ADHS-Risikofaktoren im Kindergartenalter
Warum manche Kinder "ausflippen" und andere "zumachen" Was Temperament und Selbststeuerung mit ADHS zu tun haben – und was Eltern früh verstehen sollten

Audio-Zusammenfassung des Artikels :
Viele Eltern, die ein Kind mit ADHS haben oder vermuten, kennen diese Situationen nur zu gut:
Dein Kind hat schon beim Anziehen einen Wutanfall, weil die Socken "nicht richtig" sitzen.
Es kann sich kaum konzentrieren, obwohl du es schon hundertmal gebeten hast.
Oder es zieht sich komplett zurück, redet kaum noch mit anderen und wirkt traurig oder überfordert.
Manchmal denkt man als Mutter oder Vater: "Warum ist mein Kind so anders? Warum reagiert es so extrem?"
Eine neue Studie aus Deutschland (Heinze et al., 2025) hat untersucht, warum Kinder so unterschiedlich ticken – und warum sich manche besonders schwer mit Selbstkontrolle, Frustration oder sozialen Situationen tun.
Die wichtigste Erkenntnis für Eltern und Erzieher:innen:
Es gibt nicht das eine ADHS-Kind. Aber es gibt bestimmte "Mischungen" aus Temperament und Selbststeuerung, die früh Probleme machen können – wenn man sie nicht erkennt.

1. Jedes Kind bringt sein eigenes "emotionales Grundrezept" mit

Schon im Baby- und Kleinkindalter zeigen sich Unterschiede:
Manche Kinder sind sehr empfindlich, weinen schnell, reagieren auf jede Kleinigkeit emotional. Sie brauchen viel Rückversicherung und können Frust schlecht aushalten.
Andere Kinder sind "voller Energie", impulsiv, laut, neugierig, reden viel und denken selten vorher nach.
Die Wissenschaft nennt das Temperament. Das ist wie eine Art "Grundausstattung" des Kindes, die man nicht erzogen oder verlernt hat.
In der Studie wurden zwei Haupttypen besonders angeschaut:
Negative Affektivität: Kinder, die schnell traurig, ängstlich oder wütend werden
Surgency: Kinder, die sehr aktiv, laut und impulsiv sind
Diese Eigenschaften sind nicht krankhaft. Aber sie können anstrengend für das Kind und sein Umfeld sein, wenn sie mit bestimmten Schwierigkeiten zusammentreffen.
2. Selbststeuerung kann man lernen – aber sie kommt nicht von allein

Viele Kinder lernen mit der Zeit, sich selbst besser zu regulieren:
sich nicht gleich aufzuregen,
Impulse zu bremsen,
Gedanken zu sortieren oder
die Aufmerksamkeit zu lenken.
Aber manche Kinder tun sich damit schwerer als andere. Die Studie zeigt: Kinder, die sich nicht gut selbst steuern können, haben ein höheres Risiko für Verhaltensauffälligkeiten.
Vor allem, wenn sie gleichzeitig sehr impulsiv oder emotional empfindlich sind.
3. Was passiert, wenn beides zusammenkommt?
Die Forscher:innen fanden heraus:
Kinder, die impulsiv sind und wenig Selbststeuerung haben, zeigen häufig Symptome wie ADHS.
Kinder, die sehr emotional empfindlich sind und sich schlecht regulieren können, neigen eher zu Ängsten, Traurigkeit oder sozialem Rückzug.
Das heißt: Nicht jedes unruhige oder überempfindliche Kind hat ADHS oder eine Störung. Aber wenn bestimmte Eigenschaften zusammenkommen – z. B. hoher Bewegungsdrang + wenig innere Steuerung – sollten Eltern genauer hinschauen.
4. Warum das Alter so eine große Rolle spielt
Die Studie hat die Kinder in Altersgruppen (3, 4 und 5 Jahre) eingeteilt und herausgefunden:
Bei den 3-Jährigen hingen Probleme stark mit dem Temperament zusammen (also wie sie "gebaut" sind).
Bei den 4- und 5-Jährigen wurde die Selbststeuerung immer wichtiger. Wer hier Schwierigkeiten hatte, zeigte mehr ADHS-Symptome.
Das zeigt: Je älter das Kind wird, desto wichtiger wird die innere Steuerung.
Und: Es ist nie zu früh, um damit zu beginnen, diese zu unterstützen.
5. Was Eltern und Erzieher:innen konkret tun können
Beobachten:
Wie reagiert das Kind auf Frust?
Wie läuft der Übergang von freien Spiel in Aufräum-Situationen?
Wie geht das Kind mit Warten um?
Stärken fördern:
Lobe nicht nur das Ergebnis, sondern den Weg: "Du hast gut durchgehalten!"
Biete Struktur und Rituale an, die Sicherheit geben
Regulation spielerisch trainieren:
Stopp-Tanz
"Ich sehe was, was du nicht siehst" (Konzentration)
Atemspiele (Blume riechen, Kerze auspusten)
Frühzeitig Hilfe holen:
Wenn du merkst, dass dein Kind dauerhaft leidet oder im Alltag stark beeinträchtigt ist, such dir Unterstützung.
Manchmal reicht eine Erziehungsberatung, manchmal braucht es Diagnostik.
6. Was du dir als Elternteil merken darfst:
Jedes Kind ist anders. Manche bringen mehr "Sprengstoff" mit, andere mehr "Empfindsamkeit".
ADHS ist keine Erziehungsfrage. Aber wie du deinem Kind hilfst, mit seinem Temperament umzugehen, macht einen riesigen Unterschied.
Frühe Förderung von Selbststeuerung zahlt sich aus – nicht nur für das Kind, sondern für die ganze Familie.
Quelle der Studie:
Heinze, H., Daseking, M., Gawrilow, C. et al. (2025). Reactive temperament and self-regulation in preschool: Unique constellations impacting psychopathology. Applied Neuropsychology: Child. https://doi.org/10.1080/21622965.2025.2519862 (Si apre in una nuova finestra)
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