein optionales Werkzeug, sondern eine unternehmerische Pflicht – gerade für Genossenschaften. Herkunft, Handschrift und Haltung müssen und werden bereits vielfach erfolgreich und kontinuierlich sichtbar gemacht und kommunikativ aufgeladen. Ein veraltetes Erscheinungsbild schwächt die Position im Markt.
“Alles für alle” ist für Genossenschaften kein Zukunftsmodell mehr
Erfolgreiche Genossenschaften zeichnen sich aus meiner Sicht durch professionelle, entscheidungsfähige Gremien aus. Die Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat muss zielgerichtet, effizient und strategisch abgestimmt erfolgen. Hauptamtliche Führungskräfte benötigen klaren Handlungsspielraum und Rückendeckung durch die Gremien, benötigen „Autorisierung“. Überdimensionierte Besetzungen der Gremien können Entscheidungsgeschwindigkeit und Verantwortungszuweisung behindern. Aber ganz ehrlich: Auch in Weingütern genauso wie den Kellereien können zu viele „Mitredende“, seien es Familienmitglieder oder Gesellschafter, die Entwicklung und Innovationskraft hemmen.
In Zukunft wird es auch für Genossenschaften essenziell sein, ihr unternehmerisches Profil weiter zu schärfen. „Alles für alle“ ist kein zukunftsfähiges Modell mehr. Es wird nicht mehr funktionieren, alle Preis- und Qualitätssegmente zu besetzen. Da verlieren die Kundin und der Kunde den Überblick – und wenden sich zurecht ab. Klarheit in Strategie, Sortiment und Zielgruppenansprache wird über Marktzugang und Wirtschaftlichkeit entscheiden. Dies wird übrigens vielfach praktiziert und vorangetrieben, Herr Aldinger!
Die Genossenschaft als Betriebsform bleibt zukunftsfähig – vorausgesetzt, sie wird aktiv weiterentwickelt. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit bieten die Prinzipien von Gemeinschaft, Transparenz und Herkunft besondere Glaubwürdigkeit – wenn sie konsequent gelebt und professionell umgesetzt werden.

“Gemeinschaft, Transparenz und Herkunft”: Blick in den Weinkeller der Lauffener Genossenschaft FOTO: LAUFFENER WEINGÄRTNER
Genossenschaften beweisen dabei, dass sie die Zukunft mitdenken können. Ich will drei Beispiele nennen:
Die Genossenschaften zeigen gerade in Württemberg, dass sie die Vorreiter für Nachhaltigkeit sein können: Eine Gruppe von Württemberger Genossenschaften ist Vorreiter bei der Einführung eines neuen 0,75-Liter-Pfandflaschensystems. Der Fokus auf Nachhaltigkeit ist nicht nur aus ökologischer Sicht wichtig, sondern kann auch die Akzeptanz und das Image der Weinbranche positiv beeinflussen.
Die Genossenschaften können neue, aber kostenintensive Trends einfacher aufnehmen: zum Beispiel bei alkoholfreien Weinen und Sekten. Größere Betriebe der Weinbranche können in dem Fall kostenintensive Produktionsweisen einfacher stemmen.
Die Genossenschaften gerade in Württemberg sind lange nicht mehr die Trollinger-Fanatiker, wie das Image fälschlicherweise immer noch kolportiert wird. Trollinger geht in Württemberg kontinuierlich zurück (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) genauso wie beispielsweise der Müller-Thurgau in Rheinhessen. Wir setzen viel mehr auf internationale Traubensorten wie Sauvignon Blanc oder pilzwiderstandsfähige Rebsorten, also Piwis wie Souvignier Gris.
Das Traubengeld bleibt der zentrale Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Genossenschaft – vergleichbar mit dem Gewinn einer Kapitalgesellschaft. Die Höhe und Stabilität des Traubengeldes sind wesentliche Indikatoren für betriebliche Effizienz, Marktstellung und Zukunftsfähigkeit. Es ist die notwendige, wenn auch nicht allein ausreichende Grundlage für nachhaltigen Markterfolg.
Mein Fazit: Die Herausforderungen im Weinmarkt sind größer geworden – aber auch die Chancen für Genossenschaften, die mutig und strategisch handeln und ihre Innovationskraft selbstbewusst dem Weinkonsumenten zeigen.

Marian Kopp ist seit 2024 Geschäftsführender Vorstand der Lauffener Weingärtner. Der studierte Diplom-Kaufmann arbeitete zuvor bei der Racke-Gruppe (Sektkellerei Kupferberg ), The Donum Estate in den USA, Golden Kaan Ltd. in London und Paarl (Südafrika), Weingut Reichsrat von Buhl sowie der Deutsches Weintor eG.
Sein Lauffener Lieblingswein: Weinwerkstatt, Schwarzriesling, trocken, 2020.
Sein Nicht-Lauffener Lieblingswein: Weingut Johannes Kopp, Weissburgunder Lösslehm, trocken, 2022. Sie sind nicht verwandt. FOTO: LAUFFENER WEINGÄRTNER
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Hier gibt’s noch 5 x Genossenschaften im WeinLetter
WeinLetter #31: Das steile Württemberg-Experiment! Teil 1 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
WeinLetter #32: Das steile Württemberg-Experiement! Teil 2 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)